Beiträge von Titus Germanicus Antias

    Na also. Nach einem kurzen Moment des Schweigens schob sich endlich eine Tabula durch den Türspalt, begleitet von der Anweisung, sie auszuhändigen. Die Tür wurde geschlossen, schwere Schritte entfernten sich, und erst jetzt, als sie sich bereits wieder zu lösen begann, nahm Antias Sibels’ Anspannung so richtig wahr. Wenn sie am Leben in der Castra nicht verzweifeln wollte, musste Sibel eindeutig gelassener werden. Das war hier nun mal ein wuselnder Männerladen. Situationen wie die eben durchgestandene würde es wohl noch des öfteren geben, schließlich bildete die Habitatio den ohnehin schon stark frequentierten Mittelpunkt der Centurie, und wenn sich erst einmal herumgesprochen hatte, wer neuerdings Avianus’ Haushalt führte, würde es hier von Meldegängern, Boten, Bittstellern und Neugierigen nur so wimmeln. Und nicht nur das. Bei weitem nicht nur das. Er selbst gönnte seinem Centurio diese wonnevolle Bereicherung des manchmal recht freudlosen Soldatenlebens ohne eine Spur von Neid. In den Reihen den Milites jedoch gab es so ganz bestimmte Elemente, unter denen die Missgunst wüten würde wie die Malaria. Pilitus, Laevinus, Cordus, Sulca und noch ein paar andere verbitterte Veteranen, alt gedient und trotzdem nie befördert. Denen musste Antias in Zukunft also noch aufmerksamer auf die Finger schauen.



    Nachdenklich musterte er die hübsche Frau, die ihm nun mit Nachdruck zu verstehen gab, dass er sich besser schleunigst entfernen solle. Antias nickte. In der Tat, die Idee hatte in den vergangenen Minuten nichts von ihrer Brillanz verloren und war nun sogar umsetzbar. „Ja. Natürlich, Sibel. Ich hatte ohnehin nicht die Absicht, mich hier häuslich niederzulassen.“ Seufzend nahm er sein Cingulum von der Stuhllehne, warf es sich über die Schulter, öffnete dann die Tür und spähte hinaus. Niemand zu sehen. „Ich schick dir einen Miles mit dem Mantel vorbei.“, wandte er sich noch einmal lächelnd zu ihr um, und besann sich dabei plötzlich, warum er hergekommen war. „Ach so .. noch was .. wenn du dem Centurio ausrichten könntest, dass für den Ausgang in zwei Tagen alles vorbereitet ist, wäre ich dir sehr verbunden. Vale, Sibel. Bis bald.“ Dann trat er hinaus, schloss die Tür und beeilte sich, in den länger werdenden Schatten der Offiziersunterkünfte möglichst unbehelligt zur Seitengasse zu kommen, die zu seiner Barracke führte.

    Hühner? Darum ging es hier? Antias versuchte, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Wenn es tatsächlich nur um die Hühner ging, da würde man sich schon einigen können. Dumm nur, dass ihm der Kerl mit dem Knüppel immer näher kam und er sich zu allem Übel in diesem Hinterhof nicht auskannte. Wenn er das mit den Hühnern regeln wollte, dann besser schnell. „Das würde ich mir an deiner Stelle gut überlegen.“ schlug er dem offensichtlich Streit suchenden Burschen in möglichst ruhigem Tonfall vor. Der blieb tatsächlich kurz vor Antias stehen, machte jedoch nicht den Eindruck, die Situation noch einmal in Ruhe überdenken zu wollen. Im Gegenteil. Anstatt den Knüppel vernünftigerweise sinken zu lassen, hob er ihn weit über den Kopf und rammt die Beine gespreizt in den lehmigen Boden. Ein typischer Zivilistenfehler.


    „Du hast da vorhin mit einem recht prallen Geldbeutel rumgewedelt ..“ kam es weindunstgeschwängert aus dem dunklen Gesicht. „.. den hätt ich gern.“ Antias nickte seufzend vor sich hin. Aha. Das waren also die drei Suffköpfe, die nach ihm das Elysium verlassen hatten. Dass der Inhalt seines Geldbeutels lediglich aus Sesterzen bestanden- und darüber hinaus als erste Mietzahlung an den Veturius bereits den Besitzer gewechselt hatte, war den neugierigen Augen der müffelnden Straßenräuber offenbar entgangen. Aber was hatte das alles mit den Hühnern zu tun? Die nötige Zeit, eingehend über diese Frage nachzudenken, blieb Antias allerdings nicht, denn während er mit der linken Faust auf den Kehlkopf des Knüppelschwingers drosch und ihm dann die rechte auf die Leber hämmerte, hörte er auch schon den fluchenden Vierten im Bunde hinter sich heran stampfen. „Recht so! Gebt’s ihm!“ hallte es heiser durch die Dunkelheit. Antias fühlte sich nicht angesprochen, trat stattdessen kommentarlos den zusammengekrümmten Angreifer vollends zu Boden und hob schnell dessen Knüppel auf. Irgend etwas lief hier ziemlich schräg.


    Die Lucerna senkte sich zu Boden, und wie erwartet stürmten nun die beiden Spießgesellen des gefällten Stänkerers auf Antias zu. Der hob den erbeuteten Holzstock stoßbereit auf Brusthöhe, machte einen beherzten Sprung zur Seite und trat auf ein kreischendes Huhn. Derart aus dem Gleichgewicht gebracht blieb ihm nichts anderes übrig, als seinen Fall zu vermeiden, indem er die Deckung aufgab und sich mit dem Stecken am Boden aufstütze, eine Aktion, die sofort mit einem äußerst schmerzhaften Hieb auf seine linkes Schulterblatt vergolten wurde. Antias sackte auf die Knie, schaffte es aber dennoch, den zweiten Hieb mit seinem Knüppel abzufangen. Beim nächsten Hieb gelang ihm das nicht mehr ganz so gut. Zwar verpuffte ein Teil der Schlagwirkung am quer gehaltenen Stock, dafür knallte ihm aber der eigene Prügel an den Schädel.


