Beiträge von Plinia Chrysogona

    Einen glutvollen Hispanier..... Chrysogona musste grinsen. Was für eine Anspielung!
    Die Griechin hörte interessiert zu als Serapio von dem Weingut seiner Familie sprach. Seine vorsichtigen und doch hintersinnigen Äußerungen zum Imperator ließen zwar keinen Schluss auf die persönliche Meinung des Gardetribuns zu, doch der Scherz zum Schluss wartete förmlich auf einen Widerspruch. Chrysogona kam nicht dazu. Schon hob der Decimer den edlen Bergkristallkelch zum Trinkspruch.
    Die Medica nickte ihm zu und hob ihrerseits den Kelch.
    "Besten Dank, Tribun! Möge dem Imperator und seiner Familie ein langes, gesundes Leben beschieden sein! Auf dass die Götter ihn und auch dich schützen! Und natürlich auf gute Zusammenarbeit!"


    Chrysogona spendete den obligatorischen Schluck für die Götter, dann ließ sie den fruchtigen Rebensaft über die Zunge laufen. Sie bemühte sich alle Geschacksknospen zu benetzen um sämtliche Anteile des edlen Tropfens auf sich wirken zu lassen.
    "Es ist eine sehr gute Wahl, Decimus Serapio. Was für ein wohlschmeckender Wein. Deine Familie kann stolz auf ihre Produnkte sein."


    Nach einem weiteren kleinen Schluck, sah die Leibmedica des ersten Mannes im Staate den Gardetribun ernst an.
    "Wie hoch schätzt du die Gefahr für einen Giftanschlag gegen den neuen Kaiser ein? Wie sicher ist sein Umfeld und die direkten Untergebenen, die Leibsklaven und Köche? Du verstehst, dass ich mir Sorgen mache?"

    Wie von Chrysogona gefordert kam der junge Mann zur Hilfe. Sie drückte ihm den winzigen Säugling in beide Hände und beeilte sich die Nabelschnur an beiden Seiten abzubinden. Dann durchtrennte sie mit dem scharfen Skalpell die Verbindung zur Mutter. Mit geschickten Händen verband die Medica den Nabelrest und wickelte den kleinen Jungen in eine wärmende Decke. Anschließend drückte sie das Kind wieder dem Geburtshelfer in die Hand.
    "Leider wirst du noch gebraucht. Sergia Fausta und ich haben noch eine letzte Arbeit zu erledigen, dann können wir uns um den Abtransport kümmern und du wirst entlassen. Magst du der Mutter ihren Sohn zeigen?"


    Wie auf´s Kommando konnte die Medica sehen, das sich der Uterus erneut kontrahierte und die Nachwehen die Geburt der beiden Placentae vorantrieben. In Kürze würde die Geburt ihr Ende finden.

    Endlich, durch die gemeinsamen Bemühungen der Gebährenden, des jungen Helfers und der Medica bahnte sich das zweite Kind den Weg nach draußen. Als der Kopf vollständig durch den Beckenboden getreten war, glitten Schultern und Becken mühelos hervor. Die Griechin fing den Säugling auf. Es war ein Junge. Klein, schmächtig und von marmorierter Hautfarbe. Die Atmung des Winzlings war hektisch und ging stoßweise. In kurzen Abständen zog sich der Bauch zurück und trat erneut hervor. Dieser Zwilling war deutlich schmächtiger als seine ältere Schwester.


    "Es ist ein kleiner Junge, Sergia Fausta. Du hast auch einem Sohn das Leben geschenkt! ich gratuliere dir! Du bist eine tapfere Kämpfernatur und wirst dafür mit zwei Kindern belohnt."


    Die Medica versuchte zuversichtlich zu klingen auch wenn sie beunruhigt war. Anstatt das Kind gleich weiterzugeben angelte sie sich ein Tuch und wickelte den kleinen Jungen selbst hinein. Mit dem kleinen Finger räumte sie Blut und Schleim aus den Atemwegen des Kleinen. Doch auch das verbesserte die Kurzatmigkeit nicht. Um das Kind abnabeln zu können brauchte sie Hilfe. Die Sklavin hielt noch immer das erste Kind. Also blieb keine andere Wahl. Chrysogona wandte sich an den jungen Mann.
    "Junger Geburtshelfer, du hast deine Aufgabe mit Bravour gemeistert. Doch ich benötige deine helfenden Hände noch einmal. Komm bitte zu mir herum. Fausta? Kannst du alleine sitzen? Ist das möglich oder soll die Sklavin deine Tochter ablegen und dich stützen?"

