Beiträge von Titus Germanicus Antias

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    Sextus Maevius Macro
    TIRO · COHORTES URBANAE


    Macro war nicht sonderlich erbaut von der Diensteinteilung. Torwache. Elend eintönig. Nur Boten, Lieferanten und ähnlich langweiliger Zivilkram. Wie öde. „Lieber zwanzig Runden um den Exerzierplatz als das hier.“, maulte er zu seinem Kameraden Pola hinüber. „Das ist doch reiner Strafdienst, oder nicht?“
    Pola erwiderte nichts. Natürlich nicht. Der war ja auch völlig anderer Meinung, wie Macro sehr wohl wusste. In Ordnung war der Bursche schon, nur hatte er keinen Funken Ehrgeiz im Leib. Torwache. Die reinste Zeitverschwendung. An den Waffen hätten sie sich stattdessen üben können, sich an den Pfählen schinden, ihre Körper stählen, aber nein, sie bewachten ein Tor. Genau genommen gab es hier gar nichts zu bewachen. Vor wem auch? Welcher Zivilist war schon so blöd, unbefugt in die Castra Praetoria einzudringen? Welche Hummel schlich sich schon in ein Wespennest? Nein, hier war wirklich nicht viel Ehre zu erringen, und dabei hatten Pola und er sogar noch Glück gehabt. Die Kameraden an der Porta Decumana beispielsweise starrten ihre ganze Wache über nur unterfordert auf die Müllgrube und ein paar vorgelagerte Scheuern. Welch grausige Vorstellung.


    Während er noch mit dem ungerechten Schicksal haderte, fiel Marco’s Blick plötzlich auf einen zielstrebig heran marschierenden Zivilisten mit seltsam maskenhafter Miene. Beim Mars, der Kerl führte doch sicher Übles im Schilde! Angespannt warf Macro sich in die Brust, lauschte auf alle eventuellen Angriffe gefasst dem Anliegen des Cives und musste enttäuscht feststellen, dass er hier keinen Angreifer vor sich hatte, sondern im Gegenteil einen potentiellen neuen Kameraden. Unterschreiben wollte er? Macro runzelte die Stirn. Der hatte es ja ziemlich eilig.


    „Salve Civis. Ja, das Officium Conducendi ist besetzt, falls du das meinst. Wie jeden Tag von der hora secunda bis zur hora decima. Wenn du den Cohortes beitreten willst: Die Via Praetoria entlang bis zum zentralen Verwaltungsgebäude. Da gehst du rein, hältst dich links und meldest dich im zweiten Officium. Die sagen dir da schon, wie’s weitergeht.“

    Während er den Worten des Decimers konzentriert lauschte, gingen Antias so einige Lichter auf. Eines war ihm bereits nach den ersten Sätzen klar geworden: Decimus Serapio, wer immer er auch sein mochte, hatte sein bisheriges Leben keinesfalls nur in Tempeln und Theatern verbracht. Dieser Initiand verfügte nicht nur über einen messerscharfen Verstand und eine ebenso geschliffene Eloquenz, mehr noch strahlte er eine Art von abgeklärter Autorität aus, die mit der üblichen Blasiertheit hochgeborener Cives nicht zu erklären war. Einen gelangweilten Müßiggänger hatte Antias hier nicht vor sich, so viel stand schon mal fest. Einmal mehr begann er sich zu fühlen wie ein unbedarfter Provinztrottel, was er im Grunde ja auch noch immer war.


    Unter zustimmenden Nicken ließ er sich die Ausführungen durch den Kopf gehen. Völlig richtig, es gab weit effizientere vor allem heimlichere Wege, sich eines Klatschmauls zu entledigen, als einen Auftragsmord vor Dutzenden von Zeugen. Der Markt war gezielt als Bühne für diese absurde Tat ausgewählt worden. Und dann diese Tabula. Die hatte für ihn ohnedies nie so recht in’s Bild gepasst, nicht einmal des Inhaltes wegen, vielmehr fragte er sich, warum der Mörder die Tafel überhaupt mitgenommen hatte. Antias hatte den Leichnam selbst durchsucht. Keine persönlichen Gegenstände, nur auffallend nichtssagende Dinge waren ihm dabei in die Hände gefallen. Ein Allerweltstalisman, ein lächerlich kleiner Geldbetrag, ein billiger Dolch, offenbar nur für den einmaligen Gebrauch erworben. Und dieses arme Schwein schleppte auf seinem letzten Gang ausgerechnet eine unhandliche Tabula mit sich herum? Warum? Um sich noch einmal zu motivieren? Unsinn.


    Nein, es war wie der Decimus sagte: Das Mitführen der verräterischen Tabula war ebenso Teil des Auftrages gewesen wie Mord und Selbsttötung. Hatte der Tribunus den Mord doch in Auftrag gegeben und gleichzeitig versucht, sich mit dieser plump lancierten Tabula selbst zu entlasten? Das konnte sich Antias bei aller Fantasie kaum vorstellen. Der Iulier, den er kannte, war kein Idiot, zudem hatte er nichts dabei zu gewinnen. Die Gerüchte selbst schadeten ihm, der Mord schadete ihm, die auf den ersten Blick entlastende Tabula schadete ihm bei genauerer Betrachtung gleichfalls. Egal wie man es drehte, Tribunus Iulius Dives kam bei der ganzen Geschichte denkbar schlecht weg. Etwaige Feinde des Tribuns, auf die der Inhalt der Tabula nun deutlich hinwies, allerdings auch. Das Gerücht ist im Umlauf – wozu dieser Satz? Doch nur, um den Finder geradezu mit der Nase darauf zu stoßen, dass die Verbreitung der Gerüchte und der Mordauftrag demselben Hirn entsprungen waren. Also waren die Feinde des Tribuns Idioten? Wohl kaum. Die ganze Angelegenheit nahm zunehmend das Bild eines gezielten Speerwurfs aus der zweiten Reihe an. Irgend jemand konnte aus einer komfortablen Deckung heraus sowohl den Feinden der Familie wie auch dem Tribun selbst empfindlichen Schaden zufügen, ohne sich exponieren zu müssen. Aber wer?


    Grübelnd ertappte sich Antias dabei, wie er sich mal wieder das Kinn kratze als hauste Kleinstgetier in den Bartstoppeln. Verdammt, das musste er sich endlich abgewöhnen! Der Decimus hatte seine Frage klar strukturiert beantwortet und überraschte ihn nun mit einer Gegenfrage. Antias atmete geräuschvoll aus. Er kannte nur Tribunus Iulius Dives, über die Personen in seinem näheren Umfeld wusste er rein gar nichts, war sich aber mittlerweile ziemlich sicher, dass der Speerwurf genau von dort gekommen war. Der Decimer erwartete eine Antwort. Welche Personen würden davon profitieren? Das Iuliermädchen selbst – wollte Antias schon antworten – oder jemand, der ihr sehr nahe steht, aber er kam nicht dazu, was ihn alles andere als unglücklich machte.


    Antias’ Verblüffung über die analytische Betrachtung des Decimus wurde von den nun folgenden Worten seines Optios noch übertroffen. Avianus stand in Korntakt mit dieser Iulia? War von ihr persönlich dazu animiert worden, die Nachforschungen voranzutreiben? Doch, das waren durchaus Neuigkeiten. Wie sollte er darauf reagieren? Gekränkt, weil ihm sein Optio offenkundig nicht vertraute? Alberne Vorstellung. Der Iunier war ein fähiger und bedächtiger Offizier, der sicher seine Gründe hatte, manches für sich zu behalten. Außerdem war er keineswegs dazu verpflichtet, einen gerade erst zum Miles ernannten Frischling in seine Gedankengänge einzuweihen. So reagierte Antias einfach gar nicht und konzentrierte sich stattdessen darauf, die Hand vom Kinn fern zu halten.


    Zitat

    Original von Loukia
    „Wenn du mich empfehlen möchtest, sehr gerne. Aber empfiehl bitte die Caupona Aluta, verehrter Miles. Sie ist mein - wie nennst du das wohl - Hauptstandbein.“ Mit einem liebenswürdigen Zwinkern drückte sie ihm das Päckchen in die Hand. „Ich würde mich sehr freuen, dich dort wieder einmal begrüßen zu dürfen. Ganz ehrlich.“


    Schmunzelnd nahm Antias das hübsch geschnürte Päckchen entgegen. Zehn Feigen. Eine pro Nase. Naja. Dafür lohnte es sich kaum, die Männer zusammen zu rufen. Zudem hatte er vergessen, sich selbst mitzurechnen, elf hätte er nehmen müssen. Peinlich. Seine Bestellung zu korrigieren verkniff er sich jedoch tunlichst, schließlich wollte er vor der kleinen Griechin nicht dastehen wie ein zerstreuter Trottel. Mit einem freundlichen Nicken zählte Antias die fünfzehn Sesterzen auf den Tisch. Ein Schnäppchen waren die Feigen ja nun nicht gerade, allerdings hätte er im Schein dieses unverwüstlichen Strahlens auch klaglos das Doppelte bezahlt. Ach ja. Werter Miles. Verehrter Miles. Es ging ihm runter wie Honigmet. Sie verstand wirklich, mit der Kundschaft umzugehen. Natürlich war er sich völlig im Klaren darüber, dass ihre leuchtenden Blicke nicht ihm persönlich galten, aber die Vorstellung gefiel ihm trotzdem. „Loukia.“ lächelte er nicht minder liebenswürdig zurück. „Die in’s Licht Geborene. Oh ja. Was könnte passender sein. Ich bin übrigens Optio Germanicus Antias, und kann es kaum erwarten, der Caupona einen erneuten Besuch abzustatten. Auch ganz ehrlich.“