    Benommen ließ er den Knüppel los, warf sich nach vorn, bekam eine behaarte Wade zu fassen und biss zu. Ein erneuter Schlag erwischte ihn diesmal ungebremst am Rücken. Der heiße Schmerz ließ ihn die Kiefer noch fester zusammenpressen, was zur Folge hatte, dass sich seine Beute mit einem gellenden Schrei losriss und einen zähen Fetzen blutigen Fleisches zwischen Antias’ Zähnen zurückließ. Spuckend und hustend krabbelte Antias unter unpräzisen Schlägen und Tritten aus dem flackernden Schein der am Boden liegenden Lucerna hinaus ins Dunkel zurück und tastete nach dem fallengelassenen Knüppel. Verfolgt wurde er seltsamerweise nicht, fündig aber auch nicht. Mehr als dankbar über die unerwartete Atempause stemmte er sich auf die Knie, versuchte, die Situation zu erfassen und stellte zu seiner Verwirrung fest, dass sie der lamentierende vierte Mann nicht auf ihn, sondern auf einen der anderen Gestalten stürzte, und das machte er gar nicht so ungeschickt, auch wenn sein Gebrüll ihm etwas die Luft zu nehmen schien. „Was macht ihr Ratten hier? Runter von meinem Grund! Wo sind meine Söhne! Galeo! Manius!“


    Allmählich wurde die Lage kompliziert. Antias schwirrte der Schädel. Schulter und Rücken brannten wie Feuer. Das Blut des abgebissenen Wadenstückes verklebte ihm die Zunge und verursachte einen nur schwer zu beherrschenden Brechreiz. Aber es half alles nichts, er musste wieder auf die Beine kommen. Schließlich hatte er nicht vor, sich ein paar Hühnern oder eines leeren Geldbeutels wegen sämtliche Knochen brechen zu lassen.

    Todesmatt und zugleich beseelt von tiefstem Frieden drückte Antias Apolonia sanft an sich, vergrub das Gesicht in ihrem klammen Haar, atmete ihren Geruch ein, der dem seinen inzwischen so ähnelte als wären ihre Leiber durch den erneuten Ausbruch der Leidenschaft zu einem verschmolzen. Nun endlich, als sie verschlungen und erschöpft auf der Kline lagen, waren all die sorgenvollen Stimmen verstummt, die ihn Tage, Wochen, Monate lang geplagt hatten. Egal, was bisher in ihrer beider Leben geschehen war, es war Teil der Vergangenheit geworden. Unwiderruflich. Apolonia gehörte niemandem. Auch ihm nicht. Aber sie gehörte zu ihm.


    Vorsichtig, um die zarte Stille, die von ihr ausging nicht zu stören streckte der den freien Arm zu Boden, bekam schließlich die fallengelassene Palla zu fassen und zog sie über ihre noch immer schweißnassen Körper. Dabei fiel sein Blick auf die liebevoll angerichteten Speisen. Ach Götter, so viel Mühe hatte sie sich gemacht, und ihm war wieder einmal nichts besseres eingefallen als über sie herzufallen wie ein ausgehungerter Straßenköter. Die Zeit ohne sie war einfach zu lang gewesen, um sich zu beherrschen. Das musste sich ändern und das würde sich auch ändern. Er war kein Tiro mehr und somit auch nicht mehr in der Castra eingesperrt. Ein kleines Zimmer in der Vorstadt. Ein befreiendes Stück Normalität. Ein gemeinsames Leben. Alles was denkbar war, war auch möglich. Irgendwie. Selig lächelnd lauschte er noch eine Weile ihren flacher werdenden Atemzügen und schlief dann glücklich ein.


    Nachdem er auf Avianus’ launige Frage ein ebenso launiges „Alles bestens, Centurio.“ erwidert hatte, mühte sich Antias mit ausladendem Gefuchtel und vereinzelten Pfiffen die quasselnde Kolonne möglichst rasch in den Schankraum zu lotsen. Hier draußen standen überall willige Pflasterschwalben rum, und wenn er nicht aufpasste, würde sich ein Teil der Milites lüstern um die nächste Ecke verflüchtigen, noch bevor sie auf den spendablen Centurio angestoßen hatten. Was die Männer später mit ihrem Ausgang anfingen, war natürlich allein deren Sache, aber Anlässe wie dieser dienten neben dem reinen Vergnügen auch der Stärkung des Mannschaftsgeistes, und dieser willkommene Nebeneffekt ließ sich nur erreichen, wenn man es schaffte, den Haufen wenigstens eine Stunde oder zwei beisammen zu halten „Immer rein mit euch, Kameraden! Rufo hat nur zwei Fässer da, also haltet euch ran!“ rief er den heranströmenden Soldaten breit grinsend entgegen. „So. Zwei Fässer.“ schmunzelte Blandus im Vorbeigehen. „Das wäre sein Tod.“ Allerdings, und meiner gleich mit, dachte sich Antias vergnügt.


    Nach und nach verschluckte Rufo’s Elysium auch die letzten durstigen Urbaner, nur Fimbria und Hispo bummelten noch eifrig diskutierend auf der Gasse umher. „He, ihr Tranfunzeln! Draußen nur Posca!“ Fimbria schien ein wenig gereizt. Mit einem ungeduldigen Schnauben schüttelte er den rotwangigen Hispo ab und gestikulierte unwirsch in Antias’ Richtung. „Da steht er! Frag ihn doch selber, du Schisser!“ Antias runzelte die Stirn. „Was gibt’s denn, Hispo?“ Der Angesprochene zeigte Fimbria kurz den Mittelfinger und marschierte – besser gesagt scharwenzelte – auf Antias zu.
    „Also .. du bist doch noch immer mein Freund, oder?“
    „Bin ich.“
    „Und mein Optio bist du ja schließlich auch ..“
    „Richtig. Bin ich auch.“
    Plötzlich hatte Antias Durst. Überwältigenden Durst. Das würde hier doch hoffentlich nichts längeres werden.
    „Naja, ich will das ja wirklich nicht für mich ausnutzen, aber ... das sind immerhin achtzig Leute da drin, und ...“ Antias stöhnte auf. In dem Tempo würde das heute sicher nichts mehr.
    „Fimbria! Was will er?“
    „Dass du ihm Kraft deines Amtes den Vortritt bei Saserna verschaffst. Ganz einfach.“ blaffte Fimbria kurz angebunden und verschwand in der Taberna. Oh Elend! Saserna! Er hatte völlig vergessen, Hispo schonend darauf vorzubereiten, dass seine Angebetete mit ihrem Beschäler das Weite gesucht hatte. „Keine Sorge, Großer ..“ krächzte er mit belegter Stimme, „Es ist für alles gesorgt, du wirst sehn. Jetzt trinken wir erstmal was, ja?“




    Als sie den Schankraum betraten, war wider Erwarten bereits so etwas wie Ordnung unter den wuselnden Milites entstanden. Zumindest im Vergleich zu dem bei Mannschaftsbesäufnissen sonst üblichen Chaos. Tische wurden lärmend zusammengerückt, derbe Scherzworte gewechselt, umherhastende Bedienungen unter ausgelassenem Gejohle in die Pobacken gekniffen, alles lief also überraschend zivilisiert und gesittet ab. Es änderte eben doch so einiges, wenn der Kommandeur mit im Raum war. Antias sah sich um, entdeckte schließlich ein paar freie Plätze im Rücken des Centurios und zog Hispo hinter sich her zu Tisch. Der Wein stand schon da. Hervorragend. Ruf hatte offenbar den festen Vorsatz, sich heute selbst zu übertreffen, was gemessen an den bislang gezeigten gastronomischen Darbietungen freilich nicht all zu schwer werden würde.


