Beiträge von Nero Germanicus Ferox

    Ein Trüppchen Prätorianer ging am Rande des Exerzierplatzes entlang. Einer von ihnen sah aus, als sei er ein hohes Tier, aber so genau kannte Ferox sich da noch nicht aus. Die Schwarzröcke wurden langsamer und derjenige, der wohl ihr Befehlshaber war, beobachtete die marschierende Formation der angehenden Urbaner. Einige der Tirones nahmen sofort eine strammere Haltung an.


    Ferox erinnerte sich daran, dass Antias ihm erklärt hatte, die Prätorianer würden ihre Mitglieder aus den anderen Einheiten rekrutieren. Offenbar hegten einige der frischgebackenen Rekruten entsprechende Hoffnungen, denn sie gaben sich besonders große Mühe, ordentlich zu marschieren, was meistens jedoch lediglich zur Folge hatte, dass sie so steif daherstaksten als hätten sie einen Besen im Arsch.


    Ferox für seinen Teil hegte eher die Vermutung, dass die Schwarzröcke sich über die grässlich schiefe Formation amüsierten. Seinem Vordermann lief das Blut von den Fersen und seine eigenen sahen wohl nicht besser aus. Ein Riemen seiner Caligae scheuerte in einer offenen Wunde, welche von der benagelten Sohle seines Hintermannes in seine Hacke gerissen worden war. Nein, ein ehrwürdiger Anblick waren sie sicher nicht.


    Dennoch hatte er nach wie vor gute Laune. Für ihn, der seine Kindheit fast allein in einer Waldhütte verbracht und nur sporadischen Kontakt zu Gleichaltrigen gehabt hatte, so dass es in seinem Leben viel nachzuholen gab, erschien dies alles wie eine riesengroße Spielwiese für Erwachsene.


    Er ahnte noch nicht, dass ihm diese Unbekümmertheit schon in wenigen Tagen ausgetrieben werden sollte und ihn wortwörtlich auf den harten Boden der Tatsachen befördern würde, wobei ihm das erste Mal klar bewusst wurde, dass der ganze 'Spaß' in der Castra ihn darin schulen sollte, das Recht Roms durchzusetzen - und zwar mit allen Mitteln.

    Ferox machte den größten Fehler am heutigen Tage.


    Obwohl ihm schon die Hinrichtung des ersten Deliquenten heftig zugesetzt hatte, drehte er sich noch einmal nach dem Richtplatz um, wobei er so tat, als schaute er nach seinem Centurio, ehe sein Blick scheinbar beiläufig zum eigentlichen Geschehen huschte. Was er dann sah, fühlte sich an wie ein Faustschlag in die Magengrube.


    Da war ein roter, zerhackter Klumpen, der einmal ein Kopf gewesen war, die hintere Hälfte des Gehirns hing schlaff heraus, leuchtete hellrosa in dem dunklen Blut. Und das Schlimmste daran war, dass der Deliquent sich noch bewegte. Sein Körper zuckte unkontrolliert und er stieß Laute aus, die nicht mehr menschlich waren.


    Ferox` Körper folgte der Drehung seines Halses, er stürzte verleiert in Richtung der weißen Bodenkacheln, die in der Wintersonne leuchteten, als fiele er in einen See aus Licht. Die Fugen wurden zu einem schwarzen Gitter, welches ihn vom Lichtermeer aussperrte, auf das er zuraste. Der zerhackte Schädel, auf den er starrte, wurde zu einem roten Fleck, der übermächtig anwuchs, während Ferox fiel, eine pulsierende rote Sonne, die ihr Rot in das Weiß ergoss und Ferox angrinste, der hart auf das dunkle Gitter prallte.


    Verdreht lag er da auf dem Platz und rührte sich nicht mehr.

    Vergnügt marschierte Ferox. Das hier machte ihm richtig Spaß! Dass seine Hacken von den nagelbeschlagenen Sohlen seines Hintermanns bluteten und sein Vordermann auch schon blutige Achillessehnen hatte, trübte seine Laune nicht im geringten.


    Als es um eine enge Kurve ging, musste er fast auf der Stelle marschieren, während die Kameraden an der Außenseite fast Ausfallschritte machten. Der Block geriet in Unordnung, einige mussten rennen, um wieder Anschluss zu finden. Ferox trat an der Stelle und freute sich.