    Die Freude der Mutter erfüllte die Medica mit Stolz. Es war ein erhebender Moment wenn ein Kind gesund geboren wurde und die Mutter es glücklich begrüßte. Faustina sollte die kleine heißen? Chrysogona lächelte still in sich hinein. Selbstbewusst war sie die Sergia.


    Doch lang konnten sich Mutter und Medica nicht über das gesunde erste Kind freuen, schon setzten die Presswehen wieder ein. Fausta schrie erneut und presste, doch es war zu erkennen, dass ihr die Kraft ausging, was sie auch sogleich kundtat. Chrysogona feuerte die Kreissende an.
    "Du darfst jetzt nicht aufgeben, Fausta! Der Kopf ist schon tief im Becken. Du schaffst das!


    Die Befürchtungen der Medica bestätigten sich. Obwohl der Weg sozusagen schon geebnet war, zog sich die Geburt des zweiten Kindes hin. Immer wieder war der Kopf zu sehen, rutschte dann aber wieder zurück weil Fausta das Pressen unterbrechen musste. SIe atmete schwer und unkontrolliert Chrysogona musste ihr den Rhythmus vorgeben .
    "Pressen, Atmen, Pressen, Atmen!"


    Als das Köpfchen zum dritten Mal im Unterleib der Gebährenden verschwand, gab Chrysogona dem jungen Mann hinter der Sergia einen für ihn sicher schwierigen Auftrag.
    "Du musst uns jetzt helfen, junger Mann. Schiebe du von oben das Kind in Richtung Beckenboden!"


    Die Medica nahm die kalten, zittrigen Hände des Helfers und dirigierte sie zu dem Kind, das durch die Bauchdecke zu spüren war. "Wenn ich Fausta den Auftrag "Pressen" gebe, schiebst du es nach unten. So."


    Chrysogona zeigte ihm, wie sie sich seine Hilfe vorstellte. Dann nahm sie erneut ihre Position auf dem Stuhl ein. Sie ignorierte den entsetzten Blick der Kreissenden und gab das Kommando.
    "Pressen, Fausta! Pressen!"

    Ob Sergia Fausta auch abseits einer strapaziösen Entbindung so prächtig viel Haare auf den Zähnen hatte? Chrysogona war überrascht von der Widerspänstigkeit der Frau. Noch in den Presswehen zeterte sie und schimpfte wie ein Marktweib auf dem Forum oder im Marcellum.


    Doch die Wehen wurden heftiger. Der junge Mann, der den Rücken der Kreissenden stützte, hatte alle Hände voll zu tun. Die Medica versuchte, so vorsichtig wie möglich, den Kindskopf zu entwickeln und gleichzeitig Acht auf die verletzbaren Strukturen des Beckenbodens zu geben. Ermattet von der harten Arbeit des Pressens schien die Sergia aufgeben zu wollen.
    Indigniert sah Chrysogona zu der Dunkelhaarigen empor. "Was heißt hier "ich kann nicht mehr!"? Es ist noch nichtmal das erste Kind geboren und das zweite steht dir noch bevor! Du kannst jetzt nicht aufgeben! Im Gegenteil, du wirst dich jetzt erst einmal so richtig anstrengen müssen! Pressen, Fausta! Pressen!"


    Die kommede Presswehe wurde von einem Schrei begleitet und gestattete dem Kopf den Durchtritt durch den Beckenboden. Mit einer Drehbewegung, und begleitet von einer weiteren Presswehe und den dazugehörigen Schmerzensschreien, entwickelte Chrysogona die Schultern des Kindes. Sanft glitt ein kleines Mädchen in die Hände der Medica. Mit einem kurzen prüfenden Blick gab sie das Kind an die wartende Sklavin weiter.
    "Du hast ein Mädchen geboren, Sergia Fausta! Das erste Kind ist eine Tochter."