    Bester Laune füllte Anias die Becher auf, reichte Hispo einen davon und erhob sich räuspernd. „MILITES!“ Der Lärmpegel senkte sich merklich. „Vivat Centurio Iunius! Vivat Centuria Tertia! Vivat Cohors Duodecima!“ „VIVAT!“


    Nun wurde es vollends still im Elysium. Außer vielkehligem Gluckern und Gurgeln war nur noch der sehr gedämpfte Straßenlärm vernehmbar. Wie auf Stichwort endete die wohltuende Ruhe dann auf einen Schlag mit röhrendem Gerülpse und ausgelassenem Gelächter. Grinsend wischte sich Antias den Mund ab und beugte sich zum Centurio hinüber. „Rufo hat Weiber parat, Centurio Kann er sie von der Leine lassen?“

    [Blockierte Grafik: http://oi62.tinypic.com/988wb7.jpg]
    Paullus Triarius Tubero


    „Hübsches Kind.“ seufzte Tubero mit Blick auf die davon ratternde Birota und ließ den Großteil der Münzen fingerfertig in seinem Hüftbeutel verschwinden. „Naja, könnte meine Tochter sein.“ Wie erwartet erhob sich empörtes Gemurre aus der langen Reihe der wartenden Fuhrwerke. Tubero hatte für sowas kein Verständnis. Was hinderte diese maulenden Trottel daran, sich auf die gleiche Weise wie der gewitzte Sklave einen kurzfristig erteilen Passierschein zu besorgen? Doch nur bäuerische Sturheit und engstirniger Geiz. „Was?“ fuhr er die fluchenden Kutscher lauernd an. „Wenn euch was nicht passt, können wir hier auch später Feierabend machen! Ganz wie ihr wollt!“ Missgünstiges Saupack.


    Lyso schenkte weder der entschwinden Kutsche noch den aufgebrachten Transporteuren besonderes Interesse und brabbelte ungeniert weiter vor sich hin. „.. und seit er sich diesen Besen aus dem verarmten Landadel geschnappt hat, meint er, er wäre was besseres. Ein popeliger Lignarius .. das musst du dir mal vorstellen, Tubero. Wenn der so wichtig wäre, wie er tut, hätte er doch längst ne Genehmigung gekriegt, oder? Ach .. diese Kutsche grade .. die hatten echt eine Sondergenehmigung? Ich meine .. ehrlich jetzt?“ Tubero seufzte erneut, nahm schmunzelnd Lysos Hand und ließ ein paar Münzen hinein klimpern. „Und ob, verlass dich darauf. Hier .. die drei Denarii, die ich dir noch schulde.“




    Mit einem freundlichen Nicken nahm Antias den Mantel entgegen und überreichte Sibel im Gegenzug seine nasse Tunika. Für einen Moment schien sie tatsächlich geglaubt zu haben, er wolle sich an ihr vergreifen. Ein wenig leid tat es ihm nun schon, ihr mit seinem Scherz Angst eingejagt zu haben. Aber nur ein wenig. Immerhin war sie es gewesen, die ihn mit Schmutzwasser bekübelt hatte, nicht umgekehrt, und nun waren sie beide endgültig quitt. „Es eilt nicht, Sibel ..“ beruhigte er sie, während er sich den Mantel umwarf. „.. ich hab nicht nur die eine Tunika. Alles halb so schlimm. Ich will nur nicht am helllichten Tag halbnackt zu meiner Unterkunft stapfen. Macht einen ziemlich nachlässigen Eindruck.“
    Gerade als der die Mantelschließe eingehakt hatte und sich zum Gehen wandte, wummerte es energisch gegen die Tür. Natürlich. Gerade jetzt. Er hatte fast schon mit derlei gerechnet. Die Götter waren also wieder mal am Würfeln. Sibel wurde bleich. Jetzt tat sie ihm wirklich leid. Das war wohl alles etwas viel für den zweiten Tag in Avianus’ Diensten. Sichtlich erschrocken forderte sie ihn auf, sofort zu verschwinden. An sich keine schlechte Idee, zudem hatte er das ohnehin gerade vorgehabt, nur stand da unüberhörbar ein Miles vor der Tür.


    Antias nickte zustimmend, seufzte tief, rührte sich aber nicht vom Fleck. Es gab eben Tage, an denen die bizarrsten Dinge mit einer solch selbstverständlichen Zwangsläufigkeit passierten, dass auch dem ungläubigsten Grübler die Zweifel an der Existenz der Götter vergingen. Alberne verspielte Götter, die ihren Spaß daran hatten, die Sterblichen zu piesacken. An solchen Tagen brauchte man den Helm bei der Patrouille nur ein einziges mal abzusetzen, um sich den Schweiß zu trocknen, und konnte mit Sicherheit davon ausgehen, dass einem unverzüglich eine vollgefressene Taube ihren gesamten Darminhalt in die Haare schiss. Dass er an einen solchen Tag geraten war, hatte sich schon mit dem unfreiwilligen Bad im Putzwasser vermuten lassen. Nun war es Gewissheit.


    Entsprechend unaufgeregt vernahm er die gedämpfte Kunde einer Nachricht für den Centurio, bedachte Sibel mit einem schiefen Grinsen, schlug die Arme übereinander und lehnte sich kopfschüttelnd an die Wand neben der Tür. Oh nein, er würde nicht in blödsinnige Panik verfallen und sich unter Möbeln verstecken oder durch eines der rückwärtigen Fenster klettern. Nicht an Tagen wie diesem. Die Götter überließen für gewöhnlich nichts dem Zufall. Irgendein geschwätziger Miles, den es ansonsten niemals hinter die Offiziersunterkünfte verschlug, würde heute da hinten rumstehen und seine Flucht beobachten. Garantiert. Verfängliche Situationen waren immer nur so verfänglich wie man sie machte.


