Beiträge von Nero Germanicus Ferox

    <<


    Da war sie, ihre kuschelige Baracke, die letzte, bevor die Mauer kam. Mit dem verschneiten Dach und dem Licht, was von drinnen durch die Fenster fiel, sah sie fast wie ein zu Hause aus. Schade nur, dass der Schnee morgen wieder weggetaut sein würde.


    Da weder er noch Frugi unter all den Lebensmitteln einen Arm frei hatte, klopfte Ferox mit dem Schuh an die Tür. Pupillus, der direkt neben der Tür schlief, öffnete mürrisch. Die Handmühle war nicht mehr in seinem Besitz, dafür sah er recht staubig aus von all dem Mehl.


    "Salve", grüßte Ferox und drängelte sich an ihm vorbei zur Kochstelle, wo schon die anderen saßen. Da sich ihre Betten gleich daneben befanden und er hungrig war und nicht erst ewig alles einsortieren wollte, lud er Frugis Vorräte gleich auf dessen Bettdecke. Dann verschwand er und kam kurz darauf mit seinem Kochgeschirr und einigen Lebensmitteln aus seinen eigenen Vorräten wieder.


    "Rutsch mal zur Seite", sagte er zu einem Kameraden, der sich recht breit machte, um am Feuer Platz für sich und Frugi zu schaffen. "Jetzt zeig ich dir mal, wie man was Nahrhaftes zubereitet", erklärte er. "Such dir aus deinem Zeug aus, was du heute essen willst und ich koch dir was Feines."

    Auf Ferox' Kommentar bezüglich der Kuscheligkeit zog Frugi ein schiefes Gesicht, aber sagte nichts. Armer Bursche, für ihn war das alles wohl jetzt schon unangenehm eng. "Du darfst am Rand schlafen", entschied Ferox gnädig. Vielleicht würde es Frugi das Ganze etwas leichter machen. Er nahm dem Burschen etwas von dem Berg an Lebensmitteln ab, den er mit seinen Armen umklammerte. Ein paar Äpfel kullerten - natürlich - davon. Einer platzte. Natürlich.


    "Ich geb dir dann einen Neuen", sagte er, während er alles einsammelte, ehe sie sich auf den Weg zurück in ihre Baracke machen. Der zermatschte Apfel musste natürlich auch mit, wäre ja Verschwendung. Er rieb die Früchte an seiner Tunika sauber, was sie nicht wirklich reinigte, nachdem er sich zuvor mit seinem Bruder gebalgt hatte.


    "Kochen kann man das wohl nicht nennen", plauderte er, während sie gingen. "Aber ich bin auch nicht mäklig. Ich esse so ziemlich alles. Hauptsache, es macht satt. Das, was man gemeinhin gutes Essen nennt, hatte ich auch noch nie. Aber dafür immer ausreichend. Aber wenn du mich SO fragst ..." - und Ferox hatte keinen Zweifel daran, dass es sich um eine verpackte Frage handelte - "... dann koche ich heute Abend natürlich gern für uns."


    >>

    Das Marschieren machte Ferox wie immer Spaß. Er konnte selber nicht sagen, was so toll daran war, mit anderen Leuten, die genauso gekleidet waren wie er selbst, im Gleichtakt zu gehen. Vermutlich war es das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das Gefühl, Teil etwas Größeren, Wichtigeren zu sein, das dem Ganzen etwas Feierliches verlieh. Zudem hatten das gleichmäßige Klappern der Caligae auf den Straßen und der gleichmäßige Atem der Tirones etwas Meditatives.


    Die grauenvolle Hinrichtung lag nun schon ein Weilchen zurück und die Erinnerung an das zuckende Stück Fleisch, was einmal ein Mensch - ein Mörder, korrigierte er sich gedanklich - gewesen war, verblasste. Der tägliche Drill bis zur völligen Erschöpfung hatte dafür gesorgt, dass es mit seiner Schlaflosigkeit wegen der blutigen Geschehnisse recht bald vorbei war. Und wenn das nicht geholfen hatte, so sein Spezialtee.


    Kurzum: Ferox war momentan mit sich und der Welt recht zufrieden, auch wenn er nach wie vor kränkelte.