    Chrysogona gab der Gebärenden einige Augenblicke Zeit, um sich zu erholen. Sie band inzwischen die Nabelschnur ab und durchtrennte sie. Das Kind war klein, wie bei einem Frühgeborenen nicht anders zu erwarten, doch es atmete und die Hautfarbe war rosig. Die Sklavin begann das kleine Mädchen vorsichtig von Blut- und Schleimresten zu reinigen. Dann wickelte sie die Tochter der Sergia in eine saubere Decke und zeigte sie der erschöpften Mutter.

    Dem Kopfschütteln war zu entnehmen, dass die Frau, die sich ihr als Sergia Fausta vorstellte, keine Erstgebärende war. Die Geburt würde also vermutlich schneller voran gehen als bei einer Frau, die das erste Mal niederkam. Die kurzen Abstände der Wehen und die Heftigkeit derselben machten klar, dass sie sich bereits im letzten Stadium befanden. Als die Procuratrix dann vernahm, dass sie Zwillinge bekommen würde, war die Reaktion mehr als irrational. Die Medica rollte innerlich die Augen. Schwangere und Gebärende waren leider selten rational, das hatte sie schon gehört. Das völlige Ignorieren der Realität hatte sie jedoch nicht erwartet.
    Während Chrysogona sich hinkniete und die Untersuchung auf den Unterleib der Gebärenden ausdehnte, sprach sie in klarem und unmissverständlichem Ton mit der Sergia.


    "Hör zu, Sergia Fausta. Es sind zwei Kinder und du wirst dich sehr bald selbst davon überzeugen können. Der Muttermund ist bereits vollständig geöffnet, die Fontanelle des ersten Kindes kann man schon tasten. Ich werde alles tun, dass es aufhört, indem ich dich gleich auf diesen Schreibtisch verfrachten werde, damit die Kinder geboren werden können."


    Die Medica drehte sich zur Tür.
    "Junger Mann, komm doch mal herein, bitte! Hilf mir mal, den Schreibtisch frei zu räumen und die Procuratirix auf den Tisch zu heben. Ganz an die Kante."
    Der unsichere junge Mann kam zögerlich näher. Als er aber den fordernden Blick der Medica sah, half er nach Kräften. Sie setzten Fausta gemeinsam auf die Tischkante. Chrysogona stellte sich den Stuhl der Procuratrix davor und ließ die Gebärende die Füße auf den Armlehnen abstellen. Sie selbst setzte sich auf den Stuhl, so dass sie den Unterleiib der Kreissenden direkt vor sich hatte. Die Sklavin hatte inzwischen Tücher und Decken sowie Wasser gebracht. Alles war bereit.
    "Stell du dich hinter Sergia Fausta", wies sie den dunkelhaarigen Mann an. "Sie soll sich an dich anlehnen können. Halte sie gut fest. Sie wird jeden Halt brauchen."


    Der Sklavin befahl sie: "Stell dich gleich neben mich. Wenn das Kind kommt, wirst du es in eines der Tücher wickeln. Ich nable es dann ab und kümmere mich um das zweite."


    Als somit alle Aufgaben verteilt waren, sah die Medica Sergia Fausta an. Sie wartete bis sich der Uterus in einer kräftigen Kontraktion zusammenzog und forderte dann Fausta mit einer Stimme auf, die keine Widerrede dultete. "Pressen, Fausta! Pressen! Jetzt!"

    Nur wenig nach unserer Audienz beim Kaiser bat der Gardetribun die Medica zum Gespräch in sein Arbeitszimmer. Endlich eine Gelegenheit für Chrysogona, sich bei ihrem Gastgeber für seine Unterstützung zu bedanken. Doch er kam ihr zuvor.


    "Salve Decimus Serapio. Ich danke sehr herzlich für die Glückwünsche, mehr aber noch für deine Unterstützung bei der Audienz. Meine Nervosität war unbeschreiblich und ich hatte wirklich Sorgen als der Kaiser seinen Scherz machte. Aber zum Glück war es nur seine sehr spezielle Art von Humor und kein wirkliches Misstrauen, scheint mir. Ich werde mich wohl noch an seinen Humor gewöhnen müssen."