    Sibel wirkte wieder recht gefasst, als sie den Boten durch den Türspalt hindurch abzuwimmeln versuchte. Antias erlaubte sich, aufzuatmen. So hätte es doch auch bei ihm laufen können. Hätte Sibel für ihren Stubenputz nur ein klein wenig länger gebraucht, würde nun dieser Miles da draußen in den Genuss eines Eimers voll dreckigem Wasser kommen. Aber der Bursche hatte wohl ganz im Gegensatz zu Antias keinen dieser unseligen Scheißtage erwischt. Gleichviel, es war wie es war. Entweder, der Miles verschwand ohne weiteres wieder, was Antias natürlich am liebsten gewesen wäre, oder dieser verkorkste Tag würde noch weit verkorkster werden.

    Ah ja. Sibel. Die Sklavin des Centurio. Antias lehnte sich zunehmend entspannt in seinem Stuhl zurück, lauschte schweigend ihren Worten und versuchte gar nicht erst, sein Schmunzeln weiter zu unterdrücken. Natürlich glaubte er kein Wort davon. Sie hatte ihn damals nicht gesehen, er sie schon. Vor allem hatte er Avianus und seine augenscheinliche Erregung noch deutlich in Erinnerung. Zwar konnte er nach wie vor nur vermuten, welchen Stellenwert Sibel im Leben des Centurios einnahm, aber seine Sklavin war sie ganz sicher nicht, so viel war ihm klar. Ebenso klar war andererseits, dass ihre Version die einzig denkbare war, um den Centurio nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Avianus hatte einen Weg gefunden, nach dem Antias noch immer verzweifelt suchte. Schon allein deshalb war er gerne bereit, das aus der Not geborene Spiel mitzuspielen. Zudem war er Optio und hatte damit ohnedies die Aufgabe, dem Centurio in allen Belangen den Rücken frei zu halten.


    Das mit der versauten Tunika hatte sie sich offensichtlich noch immer nicht verziehen. Überhaupt schien sie die ganze Sache weit tragischer zu sehen als sie wirklich war. Schlussendlich hatte sie ja nur ihn erwischt und keinen Tribunus. Das allerdings hätte schon böse enden können.
    „Nun, da habt ihr beide großes Glück gehabt, Sibel.“ sagte er schließlich im Brustton der Überzeugung. „Centurio Avianus scheint mit dir eine ausgezeichnete Wahl getroffen zu haben, und du hättest es auch kaum besser erwischen können.“ Mit einem freundlichen Lächeln gab er ihr das Stück Stoff zurück, stand langsam auf und löste sein Cingulum. „Der Centurio ist ein außergewöhnlicher Mann, musst du wissen ..“ Er konnte es sich nicht verkneifen. Wollte es auch gar nicht. „.. auf junge Frauen wie dich, könnte ich mir vorstellen, macht er sicher einen ganz besonders nachhaltigen Eindruck.“


    Betont beiläufig legte er das Cingulum über die Stuhllehne, zog sich flink die Tunika über den Kopf und trat dann mit amüsiertem Blick vor sie hin. „Er wird wohl nichts dagegen haben, wenn ich mir kurzfristig etwas borge, was ihm gehört .. und du möchtest sicher deine Fähigkeiten als dienstbarer Geist unter Beweis stellen, nicht wahr?“ Er sah sie lange an. Sie hatte tiefbraune Augen, eine kleine wohlgeformte Nase und ein verlockend dunkles Lippenpaar darunter, das ihm aus dem blassen Oval ihres Gesichtes entgegen funkelte wie eine taubesprengte Frühlingsrose. Antias zog das Schweigen noch ein klein wenig hinaus, betrachtete sie, schnupperte ihren Duft, eine aromatische Mischung aus Schweiß, feuchter Wolle und Frau. Der Centurio musste ein glücklicher Mann sein.
    „Nun gut. Wenn du mir also einen alten Mantel von ihm besorgen könntest, kannst du dein Gewissen gerne beruhigen und meine Tunika waschen.“

    [Blockierte Grafik: http://oi62.tinypic.com/988wb7.jpg]
    Paullus Triarius Tubero


    Tubero rechnete nach. Neue Calcei für seine Bastarde, die letzte Rate für seinen verzierten Pugio, ein kleines Geschenk für diese feurige Lusitanierin, die für ihren Gatten jeden vierten Tag die dreckigen Militärklamotten zur Reinigung in die Urbs mitnahm. Das würde knapp werden. Aber gut, das mit den Calcei war nicht so wichtig, sollten die lästigen Bälger eben langsamer wachsen. Letzen Endes waren dreissig Sesterzen durchaus angemessen.
    „Na also .. geht doch.“ murmelte er schließlich halblaut, trat einen Schritt auf den eifrigen Sklaven zu und machte mit einem langsamen Nicken deutlich, dass sie sich verstanden hatten. „Warum hast du nicht gleich gesagt, dass deine Domina über eine Sondergenehmigung verfügt? Besorgt euch Sondergenehmigungen, sag ich immer, und alles läuft wie am Schnürchen! Stimmt’s, Lyso?“
    „Was? Ja, sicher .. sind schon was Besonderes, diese Sondergenehmigungen .. nur schwer zu bekommen .. mein Onkel, also der Bruder meiner Mutter, ist Lignarius in der Subura .. der hat schon zehn mal einen Antrag gestellt .. sagt er jedenfalls .. ehrlich gesagt, dem kann man nicht immer alles glauben .. der hat ja auch behauptet, dass ...“


    „Da hörst du’s.“ grinste Tubero den Servus an. „Weise Entscheidung, sich rechtzeitig so einen Wisch zu besorgen.“ Tuberos Hand wanderte in Hüfthöhe unter den Mantel hervor und öffnete sich mit ungeduldig zuckenden Fingern. „Was soll ich sagen .. willkommen in der Urbs Aeterna.“


    Mit deutlichem Bedauern in der Stimme, ohne jedoch den Eindruck zu erwecken, als sei sie eben bei Schändlichem ertappt worden, erklärte die junge Frau den Centurio für abwesend und verschwand dann durch eine Seitentür. Dass Avianus nicht da war, sah Antias selber. Die Abwesenheit des Centurio beschäftigte ihn allerdings ungleich weniger als ihre Anwesenheit in dessen Habitatio. Leise folgte er ihr ein paar Schritte, hörte sie in einem der Nebenräume rumoren und wunderte sich einfach nur. Besonders gut auszukennen schien sie sich hier nicht, bewegte sich aber durch Avianus’ Räumlichkeiten, als seien es die ihren. Das sprach eindeutig dafür, dass sie mit dem Einverständnis des Centurios hier war. Fragte sich nur, in welcher Position. „Ach, was solls.“ sagte er sich, ging zur Eingangstür zurück, stellte den fallengelassenen Eimer wieder aufrecht und begann, die Zipfel seiner topfenden Tunika auszuwringen.
    Schließlich kam sie mit einem großen Stück Stoff zurück und hielt es ihm unter die Nase. Er nahm es brummend entgegen. Was sollte er damit? Den Dreck auf der Tunika gleichmäßiger verteilen? Mehr ihr zu liebe als in der Hoffnung irgend einen reinigenden Effekt damit zu erzielen tupfte er sich mit dem Fetzen auf der durchweichten Tunika herum.