    Sie hatten ihr Ziel erreicht. Aufmerksam richtete er seinen Blick nach vorn, der gute Antias machte seine Arbeit sehr überzeugend. Vermutlich hatte er früher schon kleinere Führungsaufgaben übernommen, man merkte ihm nicht den Hauch von Unsicherheit an. Falls es da welche gab, verbarg er sie gut. Auch die Rede kam tadellos und verfehlte ihre Wirklung nicht. Ferox war hochmotiviert und konnte nicht anders, als stolz auf ihn zu sein.


    In Zweiergruppen ...


    Er blickte sich nach jemandem um, mit dem er losziehen konnte. Am liebsten wäre ihm Frugi oder der Lulatsch, der mit dem Marschgepäck auf dem Exerzierplatz erschienen war. Der schund allein durch seine Größe Eindruck, wenn er aufkreuzte. Wobei, neben dem sah er selber recht lächerlich aus. Vielleicht doch lieber Frugi? Aber wo war er? Suchend blickte Ferox sich nach seinen beiden Kameraden um.

    Mit tiefen Augenringen und miefend (er hatte sich immer noch nicht dazu durchringen können, die seiner Meinung nach vollgepullerten Thermen zu besuchen) trat Ferox zum Apell an. Er hatte sich noch rasch neben Frugi hineingequetscht und stieß ihn zum Gruß beim Zurechtrücken der Linie mit dem Ellebogen an und sagte leise "Morgen!". In dem Gequietsche und Geknarze würde das ohnehin niemand hören.


    Seine dunklen Augen ruhten erstaunt auf seinem Bruder, der da vor ihnen stand und munter Kommandos plärrte. Das Erstaunen in seinem Gesicht wurde zu völliger Verblüffung und dann zu einem breiten Grinsen. Aha, Antias hatte sich heimlich befördern lassen! Ferox ließ es sich nicht nehmen, in den kurzen Moment der Stille, der auf die Verkündung der Neuigkeit folgte, ein "TIBI GRATULOR, OPTIO GERMANICUS ANTIAS!" hineinzuplärren, ehe der Applaus losbrach. Immerhin war Antias schlau genug gewesen, sich durch allumfassende Hilfsbereitschaft allgemein beliebt zu machen, so dass nicht wenige sich über ihren neuen Optio freuten.


    Sim-Off:

    Von wegen ausbleibende Ovationen, Antias sollte sich mal die Ohren waschen! :D

    Ferox spürte wie ihm irgendeiner im Gesicht herumpatschte. Eine Stimme, die er irgendwoher kannte, aber momentan nicht zuordnen konnte, sagte irgendetwas. Er versuchte die Augen zu öffnen und bewegte sich ein wenig. Der Boden löste sich von ihm, jemand wuchtete ihn empor, trug ihn durch die Gegend und ließ ihn irgendwo hinein krachen.


    Der schmerzhafte Aufprall holte ihn zurück ins Diesseits. Es stank. Er schlug die Augen auf und fand sich in einem Holzkarren wieder, einem Karren, dessen Boden schmutzig war uns stank. War dies etwa das Gefährt, mit welchem man die beiden verlotterten Mörder hier her transportiert hatte?


    Wenig begeistert blickte Ferox sich um. Das selbe Holz und dort waren auch die Ösen für die Ketten. Kein Zweifel. Er rappelte sich ein wenig auf, um in eine sicher sitzende Position zu gelangen. Er wollte möglichst wenig Kontakt mit den feuchten Flecken unter sich auf dem Holz haben.


    Kaum saß er, wurde ihm wieder schwummrig. Dass er aufstehen und den Weg zur Castra zu Fuß zurück legte, konnte er vergessen. Er würde wie ein Stück Gepäck auf diesem ekelerregenden Gefährt dorthin zurück gekarrt werden müssen.


    Ihm war schlecht. Er zog einen Flunsch und wartete auf die Heimkehr.