    Serapio wollte auf den Erfolg anstoßen und bot der Medica sogleich eine Auswahl erlesener Weine an. Die Plinia lächelte.
    "Die Entscheidung überlasse ich dir, Decimus. Denn ich kenne eigentlich nur die einheimischen Weine der Bauern der Insel Kos. Natürlich brachte der ein oder andere Patient als Dankeschön mal eine Amphore edleren Wein mit, doch ich habe mich stets zurückgehalten. Du wirst sicher wissen, was dem Anlass entsprechend geeignet ist."

    Zitat

    "Ich habe schon seit einigen Stunden immer wieder diese Schmerzen. Ich dachte, das sind nur besonders kräftige Tritte, weil mein Kind ja auch schon so groß ist.. Aber dann war hier plötzlich alles nass, obwohl mir mein Arzt noch vor fünf Tagen bei Iuno geschworen hat, dass ich noch einen ganzen Monat meiner Schwangerschaft vor mir habe!", plätscherten die Sorgen wie ein Wasserfall aus mir heraus, während ich ganz ungewöhnlich für mich vergas, mich auch nur mit einem einzigen Wort der Plinierin vorzustellen. "Verstehst du? Das passiert hier alles viel zu früh! Das darf jetzt noch gar nicht passieren!"


    Die Worte sprudelten nur so aus der aufgelösten Schönen hervor. Es war also eine Frühgeburt. Chrysogonas Blick auf den großen Schwangerenbauch ließen erste Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage aufkommen. Hatte der werte Kollege, der die Frau untersucht hatte sich vertan?
    Die Medica versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren. Zunächst mussten Vorkehrungen getroffen werden, dann konnte sie die Untersuchung vornehmen. Chrysogona schickte ihre Leibsklavin, die mit dem Instrumentenkästchen gekommen war, los heißes Wasser, Tücher und Decken zu holen.


    Dann wandte sich die Griechin erneut an die Gebärende. "Ist es dein erstes Kind, ... äh ... wie war noch dein Name?"
    Während sie auf eine Antwort wartete tastete sie den Bauch der Frau ab. Wieder und Wieder fuhren Chrysogonas Hände über den stark gewölbten Leib. Ihre Augen weiteten sich, die Augenbrauen schossen in die Höhe. Sie tastete nicht ein Kind, sie tastete zwei! Was war der Kollege, den diese Frau konsultiert hatte, für ein Dilettant?


    Eine weitere Wehe fuhr der Kreissenden in den Leib und die Kürze der Abstände zwischen den einzelnen Wehen ließ vermuten, dass es nicht mehr lange dauern würde bis die Pressphase einsetzte. Chrysogona überlegte krampfhaft ob sie der Kreissenden die Wahrheit sagen sollte. Sie entschied sich für schonungslose Ehrlichkeit. "Du bekommst nicht ein Kind, sondern zwei!"
    Das verkomplizierte die Lage zusätzlich.

    Chrysogona war gerade ein wenig durch die Gänge des Palatinums gewandert als sie ein völlig aufgelöster Notarius ansprach. Er erkundigte sich, ob er in ihr die Leibmedica des Imperators anträfe. Die Griechin hatte genickt und dann vernommen, dass der Mann ausgeschickt worden war, medizinischen Beistand für eine Gebärende zu holen, die in einer kleinen Kammer des Verwaltungstraktes in Wehen lag.


    Die Medica nahm die Beine unter den Arm. Das war jetzt wirklich eine Herausforderung. Nicht nur, dass es ihr erster Einsatz in Rom war, es war auch ihre erste Entbindung. Schwangeren Frauen war der Zutritt zum Asklepieion von Kos verwehrt gewesen und somit war sie nie bei einer Entbindung dabei gewesen. Natürlich hatte sie in der Theorie alles gelernt was notwendig war, hatte Komplikationen und eventuelle chirurgische Interventionen auswendig gelernt, doch ihr Wissen hatte bislang nicht in die Praxis umsetzen können.


    Den Notarius schickte sie in ihre Kammer, um sich von ihrer Leibsklavin ihr Instrumentenkästchen aushändigen zu lassen. Dann betrat sie den Raum in dem sich eine ausgesprochen schöne Frau unter Schmerzen wand und hektisch atmete.
    Chrysogona nahm sich vor, sich nicht anmerken zu lassen, dass es ihre erste Entbindung war. Das würde die panische Frau sonst noch zusätzlich verstören. Sie bemühte sich um selbstsicheres Auftreten und begrüßte die Kreissende zunächst mit einem freundlichen "Salve, mein Name ist Plinia Chrysogona. Ich bin die Leibmedica des Kaisers."