    Nun kam es tatsächlich: Er solle sich hier wie zuhause fühlen. Antias quittierte das Angebot mit einem heiseren Auflachen. Der Scherz war gelungen. Zuhause. Mochte sie damit den mit löchrigen Tüchern abgegrenzten Winkel im Legionslupanar meinen? Die dunstgeschwängerte Barracke des Fünften Contuberniums? Oder das unaufgeräumte Loch der Principales, in das er nach seiner Beförderung hatte umziehen müssen? Zuhause. Das war vielleicht was für die höheren Dienstgrade, und immerhin, wie es schien war der Centurio gerade dabei, sich etwas derartiges aufzubauen. Das nächste Angebot, seine Kleidung zu waschen, war auch nicht gerade dazu angetan, die der Situation eigentlich angemessene gereizte Ernsthaftigkeit aufrecht zu erhalten. Das fehlte noch. Die Vorstellung, hier im Subligaculum herum zu stehen, während eine hübsche Unbekannte den Badezuber seines vorgesetzten Offiziers dazu nutzte, seine dreckige Tunika durchzuwalken, hatte zwar durchaus seinen Reiz, erschien aber weder der dienstlichen noch der menschlichen Beziehung zu Centurio Avianus besonders förderlich.


    „Danke, aber das ist nicht nötig.“ lehnte er ihre amüsanten Vorschläge kategorisch ab. Am besten, er machte sich hier schleunigst aus dem Staub. Nur war seine Neugier noch nicht ansatzweise befriedigt, zudem erinnerte ihn die junge Frau mit ihrer Mischung aus Unsicherheit und Trotz irgendwie an Apolonia. So, geputzt hatte sie? Ach, nein. Schmunzelnd zog Antias den ihm dargebotenen Stuhl heran und setzte sich. „Ich bin übrigens Optio Germanicus. Und du bist also .. wie soll ich es nennen .. der dienstbare Geist des Centurios?“

    [Blockierte Grafik: http://oi62.tinypic.com/988wb7.jpg]
    Paullus Triarius Tubero


    „.. so, und jetzt frag ich dich, Tubero .. wenn man sowas veranstalten will, warum dann nicht in einem Hafenbecken oder unten am Tiberis, hä? Ich meine .. wozu die ganzen Schiffe in die Urbs schaffen? Das ist doch völlig unlogisch. Beim Emporium zum Beispiel wär doch genug Platz ... ist schon mal jemand drauf gekommen? Nein. Und warum nicht? Weil das alles so gar nicht stimmt wie’s erzählt wird .. ich hab da einen Verdacht ...“


    Tubero hörte kaum hin, pulte sich stattdessen mir der Zunge zwischen den Zähnen herum und blickte den leutseligen Servus ausdruckslos an. Noch so ein Schwätzer. Was wollten die nur alle von ihm? Hatte er besonders wohlgeformte Ohrmuscheln oder was sonst trieb die Leute immer wieder dazu, ihn unaufgefordert voll zu seiern. Er hatte wirklich wichtigeres zu tun als sich dieses gutgelaunte Geplapper anzuhören. In der Lücke beispielsweise, wo vor ewigen Zeiten einmal sein linker unterer Backenzahn beheimatet gewesen war, hatte sich ein heimtückisches Stückchen Traubenhaut übers Zahnfleisch gelegt. Das mit der Zungenspitze heraus zu bekommen, erforderte äußerste Konzentration. Als er es schließlich geschafft hatte, tat er dies mit einem triumphierenden Schmatzer kund und nickte kurz zu dem leichten Einachser hinüber, vor dem der Sklave sich so selbstbewusst aufgebaut hatte.
    „Du willst vorzeitig passieren, Servus, sonst gar nichts, also spar dir das klebrige Gesülze. Wenn du einen Vorschlag zu machen hast, mach ihn. Wenn nicht, geh zu deiner Herrin zurück und warte bis es dunkel ist.“


    [Blockierte Grafik: http://oi62.tinypic.com/988wb7.jpg]
    Paullus Triarius Tubero


    „Also komm, Tubero , das stinkt doch, oder? Ich meine, erzählen kann man viel. Mal ehrlich .. du als kluger altgedienter Miles .. du glaubst das doch sicher auch nicht, oder?“
    Tubero schwieg. Äußerst dankbar für das kontinuierliche Fortschreiten der Zeit ließ er den Redeschwall seines quirligen Kameraden wortlos über sich ergehen. Noch eine knappe Stunde und der Wachwechsel würde ihn erlösen. Einstweilen zog er es vor, sich so gut wie möglich auf seine Arbeit zu konzentrieren und Lyso nicht durch irgendwelche Kommentare noch weiter anzuheizen. Viel gab es allerdings nicht mehr zu tun. Es war Abend geworden. Der Hauptstrom der Reisenden hatte das Tor längst passiert. Außer ein paar Nachzüglern waren kaum mehr Fußgänger unterwegs. Dafür staute sich bereits der allabendliche Pulk aus Maultierkarren, Pferdekutschen und Ochsengespannen vor den Mauern. Aber das war Sache der Nachtwache. Den Göttern sei Dank.