    Ferox und ein Großteil der anderen traten wie befohlen in einer Linie an. Die Prätorianer waren nicht entschwunden, sie waren entschwebt, was schon ein Kunststück war in voller Montur. Wahrscheinlich jahrelang geübt, um Eindruck machen zu können. Bei vielen hatte der Auftritt ja auch seine Wirkung nicht verfehlt.


    Ferox drängelte sich halbwegs gegenüber von Avianus zwischen zwei Kameraden, weil er keine Lust hatte, die gesamte noch im Entstehungsprozess befindliche Reihe entlang zu laufen, um einen Platz abzubekommen. Da er nicht der Einzige mit diesem Gedanken war, wurden die Tirones in der Mitte ziemlich zusammengepresst.


    Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn die Reihe sich aus dem Marschblock wie eine abgewickelte Perlenschnur gebildet hätte, irgendein Schema, bei dem jeder wusste, in welche Richtung er nun zu gehen hatte. Aber das kam sicher noch, für den Anfang hätte das wohl für noch mehr Chaos gesorgt, als ohnehin schon herrsche. Ferox stand da, eingepresst wie er war und versuchte würdevoll dreinzublicken.

    "Hä? Ach so, du meinst wegen der Zusammenlegung der beiden Contubernia in eine Baracke. Äh, nein. Hat er nicht. Oder ich habe es überhört, es sind viele Eindrücke, die auf einen einprasseln, wenn man neu hier ist. Aber wenn sie anrücken, dann sind sie halt da. Wird bestimmt lustig. Und kuschelig. Aber von meinem Schlafplatz rücke ich keine Handbreit zur Seite, der ist perfekt. Ich bleib dort liegen so stur wie ein Muli. Da müssen die Milites sich um mich herum sortieren."


    Er beobachtete, wie Frugi Stück für Stück die ganzen Lebensmittel entgegen nahm. Fast war er versucht zu fragen, ob er die Eier bei ihm gegen irgendwas eintauschen würde, aber er verkniff es sich. Der Junge brauchte dringend was auf die Rippen - und auf die Beine und die Arme - und mit ein paar Äpfeln allein würde das nichts werden.


    "Soll ich dir beim Tragen helfen? Das ist ganz schön viel. Mal schauen, ob inzwischen Pupillus die Mühle durchgeschliffen hat oder ob wenigstens noch ein paar dünne Steinscheiben übrig sind."

    Während der Umarmung zum Abschied grinste Ferox breit. Seine Augenringe wurden dadurch noch tiefer. Er war müde, aber so zufrieden wie seit Tagen nicht mehr. Alles, was er zum Thema Nichte oder Neffe hatte sagen wollen, war ausgesprochen. Wenn es ihm auch nach wie vor unsagbar peinlich war, sich in dieser Sache eingemischt zu haben, so fühlte sich sein Onkel-Gewissen erleichtert. Ferox würde fortan wieder besser in den Schlaf finden, da war er zuversichtlich.


    "Klar passe ich auf mich auf, Brüderchen! Wenn die Hinrichtung ein was Gutes in mir bewirkt hat, dann, dass sie das Bewusstsein geweckt hat, wie schön es ist, hier und jetzt lebendig zu sein. Von der Sache her macht man sich immer viel zu viel Stress wegen irgendwelchen Belanglosigkeiten. Man regt sich auf über den blöden Nachbarn, über zänkische alte Weiber, über das nervige Krähen des Hahns, wenn man schlafen will ... aber dass schneller als man denkt eine Zeit kommen könnte, in der man sich danach sehnt, sich um nichts weiter als derlei Lappalien sorgen zu müssen, vergisst man allzu schnell.


    Von der Sache her geht es den meisten von uns blendend und wir merken es nicht einmal, weil es alltägliche Gewohnheit geworden ist, ein Dach über dem Kopf zu haben und jeden Tag zu essen. Für uns ist es nicht weiter bemerkenswert, mit einem gesunden Körper gesegnet zu sein, eine Familie zu haben. Andere würden alles dafür geben. Wir regen uns auf über Dinge, die von der Sache her völlig egal sind. Die Folter und die Hinrichtung der beiden Verurteilten hat mich daran erinnert, was im Leben wirklich wichtig ist. Eigentlich bin ich trotz meiner Sorgen ein glücklicher Mensch, ich habe alles, was ich brauche. Ich lebe und ich lebe gut - mag der Sold auch noch so mager sein und mein Bettnachbar mich die ganze Nacht vollfurzen. Soll er es doch tun und meinetwegen tagsüber auch noch! Ich liebe mein Leben, wie es ist - und will es noch möglichst lange genießen. Also mach dir um mich keine Sorgen!"


