Runas war in der sicheren Umgebung des Landgutes aufgewachsen, von ihren Eltern gleichermaßen geliebt, auch wenn sich Runa mehr zu ihrem Vater hingezogen fühlte. Aber das ist wohl normal, es sind die Jungs, die eher am Rockzipfel der Mutter hängen. Schon als sie noch ganz klein war unternahm der Vater Ausflüge in die Natur mit ihr. Auch wenn sie zum wiederholten Male fragte was dies und das wäre, verlor er nicht die Geduld und erkläre es ihr immer und immer wieder. Später, als sie das Verständnisses dafür hatte, erzählt er ihr von den Göttern, von denen ihrer Mutter und denen ihrer Ahnen. Er erklärte ihr auch das er ein Priester der römischen Götter war und deshalb musste er ab und an nach Clarenna. All das Wissen, was ihr Vater sich angeeignet hatte gab er an sie weiter und Runa nahm das Wissen begierig auf. Die Ausflüge mit ihrem Vater wurden seltener, die Geschäfte nahmen ihn zu sehr in Anspruch. Runa unternahm also selbst Streifzüge in die Umgebung, natürlich würde sie nie über Nacht von zu Hause wegbleiben, aber sie war schon so manches Mal den ganzen Tag unauffindbar. Meist drückte sie sich dann im nahe gelegenen Dorf herum. Dort lebten sie noch nach den Bräuchen der Germanen. Auch wenn das Gebiet hier von Römer besetzt war, so waren die Menschen die hier lebten tief in ihrer Heimat und ihrem Glauben verwurzelt. In jenem Dörfchen lebte eine alte Frau, von der Runa viel über Kräuter und die Heilkräfte der Natur lernte. Runa hatte sie gefragt, warum sie am Glauben an die germanischen Götter festhält. „Mädchen, ein Glaube der aus dem Blute kommt, den kann man nicht einfach ablegen.“ hatte sie lächelnd geantwortet und dann gefragt. „Wie viel germanisches Blut fließt durch deinen Adern?“ Runa hatte keine Antwort darauf.
Sie fühlte sich zerrissen, für die einen war sie die Germanin für die anderen die Römerin. Sie selbst wusste nicht was sie war, fühlte sich hin- und hergerissen zwischen den Welten. Aber alles in allem hatte sie eine glückliche Kindheit und ihr Leben verlief im großen und ganzen in geregelten Bahnen bis jener Tag heranbrachte...
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...was ein wunderbarer Tag. Von Tau bedeckt waren die Wiesen, Spinnen hatte ihre Netze gewebt. Im Licht der Morgensonne glänzten die Wassertropfen, in den Farben des Regenbogens. Es würde ein wunderschöner Tag werden. Nein heute war kein Tag um im Haus zu verweilen.
Wer weiß wann es noch einmal so ein schöner Tag werden würde. Die Nächte waren schon recht kühl, Vorboten des herannahenden Winters.
Es kam zwar nicht oft vor, das sie sich vorm Unterricht drückte, aber zuweilen war sie es leid in einer stickigen Stube zu sitzen, dann zog es sie hinaus, hinaus in die Natur. Und gerade an Tagen wie heute, wo die Sonnen zum Ende des Sommers noch einmal die Erde küsste und sich in ihrem Schein ein gar prächtiges Farbenspiel bot. Runa hatte sich also davongestohlen und den Unterricht geschwänzt. Sie war mit einigen Kinder der Leibeigenen losgezogen. Ihr war es egal, dass es Unfreie waren, sie mochte sie und die Kinder mochten Runa.
Sie waren über die sonnengelben Felder gestreift, hatten auf der Wiese gelegen, in den Wolken nach Bildern gesucht und ein paar Tiere beobachtet. Runa war von dem Farbenspiel der Natur beeindruckt, das Sonnengelb der Felder, das Grün der Nadelbäume, die vielen verschiedenen Rottöne, welche der Herbst auf die Blätter der Laubbäume zauberte.
Auf der Wiese hatten sie noch einen großen Strauß Blumen gepflückt, sie hatte ihn, zumindest ein Teil davon, ihrer Mutter schenken wollen.
Den anderen sollte ihr Vater bekommen, schließlich war er diese Jahr noch nicht viel raus gekommen, erst die Krankheit, die ihn gezwungen hatte im Bett zubleiben und nun hielt ihn die Arbeit davon ab.
Ihre Mutter jedoch hatte keinen Sinn dafür, sondern hatte sie natürlich, ja vielleicht sogar zurecht, zusammengestaucht, dafür dass sie sich vorm Unterricht gedrückt hatte. Natürlich gab es wieder einen Vortrag von wegen aus dir wird ja eh nichts, wer will schon so eine zur Frau, was soll bloß werden. Wir werden dich wohl versuchen mit irgendeinem Tölpel zu verheiraten.
Runa hatte die neuerliche Schimpftirade ihrer Mutter über sich ergehen lassen, die Drohung mit dem verheiraten nahm sie hin, denn sie wusste, das ihr Vater sie sicher nicht irgendeinem Tölpel zur Frau geben würde.
„Du hast ja recht Mutter, ich bemühe mich ja auch wirklich. Aber schau der Tag war so schön. Ich werde mich bessern.“ Ihre Mutter hatte nur den Kopf geschüttelt sie hatte eben solche Beteuerungen schon ein mal zu oft gehört. „An all dem ist nur dein Vater schuld, er hat dir solche Flausen in den Kopf gesetzt.“ Nun wurde Runa wirklich böse, auch wenn sie ihre Mutter liebte, aber auf ihren Vater ließ sie nichts kommen. „Lass Vater aus dem Spiel!“
„Ja ja verteidige ihn nur, tust du ja sowie so immer, womit habe ich das nur verdient.“ womit ihre Mutter wieder in ihre übliche Theatralik verfiel, die aber bei Runa inzwischen keine Wirkung mehr zeigte. „Ach er will dich in seinem Arbeitszimmer sehen.“
Mist Mutter hatte sie bestimmt - nein Mutter hatte sie ganz ohne Zweifel bei ihrem Vater angeschwärzt, weil sie nicht beim Unterricht war. Warum so sonst sollte er sie extra zu sich bestellen? Ein entsprechendes zerknirschtes Gesicht machend, sich hinter dem riesen Blumenstrauß versteckend betrat Runa also das Zimmer ihres Vaters.
Bei seinen ersten Worten zuckte sich zusammen. 'Verdammte Axt, er ist wirklich sauer.' dachte sie, bis sie seine Frage hörte. Schon zeigte sich ihr strahlendes Lächeln und sie lugte hinter den Blumen hervor. „Schau mal Vater, für dich, du kommst ja so selten raus hier da dachte ich mir, ich bring die Natur zu dir.“ Sie legte die Blumen auf den Tisch und versuchte sich an einem schuldbewussten Gesicht. „Mutter hat gesagt du willst mich sehen. Ich kann alles erklären. So einen schönen Tag wie heute kann man doch nicht in einer stinkigen Stube verbringen, da stimmst du mir doch sicher zu?“ Runa hatte die Hoffnung, nein eigentlich wusste sie, wenn sie jemand verstehen würde, dann er.
„Außerdem Vater zum lernen ist doch auch noch in den langen Wintermonaten Zeit.“ stellte sie fest und sah ihn dabei vertrauensvoll mit ihren blauen Augen, die einen einen kristallklaren See erinnerten, an.
[SIZE=6]*wörtliche Rede kenntlich gemacht[/SIZE]