Appius Aquilius Bala fand stets Gefallen daran, sich vom Volk bejubeln zu lassen. Gewiss, er hatte bisher nie allein im Mittelpunkt gestanden, denn bei öffentlichen Anlässen war er stets an der Seite seines Vaters, des Kaisers, zu sehen. Die Eröffnung des Ulpianum bot nun einmal wieder einen solchen Anlass und, was viel wichtiger war: Sie war Anlass genug für das Abhalten von Gladiatorenkämpfen. Der Caesar liebte Gladiatorenkämpfe. Bereits seit ganz jungen Jahren übte der manchmal blutige Wettkampf der gerüsteten Streiter in der Arena eine ungeheure Faszination auf den Thronfolger aus. Aber nicht schwere Verwundungen oder gar der Tod eines Kämpfers faszinierten den Caesar so sehr, sondern die Anspannung, dass sein Favorit siegen, jedenfalls aber überleben werde. Er hatte in dieser Hinsicht sogar eine fast barhmerzige Neigung gegenüber jenen, die im Kampf unterlagen. Solange sie sich gut schlugen. Appius Aquilius Bala hasste Schwächlinge und Feiglinge. Wenn ein Gladiator in der Arena alles gab, sein Leben aufs Spiel setzte für den Sieg, dann verdiente er Anerkennung und Respekt. Feiglinge dagegen verdienten den Tod, wenigstens aber das Karriereende.
Und das Volk liebte Gladiatorenkämpfe. Man sah es den Menschen an, dass sie sich auf das Spektakel freuten. Der Caesar winkte dem Pöbel auf den Rängen gönnerhaft, während er auf der Quadriga die Runde durch die Arena drehte. Er fühlte sich in diesen Momenten immer wunderbar emporgehoben über die einfachen Römer, die in ihren jämmerlichen Existenzen die kaiserliche Familie verehrten. Ein Seitenblick auf seinen Vater verriet dem Caesar, dass der Kaiser wie so häufig seine Gefühle zu verbergen wusste. Ganz staatsmännisch nahm er den Jubel des Volkes an, ließ sich von ihnen würdigen. Die Fanfaren jagten dem Caesar eine Gänsehaut ein.
Doch nicht nur der Kaiser und sein Sohn waren Gegenstand der Begeisterung der Römer, denn auch die Kämpfer dieses Tages zogen ihre Aufmerksamkeit auf sich. Appius Aquilius Bala hegte selbst große Begeisterung für einige der heute antretenden Gladiatoren und so konnte er des Volkes Freude gut nachvollziehen.
Die Pompa Circensis vollendete ihre Runde durch die Arena und zog wieder durch das Tor hinaus. Nun rückte des Caesars Augenblick näher. Sie stiegen von der Quadriga und erklommen die Stufen in die Loge der Kaiserfamilie. Dort trat Bala geruhsamen Schrittes an die Ballustrade. Das Volk war nach dem Auszug der Poma Circensis etwas zur Ruhe gekommen. Kurz hielt Bala inne, atmete tief durch, konzentrierte sich. Dann hob er einen Arm zur beschwichtigenden Geste. Die Menge wurde still. Jetzt konnte der Caesar zu seiner ersten Rede vor dem römischen Volke ansetzen. Er wollte nicht viele Worte verlieren, denn die Menge ersehnte den Beginn der Spiele. So sprach er, die Stimme erhoben, in langsamer und durchdringender Rede:
"Bürger Roms! Wahrlich, wir begehen heute einen Festtag. Mit der Einweihung des herrlichen Ulpianum ehrten wir heute vormittag große Bürger unseres Reiches. Jene, die mit ihren Taten und Werken den Ruhm der Res Publica Romana mehrten und römische Stärke und Macht in der ganzen bekannten Welt mehrten: Der Censorius Cicero Octavius Anton, der Consular Gaius Prudentius Commodus, sowie die Senatoren Tiberia Livia und Lucius Annaeus Florus sind dies, die fortan einen Platz in unserem Gedächtnis innehaben. Und auch die Kaiser der ulpianischen Linie, die drei vergöttlichten Kaiser Traianus, Iulianus und Valerianus fanden im Ulpianum einen Ort der Veehrung und des Gedenkens. Ihrem Lebenswerke nachzustreben, römischen Traditionen und Werten immerdar verpflichtet, ist unser aller Pflicht und Lust!"
Der Caesar hielt inne, ließ seinen Blick betont langsam über die Ränge schweifen und seine Worte nachhallen. Dann fuhr er fort, seine Rede im Crescendo steigernd:
"Und wie könnte man solch ehrbare Römer besser würdigen als durch die gar herrlichste Form der Ludi?
Seit Anbeginn Roms ist es hehre Tradition, achtbare, hochanständige römische Bürger mit Gladiatorenkämpfen zu würdigen!
Die Gladiatores, kraftstrotzende, wehrhafte Männer des Reiches, todesmutige Streiter, ihr alle kennt sie, ihr alle liebt sie!"
Erneut hielt Appius Aquilius Bala inne, um seine Worte im Volke sacken zu lassen, bevor er zum Schluss seiner Eröffnungsrede kam:
"Heute fällt es diesen Streitern wiederum zu, durch ihren Wettstreit jene Größen des Reiches zu ehren und die Eröffnung des Ulpianums zu feiern. Ihre Namen habt ihr gelesen, ihre Siege wurden euch präsentiert. Wir fiebern den Duellen entgegen, deshalb will ich euch den Beginn der Ludi nicht weiter vorenthalten. Ich, Appius Aquilius Bala, gebe die Arena hiermit frei!"
Und mit einer pathetischen Geste rief er: "Lasset die Spiele beginnen!"
Nun war es Sache des Summa Rudis, eines in Weiß gekleideten Schiedsrichters, dem Volk die Gladiatoren nochmals einzeln vorzustellen und die Duelle einzuleiten. Der Caesar verharrte noch einen Augenblick an der Ballustrade, die Reaktion der Zuschauer abwartend, in würdevoller Pose. Er genoss die volle Aufmerksamkeit des Volkes, auch wenn ihm der Magen flau war, wie er sich nach dieser Rede selbst eingestehen musste. Selbst für einen - bereits aus seinen Tagen beim Militär öffentlichkeitserfahrenen - Kaisersohn war es keine Selbstverständlichkeit, an einem Tag wie diesem zum Volk zu sprechen. Gut nur, dass er keine allzu hochtrabenden Worte hatte verlieren müssen, sondern lediglich die Gladiatorenspiele eröffnete. Zufrieden wandte er sich schließlich um und ließ sich neben seinem Vater nieder, dessen Blick er suchte. Er hoffte, dass der Kaiser seinen Auftritt guthieß. Die Kaiserin hingegen streifte sein Blick nur flüchtig.