    Dann ging es in die andere Richtung und gehörte er zu denen, die so riesige Schritte machen mussten. Da er nicht gerade der Größte war, war das anstrengend und sah alles andere als elegant aus. Einer seiner Kameraden, ein bärtiger Lulatsch auf der Innenseite, hatte das umgekehrte Problem. Er hatte Mühe, seine langen Beine zu sortieren. Er sah aus wie ein Storch zwischen watschelnden Enten. Am einfachsten hatten es die Kameraden in der Mitte. Immer wieder fluchte es leise, wenn jemand die Nagelsohlen in die Fersen bekommen hatte.

    Von den Baracken kommend, standen Ferox und Frugi nun vor dem länglichen Gebäude mit den kleinen Fenstern.
    Eine lange Warteschlange befand sich vor den beiden frischgebackenen Tirones, so dass sie getrost noch ein Weilchen plaudern konnten.


    "Ob ich mich mit meinem Bruder schon immer so gut verstanden habe, fragst du?" Ferox lachte gequält. "Du kannst das nicht wissen, aber ich habe Antias gestern das erste Mal in meinem Leben getroffen. Wir sind getrennt voneinander aufgewachsen, da wir zwar den selben Vater, aber unterschiedliche Mütter haben."


    Ferox blinzelte Frugi freundlich zu. Er verspürte wenig Lust, schon zu dem rotgesichtigen Kauz in die Baracke zurückzukehren, und so plauderte er noch ein wenig weiter mit seinem neuen Kameraden. Frugi würde sich sonst ohnehin bloß langweilen, bis er an der Reihe war.


    "Wenn du es genau wissen willst - bis gestern hätte ich Antias am liebsten Pest und Cholera an den Hals gewünscht! Aber nun ... nun bin ich froh, dass ihn hier in meiner Nähe habe ... es hört sich dämlich an, aber ich habe richtig Schiss davor, ihn wieder aus den Augen zu verlieren. Er ist mir in den wenigen Stunden sehr ans Herz gewachsen. Darum bin ich vielleicht etwas überschwänglich." Er räusperte sich verlegen.


    "Und du bist Einzelkind, ja? Hast du dir Geschwister gewünscht oder hast du es genossen, das Nesthäkchen zu sein?"

    Avianus brüllte einen neuen Befehl. Ferox war erleichtert. Geschissen auf den freien Platz für die Patrizierin!
    "Los, Frugi, denen zeigen wir, wer hier das Sagen hat!"


    Endlich konnten sie sich ordentlich verteilen! Als er bemerkte, dass Sulca ihnen zu Hilfe kam, schien es Ferox, als ob die Kampfeslust des sauertöpfischen, aber effektiven Miles ihn ansteckte. Aufgestachelt durch das Adrenalin, das seinen Körper durchflutete als stünde seine Haut in Flammen, stieß Ferox einem der vordrängenden Zuschauer den Schild vor die Brust, so dass diesem geräuschvoll die Luft aus den Lungen wich und stieß ihn dann zurück in die Menge. Dann einen zweiten. Und einen dritten. Er stellte sich vor, dass jeder einzelne es gewesen war, der ihm den Kohl gegen den Helm gedonnert hatte.


    "Zurück hinter die Linie, oder es gibt heute noch mehr Verletzte als nur die Verurteilten", brüllte er. Die Angst war von ihm gewichen, zusammen mit aller Erschöpfung und allen störenden Gedanken. Dafür hatte eine verdammt schlechte Laune diesen leeren Raum in seinem Kopf eingenommen.

    "Ach, Frugi! Wir hatten gerade von dir gesprochen. Das Essen gibt es im Horreum, da erhältst du eine Ration für die nächsten paar Tage. Das liegt in der Nähe vom Armamentarium, dort, wo die lange Schlange von Tirones steht. Du kannst es nicht verfehlen! Ach was rede ich, komm einfach mit, sonst verhungerst du, ehe du da bist."


    Er verabschiedete sich von seinem Bruder (nicht ohne ihm noch einmal zu beteuern, wie toll der Armhebel war und noch einmal ausgiebig auf auf seiner Schulter herumzuklopfen, sowie der Klarstellung der Tatsache, dass sie sich unbedingt bald wieder treffen mussten - so viel Zeit muss sein) und schnappte sich Frugi. Er führte ihn zwei mal um die Ecke und da sahen sie schon die Schlange der Wartenden.


    "So, da wären wir! Soll ich dir noch ein wenig Gesellschaft leisten, bis du dran bist?"