    Eine lange Pause entstand. Von hinten drückten die Kunden, über den Verkaufsstand hinweg sahen ihn vier Augen fragend an, zwei lächelnd, zwei tumb. Alles war gesagt. Er hatte seine Bestellung erhalten und bezahlt, es bestand also nicht der geringsten Grund, hier noch länger herumzustehen und den Betrieb aufzuhalten. Dennoch widerstrebte es ihm, einfach so davon zu latschen. Immerhin hatte Loukia’s Trank ihn wieder aufgerichtet, von ihrem angenehmen Wesen ganz zu schweigen, und überhaupt ....
    „Ich hoffe doch, ihr habt für den Heimweg einen Begleiter, der auf euch und euer wohlverdientes Geld acht gibt? Wenn nicht, wir rücken hier gegen Merides ab. Zumindest bis zum Pons Sublicius könntet ihr euch anschließen.“ Das war zwar nur die halbe Strecke, aber als Tross der Urbanerpatrouille würden die Frauen mit ihren Gerätschaften weit schneller vorankommen und vor allem nicht belästigt werden. „Also .. solltet ihr bis dahin hier fertig sein, wäre es uns eine Freude, euch zu eskortieren. Ich .. ähm .. werde vor dem Abmarsch noch einmal nach euch sehen. Hmm ja .. dann erstmal vale, meine Damen.“


    Um jeglichem Widerspruch zuvor zu kommen, tauchte Antias schleunigst wieder in die Menge und hielt dort Ausschau nach den Tirones. Die hatten sich nun doch recht großräumig auf dem Platz verteilt. Ein Hastapaar ragte zumindest noch in Rufweite aus dem Menschenstrom, vermutlich Ferox und Frugi, zwei weitere trieben langsam die Stände entlang auf den Dianatempel zu, eines drohte gar nach Nordosten in Richtung der Thermen des Sura davon zu schaukeln. Das ging im wahrsten Wortsinn zu weit. Hatte er nicht klar und deutlich Anweisung gegeben, Augenkontakt zu halten? Vielleicht verfolgten die beiden ja einen Dieb oder ähnliches, schon möglich, aber in diesem Fall hatten die Grünschnäbel gefälligst Meldung zu machen! Mit sinkender Laune wühlte er sich zu den nächststehenden Rekruten durch. Es waren nicht Ferox und Frugi, sondern die Tirones Maevius und Calavius. Letzterer hatte sich eine hölzerne mit zerrupften Federn beklebte Eulenmaske unter den Helmrand geklemmt und gab befremdliche Laute von sich, während Maevius von hysterischem Gelächter geschüttelt über das abgestellte Scutum hing, die Zähne voll weißer Brocken, den abgesetzten Cassis gefüllt mit hartgekochten Eiern. Zweifellos Hühnereier, die man dem einfältigen Burschen als überteuerte Eulenerzeugnisse verkauft hatte.


    Als die ausgelassenen Rekruten ihres Optios endlich gewahr wurden, versuchten beide erschrocken Haltung anzunehmen, was nur dem Calavius leidlich gelang. Der Maevius dagegen wusste nicht, wohin mit dem Helm, und glotzte nur betreten. Antias riss dem strammstehenden Calavier fluchend die Maske vom Gesicht. „Verdammt nochmal, Tirones! Ihr seid hier im Dienst! Maevius! Helm aufsetzten! Aber mit den Eiern! Wird’s bald!“ Umständlich fummelte sich der Maivier den gepolsterten Cassis auf den Schädel, zog vorsichtig den Kinnriemen straff und nahm ebenfalls Haltung an.
    „Tiro Calavius, du gehst nach Osten Richtung Thermae Suranae und holst mir diese zwei Zugvögel zurück! Tiro Maevius, du gehst nach Süden und trommelst den Rest zusammen! Sammelpunkt sind die Milites Orbius und Axius. Dort trüben. Na los, Abmarsch!“ Die Rekruten machten sich eilig davon. Antias zwängte sich wieder zwischen die Marktbesucher, das Päckchen mit den Feigen behutsam an sich gedrückt. Eigentlich hätte er einen weiteren Becher Zingiberwasser vertragen können, aber Loukia's Stand musste jetzt erst einmal warten.


    Die Sarden standen immer noch an Ort und Stelle als wäre der Platz mitsamt Tempelanlagen einst um sie herum errichtet worden. Antias erlaubte sich, aufzuatmen. „Irgendwelche besonderen Vorkommnisse?“ fragte er Blandus rein der Form halber. „Nö, Optio.“ gab der knapp zurück. Antias hatte nichts anderes erwartet. Besondere Vorkommnisse, das hieß für die Sarden Massenpanik, Aufruhr, Mord und Totschlag, alles darunter war nicht der Rede wert. Grinsend nickte er dem wortkargen Orbier zu und hielt ihm das Päckchen hin. „Hier, gefüllte Eulenfeigen. Aber jeder nur eine, klar?“ Blandus nahm das Päckchen, öffnete es, warf einen misstrauischen Blick hinein. Amüsiert besann sich Antias der Eulenmaske des Calavius und hob sie sich vor’s Gesicht. „Schaut mal. Wuuhuuu!“ Blandus gab augenblicklich das Päckchen zurück. Gut, dann eben nicht.

    Die erste Reihe der angetretenen Centurie stets unauffällig am trüben Rand seines Blickfeldes wahrnehmend, lauschte Antias reglos den Worten des Centurios. In der Tat, das waren gute Nachrichten. Zwar wusste er über den neuen Princeps eben so wenig wie er über den verstorbenen gewusst hatte, aber allein die Tatsache, dass der Aquilier durch reguläre Wahl zu seinem Amt gelangt war, ließ das Schreckensbild eines drohenden Bürgerkrieges schon weit blasser wirken, wenngleich noch immer nicht absehbar war, wie die enttäuschte Anhängerschaft etwaiger Gegenkandidaten reagieren würde. Für die Urbaner zumindest war die Sache nun geklärt. Caesar Augustus Tiberius Aquilius Severus war durch Wahl legitimiert, und damit bekamen alle offenen Gegenströmungen den Status potentieller staatsfeindlicher Umtriebe. Während Antias sich noch so seine Gedanken über die politische Situation machte, ging ein erleichtertes Raunen durch die Truppe, das allerdings weniger der Kaiserwahl sondern vielmehr dem zweiten Teil der salutatio galt. Die Aussicht auf freie Tage nach all den Doppelschichten brachte die Disziplin fast in’s Wanken. Das eine oder andere geflüsterte Wort ging durch die Reihen, aufgeregtes Stiefelscharren wurde vernehmbar, ein leises keuchendes Lachen drang an seine Ohren. Antias musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass Hispo gerade dabei war, vor lauter Vorfreude die Haltung zu verlieren. Kindsköpfe.


    Mit wachsender Ungeduld wartete Antias noch einige Augenblicke ab, falls der Centurio noch gesonderte Tagesbefehle ausgeben wollte. Dem war nicht so. Bene. Zeit, dem Gemurmel ein vorläufiges Ende zu bereiten. „MILITES!“ blökte er die aufkeimende Unruhe energisch nieder.
    „VIVAT IMPERATOR CAESAR AUGUSTUS TIBERIUS AQUILIUS SEVERUS!“
    „VIVAT!“


    Mit der zufriedenen Andeutung eines Nickens machte er einen Schritt auf den Centurio zu, salutierte noch einmal und überreichte ihm die Tabula. „Centurio Iunius Avianus! Optio Germanicus übergibt den Morgenrapport! Nihil novi!“ Dann drehte er sich auf der Ferse wieder zu den Soldaten um.
    „MILITES! STATE!
    Contubernia secunda, quarta, sexta et octa: Exercitia!
    Contubernia prima, tertia, quinta, nona et decima: Exubiae!
    Contubernium septima: Circumire!
    Parola: Coturnix!“


    Zweiundsiebzig grinsende Gesichter starrten den Centurio dankbar an. Antias nahm es mit Fassung. So war das nun mal. Alle Segnungen, Ausgangsgenehmigungen und erfreuliche Nachrichten wurden dem Centurio angerechnet, während er nur als ewig nörgelnder Schleifer betrachtet wurde, der die alleinige Schuld an aller Plackerei und aller Mühsal trug. Schon klar.
    „MILITES! ABITE!“


    Die zu Wache und Patrouille eingeteilten Mannschaften schlurften schwatzend davon, um sich abmarschbereit zu machen, ihre verblieben Kameraden formierten sich am Rand des Exerzierplatzes neu und harrten der Übungseinheiten. Antias atmete auf. Kein übermütiges Krakeelen wie drüben bei der Vierten, wo die frohe Kunde nun ebenfalls verlautet war.


    „Beim Iuppiter, Centurio. Kein Tag zu früh für diese Botschaft.“ wandte er sich schließlich erleichtert an seinen Vorgesetzten, wurde dann aber sofort wieder sachlich. „Fünf Ausfälle sind für heute noch zu verbuchen, aber laut Medicus werden drei davon morgen wieder diensttauglich sein, die anderen beiden voraussichtlich in zwei, drei Tagen. Den Bericht über die Inspektion werde ich dir noch vor Aufbruch zur Patrouille vorlegen. Gibt es noch weitere Anweisungen, Centurio?“

    Zitat

    Original von Loukia
    ....


    Den Becher noch etwas unschlüssig betrachtend beeilte sich Antias, ein paar Schritte beiseite zu treten, um sich an der wuchtig herandrängenden Amme nicht die Panzerspangen zu verbeulen. In kleinen Schlucken solle er das trinken, hatte ihm die sonnige Griechin geraten, danach würde es ihm besser gehen. Mist, verdammter! Die Übelkeit war ihm also doch deutlicher anzusehen als befürchtet. Das war peinlich. Schlimmer noch, es war unprofessionell. Zerknirscht ließ er seinen Blick schweifen. Bei den Tirones tat sich offenbar nichts Bedeutendes, deren Speerspitzen wogten sanft über die Menge und bewegten sich dabei kaum von der Stelle. Die Sarden hielten wie erwartet stählern die Stellung. Was regte ihn eigentlich auf? Hier war soweit alles in Ordnung. Die Wahrscheinlichkeit, gleich mit der ersten selbst geführten Patrouille in abgründige Gewaltexzesse zu stolpern, erschien im Lichte der Vernunft betrachtet doch eher gering. Und sogar wenn – auf solche Fälle waren sie vorbereitet, dafür quälten sie sich schließlich Tag für Tag bei den Kampfübungen. Gesunde Vorsicht war sicher angeraten, übertriebenes Misstrauen nütze dagegen niemandem.


