Antiochia, Perle des Ostens! Die syrische Provinzhauptstadt war eine der wenigen Reichsmetropolen, die an Rom in Größe und Pracht heranreichte. Mit an die fünfhunderttausend Einwohnern war diese Polis für antike Verhältnisse gigantisch. Am linken Ufer des Orontes liegend, erstreckte Antiochia sich nach Osten hin bis auf die Hänge vierer Berge, darunter die Montes Silpius und Staurinus. Die Polis hatte alles zu bieten, was eine römische Metropole ausmachte: Breite Prachtstraßen, Foren und Thermen, ein Amphitheater und einen Circus. Tyche wachte über die Polis und auch dem Göttervater Iuppiter hatte man hier noch zu Zeiten der Diadochen einen Tempel errichtet. Südlich von Antiachia war das Villenviertel Daphne der Stadt vorgelagert, dessen Nymphenhain zahllose Pilger anzog und Bares in die Kassen der hiesigen Geschäfte spülte.
Appius Aquilius Bala war in Seleuceia Pieriae an Land gegangen und von dort nach Antiochia gezogen. Nun durchquerte er die Prachtstraßen Antiochiens und steuerte auf den Statthalterpalast zu. Die Ankunft des Caesars hatte sich herumgesprochen, so dass Menschen am Wegrand aufliefen und ihm zuwinkten. Manche streuten Blütenblätter auf die Straße. Der Caesar winkte den Leuten huldvoll zu, ehrlich berührt von dem freundlichen Empfang der Menschen. Der Osten des Reiches lag ihm schon immer am Herzen und er mochte, dass sie Herrschern ganz selbstverständlich zugetan waren, wie sie es seit Jahrhunderten gewohnt waren.
"Und wo liegt deine nächste Etappe, Caesar?", fragte der Legatus Augusti pro Praetore Syriae Servius Genucius Faustulus. Nach einer nicht enden wollenden Begrüßung der Gesandtschaft waren sie endlich zu einem Gastmahl geladen worden. Die üblichen Begrüßungsfloskeln und Schmeicheleien waren ausgetauscht worden und Bala hatte sämtlichen höheren Provinzbeamten fleißig die Hände geschüttelt. Jetzt saßen sie in kleinem Kreis beisammen und tauschten sich über den Stand der Dinge aus. Neben dem Statthalter waren der Legatus Iuridicus, der Flamen Divi Augusti und der Procurator Augusti geladen worden.
"Ich möchte nach Nordosten zur Grenze und dort die IV. Legion besuchen. Von dort aus werde ich nach Norden reisen und ebenso bei den Legiones XXX und XXIV Halt machen. Über Sebasteia und Salata - und die Legio XV - soll es dann vorangehen nach Armenia. Mein Ziel ist Artaxata."
Der Statthalter nickte zustimmend. "Du möchtest also die Truppen inspizieren?"
Bala winkte ab. "Nein, es sollen nur kurze Besuche sein, um die Kommandeure zu sprechen und ein Bild der Lage an der Grenze aus erster Hand zu bekommen. Du wirst mir sicherlich mitteilen, wie die aktuelle Lage ist, aber ich frage auch gerne die Legati selbst nach ihrem werten Befinden." Der Caesar lächelte jovial. Genucius Faustulus konnte dem nichts entgegensetzen, sondern stimmte bloß zu.
Während sodann die Speisen aufgetragen wurden, erstattete der Legatus Augusti Pro Praetore Bericht über die Lage der Provinz, allem voran über die Beziehungen zu den Parthern: "Aktuell erhalten wir keine beunruhigenden Berichte von der Grenze, mein Caesar", ließ Genucius Faustulus Bala wissen. "Es ist vielmehr so, dass wir aus Parthia nur wenige sichere Informationen erhalten. Unsere Kontaktleute berichten zwar allerlei, aber gerade in Bezug auf manchen Kandidaten für den armenischen Thron machen sich viele Informationen mehr als Gerüchte denn als Tatsachenberichte aus."
Bala spießte soeben Schnecken in Butter auf, die er sodann genüsslich vertilgte. "Mhmhm. Und was wird so erzählt? Was ist mit Pakoros, Sanatruces, Vologases und... äh... Tiridates?" Weitere Schnecken folgten. Sie mundeten Bala überaus.
"Über Pakoros wissen wir wenig. Er scheint sich immer noch am parthischen Hof aufzuhalten. So ist jedenfalls mein letzter Stand. Aber womöglich ist er auch schon auf dem Weg nach Armenia, wer weiß? Sein Bruder Vologases soll vor zwei Wochen in Gazaca gesichtet worden sein. Er dürfte mittlerweile in Artaxata eingetroffen sein. Es heißt er sei als offizieller Gesandter des Osroes unterwegs. Sanatruces dagegen ist bereits in Artaxata, wo er sich häufiger im Tempel als im Palast aufhält."
"Wie war noch gleich der Name des Gottes?", warf der Caesar hier ein.
"Zarathustra", erwiderte Genucius, der als Kenner seiner Nachbarn keine Probleme mit der Aussprache des Gottesnamens hatte. "Also dieser Sanatruces lebt sehr zurückgezogen und hat bisher wenig Interesse an der hohen Politik gezeigt. Ebenso hat er wenige Unterstützer am armenischen Hof. Über seine Ziele ist uns deshalb auch nichts bekannt. Und Tiridates, zuletzt, lebt auf einem Landsitz bei Caenepolis. Wie man hört, wäre er nicht abgeneigt, seinem Neffen auf den Thron zu folgen."
Bala hörte aufmerksam zu, nickte hier und dort, war letztlich aber nicht zufrieden mit dem Bericht des Statthalters. "Schade, Genucius. Ich hatte mir mehr Erkenntnisse von meinem Besuch hier erhofft. Nun gut, dann werde ich die Interessen der Kandidaten wohl vor Ort ausloten müssen. Können wir nun zum Lammbraten übergehen?" Süffisant lächelnd sah er Genucius an. Die anderen Anwesenden sahen betreten zu Boden. Eine solche Schelte mochte niemand vom Caesar - oder gar vom Kaiser selbst! - empfangen. Bala hingegen ließ sich gut gelaunt noch etwas Wein nachschenken. Heute würde er noch etwas feiern, bevor er seine Reise über Heerstraßen antrat und in unbequemen Militärbetten schlief!