    Dann trat sie auf die Frau zu, die mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Stuhl hing. Im Kopf der Medica rotierten die Gedanken. Die kleine Kammer war denkbar ungünstig für eine Entbindung. Aber so wie es aussah war an einen Transport der Gebärenden nicht mehr zu denken. Sie mussten also sehen, dass sie sich die notwendigen Utensilien bringen ließen.
    Die Griechin trat an den Stuhl heran und nahm die Hand der Frau. Während ihre eine Hand beruhigend über den Handrücken strich, tastete die andere den Puls.


    "Versuche tief durchzuatmen. Wir werden das hier gemeinsam durchstehen, keine Sorge!"
    Chrysogona war überrascht wie fest und selbstsicher ihre Stimme war. Denn wenn sie ehrlich war, hatte sie sehr wohl Sorgen.

    Chrysogona versuchte sich einen Überblick über ihren zukünftigen Wirkungsbereich und ihre Wohnumgebung zu verschaffen. Neugierig wie sie war, erkundete sie auf eigene Faust ein wenig die Räumlichkeiten des Palatinums. Sie wollte sich ja zurechtfinden, wenn es darum ging, dass man schnell ihre Hilfe benötigte.
    Mit Interesse las sie die Türschilder rechts und links der langen Gänge.

    Der Kaiser war kurzentschlossen. Das gefiehl der Chrysogona ungemein.
    Mit einem Satz beendete er die Unsicherheit der Griechin. "Dann sollten wir es miteinander versuchen."


    Ehe sie sich versah, stellte der Imperator ihr seinen Vilicus zur Seite, der ihr die Räumlichkeiten im Hause zeigen würde. Sogar eine Dienstwohnung bot man ihr an. Chrysogona nickte irritiert, weil nun alles so schnell ging.
    "Ich denke, ein Zimmer im Palatin wäre sinnvoll", antwortete sie also noch kurz, bevor der Kaiser sie mit dem Vilicus entließ.

    Zitat

    Original von TIBERIUS AQUILIUS SEVERUS AUGUSTUS:
    Als sie ihre Methode erklärte, nickte er zufrieden. "Ein Eklektikerin also gewissermaßen." Ein Begriff, der eigentlich eher aus der Philosophie kam. Zum Schluss zeigte sich dann wieder ein Schmunzeln. "Das ist mir schon aufgefallen. Aber ich nehme an, eine Frau mehr in meiner Umgebung wird mich nicht umbringen, nicht wahr?"


    Auf die Feststellung des Kaisers, dass sie gewissermaßen eine Eklektikerin war, nickte Chrysogona. So war es - aus Erfahrung wurde man klug. Was half es nur einer Theorie anzuhängen und sei sie auch noch so stimmig, wenn sich in der Praxis doch auch andere Methoden als hilfreich erwiesen. Chrysogona glaubte tatsächlich, dass es nicht nur eine Wahrheit gab. Das galt im übrigen auch für andere Bereiche, nicht nur für die Medizin. Aber vorerst hielt sie ihre persönliche Meinung zurück.


    Dann aber kam ein ein eher rhetorische Frage, die Chrysogona zusammenzucken ließ. War sie eine Anspielung auf ihren Vater? Schließlich hatte es Gerüchte gegeben, die besagten, so ein Giftmord könnte nicht ohne das Wissen des Leibmedicus durchgeführt worden sein. War es also eine Anspielung darauf, dass sie den Kaiserr umbringen wollen könne? Oder mißtraute er seiner Gattin? Chrysogona kannte die Kaiserin nicht und hatte auch noch nicht in Erfahrung bringen können, wie es um das Verhältinis der beiden zueinander stand. Sie nahm sich aber vor, die erste Frau im Staate bei der ersten sich bietenden Gelegenheit einem ausführlichen Persönlichkeitstest zu unterziehen.
    Den beiden senkrechten Falten zwischen ihren Augenbrauen war zu entnehmen, dass Chrysogona diese Frage eigenartig fand und den Scherz des Kaisers, so es einer gewesen war, nicht als solchen erkannt hatte.