    „Hast du in deinen ganzen Dienstjahren jemals eine Naumachie gesehen, Tubero? Also ich nicht. Aber ich war mal in Ravenna .. und ich sag dir, von diese Riesendingern, die da vor Anker liegen, bekommt man kein einziges in ein Theater rein. Wie denn auch .. ich meine .. schau dir doch mal die Zugänge an .. wie sollen die da .. also, das muss dir doch auch schon aufgefallen sein ..“
    Lyso war ein guter Junge. Nur eine Idee zu redselig. Zudem noch dumm wie ein Eimer. Trotzdem mochte Tubero den zappligen Burschen. Der hatte wenigstens Respekt. Anders als der vorlaute Servus, von dem der alte Haudegen eben angesprochen wurde. Hey da, Urbaner? Der Kerl hatte wirklich Nerven. „Nein, nicht mehr lange.“ bestätigte Tubero mit eisigem Blick. „Ist mir auch schon aufgefallen.“



    „Was zum ..“ Weit mehr als nur ein bisschen verdutzt ließ Antias das Focale sinken. Die zierliche Gestalt, die sich langsam vor seinen brennenden Augen abzuzeichnen begann, hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit Centurio Avianus, soviel war schon mal sicher. Ein Weib stand da vor ihm, ein ausgesprochen ansehnliches Weib wie er zugeben musste, eines, das ihm zudem irgendwie bekannt vorkam, das hier aber dennoch rein gar nichts zu suchen hatte. Er brauchte ein paar Atemzüge, um zu realisieren, was sie sagte. Ach, leid tat es ihr? Oh ja, daran hatte er nicht den kleinsten Zweifel. Es würde ihr im Verlauf der nächsten Minuten noch viel mehr leid tun. Reinkommen sollte er? Das war ja wohl der Gipfel der Unverfrorenheit! Fehlte nur noch, dass sie ihn aufforderte, sich ganz wie zuhause zu fühlen. Der einzige Umstand, der Antias davon abhielt, die hübsche junge Attentäterin an den Ohren aus der Habitatio zu zerren, war die unschuldige Selbstverständlichkeit, mit der sie in der Tür stand. Da er außerdem keinen gesteigerten Wert darauf legte, tropfend und dreckig wie eine Latrinenratte von einem seiner Männer erspäht zu werden, trat er schließlich an der Übeltäterin vorbei, zog sie am Arm mit sich in’s Halbdunkel und knallte die Tür hinter ihnen zu.


    Noch immer leicht blinzelnd sah er sich um. Alles ordentlich und sauber, sehr sauber sogar. Keine offenen Truhen, keine durchwühlten Kleidungsstücke, nichts davon. Ebenso erleichtert wie verwirrt ließ er endlich ihren Arm los und starrte sie forschend an. Allmählich stiegen vertraute Bilder in ihm hoch: Trans Tiberim. Ein observiertes Wirtshaus. Eine junge Frau stürzt aufgelöst heraus, eilt schluchzend die Gasse hinauf. Kurz darauf hastet ein nicht minder aufgelöster Optio aus der Taberna, verfolgt die Flüchtige, kehrt aber am Ende ohne sie zurück. Antias hatte also von Anfang an richtig vermutet. Sie und Avianus kannten sich. Schön und gut. Ihre Anwesenheit in der Castra erklärte das aber noch lange nicht.
    „Das ist die Habitatio von Centurio Iunius Avianus ..“ begann er mit einem vorwurfsvollen Seitenblick auf den nunmehr leeren Putzeimer, „Was zum Orcus machst du hier?“

    [Blockierte Grafik: http://oi58.tinypic.com/2zggn7o.jpg]
    Sextus Peducaeus Hispo


    „Gütige Götter! Wird das heut noch was?“ quengelte Hispo aufgeregt vor sich hin. Seit einer knappen Stunde wuselte er bereits einbalsamiert, gestriegelt und zivil gewandet vor den Baracken auf und ab und zählte nervös die nach und nach eintrudelnden Kameraden. Diese verpennten Bleiärsche schienen es nicht allzu eilig zu haben, in die Stadt zu kommen, dabei konnte sich doch wohl der dümmste Miles ausrechnen, dass die Zahl der Vorstadtnutten endlich war, und längst nicht jeder eine abbekommen würde, wenn sie sich nicht schleunigst auf die Clavi machten! „Was treiben die denn so lange, verdammt nochmal?“


    Grinsend schüttelte Fimbria den Kopf und zeigte auf die vier Nachzügler, die sich nun gemächlich ihren versammelten Einheiten anschlossen „Siehste, da kommen sie.“ Hispo schnaubte wie ein Rennpferd. „Klar! Silus, Laevinus, Tubero und der Cluvier! Diese alten Säcke mal wieder! Brauchen den halben Tag um sich herzurichten und sehen dann trotzdem aus als wären sie gerade erst aufgestanden! Wenn die zu viel Zeit haben, sollen sie sich bei den Huren nachher gefälligst hinten anstellen!“ Marullus kicherte spitz. Fimbria brummte amüsiert. „Ganz ruhig, Kleiner. So wie du duftest, hast du eh keine Konkurrenz zu fürchten. Also los, der Centurio ist abmarschfertig.“


    Untermalt von Hipos’ gutturalem Gegrummel reihte sich das fünfte Contubernium zügig in die Kolonne ein. „Wetten, unser vorausgeeilter Optio hat inzwischen schon alles genagelt, was da rumläuft?“ maulte der erregte Rotschopf dem vor ihm marschierenden Fimbria in’s Genick. „Halt doch einfach mal die Schnauze, Hispo! Und tret mir nicht dauernd in die Hacken!“

    Mit kritisch geblähten Nüstern sah sich Antias im neu entstandenen Nebenraum um. Zugegeben, angesichts der knapp bemessenen Frist, die ihnen dafür geblieben war, hatten der kahle Wirt und seine Bediensteten ganze Arbeit geleistet. Die Wände des einstige Stalles waren frisch getüncht, der Boden großzügig mit Stroh und Spänen eingestreut und vom ehedem verrammelte Durchgang zur Schankstube waren die Türflügel entfernt worden, wodurch sich die Fläche von Rufos’ Elysium fast verdoppelt hatte. Zwar gab es in diesem neuen Teil der Taberna noch keine richtigen Tische und Stühle, aber ein paar grob zusammengezimmerte Bänke und mit Brettern belegte Weinfässer würden ihren Zweck zweifellos ebenso erfüllen. Wirklich gute Arbeit, fürwahr. Aber dieser Mief!


    „Ein bisschen streng riecht es hier schon noch, Rufo.“ Der neben ihm stehende Wirt glotzte gekränkt, schnüffelte ebenfalls und zuckte die Achseln. „Na waf erwarteft du? Da waren vor acht Tagen noch Fiegen drin.“ In der Tat, über den früheren Verwendungszweck der Räumlichkeit ließ der allgegenwärtige Brodem keinerlei Zweifel aufkommen. „Schon, aber ein paar Räucherbecken hätten da sicher Wunder gewirkt, meinst du nicht?“ Rufo wies diese Kritik mit einer wegwerfenden Hangbewegung von sich. „Ach waf. Wenn da mal daf erfte Dutfend von euch reingekotft hat, fällt daf gar nicht mehr auf. Im alten Fankraum hatte ich früher Fweine, riecht man daf etwa?“