    Beruhigt nickte Ferox. Die kurze Angst, die in ihm aufgekommen war, ein lächerlicher Witz von einem Urbaner zu sein, der wie ein kleines kläffendes Hündchen erschien, verschwand wieder. Die Betten waren ein Argument, das ihn überzeugte. Die anderen hier waren einfach alle überdurchschnittlich groß, nicht er zu klein. Und spätestens, wenn er die Caligae mit den dicken Nagelsohlen an den Füße hatte und die schicke Lorica am Leib, würde auch Caius Normalrömer ihn respekteinflößend finden, hoffte er. Und wenn nicht ihn, dann zumindest die Kameraden, die ihn begleiteten, was fast genauso gut war.


    "Du hast wohl recht. Ich mache mir wahrscheinlich völlig umsonst `ne Platte. Frugi hat es da wohl eher schwer, der muss aufpassen, dass sie ihn nicht mit einer herumstehenden Hasta verwechseln, wenn er an der Wand steht."


    Apropos Frugi ... was machte der gerade? Ferox blickte in Richtung seiner Baracke. Frugi probierte bestimmt gerade seine Lorica an, wie Antias es ihnen geraten hatte. Zumindest deuteten die polternden und schabenden Geräusche und die Stimmen, die aus der angelehnten Tür drangen, darauf hin.


    "Ich muss dann wohl mal wieder. Pupillus erwartet mich bestimmt schon sehnsüchtig."


    Bei dem Gedanken, jetzt den kleinen Wüterich in seinen Panzer hineinzustopfen und sich mit den ganzen Schnüren und Schnallen abzumühen, während er tobte, verließ Ferox die Lust, aber nun ja, man konnte sich seine Kameraden nicht aussuchen und Pupillus gehörte jetzt zu seinem Contubernium. Und letzen Endes war er selber ja auch nicht frei von Fehlern.

    "Ich wachse höchtens noch in die Breite. Zumindest hoffe ich, dass ich das noch tue, wenn die Götter schon so bei meiner Größe gegeizt haben", schmunzelte Ferox, der sich brav hatte abklopfen und die Kleidung richten lassen.


    Er folgte dem Rat seines Bruders, zog den zweiten Schuh auch noch aus und warf ihn in das gleiche Fenster, in dem auch schon der erste verschwunden war. Es polterte, jemand wetterte auf die scheiß Neulinge und kam ans Fenster. "Noch so eine Schote und du kannst dir deine Latschen aus dem Gesicht operieren lassen!" Der Miles warf Ferox beide Schuhe vor die Füße. Der bedankte sich, sammelte sie auf und zog sie wieder an die Füße. "Jetzt sind es wieder zwei und ich kann mich halbwegs sehen lassen."


    Er betrachtete sein Spiegelbild in einer Pfütze. Dann betrachtete er Antias. Dann wieder die Pfütze.
    Einen Moment rang er mit sich, dann fragte er: "Mal ehrlich, bin ich wirklich so klein? Oder täuscht das?" Antias musste sicher bald wieder los. Aber das musste Ferox noch wissen. Es lag nur an den Schuhen ... oder?

    Die Welt drehte sich, während Ferox schielend, auf dem Rücken lag und versuchte, sich wieder zu sammeln. Er blinzelte ein paar mal, fünf rosa Würste erschienen direkt vor seinen Augen, die sich, als er noch ein paar Mal geblinzelt hatte, als Finger einer Hand entpuppten, die ihm jemand vor die Nase hielt.


    "Der hat gesessen", krächzte Ferox. Sein Blickfeld schärfte sich, die Hand war befestigt an einem dürren Ärmchen, das wiederum an einem Tiro hing. "Du hast was gut bei mir, Frugi", ächzte er und wollte gerade nach der Hand greifen, als er sah, dass der Henker sein Schwert ergriff. Also wartete er noch mit dem Aufstehen und verleierte den Kopf, wobei sein neuer Helm sich die ersten Schrammen auf dem Pflaster einfing, um zu beobachten, was nun mit dem Verurteilten geschah.