    Verblüfft nahm Antias wahr, wie sich seine Stimmung bereits deutlich aufhellte, obwohl er das verheißungsvolle Zingiberwasser noch nicht einmal gekostet hatte. Durchaus möglich, dass das warme Strahlen der dunkelhaarigen Wirtin sein Teil dazu beitrug. Wohlan, dann konnte es ja nur noch bergauf gehen. Schon weitaus entspannter goss Antias einen großzügigen Götterschluck zu Boden, wobei er darauf achtete, die schmucken blauen Sandalen der fetten Matrone möglichst flächendeckend zu bespritzen, und trank. In kleinen Schlucken. Wie empfohlen.
    Scharf war das Zeug! Erfrischend, ja - vor allem jedoch scharf. Aber es wirkte tatsächlich. Die Schärfe stieg in den Kopf und Antias hatte nach einigen Schlucken sogar das Gefühl, leichter atmen zu können. Lag das wirklich nur an Zingiber und Silphion? Oder hätte sich die Nervosität mit der Zeit auch von alleine gelegt? Letztlich war es ihm gleich. Hauptsache, er konnte sich wieder voll und ganz seiner Aufgabe widmen. Geduldig wartete er ab, bis die raumgreifende Amme ihren Einkauf zusammengerafft und den wild grimassierenden kleinen Flegel hinter sich her in den Passantenstrom gezerrt hatte. Dann stellte er lächelnd den Becher zurück und fummelte die Geldbörse vom Gürtel.


    „Du hattest recht, Sonne von Hellas. Dein Zingiberwasser hat mich gerettet. Ich bin dir zu Dank verpflichtet. Mag es wohl eine Möglichkeit geben, deine Fürsorge über die schnöde Bezahlung hinaus zu vergelten?“ Sein Blick blieb irgendwie an ihren Augen kleben, seine Hand schüttelte ein kleines Häuflein Sesterzen aus dem Lederbeutel, fünf oder sechs, er sah nicht hin. „Ähm, ja ... das mit den Oliven macht nichts. Dann eben etwas anderes. Irgendwas. Sollte nur eben für zehn Mann reichen, oder so.“ Endlich löste sich sein Blick und fiel auf die schon arg zusammengeschmolzene Auslage. Viel war nicht mehr da. Binnen einer Stunde würde die reizende Wirtin alle ihre Speisen verkauft haben. Ein wahrlich guter Tag für die junge Frau. „Diese Caupona Aluta ist also nicht dein einziges Standbein. Das ist schön. Sag, bietest du deine Speisen öfter auf den Märkten feil? Es wäre mir nämlich eine Freude, etwas Werbung für dich zu machen. Wessen Angebot darf ich empfehlen?“ Natürlich hätte er sie auch direkt nach ihrem Namen fragen können, aber warum einfach, wenn's auch umständlich ging.

    Der harsche Ton des Befragten riss Antias endgültig aus seinen schwärmerischen Tagträumen. Was war hier eigentlich los? Der Optio solle bedenken, mit wem er sprach? Also wusste Avianus mit wem er da sprach? Schön für die beiden. Verwirrt trat Antias einen Schritt näher, blickte mit gerunzelter Stirn von einem zum anderen und fragte sich fieberhaft, ob ihm da etwas Elementares entgangen war. Dieser Serapio war ein Decimer, das hatte Antias soweit kapiert. Auch die Reaktion des Optios auf die Nennung dieses Namens war ihm nicht entgangen. Dennoch schienen sich beide Männer noch nie begegnet zu sein, was bedeutete, dass man diesen Serapio kennen musste. Nun ja, Antias jedenfalls kannte ihn nicht. Er wusste nur, dass der Decimus noch vor einigen Tagen Initiand des Serapistempel gewesen war, mehr nicht.


    Den Optio hier und jetzt um Aufklärung zu bitten kam selbstredend überhaupt nicht infrage. Besser, Antias hielt die Klappe und inspizierte weiter die unzähligen Requisiten. Allein, Neugier und Empörung hielten ihn davon ab. Die Neugier galt natürlich dieser verfluchten Tabula, an deren wirklicher Existenz er schon fast zu zweifeln begonnen hatte, die Empörung dagegen galt den ungehalten vorgetragenen Zweifeln an der Qualität ihrer Ermittlungen. Aber sicher wussten sie von diesen Gerüchten! Mehr noch, auch sie hatten bereits die Erfahrung gemacht, dass der Tribunus zu mauern begann, sobald seine Rolle darin zur Sprache gebracht wurde. Es viel verdammt schwer, den Mund zu halten, aber Avianus war nicht umsonst Optio, der wusste schon, was er tat.


    Dann geschah, womit Antias schon nicht mehr gerechnet hatte: Der Decimus brachte die Tabula zum Vorschein. Antias schluckte seine Erregung mühsam hinter, trat noch etwas näher und las. Der letzte Satz brachte etwas in ihm zum Köcheln, was er im Moment ganz und gar nicht gebrauchen konnte. Mit erwartungsvollem Gruß deines kleinen Sohnes. Er schluckte noch einmal, es half nichts. Der Zorn stieg in ihm hoch wie verdorbener Fisch. Irgendein von den Göttern verdammtes elendes Dreckschwein hatte diese Zeilen geschrieben. .. deines kleinen Sohnes ..


    Räuspernd wandte er sich ab und hustete ein paar mal in die hohle Hand. Das half schließlich. Verdammt! Er musste das sachlich betrachten! Der Optio reagierte da schon erheblich gefasster. Avianus hatte recht, all zuviel Neues lieferte die Tabula tatsächlich nicht, aber sie entlastete wenigstens den Tribunus. Nun war endgültig klar, dass der Iulier seine Finger nicht im Spiel gehabt hatte. Nicht das Opfer der Gerüchte hatte den Schwätzer zum Schweigen gebracht, sondern deren Urheber, jemand, dem eine Menge daran liegen musste, Dives zu schaden. Das war doch schonmal was.
    Während er sich noch immer um den Anschein sachlicher Abgeklärtheit mühte, rutsche Antias dann doch eine Frage heraus. „Wenn die Frage erlaubt ist, Civis Decimus, was hältst du selbst von dieser .... Nachricht?“


    Antias liebte diesen alltäglich wiederkehrenden Augenblick. Die gebrannten Ziegel auf den langgezogenen Barackenreihen glitzerten in den ersten Sonnenstrahlen, spiegelten sich rotglühend auf Helmen und Waffen, während der hartgestampfte Boden des Exerzierplatzes selbst noch in fahles Zwielicht gehüllt war. Es schien fast so, als seien die funkelnden Reihen der angetretenen Milites gerade erst dem dampfenden Schoß der Erde entstiegen. Würzige Frühlingsdüfte aus den Gartenanlagen im Westen mischten sich mit den derben Gerüchen von eingefettetem Leder, geöltem Metall, warmer Wolle und Knoblauch. Dazu kam noch die anregende Geräuschkulisse sich ausrichtender Soldaten: Stampfende Caligae, klappernde Loricaspangen, knarzende Riemen und Gurte, sanftes Rasseln der Pteruges. Fürwahr, er liebte das. Dieser frühmorgendliche Moment, in dem sich aus Dutzenden von grundverschiedenen Individuen ein einziger pulsierender Körper formte, hatte fast etwas magisches an sich, jeden Morgen, jedesmal.


    Andächtig schnuppernd marschierte Antias auf seinen Platz am linken Flügel und betrachtete zufrieden das scharf umrissene Rechteck, das sich auch ohne Kommando bereits sehr akkurat positionier hatte. Prächtige Männer! Die besten, die es gab! Seine Kameraden! Er wollte verdammt sein, wenn er aus der Dritten nicht die stolzeste, motivierteste und bestfunktionierende Centurie der Kohorte, ach was, der ganzen CU machen würde! Schmunzelnd erlaubte er sich einen Blick auf die Reihen der Vierten und Fünften, die sich in einigem Abstand ebenfalls zu formieren begannen. Früh dran waren die Burschen ja, aber sonst? Schwatzende schlendernde Sauhaufen! Gute und verlässliche wenn auch nachlässig geführte Männer waren das ebenfalls, daran zweifelte er nicht im Geringsten, aber seine waren nunmal besser, was sich gleich wieder beweisen würde. Tief entspannt und dennoch von angenehmer Erregung durchprickelt pumpte er sich die aromatische Morgenluft in die Lungen. „MILITES VENITE! ACIEM DIRIGITE! STATE!“


    Ein sattes Krachen hallte über den Platz, dann herrschte Totenstille. Antias zwinkerte verstohlen zum Optio der Vierten hinüber. So muss das klingen, du Pfeife, so und nicht anders. „OCULOS PROSAM!“ Er hätte schwören können, die Augäpfel der Centurie in den Höhlen knacken zu hören. Mit stolzgeschwellter Brust klemmte er sich den Morgenrapport unter den Arm und wandte sich dann salutierend dem Centurio zu.
    „Centurio Aulus Iunius Avianus! Ich melde die Centuria Tertia zum Morgenappell angetreten!“

    Zitat

    Original von Morrigan
    Was das „normale“ Leben in Rom angeht war es doch schon immer so, das der Fokus in Ro eher auf der Politik liegt und das normale Lebe eher das schmückende Beiwerk ist.


    Zitat

    Original von Galeo Sergius Plautus
    In Rom spielt die hohe Politik, in Mogontiacum spielt das Leben von Decius Normalverbraucher.


    Ooooops! 8o Dann bin ich hier ja völlig verkehrt.
    Hnnnrgghhhh ... Sparlampen wie ich brauchen halt manchmal etwas länger.