    „Naja .. um ehrlich zu sein ..“ begann Antias spöttisch, besann sich dann aber eines besseren und nickte nur knapp. Rufos’ Argument war nicht von der Hand zu weisen. Unter den rund achtzig Urbanern, die in Kürze hier einfallen würden, war wohl keiner, der sich das langersehnte Vergnügen eines zünftigen Gelages von solch banalen Nebensächlichkeiten wie Ziegengestank würde verderben lassen. Rufo war also kein Vorwurf zu machen. Im Gegenteil. Der Wirt hatte sich sogar verblüffend schnell von Antias’ Vorschlag überzeugen lassen, die anberaumte Feier der Dritten Centurie in angemessenem Rahmen auszurichten und seine Taberna im Gegenzug von Antias unter den Offizieren der CU nachdrücklich bewerben zu lassen. Im Grunde konnte der Glatzkopf dadurch nur gewinnen. Zum einen würde er seine Taberna als künftige Adresse für die Offiziersränge in völlig neue Ebenen der Preisgestaltung führen können, zum anderen war er damit nicht mehr auf die schlecht besoldeten Mannschaftsränge angewiesen, die nur an den Kalenden Ausgang bekamen. Zudem ließen sich aus unbezahlten Offizierszechen mitunter höchst vorteilhafte Gefälligkeiten herausschlagen, wenn man einen findigen Geist unter dem kahlen Schädel spazieren trug. Was waren dagegen schon vier Kübel Farbe, ein qualitativ modifiziertes Angebot und ein paar Ziegen, die sicher mit zufriedenstellendem Gewinn verkauft worden waren? Gar nichts.


    „Na schön, vergessen wir mal die Ausdünstungen. Wie sieht’s mit dem Personal aus?“ Irritiert zeigte Rufo auf die beiden neu eingestellten Helfer, die gerade dabei waren, Becher und Wasserschalen auf den improvisierten Tischen zu platzieren. „Schon klar, aber die mein ich nicht.“ grinste Antias den manchmal überraschend begriffsstutzigen Wirt an. Rufo runzelte zunächst die Stirn, patschte sich dann aber von einer jähen Eingebung durchlodert die fette Hand auf die Stirn. „Ach fo ja! Veftina, Planfina, Lufilla und Barfine. Warten oben. Foll ich fie rufen laffen?“ Anias winkte ab. „Nein. Erst wenn alle da sind. Ich sag’s dir dann schon.“ Vier Huren. Antias war etwas bekümmert. Die würden nicht lange durchhalten, schon gar nicht, wenn Hispo sich einmal warmgaloppiert hatte. Ein Jammer, dass Saserna mit diesem furchtsamen Hausdiener durchgebrannt war, die wäre mühelos mit der halben Centurie fertig geworden und hätte anschließend noch Nachschlag verlangt. Aber gut, dann mussten vier Mädchen eben für’s erste reichen. Draußen auf den Gassen trieb sich immer genügend Nachschub herum.


    „Gute Arbeit, Rufo.“ lächelte er den Wirt aufmunternd an. Einerseits tat Rufo ihm leid, denn immerhin war Saserna nicht nur die Haushure sondern sein Eheweib gewesen, andererseits schien der gehörnte Glatzkopf so langsam zu begreifen, dass er letztlich froh sein konnte, den ewig schmerzenden Stachel endlich losgeworden zu sein. „Dann werd ich mal sehen, wo sie bleiben. Ab an die Fässer mit dir.“ Mit einem gutmütigen Nicken schlurfte Rufo in Richtung Coquina davon.


    Antias sah sich noch einmal um, ging dann zur Vordertür, zog den Riegel zurück und trat erwartungsfroh vor die Taberna. Wenn ihn seine Ohren nicht völlig täuschten, näherte sich durch eine der Quergassen ein größerer Haufen plappernder Kindksöpfe mit beschlagenen Caligae.

    Noch immer erfrischt von der Nachmittagsrasur und beflügelt von der positiven Nachricht, die ihn eben in seinem Scriptorium erreicht hatte, stiefelte Antias ausgesprochen guter Dinge zur Habitatio des Centurios hinüber. Wirt Rufo hatte ihn durch eine kurze Botschaft wissen lassen, dass für die Feier alles soweit vorbereitet sei und er dem Besuch der Dritten Centurie mit gespannter Vorfreude entgegensehe. Wunderbar. Alles geritzt. Der Centurio würde sich auch um diese Angelegenheit nicht persönlich kümmern müssen.
    Höchste Zeit für den ersehnte Ausgang war es allemal. Obwohl die Atmosphäre unter den Milites angesichts der bevorstehenden Festvität ausgesprochen gelöst schien, wurden die Männer dennoch Tag für Tag unkonzentrierter. Antias war völlig klar, dass die Stimmung früher oder später kippen würde, wenn der Ankündigung nicht baldmöglichst Taten folgten. Nun denn, mit Rufo’s abgeschlossenen Vorbereitungen stand diesen Taten nun nichts mehr im Wege.


    Natürlich würde sich die Dankbarkeit der Centurie wieder einmal allein über dem Centurio entladen, aber das kratzte Antias nicht im geringsten, daran hatte er sich längst gewöhnt. Hauptsache, die Soldaten kamen hier raus, und ihm selbst würde diese Abwechslung ebenso gut tun wie den Mannschaften. In einem Anflug wohlwollender Inkonsequenz hatte er sich sogar dazu durchgerungen, die Urlaubssperre des passionierten Wachtelzüchters Tubero und seines Contuberniums auf die nächsten Kalenden zu verschieben. Immerhin hatte der alte Veteran die anstregende Zeit des consularischen Interregnums ebenso klaglos durchgestanden wie seine Stubenkameraden. Bis auf drei krank gemeldeten Milites würde also die gesamte Centurie in zwei Tagen ihrem iunischen Leittier zur Tränke folgen.


    Äußerst gut gelaunt betrachtete sich Antias den sonnigen Frühlingshimmel, hob die Hand zu höflichem Klopfen und klopfte. In's Leere. Verwundert fuhr er herum, sah als erstes eine offene Tür und sofort anschließend einen graubraunen Wasserschwall, der alles an ihm – mit Ausnahme seiner kurzgeschorenen Haare – in ein schmutziges triefendes Elend verwandelte. Prustend wischte er sich mit dem Handrücken über die brennenden Augen und blinzelte schließlich in die nebulös undeutliches Scheme eines blassen Gesichtes. "Centurio? Es gibt .. also .. ich bins .." Aber Avianus sagte nichts, und Antias sah nichts. Fluchend packte er sein Focale und fummelte sich damit im Gesicht herum. "Vergebung, Centurio .. ich hab's gleich.." Äußerst peinlich! Aber andererseits war das verdammt nochmal auch keine Art und Weise, mit seinem Untergeben umzuspringen! Bei aller Sympathie!