    Zwei Hiebe brauchte der Henker. Es war nicht kurz, es war nicht schmerzlos und schon gar nicht leise. Entweder er war der Carnifex ein Stümper oder ein Sadist, so wie wahrscheinlich der Magistrat einer war, der das Ganze mit sichtbarer Zufriedenheit verfolgte. Ferox hätte dessen begeisterte Miene im Angesicht von so viel Elend komisch gefunden, wenn ihm nicht so übel wäre. Ihm war nicht übel wegen dem Blut und auch nicht wegen dem Töten an sich, beides kannte er von der Jagd, doch das Kreischen und Zucken des Mannes bohrte sich tief in seinen Schädel und in sein Herz hinein, so dass er schließlich doch den Kopf wegdrehte.


    "Oh, Mann ..."


    Diesen Anblick würde er sein Lebtag nicht wieder vergessen!


    "Ist mir ... schlecht ..."


    Er zog sich an Frugi auf die Beine. Er taumelte einen Moment, den Blick starr auf den Kopf gerichtet, den der Carnifex erbarmungslos an den Haaren in sein Sichtfeld trug, um ihn herumzuzeigen, wobei er eine Spur aus roten Flecken auf dem weißen Platz hinterließ. Ferox drehte sich noch weiter weg und hielt sich die Hand vor den Mund. Er musste ein paar Mal würgen, doch in weiser Voraussicht hatte er heute auf sein Frühstück verzichtet, so dass er seinem Centurio die Schmach eines vor versammelter Menge kotzenden Urbaners ersparte.


    Zum Glück war das da nur ein Mörder. Ferox war froh, Urbaner zu sein und selbst auch zukünftig seine Waffen nur gegen Verbrecher richten zu müssen. Die Jungs bei der Legion hatten es da schwerer ... sie zogen gegen völlig normale Männer in den Kampf, die nichts weiter getan hatten, als auf der falschen Seite der Grenze geboren zu sein. Nee, Urbaner zu sein war schon besser. Da erwischte es wenigstens nur Leute, die es auch verdienten, so wie den da. Dem war es immerhin auch egal gewesen, wie sich sein Opfer fühlte oder dessen Familie.


    Blass, aber etwas beruhigt wandte Ferox sich wieder der Menge zu.

    Ferox redete zwar gerne, aber nicht unbedingt dann, während alle anderen schwiegen, so hatte er sich mit aufmerksamem Zuhören begnügt. Vieles davon hatte ihm schon sein Bruder erzählt, als er ihm die Cohortes Urbanae schmackhaft gemacht hatte, aber nicht alles und so war für ihn auch genügend Neues dabei.


    Er reihte sich wie befohlen in die Marschkolonne ein, wurde noch einmal zurechtgerückt, als der Centurio die Reihe abschritt und marschierte dann los. Durch seine langen Wanderungen, wenn er die Fallen kontrollierte, hatte er kein Problem damit, in flottem Schritt zu gehen, wahrscheinlich würde die Übungsmärsche eine der wenigen Möglichkeiten für ihn sein, auch mal zu glänzen. Beim Rest war er wohl eher durchschnittlich oder schlechter, wenn er sich die meisten seiner Kameraden so ansah. Immerhin machte die Ausbildung bisher Spaß, sogar die Liegestütze fand er im Nachhinein lustig und aufgefressen hatte Avianus bisher auch noch niemanden.


    "Lae-vum! Lae-vum!"


    Ferox marschierte. Sein Hintermann trat ihm das erste Mal in die Hacke, aber Ferox ließ sich davon nicht weiter stören und marschierte weiter.

    "Vespa wurde also angenommen, ja?", fragte Ferox und nahm den Wasserschlauch entgegen. "Das sind gute Neuigkeiten! Dabei hätte ich schwören können, dass sie bei den Liegestützen versagt. Ich werde ihr dann zur Feier des Tages mal was zum Knabbern bringen." Er trank ein paar Schlucke, während er Antias zuhörte. Köstliche, erfrischende Posca! Nicht zu sauer, nicht zu lasch. "Ich hätte mir damals doch einen Hengst kaufen sollen ... du glaubst nicht, wie viele solche Sprüche man zu hören bekommt als Reiter von `ner Stute!" Er grinste dreckig und stieß Antias den Ellebogen in die Seite. "Aber du musst zugeben, sie hat ziemlich heiße Ohren. Wie soll man da wiederstehen!"


    Die Zuschauer gingen wieder ihrer Wege. Ferox trank noch einen Schluck der herrlichen Posca - und noch einen - ehe er dem Besitzer des Wasserschlauches sein Eigentum zurückreichte. Der Schlauch war ziemlig schlaff im Vergleich zu vorher und der Besitzer zog einen Flunsch, ehe auch er abzog.