    Tja, das Blei im Trinkwasser und so. :D


    Zitat

    Original von Susina Alpina
    Keine öffentliche Proklamation, kein Bote, der die Nachricht in die Provinzen bringt, keine diskutierenden Bürger vor der Curia...
    Das hier ist nicht nur ein Problem der "hohen Tiere", die sich vor der Wahl sehr ausgiebig Sim-Off mit Dreck beworfen haben, sondern ein allgemeines Problem.


    Richtig. Das steckt ja schon so ziemlich alles drin. Die CU beispielsweise kann auf die Wahl des neuen Princeps eben erst reagieren, wenn sie Kenntnis davon haben. Gleiches gilt für das "Volk" von Rom, das hier ohnehin extrem unterrepräsentiert ist. Als Palma den Löffel abgegeben hat, war für zwei, drei Wochen ein sprunghafter Anstieg des allgemeinen Interesses zu beobachten. Da gab's auch Pfründe zu sichern, Posten zu ergattern etc. Die Wochen davor aber war es auch nicht sooo viel lebendiger als jetzt. Was die Hohen Tiere betrifft, schätz ich einfach mal, dass die sich nach der Dreckschmeißerei jetzt halt mal 'ne Auszeit gönnen. Für mich nachvollziehbar.


    Bei euch da oben gibt's zumindest ein paar Leute, die sich nicht zu fein sind, über Alltägliches zu schreiben, während Rom irgendwie zur Urbs ohne Unterleib mutiert ist. Entweder staatstragende Posts oder gar keine.


    Eine Reichskrise würde ich darin aber trotzdem (noch) nicht sehen. Da kommen wohl gerade einfach mehre Faktoren zusammen, Zeitmangel, Motivationsloch, das Wetter, der Job, Prüfungen usw. usf. Ich selbst tu mir momentan auch recht schwer, also gestehe ich das den Mitspielern ebenfalls zu.


    Vielleicht wäre ein Bürgerkrieg doch prickelnder gewesen? °muaahahaha° 8)

    Der Weckruf war kaum verklungen. Draußen wich die Nacht langsam nach Westen zurück, drinnen saß Antias im matten Schein einer Lucerna über sein Pult gebeugt und arbeitete sich gähnend von Tabula zu Tabula. Der Bericht über die Inspektionen der letzten zwei Tage war fertig und konnte weitergegeben werden. Die angehängte Auflistung der vorgeschlagenen Strafmaßnahmen ebenso, nur musste die vor der endgültigen Verhängung erst vom Centurio gegengezeichnet werden. Das war dann erstmal das. Antias gönnte sich einen großen Schluck Posca und überflog die Akten noch einmal.



    CENTURIA III · COHORS XII
    Cohortes Urbanae · Roma


    OPTIO CENTURIAE


    Kontrolle von Ausrüstung und Unterkünften
    ANTE DIEM XVII KAL MAI DCCCLXV A.U.C.
    ANTE DIEM XVI KAL MAI DCCCLXV A.U.C.


    Tabula I


    xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx



    I/I Ausrüstung:
    Leichte Mängel: IX.
    Gravierende Mängel: II. Ahndung: Siehe Tabula II
    Alle Mängel wurden behoben.


    I/II Bewaffnung:
    Leichte Mängel: III.
    Gravierende Mängel: keine
    Alle Mängel wurden behoben.


    I/III. Unterkünfte:
    Leichte Mängel: VI.
    Gravierende Mängel: I. Ahndung: Siehe Tabula II
    Alle Mängel wurden behoben.


    I/IV. Allgemeine Disziplin:
    Leichte Mängel: III. Ahndung: Siehe Tabula II
    Gravierende Mängel: keine




    Truppenstand: LXXII
    Ausfälle Verletzung/Krankheit: V
    Ausfälle Urlaub: keine
    Abgestellte Vexilationen: keine
    Todesfälle: keine




    xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx


    Optio Centuriae Titus Germanicus Antias
    ANTE DIEM XV KAL MAI DCCCLXV A.U.C.




    In Ordnung. Als nächstes der Anhang.



    CENTURIA III · COHORS XII
    Cohortes Urbanae · Roma


    OPTIO CENTURIAE


    Kontrolle von Ausrüstung und Unterkünften
    ANTE DIEM XVII KAL MAI DCCCLXV A.U.C.
    ANTE DIEM XVI KAL MAI DCCCLXV A.U.C.


    Tabula II
    Disziplinarmaßnahmen


    xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx



    Ahndung: Gravierende Mängel Ausrüstung:
    Miles Appius Vinicius Vindex: XV Dies Latrinendienst
    Miles Titus Oppius Barea: XV Dies Latrinendienst


    Ahndung: Leichte Mängel Bewaffnung:
    Tiro Sextus Maevius Macro: V Dies Latrinendienst
    Tiro Mamercus Calavius Pola: V Dies Latrinendienst
    Miles Appius Rabuleius Caprarius: X Dies Latrinendienst


    Ahndung: Gravierende Mängel Unterkünfte:
    Contubernium IX: Urlaubssperre für die Kalenden.


    Ahndung: Leichte Mängel Disziplin:
    Miles Memmius Pupius Papias: XV Dies Prima Vigilia
    Miles Potitus Arruntius Aquila: XV Dies Secunda Vigilia
    Miles Appius Sulpicius Umbrenus: XV Dies Secunda Vigilia




    xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx


    Optio Centuriae Titus Germanicus Antias
    ANTE DIEM XV KAL MAI DCCCLXV A.U.C




    Gut, das konnte man so rausgeben. Einige Auffälligkeiten bedurften zwar noch der Aufklärung, vor allem diese Eselei mit den Wachteln, aber an der Strafzumessung änderte das letztlich nichts. Dann also weiter zum Morgenrapport mit Truppenzahlen, Diensteinteilung und Tageslosung. Soweit auch fast fertig, es fehlten nur noch die Dienstpläne der letzten drei Contubernia und ein passendes Losungswort. Versonnen kaute Antias auf seinem Stylus herum. Immer wieder schielte er dabei kopfschüttelnd auf den geflochtenen Korb zu seinen Füßen. Gedämpftes Fiepen klang durch das Weidengeflecht. Ab und an flogen Spelzen und kleine Federn durch die groben Maschen. Manchmal hätte er wirklich zu gern gewusst, was in den Köpfen der Männer so vor sich ging. Wachteln! Er konnte es kaum fassen. Welcher von diesen verschrobenen Veteranen vom Neunten war wohl auf den hirnverbrannten Gedanken gekommen, Wachteln in der Unterkunft zu halten? Götter, das war ja noch bescheuerter als zwischen den Pritschen Garum zu kochen. Grinsend rieb er sich die Augen und notierte: Tageslosung: Coturnix. Sehr schön, und nun zu den restlichen Dienstplänen. Als er gerade damit durch war, klopfte es an der Tür. „Ja!“


    In die Schreibstube trat ein sichtlich verschlafener Veteran, der angesichts der frühen Stunde noch betagter wirkte als er ohnehin schon war. Tubero, der Stubenälteste des neunten Contuberniums. In deren Baracke hatte Antias gestern das piepsende Getier vorgefunden. Hinter der letzten Pritsche, unter einer alten Wolldecke. Dilettanten.
    „Optio Germanicus Antias! Miles Triarius Tubero meldet sich wie befohlen zur Stelle!“
    „Ah ja, salve Miles Triarius ..“ Stöhnend stand Antias auf, streckte sich erst einmal ausgiebig und wies dann wie beiläufig auf den fiependen Weidenkorb. „Kannst du mir das erklären?“ Sich umständlich räuspernd glotzte Tubero erst den Korb an, dann den Optio, dann wieder den Korb. Antias begann ungeduldig mit den Fingern auf das Pult zu trommeln. „Nun?“
    „Das .. hrrmchmm .. Wachteln, Optio.“
    „Dass das Wachteln sind, seh ich selber, Miles! Was machen die in eurer Baracke?“
    „Hrrmchmm .. Nutztiere, Optio. Dienen der Zucht. Legen auch Eier. Vertilgen Ungeziefer.“
    „In eurer Baracke? Seid ihr noch bei Trost?“
    „Brauchen kaum Platz, Optio. Da dachten wir ... hrrmchmm“
    „Dass die Viecher euch einen hübschen Nebenverdienst einbringen, schon klar. Deine Idee?“
    Räuspern. Ansonsten ratloses Schweigen.
    „Na gut, spielt auch keine Rolle. Für dein Contubernium ist an den Kalenden Ausgang eingetragen. Das könnt ihr vergessen. Schaff das Geflügel in die Horrea, vielleicht können die was damit anfangen. Abite! Schnaufend schnappte sich der alte Haudegen den Weidenkorb, salutierte zerknirscht und wandte sich zur Tür. „Ach, und Miles Triarius..“, setzte Antias sicherheitshalber nach, „.. sollte ich morgen früh auch nur eine Wachteldaune in eurer Unterkunft finden, wird’s richtig unangenehm, verstanden?“
    „Verstanden, Optio Germanicus!“


    Die Tür fiel in’s Schloss, Antias fiel seufzend in den Sessel zurück. Nein, eigentlich wollte er lieber doch nicht wissen, was in den Köpfen der Milites vorging, höchstwahrscheinlich würde es ihn nur sehr verwundern. Außerdem hatte er gar nicht die Muße, sich in die mitunter wohl äußerst verknoteten Hirnwindungen der Soldaten hineinzudenken. Sein Schädel war schon voll genug mit den mentalen Herausforderungen des Tagesablaufs. Ausbildungseinheiten bei den Tirones, Überwachung der Übungseinheiten der Milites, Kontrollgänge zu den Wachmannschaften, das Führen der Patrouillen, nicht zu vergessen die eigenen Kampf- und Waffenübungen. Vor allem aber Schreibkram, Schreibkram, Schreibkram. Krankenlisten, Einsatzberichte, Materialanforderungen, Leistungsbeurteilungen und so weiter und so fort. Es nahm kein Ende. Nun gut, immerhin blieb ihm kaum mehr Zeit zum Grübeln, das war auch gut so. Sein Blick hob sich zum Fenster. Schräge Sonnenstrahlen malten dicke graue Balken in die Schreibstube. Zeit für den Morgenappell. Schon halb im Stehen las er sich noch einmal durch den heutigen Morgenrapport, den er gleich dem Centurio überreichen würde.