    Avianus’ Befehl zum Blankziehen ließ Antias zwei Schritte zurückweichen. So lange die Tirones noch nicht mit Übungswaffen ausgerüstet waren, kam man ihnen beim Hantieren mit den Gladii besser nicht zu nahe. Schließlich hatte er nach Dienstschluss noch so einiges zu erledigen wobei sich abgetrennte Finger und ausgestochene Augen als eher hinderlich erweisen hätten. Aus entsprechend sicherer Entfernung betrachtete er sich das noch recht unbeholfene Gefummel, eilte abermals hinter den Reihen entlang, blockte den einen oder anderen allzu ausladend geschwungene Gladius mit dem Hastile und gab wo es besonders nötig erschien verbale Hilfestellung. „Nicht so, Tiro! Handflächen nach außen! ... Ellbogen nach oben, nicht zur Seite! ... Erst hoch damit und dann drehen! ... Pass auf deinen Nebenmann auf, verdammt!“ Natürlich war er sich im Klaren darüber, dass es der Konzentration der Tirones anfangs nicht gerade zuträglich war, von zwei Seiten bebrüllt zu werden, aber daran mussten sie sich gewöhnen, ebenso wie an das korrekte Ziehen des Schwertes, das Halten der Linie und all die unzähligen anderen Dinge, die ihnen im Lauf der kommenden Monate in Fleisch und Blut übergehen würden.


    Schließlich, nachdem auch der letzte Rekrut seine blanke Klinge mehr oder minder elegant aus der Scheide gezerrt hatte, nahm Antias wieder seine Position hinter der linke Flanke ein, um die Ausrichtung der Formation zu kontrollieren. Wie erwartet hatte das wilde Gezerre die Linie sofort wieder in Unordnung gebracht. Da war noch Luft nach oben. Eindeutig. Allerdings musste man den Männern zugute halten, dass kein Kamerad verletzt und vor allem kein Gladius zu Boden gefallen war. Da ihm ohnehin nichts anderes übrig blieb, sah er der weiteren Grundausbildung einfach mit Optimismus entgegen.

    Jo, da gibt es tatsächlich wenig Anhörungsmaterial, ist mir auch schon aufgefallen. Musica Romana und Synaulia sind wohl die einzigen bekannteren Gruppen, die sich mit (möglichst) authentischer römischer Musik befassen
    (Siehe Curio's Link).
    Deswegen tauchen die auch immer wieder im Hintergrund von Historienschinken, zB. bei Gladiator auf, und auch hier in einem kurzen Abriss vom hessichen Rundfunk: Kurzbeitrag HR


    Was mir beim Anhören immer wieder auffällt, ist die Ähnlichkeit zumindest von Tänzen und "Volksweisen" mit der mittelalterlichen Musik. Da hat sich vermutlich über die Jahrhunderte nicht all zu viel verändert. Und was die Sakralmusik betrifft, die findet sich realtiv unverfälscht in den byzantinischen und gregorianischen Chorälen wieder.


    Ich denke, es ist im großen und ganzen so wie du schreibst: Die Römer haben wohl eher summerische, ägyptische und schließlich griechische Musik interpretiert als eine eigene spezifisch römische Musik zu entwickeln.

    Wie immer, wenn sich der Centurio die Neuzugänge persönlich vornahm, hatte sich Antias drei Schritte hinter der Linie postiert und wie immer bei dieser Gelegenheit wurde ihm auch diesmal eine Vorstellung geboten, der ein gewisser Unterhaltungswert nicht abzusprechen war. Während ein paar der neuen Tirones bereits eine vage Ahnung davon zu haben schienen, wie sich Centurio Avianus eine angetretene Linie vorstellte, erinnerte der Rest eher an eine um neunzig Grad gedrehte Warteschlange bei der staatlichen Getreideausgabe. Getrappel, Geschiebe, Gehampel – das bei den Frischlingen übliche Gebahren eben. Alles wie gehabt.
    Relativ entspannt wartete er noch ab, bis der Centurio die ersten Lektionen erteilt hatte, und machte sich dann an die Arbeit. Mit locker schwingender Optiostab schritt er hinter den Rücken der Rekruten die Reihen ab und gab vereinzelt halblaute aber durchaus deutliche Anweisungen, wenn nötig unterstützt durch den sanft energischen Einsatz des Hastile. „Hacken zusammen ... Schultern zurück ... Kinn hoch ... Aufrücken.“


    Langsam, sehr langsam, mauserte sich die ausgefranste Schlangenlinie zu einer einigermaßen ansehnlichen Formation. Für den ersten Tag auf dem Exerzierplatz war das ganz akzeptabel, da hatte er schon Schlimmeres erlebt. Eigentlich hätte er mit dem Ergebnis seiner Korrekturen ganz zufrieden sein können, hätte sich nicht einer der Tirones dazu berufen gefühlt, das Maul auf zu machen. Mit spitzen Ohren folgte Antias dem Geflüster. Aha. Da war sich also jemand zu fein für solch banale Verrichtungen wie dem korrekten Exerzieren und wollte gleich an die Übungspfähle. Hinter einem dürren kleinen Hering, bei dessen positiver Bewertung der Tauglichkeitsprüfung der Optio Valetudinarii offenbar sturzbesoffen gewesen war, kam er schließlich zum Stehen. „RUHE IM GLIED!“
    Für den Fall, dass der geschwätzige Neuzugang zusätzlich zu seinem Knüppelwuchs noch mit Schwachsinn oder Schwerhörigkeit geschlagen war, hämmerte ihm Antias den Knauf des Hastile einmal herzhaft auf den Cassis. „Noch ein Spruch von dir, und du schläfst die nächsten fünf Tage in deiner Rüstung! VERSTANDEN TIRO?“ Antias erwartete keine Antwort. Doch, der hatte gewiss verstanden. Wenn nicht, war bei ihm ohnehin Hopfen und Malz verloren.

    Noch einmal ließ Antias seinen Blick prüfend durch die Unterkunft schweifen, betrachtete dann kurz den gerüsteten Rekruten und nickte. „Gut. Dann wär’s das für heute. Erstes Wecksignal zum Ende der Hora Decima, besser, du wartest gar nicht erst auf’s zweite. Wir sehen uns auf dem Exerzierplatz.“ Alles in allem recht zufrieden ging Antias zurück in den Vorraum, schnappte sich die abgelegte Tabula und drehte sich schon halb aus der Tür noch einmal um. „Ach ja .. und sag deinen Kameraden, sie sollen hier ausfegen. Bis morgen, Tiro.“