    Ferox zog seine Tunika wieder ordentlich zurecht und rückte den verdrehten Gürtel richtig herum. "Also wegen dem Sehtest ... der Optio hat scheinbar schon was geahnt. Wahrscheinlich sieht man mir an, dass ich nicht lesen kann. Er hat mir gleich eine Wachstafel in die Hand gedrückt und ich sollte die Buchstaben - oder waren es Zahlen? - abmalen. Mir ist bald der Schädel geplatzt! Ich habe jetzt noch Kopfschmerzen von den ganzen Strichen! Die sehen sich alle so ähnlich und sich dabei nicht zu verzählen, wenn mehrere von den Senkrechten hintereinander kommen, ist gar nicht mal so einfach. Weißt du, die ohne alles, die einfach wie ein Stock aussehen. Scheint aber trotz Knoten im Hirn alles richtig gewesen zu sein."
    Er klopfte sich ab, aber die Erde war feucht, so dass sie sich nicht abklopfen ließ und er sah von oben bis unten aus wie ein Schwein. Ein Schwein mit einer Sandale. "He, hast du meinen Latsch gesehen?"

    "Schnell! So helft ihm doch, er erstickt!", rief Ferox. Jemand brachte eilig einen Wasserschlauch und reichte ihn Antias, der theatralisch auf dem Boden rollte. Hoffentlich war irgendwas mit Geschmack darin, sein Fuß hatte sicher nicht nach Erdbeeren geschmeckt.


    Anschließend reichte Ferox seinem Bruder lachend die Hand, um ihn auf die Füße zu ziehen und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. "Du bist wirklich gut! Ich möchte kein Halunke sein, wenn du gerade Patroullie schiebst. Den Armhebel musst du mir bei Gelegenheit mal zeigen."


    Er kreiste mit der schmerzenden Schulter und bewegte seinen Unterarm, während die Zuschauer ihre Wetteinsätze an einen einzigen Mann auslieferten, der breit grinste. "Ich hab`s euch ja gesagt", sprach er immer wieder. Er würde die nächsten Tage keinen Hunger leiden, so viel stand fest. Der Mann, der einen kompletten Käselaib verwettet hatte, grinste schief, öffnete einen Beutel, den er bei sich trug und holte einen winzigen Käse heraus, nicht größer als seine Faust und warf ihn einem der Soldaten zu. "Da, Aventiner Kräuterhappen. Teilt euch rein! Ich hab zum Glück noch neun andere."

    Ferox keuchte noch immer und er wollte sich gerade heimlich den Schweiß aus dem Gesicht wischen, als Avianus herumschwenkte und ihn Ansprach. Er ließ sich nicht anmerken, ob er ihn erkannte, aber wahrscheinlich hatte er als Centurio ein hervorragendes Gedächtnis für Personen, um immer zu wissen, wen er anpflaumen musste.


    "Tiro Germanicus Ferox", stellte er sich vor und erwartete das Schlimmste, weil er seinen Vorgesetzten im Fahnenheiligtum einfach mit einem Vale abgespeist und dann stehen gelassen hatte.


    Doch die Frage war nicht halb so fies, wie Ferox befürchtet hatte. Eigentlich schaute Avianus sogar relativ nett drein, wenn man seinen Gesichtsausdruck mit dem vor ein paar Minuten verglich.


    Zum Glück hatten gestern Abend neben dem üblichen Vorstellungsgeplänkel und der Klärung der Frage, weshalb genau jeder einzelne von ihnen hier war und wer wann die gemeinsame Handmühle benutzen durfte auch produktive Gespräche stattgefunden.


    "Die ersten zehn sind die Prätorianer und man hat die Nummerierung einfach fortgesetzt" - weil wir so viel toller als die Schwarzkutten sind, dachte er und musste über seinen eigenen flachen Witz schmunzeln - "damit man in der Verwaltung mit den Zahlen nicht durcheinanderkommt."


    Musste er jetzt noch die Anrede des Centurios hinterherschicken? Er tat es einfach.
    "... Centurio Iunius Avianus." Mit Gensnamen. Er hatte es sich gemerkt.

    Der freigeräumte Platz war der Dame offenbar nicht groß genug, zumindest machte sie keinerlei Anstalten, diesen in Anspruch zu nehmen. Die Menschenmasse drückte von hinten nach und Ferox hatte alle Mühe, den Platz länger freizuhalten. Obwohl Frugi ihm zu Hilfe gekommen war, merkte man sehr deutlich, dass ein Mann weniger zum Halten der Linie zur Verfügung stand.