    CENTURIA III · COHORS XII
    Cohortes Urbanae · Roma


    OPTIO CENTURIAE


    MORGENRAPPORT
    ANTE DIEM XV KAL MAI DCCCLXV A.U.C


    Appell durch:
    Optio Titus Germanicus Antias


    Salutatio und Abnahme durch:
    Centurio Aulus Iunius Avianus


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    Tageslosung: Coturnix


    Truppenstand Mannschaftsränge:
    Angetretene Truppe: LXXII
    Ausfälle Krankheit: V
    Ausfälle Urlaub: keine
    Abgestellte Vexilationen: keine
    Todesfälle: keine


    Tagesbefehl_Wacheinteilung:
    Contubernium I
    hora prima – hora quinta: Wache Porta Flaminia.
    hora septima – hora duodecima: Waffenübungen


    Contubernium II
    hora prima – hora quinta: Exerzieren
    hora septima – hora duodecima: Wache Porta Flaminia


    Contubernium III
    hora prima – hora quinta: Wache Porta Pinciana
    hora septima – hora duodecima: Waffenübungen


    Contubernium IV
    hora prima – hora quinta: Exerzieren
    hora septima – hora duodecima: Wache Porta Pinciana


    Contubernium V
    hora prima – hora quinta: Wache Porta Salaria
    hora septima – hora duodecima: Waffenübungen


    Contubernium VI
    hora prima – hora quinta: Exerzieren
    hora septima – hora duodecima: Wache Porta Salaria


    Contubernium VII
    hora prima – hora quinta: Patrouille
    hora septima – hora duodecima: Nahkampfübungen


    Contubernium VIII
    hora prima – hora quinta: Nahkampfübungen
    hora septima – hora duodecima: Patrouille


    Contubernium IX
    hora prima – hora quinta: Wache Porta P. Dextra et Porta P. Sinistra
    hora septima – hora duodecima: Stubendienst


    Contubernium X
    hora prima – hora quinta: Wache Porta Praetoria et Porta Decumana
    hora septima – hora duodecima: Exerzieren




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    Optio Centuriae Titus Germanicus Antias
    ANTE DIEM XV KAL MAI DCCCLXV A.U.C




    Bene. Damit war die Schreiberei für die nächsten Stunden erledigt. Bis zum Abend würde das kleine Scriptorium seinen Insassen nicht mehr wiedersehen. Alles in allem ganz aufgeräumt griff Antias nach Helm und Mantel, schnappte sich Tabula und Hastile und trat schließlich aufatmend in den neuen Tag hinaus. Ein lauer Frühlingsmorgen, ein Morgen wie jeder andere.

    Noch bevor er dazu kam, seine Bestellung zu präzisieren sah sich Antias plötzlich mit dem gebündelten Unwillen eines guten halben Dutzends von Wartenden konfrontiert. Damit hatte er zwar gerechnet, die lautstarke Vehemenz jedoch, mit der die bei weitem unförmigste der anstehenden Glucken ihre Empörung zum Ausdruck brachte, beeindruckte ihn dann doch. Herrje, was für ein Organ! Und vor allem, welch Masse! In bis zum Bersten geblähte Stoffmassen gepresst schwabbelte da ein Wesen auf ihn zu, das nach seinem Dafürhalten ohne weiteres in das Kuriositätenkabinett des zahnfaulen Schaustellers von vorhin gepasst hätte. Seinen flennenden kleinen Schützling beängstigend eng an sich gedrückt brachte das schimpfende Ungetüm Antias’ Ohren binnen weniger Augenblicke zum Pfeifen. Was, Grobian? Ausgerechnet er? Bei den stinkenden Schlünden des Cerberus! Er wollte doch nur ein paar Oliven für sich und die Männer! Und was hieß da, die armen Kleinen? Ob es nicht vielleicht in ihren Aufgabenbereich falle, diese ach so armen Kleinen davon abzuhalten, pflichtbewusste Urbaner mit pappigem Schleckwerk einzusauen, wollte er die gequollene Amme fragen, tat es aber nicht. Ihm war nicht nach Diskussionen. Ihm war nur schlecht.


    Seufzend nötigte er sich ein gewinnendes Lächeln ab und strich dem plärrenden Rotzlöffel besänftigend über den Wuschelkopf. „Alles gut, Kleiner, ich hab doch nur Spaß gemacht.“ Der schluchzende Bengel sah Antias mit großen braunen Kulleraugen an, trat ihm dann verblüffend kraftvoll gegen den Fußknöchel und verschwand mit herausgestreckter Zunge hinter dem ausladenden Hinterteil seiner Schutzgöttin. „Reizendes Kind ..“ presste Antias keuchend durch die Zähne. „.. die Zukunft Roms, der Stolz des Imperiums, prächtig, prächtig.“ Die Amme schien der selben Auffassung, was sie durch ein energisches Nicken in die zwiefachen Schichten ihres Halsspecks unterstrich.


    Verfolgt von tötenden Blicken wandte sich Antias leicht schielend wieder der Griechin zu. „Verzeih, ich .. also .. nur ein ein paar Hände voll Oliven .. dann bin ich sofort wieder weg.“ Das strahlende Gesicht der dunklen Frau waberte seltsam körperlos über den Verkaufstisch. Die appetitlich angerichteten Happen schwappten auf den Tellern hin und her als besäßen sie ein Eigenleben. Gestampfter Eulenmagen! hallte es durch Antias’ summendem Schädel, erstklassiger Eulenmagen! Götter! Seine Zunge begann sich anzufühlen wie ein rissiger Zunderschwamm. Mit wachsender Verzweiflung gegen den Würgereiz anschluckend stütze er sich so unauffällig wie möglich am Tisch auf. „.. und etwas zum Trinken bitte .. Bier, Posca, Wasser ...egal, irgendwas.“ Hatte er den Cluvier nicht des öfteren belächelt, weil der sich ohne Ampulla keinen Schritt weit aus der Castra wagte? Doch, hatte er. Würde er nicht mehr machen.

    Antias wünschte sich sehnlichst eine zweiten Kopf oder wenigstens ein weiteres Augenpaar. Gleichzeitig alle vier Gruppen seiner umherstreichenden Tirones, die Vorgänge in der Menge und den Verkaufstisch der Griechin im Blick zu behalten, erwies sich als äußerst brechreizende Herausforderung, zumal ihm der Magen nun wirklich so langsam in den Kniekehlen hing. Bei Carna, dieser Serapio und sein Gefolge kauften dem hübschen Ding den halben Stand leer. Eigentlich auch kein Wunder, es sah schon extrem lecker aus, was die strahlende Griechin da feilbot. Ob es seinem rebellierenden Magen würde besänftigen können, war eine andere Frage. Wahrscheinlich würden diese würgenden Schübe erst nachlassen, wenn er alle Rekruten wieder wohlbehalten in die Castra zurückgeführt hatte.


    Plötzlich ließ ihn ein schrilles Kreischen zusammenfahren. Mit metallischem Prickeln auf der Zunge streckte er den Hals, warf einen bangen Blick über die Menge, stellte erleichtert fest, dass noch alle acht Hastae über die Köpfe des näheren Umfeldes ragten, und drängte sich dann lauschend in den Besucherstrom. Weitere spitze Schreie mischten sich in das Lärmen des Marktes. Kaum einer der zahllosen Passanten schien Notiz davon zu nehmen. Da, schon wieder! Waren die alle taub? So energisch es die beengten Verhältnisse zuließen, zwängte er sich durch den Wald aus bunt gewandeten Leibern auf die Geräuschquelle zu. Sollte er sammeln lassen? Nein, besser noch nicht. Bevor er nicht wusste, was da vorging, war es wohl ratsamer, die Tirones vorläufig auf ihren Positionen zu belassen. Nach zähem Schieben und Quetschen fand er sich schließlich vor einer Reihe verschlissener Zelte und dilettantisch zusammengenagelter Bretterbuden wieder, aus deren Innerem neben den Schreien lustvollen Schreckens nun auch weibisches Kichern und dumpfes Klatschen zu vernehmen war. Ein bulliger Bursche mit atemberaubend schlechten Zähnen stand breitbeinig vor dem mit Latten und Seilen abgegrenzten Zugang und bedachte den heran eilenden Optio mit einem schiefen Blick. Antias nahm verlegen die Hand vom Schwertgriff. Ach ja, Kreaturen der Unterwelt, Ungeheuer aus aller Herren Länder, schon klar.


    Die ehedem so bedrohlich anmutenden Schreie glichen jetzt eher dem aufgeregten Gezeter eines heiseren Krähenschwarmes. Finster grummelnd zog sich Antias wieder in die wogende Menge zurück. Gelangweiltes Zivilistenpack! Wenn den verwöhnten Cives unbedingt nach Nervenkitzel zumute war, konnte sie ja probeweise mal das Kommando über eine Rekrutenpatrouille übernehmen. Da war der Grusel vor Chimären und Wolfsmenschen ein Dreck dagegen! Auf dem mühsamen Rückweg zum Stand der Griechin fielen ihm mehrfach verstohlen gezückte Dolche in’s Auge, die sich auf den zweiten Blick allesamt als Geldbörsen oder Notizcodices erwiesen. Kleine flatternde Diebeshände machten sich an den Tuniken ehrbarer Bürgerinnen zu schaffen und wurden dafür mit einem mütterlichen Wangenstreicheln belohnt. Verdammt, jetzt reichte es aber! Wenn er diese überspannte Nervosität nicht in den Griff bekam, würde er schon in sehr naher Zukunft ein erhebliches Problem bekommen.