    Was für ein Redeschwall! Aber jetzt war auch der letzte Rest seiner Sorgen raus. Ferox hob zum letzten Abschied die Hand.


    "Also dann, ich werde mich mal zum gemeinschaftlichen Einweichen begeben. Man sieht sich!"


    Er grinste noch einmal, dann drehte er sich um und stapfte durch den Schneeregen zu den Thermen.


    Sim-Off:

    Eigentlich war der Tee für Marullus gedacht, aber vielleicht geht es dem standhaften Hispo davon auch besser xD Es ist genügend darin für beide. *nick*

    Ferox starrte noch immer die Mauer an, auf der die Schneeflocken schmolzen. Die Feuchtigkeit ließ sie glänzen, als sei sie lackiert. Ein ganzer Pfeilhagel von Fragen zischte durch seinen Kopf.


    Angefangen von 'Aber wovon willst du dann leben, wenn du keinen Sold mehr bekommst?' über 'Aber wenn sie eine Serva ist und du ein Civis, wie wollt ihr beide ...' bis hin zu 'Aber ist das Kind dann etwa auch unfrei?' und zehntausend weiteren Abers. Keines davon sprach er aus. Antias würde sie sich früher oder später selber diese Fragen stellen, wenn er das nicht schon längst tat. Und um das Nachdenken über derlei Dinge anzustupsen, hatte Ferox mit ihm reden wollen, nicht mehr. Alles andere lag bei Antias und seiner Geliebten.


    Ferox nickte stumm. Seine Unterstützung hatte er ja schon zugesichert. Was blieb war das Gefühl, noch irgendetwas sagen zu müssen. Er wollte etwas sagen, aber er wusste nicht, was. Irgend etwas Aufmunterndes wäre nicht schlecht. "Scheiß Wetter", murrte er, um das Schweigen überhaupt zu überbrücken. Dann fiel ihm etwas ein.


    "Ach so, ich hab hier noch was. Was anderes, das hätte ich fast vergessen."


    Er zog ein faustgroßes Stoffsäckchen unter der Paenula hervor und reichte es Antias.


    "Baldrian, Melisse und Hopfen. Im Herbst auf der Reise gesammelt und bis hier her mitgeschleppt. Ist gut gegen Schlafprobleme, wenn man einen Tee draus macht. Ich habe den Beutel rausgekramt, weil ich wegen der dummen Hinrichtung immer ewig wachliege, aber ich glaube, dein einer Freund kann das besser gebrauchen, der sieht nicht gut aus. In Milch aufgekocht wirkt es noch besser."


    Ferox nickte in Richtung der Baracken.


    "Nun ja, ich will dich nicht länger von deinem Abendbrot trennen. Lass dich nicht zu sehr von dem runterziehen, was ich gesagt habe. Irgendwie wird das schon." Er lächelte aufmunternd.


    Dann platzte ein grässlich lautes Niesen aus seiner Nase zusammen mit einem Sprühregen. "Ach, verdammt." Er wischte sich die Nase mit seinem Mantel sauber. "Ich dachte, ich kann mich vor der vollgepissten Brühe in den Lagerthermen drücken. Aber ich starte denen doch lieber mal einen Besuch ab, sonst fang ich mir noch was ein bei diesem Sauwetter."

    Ferox war erleichtert. Antias hatte ihn weder ausgelacht noch hatte er losgewettert, was ihn das überhaupt anginge.
    "Also es ist ja nicht so, dass ich mich nicht freuen würde, vielleicht Onkel zu werden", schob er hinterher. "Eigentlich fände ich es ja sogar schön. Ich mag Kinder. Es ist nur ... nun ja, du weißt ja, dass ich ohne Vater aufgewachsen bin. Und der Gedanke dass so ein kleiner Wurm da draußen ..." Er gestikulierte unbeholfen mit einer Hand, während er die Mauer anglotzte.