    Als der Gardetribun dann auf die letzte Frage des Kaisers nach der Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Medica versicherte, dass sie überprüft worden sei, entspannten sich ihre Gesichtszüge wieder. Sie sah den Kaiser erwartungsvoll an. Würde er sie zu seiner Leibmedica machen?

    Als der Kaiser den Raum betrat, spürte Chrysogona sehr deutlich die Extrasystole, die sich in ihren sonst so regelmäßigen Herzschlag mischte. Der erste Mann im Staate war mittelgroß und bereits ergraut. Er machte einen sehr dynamischen Eindruck. Die elegante Erscheinung passte zu dem Bild, das sich die Medica anhand der Darstellungen auf Münzen und in Form von Statuen vom Imperator gemacht hatte.
    Der Kaiser kam näher und begrüßte die Gäste. Sein Blick war unverholen neugierig. Chrysogona errötete, auch angesichts der Vorschusslorbeeren, die er sogleich in den Raum warf und blickte tugendhaft zu Boden.
    "Mein Kaiser!", ihre Stimme zitterte ein wenig, auch wenn sie sich fest vorgenommen hatte, selbstbewusst aufzutreten. "Die geflügelte Fama ist mal wieder schneller gewesen als das Schiff mit dem ich anreiste, scheint mir. Mögest du selbst urteilen, ob die Gerüchte stimmen."


    Mit dem letzten Satz hob Chrysogona die Augen und blickte den Kaiser an. Er kam sogleich zur Sache, wollte von ihr und ihrer Ausbildung hören. Die Medica straffte den Rücken. Nun klang ihre Stimme schon selbstsicherer.
    "Mein Vater ist Gaius Plinius Phoebus. Er war der Leibarzt von Kaiser Valerianus. Meine Mutter verstarb bei meiner Geburt. Dieser Umstand führte wohl dazu, dass niemand es meinem Vater ausredete, mich ins Museion von Alexandria mitzunehmen. Dort hörte ich die medizinischen Vorlesungen meines Vaters und seiner Kollegen. Als mein Vater schließlich nach Rom berufen wurde, schickte er mich zur weiteren Ausbildung nach Kos. Am Asklepieion von Kos hatte ich die Freude bei solch herausragenden Medici wie dem Archiatros Gaius Stertius Tychicus zu lernen."


    Chrysogona machte eine Pause und versicherte sich, dass ihr Gegenüber noch zuhörte.
    "Im Laufe meiner Ausbildung habe ich alle gängigen Lehren kennengelernt. Ich bezeichne mich jedoch weder als Empirikerin, noch als Methodikerin oder Pneumatikerin. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir aus allen Lehren dasjenige herausgegriffen, was sich in der jahrelangen Praxis als segensreich erwiesen hat."
    Schonungslose Ehrlichkeit war das Kredo der Griechin. Der Kaiser sollte wissen woran er war. Er musste entscheiden ob sie für die Aufgabe geeignet war. Machte er sich falsche Hoffnungen oder erwartete er andere Therapieschwerpunkte, würde sie schnell in Ungnade fallen. Es war sicherer sich nicht besser darzustellen als man war.


    "In den vergangenen Jahren habe ich mich vor allem in der Phytotherapie, der Diätetik und der Bädermedizin weitergebildet sowie die besondere Heilmethode der Inkubation für mich entdeckt. Allerdings muss ich zugeben, dass ich nur eine mäßige Chirurgin bin und mir in der Augen- und Zahnheilkunde nur wenige Meriten verdienen konnte. Der vielleicht wichtigste Makel, den ich habe aber ist ...."
    Sie machte eine eine Pause, hob das Kinn und blickte den Imperator aus ihren tiefbraunen Augen offen an. ".... ich bin eine Frau!"

    Zitat

    Original Decima Camelia:
    Die junge Decima griff nach der Hand der Medica, um sie nicht zu verlieren, plapperte unbeeindruckt der Widrigkeiten munter drauf los. Sieht die Insel nicht aus wie ein gebogener Schiffsrumpf? Bisher hatte ich das nur gehört, jetzt sehe ich das und bin überaus beeindruckt. In der Zwischenzeit, während Camelia sich noch staunend umsah, lenkte ihre Ornatrix die beiden Damen wohl weißlich in die östliche Richtung. Dort befand sich der Tempel des Aesculap und mittig gut sichtbar auch der Obelisk wie der Mast eines Schiffes.