    Der Stand der lächelnden Südländerin war mittlerweile geradezu umzingelt von hungriger Kundschaft. Schön für sie. Dumm für ihn. Trocken schluckend stellte er sich fügsam hinter eine Mauer aus schwatzenden Vetteln und kam sich augenblicklich unfassbar dämlich dabei vor. Was bei allen Laren und Penaten trieb er da eigentlich? Während er sich in vornehmer Zurückhaltung übte, rammten ihm eilige Haussklavinnen ihre Einkaufskörbe gegen die Lorica, quengelnde Bälger beschmierten seinen Mantel mit Naschwerk und streckten ihm die verklebten Zungen heraus. Genug! Defensiv wollte er hier auftreten, von devot war nie die Rede gewesen. Mit einem bedrohlichen Knurren brachte er die kleinen Schmutzfinken dazu, sich heulend in die fetten Arme ihrer Ammen zu flüchten, schob diese dann gleich mit zur Seite und trat endlich mit einem dünnen Grinsen an den Verkaufstisch. „Chaire, du wärmende Sonne von Hellas. Hättest du wohl ein paar Oliven für mich?“

    Dass die Abkürzung durch die Hinterhöfe gar keine Abkürzung war, ging Antias spätestens auf, als er nach umständlicher Kletterei über Holzeimer, zusammengelegte Trockengestelle und ähnlichen Krempel von einem heimtückisch lauernden Trog in’s Straucheln gebracht in brusthohes Rutengeflecht stolperte und mitsamt ächzendem Zaunstück im Dreck eines Hühnergatters landete. Aus einem niederen Verschlag stob aufgebrachtes Federvieh. In gackernden Wolken aschgrauen Gefieders versuchte Antias aufzustehen, verfing sich aber mit dem Mantel im Zaungeflecht. Irgendwo nicht allzu weit entfernt schlug ein Hofhund an, was ein halbes Dutzend weiterer Köter in der näheren Umgebung dazu animierte, ebenfalls in wütendes Gebell auszubrechen. Unter wüstem Gefluche trat Antias genervt nach den umherflatternden Hühnern und schaffte es schließlich, den Mantel aus dem Rutengewirr zu fummeln. So hatte er sich den kurzen Abstecher zur neu angemieteten Räumlichkeit nicht vorgestellt. Hinter verschlossenen Fensterläden wurden erzürnte Stimmen laut. Von der Gasse her hallte das Trappeln ungenagelter Schuhsohlen. Das panische Geflügel, nun befreit von jeglicher Barriere, nutzte die unerwartete Freiheit, indem es sich rasch nach allen Richtungen verflüchtigte, allein der wackere Gockel hielt die Stellung, attackierte den nächtlichen Eindringling mannhaft mit Krallen, Schnabel und Gefauche. Antias versuchte, das aggressive Mistvieh zu verscheuchen, holte sich dabei aber nur blutige Hände. Als er die Bestie nach wildem Herumfuchteln endlich zu fassen bekam, drehte er ihr kurzerhand den Hals um, warf den zuckenden Kadaver in Richtung des tobenden Hofhundes und machte sich eiligst auf den Rückweg.


    Sehr weit kam er nicht. Aus verschiedenen Gründen. Erstens war der Mond inzwischen hinter hoch ziehenden Frühlingswolken verschwunden, was die ohnedies schon stockfinstere Nacht im Hinterhof noch undurchdringlicher und seinen Weg über die zuvor schon mühsam genug überwundenen Gerätschaften noch mühsamer machte, zweitens flatterte ständig flüchtendes Legevieh zwischen seinen Beinen herum, was bei seinem Hindernislauf auch nicht gerade hilfreich war, und drittens schließlich kamen ihm durch den schmalen Torbogen, der zurück auf die Gasse führte, drei mit Knüppeln und einer Lucerna bewehrte Gestalten entgegen, die nicht den Eindruck erweckten, als suchten sie nur anregende Gesellschaft. Antias blieb stehen, spuckte mürrisch aus, und machte sich gefasst, auf was auch immer. Im gleichen Moment als einer der grimmigen Burschen den ersten Schritt auf ihn zu machte, knarrte im Hinterhof eine Tür, gefolgt von aufgeregtem Geschrei. „Habt ihr ihn erwischt? Trucide! Macht ihn fertig! Der vergreift sich nicht nochmal an meinen Hühnern!“

    Mit schweren Schritten trat Antias aus dem Schankraum von Rufo’s Elysium und zog sich erst einmal stöhnend Ziviltunika und Cingulum zurecht. Es war spät geworden. Längst rumpelten die Fuhrwerke durch die Gassen und auf den Wehrgängen der Castra war sicher schon die dritte Nachtwache in Stellung gegangen. Stunde um Stunde hatte er mit diesem schlüpfrigen Veturier verhandelt, ihm amphorenweise Wein spendiert, sich von dessen absurden Preisvorstellungen nicht beirren lassen, nur um am Ende doch das Gefühl zu haben, hoffnungslos über den Tisch gezogen worden zu sein. Woher sollte Antias auch wissen, welche Miete für ein Zimmer in Nähe der Castra als angebracht galt? Derlei Gedanken hatte er sich bislang nie zu machen brauchen, er wohnte genau genommen auch nicht mietfrei, aber in jedem Fall unschlagbar günstig, zumal für urbane Verhältnisse. Auf fünfunddreissig Sesterzen hatten sie sich schließlich geeinigt, zu zahlen jeweils an den Kalenden. Also machbar, wenn auch gerade so. Das Zimmer lag zwei Gassen weiter im Obergeschoss eines dreistöckigen Hauses in der Vorstadt. Riesig war es nicht gerade, dafür sauber und ebensogut zu lüften wie zu beheizen. Er selbst hätte sich auch mit einem zugigen Verschlag zufrieden gegeben, aber das schmucke kleine Zimmer war nicht für ihn gedacht, sondern für Apolonia, und dafür waren fünfunddreissig Sesterzen nun wirklich nicht zu viel. Er würde sich künftig ohne große Geheimnistuerei mit ihr treffen und sogar die Nacht mit ihr verbringen können und sie würde einen Platz ganz allein für sich haben, den sie aufsuchen konnte, wann immer und solange ihr danach war, abseits von Trastevere und Subura, jenseits ihrer üblichen Kundenfanggründe. Antias war zwar erschöpft aber glücklich. Allmählich begann sich so etwas wie Struktur in seinem Leben zwischen Pflicht und Leidenschaft abzuzeichnen.


    Hinter ihm knarrte die Wirtshaustür. Drei sichtlich zugeschüttete Cives purzelten in die Nacht heraus. Den Göttern sei Dank war dieser Veturius nicht dabei, von dem hatte Antias für heute die Nase gestrichen voll. Der sollte die erste Miete ruhig in Rufo’s widerliche Tresterbrühe investieren, wenn ihm danach gelüstete. Es war ja sein Schädel, der am nächsten Morgen platzen würde. Antias für sein Teil war mit anderthalb Amphoren intus schon mehr als bedient. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie den Abschluss auch bei einem Becher Quellwasser in Apolonias zukünftigem Zimmer tätigen können, aber nein, Cives Veturius Asina hatte ja auf Rufo’s Kaschemme bestanden. Eigentlich hätte der erneute Besuch beim lispelnden Glatzkopf ein Gefühl der Nostalgie in Antias heraufbeschwören müssen, immerhin war viel passiert, seit er hier als nasser Tiro einige denkwürdige Stunden verbracht hatte. Damals war ihm die Zeit der Grundausbildung endlos erschienen, daran, jemals Optio zu werden hatte er im Traum nicht gedacht und Apolonia war noch eine unbekannte ferne Sehnsucht gewesen. Trotzdem hatte der Abend rein gar nichts nostalgisches in ihm ausgelöst, höchstens Verwunderung über das Tempo der dahin strömenden Zeit. Nichts blieb wie es war. Rufo war dünn und schwächlich geworden, Saserna hatte sich längst schon davongemacht, die verdreckten Tische waren nicht mehr von lärmenden Soldaten sondern verstohlen murmelndem Pack bevölkert, das jeden neuen Gast musterte wie ein Frosch die Fliege. Nostalgie? Nein, dieser Ort hatte auch das letzte bisschen Reiz verloren.


    Ohne sich noch einmal umzudrehen ging Antias langsam die dunkle Gasse hinauf. Nur noch eben um ein paar Ecken zum angemieteten Zimmer, um sich zu vergewissern, dass der schmierige Veturius ihm auch das richtige Schließwerkzeug ausgehändigt hatte, und dann heim die Castra. Vor allen anderen aufzustehen war ihm mittlerweile zur Gewohnheit geworden, da wollte er am nächsten Morgen keine Ausnahme machen. Ein Rudel abgemagerter Köter kreuzt knurrend seinen Weg, zwei Fullonicagehilfen karrten die stinkende Ausbeute unzähliger entleerter Blasen vorbei, ansonsten war Antias allein mit sich und seinen Gedanken. Seine Caligae schrappten dumpf und gleichmäßig über den gestampften Boden, nur untermalt vom Klappern der Plättchen an den Pteruges. Nachdem er um die letzte Ecke gebogen war, musste er nach ein paar Schritten feststellen, dass die nachtschwarze Gasse von einem mit allerlei schwerem Gerümpel beladenen quer gestellten Karren blockiert war. Fluchend machte er kehrt. Bis zum Haus des Veturiers waren es höchstens drei Perticae. Nun musste er entweder einen entnervenden Umweg machen oder sich durch die Hinterhöfe schlagen. Nach kurzem Nachsinnen entschloss er sich für die Hinterhöfe.

