Die Nächte waren empfindlich kühl geworden, zumal für wütende Milites, die unbemäntelt durch die Dunkelheit stiefelten. Stunde um Stunde hatte Antias die Castra durchstreift, war von den Unterkünften an den Thermen vorbei zum Nordtor geschlappt, dann der Mauer entlang nach Westen durch die Gasse wo Apolonia und er sich geliebt hatten, schließlich nach Süden auf die Principalis und wieder ostwärts, bis ihm der Grund für seinen Zorn fast entfallen war. Hispos’ Reaktion war nicht viel anders ausgefallen als erwartet. Antias kannte seinen Freund zu gut, um nicht zu wissen, dass die gehässigen Anfeindungen nicht ihm gegolten hatten, sondern einem passiven Ehrgeiz entsprungen waren, der in keinem Verhältnis zu den tatsächlich erbrachten Leistungen stand. Hispo konnte ohne Frage sehr motiviert und pflichtbewusst sein, aber eben nur wenn er Lust dazu hatte. Im Grunde war er ein Hedonist. Und was war Antias selbst? So genau wollte er das gar nicht wissen.
Erst nach dem Wechsel zur zweiten Nachtwache kehrte Antias völlig durchgefroren in die Baracke zurück, eigentlich nur, um seinen Mantel zu holen. Die anheimelnde Stille, die sich der Unterkunft inzwischen bemächtigt hatte, verleitete ihn allerdings dazu, die Reste seiner Wut vollends hinunter zu schlucken. Das hier war schließlich auch seine Baracke, da stand seine Pritsche und was da unregelmäßig vor sich hin schnarchte, waren seine Kameraden. Leise schlich er zur Kochstelle, setzte sich mit dem Rücken zur verblieben Glut auf die halbhohe Umfassung und wärmte dankbar seine steifen Knochen. Von ganz hinten, dort wo die Zwillinge ihre Lager hatten, drang ein langgezogenes Stöhnen durch das Geschnarche. Antias spähte in die Dunkelheit, sah das leere Bett von Marullus und wandte sich grinsend wieder ab. Die zwei waren zu beneiden, die hatten wenigstens einander und mussten sich nicht zwischen Dienst und Liebe entscheiden. Gähnend starrte er in die pulsierende Glut. Wahrscheinlich wäre er dort auf der Mauer eingenickt, hätte ihn nicht plötzlich eine kalte Hand auf seiner Schulter hochschrecken lassen. Vor ihm stand der völlig bekleidete Marullus und zog ihn mit sorgenverzerrtem Gesicht in Richtung von Tutors Pritsche, wo das Stöhnen allmählich lauter wurde. In den hinteren Teil der Barracke vermochte der Lichtschimmer aus der Kochstelle kaum mehr vorzudringen, dennoch sah Antias auf den ersten Blick, dass es Tutor beschissen ging. Schweißgebadet hatte er sich auf seinem Lager zusammengekrümmt, hielt sich den Bauch und stöhnte rau zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. Neben seinem Kopf schimmerte eine breite Lache Erbrochenes. „Tutor?“ fragte Antias versuchsweise, erhielt aber nur ein schwaches Keuchen zur Antwort. „Was hat er gegessen?“ wandte er sich an Marullus. „Das gleiche wie ich.“ fistelte es ihm entgegen. „Was?“ „Das gleiche wie ich.“ Das war genau das Problem mit den Zwillingen, man verstand sie nur, wenn sie den Mund nicht aufmachten. „Wie lange geht das schon so?“ „Die ganze Zeit, aber jetzt is schlimmer.“ Antias verstand kein Wort, erinnerte sich aber daran, dass Tutor bereits am frühen Abend wie tot auf der Pritsche gelegen hatte. „Wie auch immer, er braucht einen Medicus, so schnell wie möglich.“ Marullus nickte zwar energisch, blickte dann aber nur hilflos auf seinen leidenden Gefährten. Antias seufzte. Noch ein Hedonist, der meint, alles würde sich schon von selbst erledigen. „Na los! Nimm die unteren Enden seiner Decke, wir bringen ihn in’s Valetudinarium.“ Endlich schien Marullus zu begreifen. Hektisch schnappte er sich die Wolldecke an Tutors Füßen., Antias packte das andere Ende. Vorsichtig schlugen sie die Decke ein und hoben Tutor hoch, was einen spitzen Schmerzensschrei zur Folge hatte, der das restliche Contubernium jäh aus dem Schlaf riss. „Was zum Iuppiter ..“ krächzte Hispo verschlafen aus der Dunkelheit. „Wir bringen Tutor in’s Lazarett.“ „Was .. um die Zeit?“ Antias hatte nicht den Nerv zu einer Entgegnung, trieb stattdessen lieber Marullus voran. „Los, die Tür .. aber sachte, wenn’s geht.“ Marullus hebelte mit dem Ellbogen die Barackentür auf, Tutor stöhnte noch einmal laut und begann sich wieder zu übergeben. Die Tirones sprangen geräuschvoll aus den Betten, Gemurmel wurde laut, Marullus und Antias eilten mit dem keuchenden und kotzenden Tutor in die Nacht hinaus, wieder ohne Mantel.