    Wie schön war es, dass man auf dem Weg zum Tempel eine Brücke über den Tiber überqueren musste. Beeindruckt besah sich Chrysogona die Lebensader der Stadt. Die Lage auf der Tiberinsel hatte etwas ganz Besonderes. Irgendwie war man der restlichen Welt entrückt, wenn man auf die kleine, einem Schiff nachempfundene Insel hinüberwechselte. Die besondere Lage des Heiligtums erinnerte Chrysogona an den Unterweltsfluss Acheron, den Fluss des Leides und des Schmerzes, über den Charon die Seelen der Verstorbenen geleitete. Wie sinnbildlich, dass hier die Leidenenden und Schmerzgeplagten zunächst auf eine Insel im Fluss gingen oder gebracht wurden. Noch waren sie nicht auf der anderen Seite des Tiber-Acheron, wohin nur die Toten geleitet wurden, noch bestand die Möglichkeit, dass man sie heilte, dass der Heilgott Aesculapius ihnen seine Gnade zuteil werden ließ, ihnen durch ein Wunder Gesundheit schenkte. Fanden die Kranken kein Gehör, so war die Insel nur eine Zwischenstation auf dem Weg ins Schattenreich, sei es nun das Elysium oder der Tartaros.


    Die drei Frauen betraten den Temenos des Aesculapiusheiligtums. Direkt vor ihnen erhob sich der Tempel, der im typisch römischen Stil als Podiumstempel mit einem Säulenvorbau gestaltet war. Zunächst hatte Chrysogona nur Augen für den Tempel, doch dann fielen ihr die vielen Menschen auf, die das Tempelareal bevölkerten. Überall unter den Portiken standen, saßen oder lagen Menschen. Teils offensichtlich krank oder versehrt, teils auch nicht erkennbar krank aber vom Gesichtsausdruck her leidend.


    Mit einem fragenden Gesichtsausdruck wandte sich Chrysogona an Camelia und dann an Amanirenas. Sie bestürmte die beiden Frauen mit Fragen.
    "Was machen all die Menschen hier? All die offensichtlich Kranken und Gebrechlichen? Wo sind die Badeanlagen und die Unterkunftshäuser für die Kranken? Gibt es hier eigentlich ein Abaton?"

    Chrysogona folgte dem Blick Camelias. Das war also der palatinische Hügel. Dort würde sie den Kaiser treffen. Welch erhebende Vorstellung.
    Was der Medica weniger behagte war die Vorstellung "abgefingert" zu werden, wie die junge Decima es ihr beschrieb. Sie hoffte auf eine respektvollere Behandlung durch die Palastwachen.


    Auf Camelias letzten Satz hin lächelte Chysogona sphingenhaft. "Es ist noch lange nicht sicher, dass ich die Stelle der Medica des Imperators übernehme. Aber ich darf ihm wohl vorsprechen. Das ist schon eine große Ehre. Die habe ich deinem Onkel Decimus Serapio zu verdanken. Ohne ihn wäre mir auch dieser hochinformative Stadtbummel mit dir entgangen und das wäre jammerschade."


    Chrysogona sah sich suchend um. "Wie kommen wir jetzt von hier auf die Tiberinsel?"

    Bei allen Göttern des Olymp, Chrysogona war nervös! Äußerlich die Ruhe selbst, schlotterte sie innerlich förmlich vor lauter Aufregung. Ihr Verstand war höchst alert. Heute kam es darauf an, dass sie einen guten Eindruck hinterließ. Es würde sicher nicht leicht werden, den Kaiser zu überzeugen, dass er sein Wohl und das seiner Familie in die Hände einer Frau legen sollte.


    Schon der Aufstieg zum Palatinum war dem Erklimmen des Olymp gleich gekommen. Von hier aus hatte der erste Mann im Staate die Zügel in der Hand, blickte auf seine Stadt - den Nabel der Welt - und leitete die Geschicke des Reiches, das sich bis weit über das Mare Nostrum und die Alpes ausgedehnt hatte.
    An der Seite der beiden Decimi war die Medica ohne Aufenthalt bis in die Räume der Domus Flaviana vorgedrungen. Die Pracht und Herrlichkeit der Räume verschlug ihr die Sprache. Es gab so viel zu sehen, dass es wohl Wochen dauern würde allen Schmuck des Palastes und seines Exterieurs gebührend zu betrachten.