    Die Inspektion der Ausrüstung zog sich elend in die Länge. Je öfter Antias mit verbeulten Loricaspangen, oxydierten Scharnieren, lotternden Schildbuckeln und dergleichen Schlampereien konfrontiert wurde, desto leidenschaftlicher verfluchte er sich dafür, gleich die halbe Centurie aus den Baracken gejagt zu haben. Götter, das nahm ja gar kein Ende. Bis auf eine schartige Hastaspitze und zwei angelaufene Schwertklingen ergaben sich im Laufe der Kontrolle zwar keine wirklich gravierenden Mängel, dafür aber unzählige kleine Nachlässigkeiten, mit deren Ahndung er sowohl den Rahmen der Nachtwache als auch die Kapazität der Latrinen gesprengt hätte. Sogar Hispo musste er eines abgerissenen Lederschnürsenkels wegen zurechtweisen. Akribisch notierte Antias auch diesen letzten Mangel in seinem Codex und stellte anschließend bekümmert fest, dass die Morgensonne sich anschickte, die Ostmauer zu erklimmen. Verdammt! Aus den bislang verschonten Unterkünften schwärmten bereits die ersten Latrinengänger, vor der Principia trötete der Cornicen das Wecksignal und Antias hatte noch keine der zu inpizierenden Baracken betreten. Nun gut, die Unterkünfte konnte er sich auch später ansehen, wenn die Milites ihr Übungspensum erfüllten, dafür würde er die Männer nicht unbedingt brauchen, allerdings wäre es ihm lieber gewesen, ihnen etwaige Beanstandungen direkt mitzuteilen, anstatt sie in seinem ohnehin schon ziemlich vollgekritzelten Codex festzuhalten. Das nächste mal würde er sich die Contubernia jedenfalls einzeln vornehmen, man war ja lernfähig.


    „Milites! Ihr wisst Bescheid!“ bellte er ernüchtert auf die mittlerweile ausnahmslos griesgrämigen Soldaten ein. „Morgen früh um diese Zeit sind die Ausrüstungsmängel behoben! Die Milites Sulpicius, Arruntius, Salvidienus und Aponius melden sich nach Dienstende in meiner Schreibstube! Und jetzt fertig machen zum Morgenappell! Abite!“ Die Reihen lösten sich auf, achtunddreissig übellaunige Urbaner schlurften in die Unterkünfte zurück, um sich vor dem erneuten Antreten noch ein überstürztes Ientaculum hinunterzuwürgen. Antias sah ihnen seufzend nach. Wie gerne hätte er sich jetzt im Kreis seines Contuberniums niedergelassen und mit den Kameraden etwas harten Käse mit altbackenem Panis oder wenigstens kalten Puls vom Vorabend genossen. Aber ihm war völlig klar, dass er dort drinnen im Moment nicht willkommen sein würde. Schweigend stand er noch eine Weile im heller werdenden Morgenlicht, glotzte gedankenverloren auf seine Notizen und machte sich schließlich auf den Weg zu seinem Scriptorium. Dort hatte er noch einen Krug Posca und einen Streifen Dörrspeck deponiert. Das musste dann eben bis auf weiteres reichen.

    Schon bevor sich die gähnenden Contubernia zu fünf eher gezackten Linien formiert hatten, stachen Antias bereits einige Mängel in’s Auge. Dem Asconier fehlten zwei Beschläge am Cingulum, beim Munatius war die oberste Spange des rechten Schulterstückes noch oben gebogen, sowohl Oppius als auch Vinicius kamen nur schlitternd in der Linie zum Stehen, ein klares Indiz dafür, dass es beide mit dem Ersetzen fehlender Stollennägel nicht allzu genau nahmen. Im Grunde alles noch Kleinigkeiten, die sich mit zwei, drei Nachtwachen erledigen ließen. Bei Umbrenus und Aquila sah das schon etwas anders aus. Die bequemen Säcke hatten alle zehn Schließhaken ihrer Loricae mit einem einzigen langen Lederband verbunden, anstatt sie paarweise mit fünf kurzen Bändern zu verschnüren wie vorgeschrieben. Eine sowohl der Faulheit als auch der Dummheit geschuldete Untugend, der Antias schon in seiner Zeit als Tiro immer wieder begegnet war. Natürlich war die Lorica auf diese Weise schneller geschnürt, aber ein Schnitt mit einem Küchenmesser genügte, um den einzelnen Riemen zu durchtrennen und so den ganzen Panzer zu öffnen. Ziemlich unverfroren von den beiden, ihrem Optio in dieser Aufmachung vor die Augen zu treten, geradezu hirnverbrannt, ihn dann auch noch als mentulla und cacator zu beschimpfen. Antias hatte nicht nur Augen im Kopf, er hatte auch Ohren dran.


    Der erraticus dagegen war von Papias gekommen, dessen Rüstung allerdings in Ordnung zu sein schien, zumindest auf den ersten Blick. Was auch immer sich an diesem milden Frühjahrsmorgen sonst noch ergeben mochte, Oppius und Vinicius würden die Truppenlatrinen in nie gekanntem Glanz erstrahlen lassen, so viel stand jetzt schon fest. Geduldig wartete Antias ab, bis sich auch das letzte Contubernium in Formation gegrummelt hatte. Am Rande seines Blickfeldes sah er zerzauste Köpfe aus zaghaft geöffneten Baracken spähen, nur ganz hinten bei den Rekruten war noch alles ruhig. Recht so. Bis zum Wecksignal war noch eine ganze Weile hin, alles andere brauchte sie nicht zu interessieren. Die Reihen standen schließlich, wenigstens so einigermaßen. Zeit für eine warme Begrüßung.


    „In aciem venite! State! Salvete, Milites!“





    [Blockierte Grafik: http://oi58.tinypic.com/pnoxv.jpg] Contubernium I.
    „Salve, Optio!“


    [Blockierte Grafik: http://oi60.tinypic.com/2d2c10k.jpg] Contubernium II.
    „Salve, Optio Germanicus!“


    [Blockierte Grafik: http://oi57.tinypic.com/ipqq9i.jpg] Contubernium III.
    „Salve!“


    [Blockierte Grafik: http://oi59.tinypic.com/2hz1wm1.jpg] Contubernium IV.
    „Salve, Optio Germanicus!“


    [Blockierte Grafik: http://oi60.tinypic.com/2aihcp3.jpg] Contubernium V.
    „Salve, Optio Germanicus Antias!“




    Irgendwie beschlich Antias das unbestimmte Gefühl, die Latrinen der Castra könnten vielleicht gar nicht alle Bewerber fassen, die sich im Laufe der nächsten Stunde für eine reinigende Tätigkeit empfehlen würden. Sollte er sich wirklich in Tiraden über den korrekten Gruß ergehen? Das waren keine Tirones mehr, die wussten Bescheid. Die Burschen gedachten also, ihre Grenzen auszutesten und die seinen gleich mit. Sollten sie. Der Tag war ja noch jung.

    Gewappnet mit Hastile, Codex und Stilus marschierte Antias beschwingt durch die Dämmerung den Barackenkomplex der Dritten Centurie entlang. Heute würde er sich bei den Milites so richtig unbeliebt machen, das war ihm klar. Musste aber sein. In den ersten Tagen nach seiner Beförderung hatte er sich noch der Illusion hingegeben, allein sein Dienstgrad würde ihm bei den Mannschaften Gehör verschaffen und ansonsten könne alles weitgehend beim Alten bleiben. Wie naiv! Zwar gab es sowohl unter den Tirones als auch unter den Milites durchaus ein paar Kameraden, die sich schlicht für ihn freuten, der größte Teil der Centurie jedoch betrachtete ihn mit Argwohn oder gar Feindseligkeit. Vor allem aus den Gesichtern mancher Veteranen blitzen ihm immer wieder hasserfüllte Blicke der Verachtung entgegen. Die alten Kämpen, allen voran der Cluvier, hatten vom ersten Tag an versucht, Antias zu verunsichern, und beim Iuppiter, das war ihnen anfangs auch gelungen. Zwar hatte er es leidlich geschafft, sich nichts anmerken zu lassen, dennoch hatten ihn die eisigen Blicke verfolgt bis auf seine Pritsche.


    Die ersten drei, vier Abende hatte er allesamt grübelnd in seiner kleinen Schreibstube verbracht. Am liebsten wäre ihm gewesen, sein Amt eher gemäßigt und generös auszuüben, mehr wie ein wohlmeinender Kamerad denn als autoritärer Vorgesetzter. Welch ein Schwachsinn! Schon die verkniffenen Gesichter beim nächsten Morgenappell hatten ihn jäh von seinen idealistischen Träumereien kuriert. Fast die Hälfte der Centurie bestand aus grimmigen Altgedienten, die in ihrem bisherigen Leben mehr Offiziere verschlissen hatte als Antias Schuhe. Eisenfressern wie Sulca, Pennus, Tubero, Silus – oder wie sie alle hießen – mit Mäßigung und Generosität zu begegnen, war in etwa so ratsam, wie sich von Pikten rasieren zu lassen. Es blieben ihm letztlich nur zwei Möglichkeiten, um sein Verhältnis zu den Mannschaften zu klären, entweder er biederte sich an oder er benahm sich einfach wie das Arschloch, für das er von einem erheblichen Teil der Männer wohl ohnehin gehalten wurde. Die Entscheidung für letzteres war ihm verblüffend leicht gefallen und seit er diese Alternative gewählt hatte, war ihm schon viel leichter um’s Herz. Recht vergnügt hatte er am vorangegangenen Abend eine gründliche Inspektion von Ausrüstung und Unterkünften in seinem Codex vermerkt und war dann nach einem ausgedehnten Besuch der Lagerthermen in tiefen entspannenden Schlaf gesunken.


    Entsprechend erfrischt stapfte er nun auf das Ende der Barackenreihe zu, gehüllt in das Halbdunkel des dräuenden Morgens, umwallt vom dunklen Klangteppich vielkehligen Schnarchens, das ihn ein wenig an die Schweinekoben im Umland von Mogontiacum erinnerte. Zunächst noch etwas unschlüssig über die Reihenfolge, hatte er sich schließlich der Einfachheit halber dafür entschieden, vorne anzufangen. Es würde völlig reichen, die ersten fünf Contubernia von den Pritschen zu holen, bis das letzte davon angetreten war, würde auch der Rest hellwach sein. Sogar die Tirones. Naja, gut, die vielleicht nicht. Noch ein paar tiefe Züge der lieblichen Morgenluft, dann stieß er beherzt die Tür zu ersten Barracke auf. Selbstverständlich ohne vorher anzuklopfen.