    "Verflucht noch eins", knurrte er. Wie ein Meer um zwei Felsen herum quoll die Menge zu beiden Seiten an ihm und Frugi und dem freien Platz für die Patrizierin vorbei in Richtung der Verurteilten. Verdammt, sie hätten sich dringend besser verteilen müssen aber nein, stattdessen waren er und Frugi hier festgenagelt, bis die Dame sich endlich einmal bequemte, den Platz zu besetzen!


    Hilfesuchend drehte er sich nach seinem Centurio um, als ein heftiger Schlag ihn von den Füßen riss. Ferox ging zu Boden wie ein gefällter Baum, ein Kohlkopf kullerte neben ihm übers Pflaster.

    Ferox drehte sich über die Schulter nach hinten, um den Centurio anzusehen, während dieser mit ihm sprach. Er antwortete mit einem zackigen "Jawohl!" und drehte sich dann wieder zu der geifernden Meute um. Einige hatten den kurzen Moment genutzt, um ein Stück nach vorn zu treten und ihre Zehen ragten über die Linie. Ferox trieb sie wieder zurück. Das konnte ja heiter werden!


    "Ihr habt es gehört! Die Dame da braucht Platz!"


    Er scheuchte die murrenden Leute an der besagten Stelle noch etwas weiter nach hinten, was gar nicht so einfach war, weil es nach hinten hin immer mehr Zuschauer wurden und der Gegendruck beständig stieg.


    "Frugi! Ich könnte ein bisschen Unterstützung gebrauchen!", rief er seinem Kameraden zu und hoffte, dass dieser nicht gerade selber alle Hände voll zu tun hatte.

    Ferox verteilte sich, wie befohlen.


    Zumindest versuchte er, so wie seine Kameraden, an möglichst vielen Stellen gleichzeitig zu sein, denn für den ganzen Platz waren sie recht wenige, fand er. Er mühte sich, auf breiter Linie die Zuschauer zurück zu drängen, welche nur allzu begierig darauf brannten, die Details des Spektakels aus der Nähe zu betrachten. Zu diesem Zwecke machte er sich selber so groß und breit wie es möglich war, um dabei noch normal gehen zu können und blickte grimmig.


    "Zurück hinter die Linie da", befahl er und wies auf eine markante Reihe andersfarbiger Bodenkacheln. "Hinter die Linie, sage ich!" Er schritt die Front der Zuschauer entlang und sah jedem, der auch nur mit einem halben Fuß über die bunten Kacheln trat, so bösartig in die Augen, als würde er gleich über ihn herfallen und als könne er sich nur mit Mühe davon abhalten, ihn in Stücke zu reißen. Bei der Jagd hatte ihm dieser Blick immer gute Dienste geleistet, um die Tiere in eine gewünschte Richtung zu treiben. Es klappte auch ganz gut. Zumindest bisher, wenn es erst richtig losging, würde es sicher noch schwieriger werden.


    Das einzige Ärgerliche war, dass Ferox nun mit dem Rücken zum Spektakel stand. Hätte er sich doch nur wie der Decimus vorgedrängt, um der Miesmuschel Sulca bei den Gefangenen zu helfen anstatt brav auf Anweisungen zu warten! Das hatte er nun davon.


    Er hoffte, dass der Tiberier wenigstens noch ein paar Details über die Mörder und die Hinrichtung verlauten lassen würde, damit er wenigstens etwas zu hören hatte, wenn er schon nichts sah. Nicht, dass er blutgierig wäre, nein, es war eher neugieriges Interesse. Immerhin war dies seine erste Hinrichtung und die Männer waren Mörder. Da war Mitleid fehl am Platze.

    Das Gelenk seines Ellebogens zwiebelte, dann wurde der Schmerz zu einem heftigen Stechen, das schnell unerträglich wurde. Ferox versuchte, mit purer Muskelkraft dagegen zu halten, doch das schaffte er nicht lange. Da er oben fixiert war, verleierte er den Unterkörper und trat mit den Beinen in die Luft, wobei eine seiner Sandalen davon flog, in die er aus Faulheit nur hineingeschlappt war, ohne sie zu verschnüren.