    Chrysogona trug wie immer ein schlichtes, langes, Gewand im klassisch-griechischen Stil. Es war reinweiß. Das hochgesteckte dunkle Haar bedeckte sie zunächst mit einem zartblauen Schleier, den sie nach Betreten des Hauses auf die Schultern zurückschlug. Chrysogona war sich bewusst, dass sie mit ihrer Kleidung auffiel. Keine Frau in Rom trug eine derartig archaische Kleidung. Die meisten kleideten sich aufwändig und farbenfroh. Mit ihrer Kleiderwahl unterstrich die Medica, dass Äußerlichkeiten keine Rolle spielen sollten. Sie wollte den Kaiser nicht bezirzen, sondern mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten überzeugen. Er sollte keine Frau in ihr sehen sondern nur ihre medizinische Fachkenntnis.


    Als sie in Begleitung der Decimer das Triclinium betrat, hielt sie sich dezent im Hintergrund. Sie überließ den Männern das Reden und ihre Vorstellung.

    Chrysogona tat es Camelia gleich und lüftete ihren Himation ein wenig um besser sehen zu können. Während sie nun auf die freie Fläche des Forums hinaustraten, fiel es leichter, das etwas zurückversetzte dunkle Gebäude zu erkennen, das die Curia darstellte.


    Im Gegensatz dazu war die Rednertribüne an der Westseite des Forums gut zu erkennen. Die Medica wandte sich der jungen Römerin zu und runzelte ihrerseits die Stirn. Wurde in Tarraco die Bedeutung des Wortes Rostra nicht gelehrt und kannte die junge Frau nicht den Grund warum die Rammsporne der römischen Flotte, die den bedeutenden Sieg bei Antium herbeigeführt hatten, die Rednertribüne zierten?


    Chrysogona entschied sich, die nette junge Decima nicht zu brüskieren indem sie auf die Bildungslücke hinwies sondern lächelte nur.
    "Naja, es ist eine alte Geschichte und heute vermutlich schon in Vergessenheit geraten. Ist nicht so wichtig, Decima Camelia. Mich interessiert nur wo alle die berühmten Männer ihre Reden an das römische Volk gerichtet haben und heute wohl immer noch sprechen."


    Neugierig sah sie sich um. Der Tempel des Caesar, derjenige der Zwillinge Castor und Pollux, der Saturntempel und natürlich der Tempel der Concordia waren zu erkennen. Überall umstanden die Heiligtümer der Götter das Forum.
    "Das Herz des Imperiums. Es ist ausgesprochen beeindruckend. Die Pracht der Tempel und Basiliken - wirklich bewundernswert!"


    Dann wurde ihr Blick wieder suchend.
    "Sag mir noch, wo der berühmte Palast des Kaisers zu finden ist - der Palatinum? Ist er nicht in der Nähe des Forums? Er liegt erhöht, nicht wahr?"

    Nun liefen sie tatsächlich durch das Herz der ewigen Stadt. Chrysogona konnte es noch gar nicht glauben. Von dem Haus der Decimer war es nur ein Katzensprung zum Forum. Entlang der Via Sacra, vorbei an der Aedes Vestae und der Regia ging es auf das Zentrum Roms zu. Staunend betrachtete die Medica den Rundtempel der Vesta und die Basilica Aemilia. Allein die Größe und Dominanz der Tempel und Säulenhallen, welche die Hauptader der ewigen Stadt säumten, waren beeindruckend.


    Chrysogona wandte sich an die junge Decima.
    "Sag mir, wo ist die Curia, in der sich der Senat Roms trifft und wo die berühmte Rednerbühne, die man nach den Schiffschnäbeln Rostra nennt?"


    DIe wachen Augen der Griechin versuchten sich zu orientieren und sich einzuprägen was sie sah und was die Nichte des Prätorianertribuns ihr erklärte. Man konnte förmlich sehen wie es hinter ihrer Stirn arbeitete.