    "Ich meine, selbst wenn du ab jetzt aufpasst, wäre ein Plan für den, äh, ich nenne es mal Notfall nicht schlecht."


    Klang das blöd? Natürlich klang das blöd. Alles, was er gesagt hatte, klang so. Aber was sollte er machen? Er hatte nach der Hinrichtung nächtelang über den Sinn und Unsinn von Leben und Sterben nachgedacht, über Recht und Gerechtigkeit und mittendrin - war ihm plötzlich der Gedanke an seinen Bruder und die geheimnisvolle Serva gekommen und daran dass da, wo sich Menschen liebten, recht schnell ein drittes Menschlein in Erscheinung treten konnte.


    Er hatte sich den kleinen rosa Säugling vorgestellt, mit dunkelblondem Flaum wie das Haar seines Bruders, da draußen, während Antias hier drin war, sein Kind in den Armen einer Serva. Und plötzlich waren sie da gewesen - Onkelgefühle. Das Gefühl, irgendetwas für das kleine Wesen tun zu müssen. Und wenn es nur ein paar peinliche Worte waren, die vielleicht verhinderten, dass ihm das Selbe wiederfuhr wie damals Ferox.


    "Ja, jedenfalls, äh, falls es doch .... passiert sein sollte ... irgendwie kriegen wir das schon hin."


    Das war plump. Er war plump. Aber er hatte sich vorgenommen, wenn er tatsächlich Onkel werden würde, dann würde er ein guter Onkel sein!


    "Ääääh", machte er, weil er nicht wusste, was er nun sagen sollte.

    Sie schlenderten die dunkle Gasse hinter den letzten Gebäuden an der Mauer entlang, wo wenig Begängnis war. Das Moos an den großen Steinquadern glänzte feucht und tropfte. Ferox wartete mit seiner Antwort, bis er sich sicher war, dass sie unter sich waren. Antias wirkte besorgt, was nicht verwunderlich war bei so einer nebulösen Andeutung.


    "Es ist nicht Schlimmes", begann Ferox darum. Er sprach gedämpft, falls doch noch irgendjemand hier in diesem Teil der Castra herumgeisterte, auch wenn die Wahrscheinlichkeit bei diesem Wetter verschwindend gering war. "Genau genommen ist es sogar etwas Schönes, wenn auch etwas schwierig." Stundenlang hatte er überlegt, wie er dieses Thema ansprechen sollte. Er war kein guter Redner, wenngleich er gern und viel redete, manchmal wahrscheinlich zu viel. Aber dass es gesagt wurde, war ihm wichtig.


    "Von der Sache her geht es mich eigentlich nichts an", eierte er herum. "Ich meine, du bist alt genug, älter als ich und auch in den meisten Sachen erfahrener, diese Sache eingeschlossen. Und natürlich steht es mir überhaupt nicht zu, mich da irgendwie einzumischen und ich weiß ja auch gar nicht, wie gut ihr euch wirklich kennt, aber ..." Er rieb sich mit dem Mantel ein paar schmelzende Schneeflocken aus den Augenbrauen. "... aber immerhin wäre es dann mein Neffe oder meine Nichte. Also geht es mich irgendwie doch etwas an. Zumindest ein bisschen. Was ich damit sagen will ... du und die Serva, von der du erzählt hast, ihr passt doch auf - oder?"

    So missmutig er gerade auch gestimmt war, bei so einer freudigen Begrüßung brachte Ferox ein schiefes Grinsen zu Stande. Antias war wahrscheinlich sogar in der Lage, die steinernen, ewig ernsten Gesichter der Götterstatuen zum lächeln zu bringen, wenn er das wollte.


    "Bedrücken nicht, mir ist nur arschkalt."