    Die Sandale flog in ein offenes Fenster, aus dem daraufhin erst ein Fluchen, dann Gelächter erklang. Auf Antias' Hebelgriff hatte weder das noch sein Gehampel irgendeine Wirkung. Hatte er ihn eben noch Pilum-Arm genannt? Seine Arme schienen aus Gusseisen geschmiedet zu sein!


    "Vespa? Jetzt hast du wohl auch noch mein unschuldiges Muli als Geißel genommen, was? Du willst es also nicht anders!", japste Ferox. Nur mit Mühe konnte er seine Schmerzenslaute unterdrücken. Der Griff war verdammt fies, den musste er sich merken. "Du willst also die Geheimwaffe! Du sollst sie bekommen!"


    Mit diesen Worten verrenkte er sich und presste Antias den nackten Schweißfuß mitten ins Gesicht.
    Ein paar Münzen prasselten auf sie herab und klimperten, als sie auf Antias`Rüstung trafen.
    "Also DAS ist unfair", fand jemand.


    Sim-Off:

    P.S. Wenn du magst, kannst du den Kampf jetzt mit einem Sieg für Antias beenden, ehe der Kamerad mit dem Käse seine Wette noch gewinnt^^

    Nachdem Avianus sie endlich erlöst hatte, blieb Ferox erst mal ein paar Augenblicke der Länge nach auf dem Platz liegen wie ein flachgeklopftes Schnitzel. Sein Brustkorb hob und senkte sich mit raschen Atemzügen. Seine Arme lagen wie nutzlose Anhängsel neben ihm, wie Marionettenarme, deren Fäden durchtrennt worden waren und schienen in Flammen zu stehen. Einzig das Bewusstsein, dass Ferox nicht der Einzige war, der sich so erbärmlich angestellt hatte, tröstete ihn.


    Auf das Kommando des Centurios hin erhob er sich und nahm Haltung an, so gut er das mit seinen verkrampften Muskeln noch konnte. Sein Kopf war so rot, dass er Pupillus Konkurrenz machte und Schweißtropfen glitzerten in seinen Augenbrauen.


    Er genoss die lange Ansprache von Avianus, denn sie war gleichbedeutend mit ein paar Atemzügen Pause für die Geschundenen. Hoffentlich kam jetzt erst einmal der theoretische Teil!

    Nachdem Avianus ihm die Arme etwas weiter auseinandergestupst hatte, ging es leichter - aber immer noch schwer genug. Trotz der winterlichen Temperaturen lief Ferox der Schweiß von den Schläfen.


    Bei Zwanzig zitterten seine Arme und er hatte Mühe, die Hüfte wieder auf eine Linie mit dem Rest des Körpers zu bringen. Bei Neunundzwanzig knickten seine Ellebogen nach außen und sein Bauch landete auf dem Boden. Schöne Scheiße!

    Ferox kam nicht mehr dazu, dem Bekannten seines Bruders ein Saftsack! hinterherzuschicken. Plötzlich geriet die Welt in eine Schräglage. Die zum Zwecke des Sprechens eingeatmete Luft entwicht mit einem geräuschvollen "Umpf!", als Ferox rücklings auf der festgetrampelten Erde landete. Er sah die Füße des Kameraden davonspazieren, der Rest des Blickfeldes wurde von seinem Bruder versperrt, der ihn umgestoßen hatte. Doch bevor Antias es sich auf ihm allzu bequem machen konnte, nutzte Ferox den Schwung des Sturzes und rollte samt seinem Bruder einmal herum. Götter, war der Kerl schwer mit der Rüstung!


    Die Rangelei setzte sich auf dem Boden fort, während jeder versuchte, den anderen so zu fixieren, dass er sich nicht mehr wehren konnte. Ein paar Schaulustige hatten sich versammelt und feuerten sie lautstark an. Die ersten Wetten wurden abgeschlossen.


    "Fünf Eier, dass Antias gewinnt!"
    "Die Wette halte ich."
    "Ich setz auf den Kleinen."
    "Der ist neu, der scheißt ab."
    "Ein Laib Käse, dass gleich der Optio auftaucht und für Ordnung sorgt!"


    "Zum Glück setzen Zuschauer einen überhaupt nicht unter Druck", ächte Ferox, während er sich bemühte, seinen Bruder zu bändigen. Aber an dem Feixen in seinem Gesicht sahen auch die Uneingeweihten, dass es sich hier nur um Spaß handelte - was sie nicht davon abhielt, weitere Wetten abzuschließen. "Gib auf, Pilum-Arm!", grölte er.