    „ERSTES CONTUBERNIUM! AUSRÜSTUNG AUFNEHMEN UND ANTRETEN!“ Herrje, war das laut! In der friedlichen Dämmerstille dröhnten ihm fast selbst die Ohren. Sei’s drum. Gestöhne und Gerumpel wurde vernehmbar. Man hatte ihn also gehört. Das war erfreulich. Ohne Zeit zu verplempern blökte er in die benachbarte Unterkunft. „ZWEITES CONTUBERNIUM! ANZIEHEN UND ANTRETEN!“ Beim dritten Contubernium - den Sarden - brüllte er instinktiv besonders laut, kam sich aber sofort dämlich dabei vor, weil die Burschen ja nachweislich nicht schwerhörig sondern nur träge waren. In der vierten Baracke hatte man schon Braten gerochen und die Betten verlassen. Egal, Antias brüllte trotzdem. Bei seinem eigenen Contubernium angelngt packte ihn ein wenig das Mitleid, ersparen konnte er den Kameraden das Prozedere dennoch nicht. Musste er auch nicht. Gerade als er sich Luft genug für ein erneutes Kommando zusammen geatmet hatte, steckte Marullus den bereits behelmten Schädel durch einen Türspalt und lugte ihn fragend an. „Ja! Ihr auch! Raus mit euch!“


    Mit Wohlgefallen nahm Antias das nun einsetzende Rumoren in den weiteren Unterkünften zur Kenntnis. Hervorragend. Die wussten jetzt nicht, was sie machen sollten, auf Verdacht raustreten oder warten, bis der neue Optio sie dazu aufforderte. So war’s gedacht. Sollten sie ruhig warten, der Optio jedenfalls würde ihnen keinen Extrabesuch abstatten. Heute nicht. Vielleicht morgen. Am Ende des Barackenblockes schepperten die ersten beiden Contubernia in’s freie. Antias konnte sich ein anerkennendes Brummen nicht verkneifen. Schnell waren sie ja, kein Zweifel. Für’s erste zufrieden stiefelte Antias vor der Barackenfront wieder zurück. Vielleicht sollte er es probeweise doch noch einmal mit Mäßigung und Generosität versuchen? Als er beim Näherkommen jedoch übellauniges Gemaule im Allgemeinen und geknurrte Bergriffe wie erraticus, mentula und cacator im Speziellen vernahm, entsagte er endgültig dem Führungsmodell der wohldosierten Milde. Hielten die Deppen ihn für taub oder war es ihnen schlicht scheißegal, ob er mitbekam, was sie von ihm dachten? Gleichviel. Er hatte weder Lust noch Muße, das herauszufinden. Letztlich konnte es ihm egal sein, Hauptsache, ihre Ausrüstung war in Ordnung. War sie aber nicht.

    Stocksteif und ohne ersichtliche Gemütsregung hatte Antias sich einige Schritte vom Centurio entfernt aufgebaut. Die arglose Neugier, mit der die Tirones den Worten des Offiziers lauschten, amüsierte ihn gleichermaßen wie sie ihn wehmütig machte. Es ging nun an die Pfähle, und damit an die Substanz. Die Rekruten würden diese Dinger bald zu hassen lernen, ebenso wie die schweren Übungsscuta und Holzgladii. Diese unscheinbaren abgenutzten Pfosten begleiteten alle Soldaten – auch ihn – bis an das Ende ihrer Dienstzeit und in manch traumreicher Nacht wohl noch darüber hinaus. Geschwollene Arme, verrenkte Schultern, blutende Handflächen, Schmerzen, Flüche und eimerweise Schweiß erwarteten die Tirones, aber auch ihre Stärke, ihre Kampfkraft, ihre Überlegenheit würden sie hier erlangen. Die jungen Burschen würden mit der Zeit gegen vielerlei Gegner antreten, gegeneinander, gegen andere Einheiten, gegen Aufrührer und Unruhestifter, am Anfang aber standen stets diese verdammten Pfähle. Am Pfahl kämpfte jeder gegen sich selbst. Die Pfähle machten einen fertig, im besten Sinne des Wortes.


    Schweigend und reglos beobachtete er die Tirones beim Aufnehmen der Übungswaffen. Scuta und Gladii waren alle gleich unhandlich, egal, ob sie bereits hunderte von Fäusten durchwandert hatten oder neu angefertigt worden waren, zumindest darüber brauchten sich die Rekruten keine Sorgen zu machen. Als endlich auch der Letzte gewappnet mit seinen schweren Holzutensilien wieder angetreten war, stapfte Antias zum Ende der Reihe, überprüfte deren Ausrichtung, brachte den einen oder anderen Tiro mit der Hastile auf Linie und wandte sich dann zufrieden wieder dem Centurio zu. Die Rekruten mochten das selbst vielleicht noch gar nicht bemerkt haben, aber die Ordnung schliff sich so langsam ein. Täglich wurden sie Soldaten ähnlicher, auch wenn noch so einiges zwischen ihnen und erfahrenen Urbaniciani stand. Die Pfähle beispielsweise.


    "Tirones! Scuta sursum! Gladios stringite!"

    Antias tat sich schwer, in den Morgen hinein zu finden. Noch immer nicht gänzlich von den kalten Krallen seines Traumes befreit, sah er teilnahmslos auf die Kameraden. Hispo warf fluchend eine Caliga nach Fimbria, der wiederum maulte Antias an, endlich voran zu machen. Ein zwar traurig aber sichtlich lebendiger Marullus, der mit einem unverständlichen Gruß auf den Lippen in die Baracke schlurfte setzte der Groteske die Krone auf. Sehr verwunderlich war das alles. Einerseits fühlte Antias sich erquickt und entspannt wie seit langem nicht mehr, andererseits spielte sich alles um ihn herum ab wie ein Theaterstück, das er schon Hunderte von Malen gesehen aber dennoch nicht verstanden hatte. Mit dem seltsamen Gefühl noch immer zu träumen suchte er seine Ausrüstung zusammen. Nahezu unmöglich, dass er nur ein paar Stunden geschlafen hatte. Der Besuch bei Sedulus, das Auftauchen seines Bruders, der Tag mit Apolonia, der Tod des Princeps, die geschlossenen und wieder geöffneten Stadttore, Marullus’ Agonie, gehörte das noch zu seinem Traum oder war es wirklich passiert? Und was hatte das alles mit ihm zu tun? Warum war plötzlich alles so anders? Welche dunklen Pforten hatte dieser quälende Traum in ihm aufgetan?


    Umständlich begann er sich die Stiefel zu schnüren. Was machte er hier eigentlich? Schön, er war hier zuhause, diese albernen jungen Soldaten, die sich murrend oder scherzend in ihre Loricae zwängten, bildeten seine Familie, soviel war ihm mittlerweile klar, aber wie ging er mit dieser Familie um? Wie vielen Familien konnte ein einzelner Mann angehören? Da gab es den Senator und die Gens, da gab es Apolonia, da gab es die Chimären der Vergangenheit, die ihn jagten, Varus, Gisali, Aanet, schon vor Jahren verschwunden, gestorben, ertrunken. Was erwarteten die alle von ihm? Wollte er Senator Sedulus gerecht werden, musste er Apolonia vergessen, das konnte er nicht. Wollte er Apolonia wirklich gerecht werden, musste er den Dienst quittieren und sich mit ihr ein Leben fern der Castra aufbauen. Ein kurzer Blick auf sein Contubernium sagte ihm, dass er auch das nicht konnte. Die einzige Familie, der er wirklich gerecht werden konnte, waren die Kameraden. Die hatte er jede Stunde um sich. Sie hörten auf ihn, verließen sich auf ihn, sie rieten ihm und erzogen ihn, wenn es sein musste. Sie würden ihn gewiss auch irgendwie durch diesen sehr sehr merkwürdigenTag bringen.


    Nur unter Aufwendung aller Reserven an Selbstdisziplin konnte sich Antias aus dem lähmenden Gedankenstrudel befreien und fand sich mit hängendem Kopf auf seiner Pritsche sitzend wieder, den Blick trübe auf die schlampig geschnürten Caligae gesenkt. „Was treibst du denn da?“ hörte er Fimbria maulen. „Du weißt schon noch, wie man sich anzieht, oder?“ Doch, ja, das wusste er. Hatte er schon ein paarmal gemacht. Da war er ganz gut drin. Eigentlich. Gähnend schnürte er sich die Stiefel noch einmal und griff zu seinem Gürtel. Rituale hatten so etwas ungemein tröstliches. Sie vermochten selbst den ansonsten hoffnungslosesten Vollidioten das schöne Gefühl zu geben, auch mal etwas richtig zu machen. Der Gürtel. Die Ocreae. Das Focale. Die Lorica. Zwei Hände packten seine Rüstung, halfen ihm hinein. Alles so wunderbar vertraut, über nichts musste man sich ernsthafte Gedanken machen. Ganz automatisch drehte sich Antias zu Hispo um, zerrte ihm die Lorica über die Schultern wie jeden Morgen, und fuhr dann wieder andächtig fort, sich in einen Urbaner zu verwandeln. Lorica schnüren, den Schulterriemen mit dem Gladius anlegen, dann das Cingulum gürten, den Pugio darin einhängen, die Paenula überwerfen, den Cassis aufsetzen. Wer sich mit derlei Verrichtungen zufrieden gab, konnte sicher ein anständiges und erfülltes Leben führen. „Seltsamer Morgen.“ brummte Antias müde vor sich hin. „Seltsame Nacht.“ brummte Hispo nicht minder müde zurück. Allerdings. Seltsamer Morgen, seltsame Nacht. Wirklich sehr verwunderlich das alles.