    Es folgte die obligatorische Umarmung (er begrüßte seinen Bruder nie ohne ihn zu umarmen), dann mummelte er sich wieder in seinen Mantel, um den kalten Wind in seinem Rücken auszusperren. Unter normalen Umständen wäre es zu verlockend gewesen, die Einladung zum gemeinsamen Abendessen mit seinem Bruder anzunehmen. Das hätte Ferox zudem Gelegenheit gegeben, die anderen Männer aus Antias` Contubernium kennen zu lernen. Doch der Gestank des gekochten Fleisches machte es ihm leicht, seinen eigentlichen Vorsatz treu zu bleiben.


    "Danke für die Einladung, aber an Fleisch komme ich zur Zeit nicht ran. Allein der Geruch bringt mich fast zum Kotzen."


    Im hinteren Teil der Baracke klapperte jemand mit seinem Kochgeschirr. Doch was fehlte, waren die ungezwungenen Gespräche zwischen den Kameraden. Hier und da wurden zwar ein paar Worte gewechselt, aber die Stimmung war nicht sonderlich gut.


    "Hast du Lust, dir die Beine zu vertreten? Es ist ein herrlicher kalter, matschiger Winterabend, den verbringt man nicht in der warmen Stube."


    Die Schneeflocken auf seinem Mantel schmolzen zu glitzernden Tröpfchen. Ferox` Gesicht wurde Ernst. "Ich habe ... uhm ... über etwas nachgedacht."

    Nach Dienstschluss ging Ferox heute nicht zu seiner, sondern zur fünften Baracke. Er hatte die Paenula übergezogen, um sich gegen den hässlichen Schneeregen zu schützen. Es wurde schon dunkel. Die Härchen an seinen nackten Waden hatten sich aufgestellt. Er fragte sich immer wieder, warum sich südlich der Alpen noch keine Hosen durchgesetzt hatten. Die Legionäre im Norden waren nach einigen hundert abgestorbener Zehen inzwischen klüger, zumindest manche. Aber wenn hier in Italia jemand in Ferox` Gepäck die aus Germania Superior mitgebrachten Beinkleider fände, wäre das wohl genauso peinlich, als würde er heimlich Damenunterwäsche mit sich führen.


    Schlotternd klopfte er gegen die Tür, ehe er sie öffnete. Der Qualm der Feuerstelle schlug ihm entgegen und es roch bereits nach Abendessen. Irgendeiner hatte Fleisch mit in den Getreidebrei gegeben, der Geruch ließ Ferox würgen. Er sah blass aus, die Hinrichtung vor einigen Tagen hatte ihm ziemlich zu schaffen gemacht.


    Während des nächtlichen Umherwälzens in seinem Bett, als er schwer in den Schlaf fand, hatte er nachgedacht ... über viele Dinge.


    "Antias?", rief er quer durch den Raum.

    Ferox blieb liegen und rührte sich nicht. Er befand sich in einer gnädigen Ohnmacht und ohne wahlweise einen Eimer Wasser oder ein paar saftige Ohrfeigen würde man ihn auf dem Karren, auf dem hinzu die Gefangenen gewesen waren, zurück in die Castra bugsieren müssen.


    Immerhin war bisher niemand auf dem Bewusstlosen herumgetrampelt und dank des Helmes hatte er vom Sturz nicht mal eine Beule, nur aufgeschürfte Knie und Ellebogen.

    Ferox nickte verständnisvoll.


    "Auch ich bin mehr oder weniger allein aufgewachsen", erzählte er. "Ich hatte nur selten Gelegenheit, mit anderen Kindern zu spielen. Mein Vater war Jäger und nahm mich, als ich alt genug war,mit in den Wald zum Auslegen und Kontrollieren der Fallen. Wir lebten ziemlich abgeschieden, um des guten Jagdrevieres Willen, denn die Tiere halten sich meist fern von den Siedlungen."


    Sein Gesicht nahm einen verträumten Ausdruck an, als er an sein altes zu Hause dachte. Er vermisste seine Mutter und seine Großeltern, aber er behielt seine Gefühle für sich. Frugi schien selber noch genügend an seinem Schicksal zu knabbern zu haben und er wollte ihn nicht auch noch mit seinen belanglosen Wehwehchen belasten. Heimweh hatten hier wohl bald viele.


    "Für mich ist es auch ungewohnt mit so vielen Leuten. Das hatte ich nur dann, wenn wir die Felle auf Märkten verkauften und dazu in die Städte reisten. Mir hat der Lärm und all das Leben um mich herum immer gefallen nach der Stille im Wald und es gefällt mir auch jetzt."


    Er betrachtete Frugi, der irgendwie verloren aussah in der Schlange der lärmenden Tirones.


    "Dir ist das alles noch ein bisschen viel, hm?"

    Ein Trüppchen Prätorianer ging am Rande des Exerzierplatzes entlang. Einer von ihnen sah aus, als sei er ein hohes Tier, aber so genau kannte Ferox sich da noch nicht aus. Die Schwarzröcke wurden langsamer und derjenige, der wohl ihr Befehlshaber war, beobachtete die marschierende Formation der angehenden Urbaner. Einige der Tirones nahmen sofort eine strammere Haltung an.


    Ferox erinnerte sich daran, dass Antias ihm erklärt hatte, die Prätorianer würden ihre Mitglieder aus den anderen Einheiten rekrutieren. Offenbar hegten einige der frischgebackenen Rekruten entsprechende Hoffnungen, denn sie gaben sich besonders große Mühe, ordentlich zu marschieren, was meistens jedoch lediglich zur Folge hatte, dass sie so steif daherstaksten als hätten sie einen Besen im Arsch.


    Ferox für seinen Teil hegte eher die Vermutung, dass die Schwarzröcke sich über die grässlich schiefe Formation amüsierten. Seinem Vordermann lief das Blut von den Fersen und seine eigenen sahen wohl nicht besser aus. Ein Riemen seiner Caligae scheuerte in einer offenen Wunde, welche von der benagelten Sohle seines Hintermannes in seine Hacke gerissen worden war. Nein, ein ehrwürdiger Anblick waren sie sicher nicht.


    Dennoch hatte er nach wie vor gute Laune. Für ihn, der seine Kindheit fast allein in einer Waldhütte verbracht und nur sporadischen Kontakt zu Gleichaltrigen gehabt hatte, so dass es in seinem Leben viel nachzuholen gab, erschien dies alles wie eine riesengroße Spielwiese für Erwachsene.


    Er ahnte noch nicht, dass ihm diese Unbekümmertheit schon in wenigen Tagen ausgetrieben werden sollte und ihn wortwörtlich auf den harten Boden der Tatsachen befördern würde, wobei ihm das erste Mal klar bewusst wurde, dass der ganze 'Spaß' in der Castra ihn darin schulen sollte, das Recht Roms durchzusetzen - und zwar mit allen Mitteln.

    Ferox machte den größten Fehler am heutigen Tage.


    Obwohl ihm schon die Hinrichtung des ersten Deliquenten heftig zugesetzt hatte, drehte er sich noch einmal nach dem Richtplatz um, wobei er so tat, als schaute er nach seinem Centurio, ehe sein Blick scheinbar beiläufig zum eigentlichen Geschehen huschte. Was er dann sah, fühlte sich an wie ein Faustschlag in die Magengrube.


    Da war ein roter, zerhackter Klumpen, der einmal ein Kopf gewesen war, die hintere Hälfte des Gehirns hing schlaff heraus, leuchtete hellrosa in dem dunklen Blut. Und das Schlimmste daran war, dass der Deliquent sich noch bewegte. Sein Körper zuckte unkontrolliert und er stieß Laute aus, die nicht mehr menschlich waren.


    Ferox` Körper folgte der Drehung seines Halses, er stürzte verleiert in Richtung der weißen Bodenkacheln, die in der Wintersonne leuchteten, als fiele er in einen See aus Licht. Die Fugen wurden zu einem schwarzen Gitter, welches ihn vom Lichtermeer aussperrte, auf das er zuraste. Der zerhackte Schädel, auf den er starrte, wurde zu einem roten Fleck, der übermächtig anwuchs, während Ferox fiel, eine pulsierende rote Sonne, die ihr Rot in das Weiß ergoss und Ferox angrinste, der hart auf das dunkle Gitter prallte.


    Verdreht lag er da auf dem Platz und rührte sich nicht mehr.