Beiträge von Plinia Chrysogona

    Chrysogona bedachte die Sklavin, auf die Camlelia so große Stück hielt, mit einem Lächeln.
    "Gerne werde ich mich deiner Führung anvertrauen, Amanirena."


    Dann wandte sie sich wieder der Decima zu. "Dein Onkel hat mir eine Sklavin zur Seite gestellt, die mir zur Verfügung stehen soll. Sie heißt Columbana. Doch ehrlich gesagt, habe ich sie nicht nach ihren Ortskenntnissen in Rom gefragt. Außerdem hatte ich lange Zeit keine persönlichen Sklaven. In meiner Kindheit gab es eine Amme und Kinderfrau, aber in den letzten Jahren war ich für mich selbst verantwortlich. Es gab natürlich Sklaven im Asklepieion von Kos, aber eigentlich nur für die medizinischen Hilfsdienste und für die Sauberkeit der Einrichtung. Nur der Archiatros hatte einen persönlichen Sklaven."


    Hocherfreut vernahm Chrysogona das Angebot, dass die Decima für sie auf der Kithara spielen und dazu singen wollte. Es beeindruckte sie, dass die junge Frau eigene Lieder schrieb und sang. Ihr dankbares Lächeln kam von Herzen.
    "Nur zu gerne werde ich deiner Stimme und dem Klang deines Lieblingsinstrumentes lauschen. Doch nun lass uns aufbrechen! Auf dem Weg durch die Stadt kannst du mir sicher einiges über Rom und die Römer erzählen. Ich bin sehr neugierig."


    Die Medica nahm ihren Mantel und einen Beutel mit Münzen und gab der Decima einen Wink voranzugehen.

    Chrysogona lauschte den Worten des Gardetribuns. Er hatte eine angenehme Stimme und aus seinen Worten klang die unbedingte Loyalität gegenüber seinem Kaiser. Wie er elegant ihre zuküngtige Aufgabe als Vorsorge für die Sicherheit des Imperators zu sorgen umriss, gefiel ihr. So hatte sie die Position der Hofmedica bisher nicht betrachtet. Aber selbstverständlich hatte Decimus Serapio recht. Wer wenn nicht sie würde an erster Stelle stehen wenn es darum ging, dass jemand versuchen würde, den Kaiser zu vergiften. Ihr Vater hatte das leidvoll erfahren müssen.


    Höflich bot er ihr zunächst ein Zimmer an, zu dem eine Sklavin sie geleiten sollte und stellte ihr die Begleitung seiner Nichte Camelia in Aussicht, die ihr die Stadt zeigen sollte. Chrysogona lächelte dankbar.


    "Vielen Dank für die Gastfreundschaft. Es ehrt mich, dass du mir deine Nichte zur Seite stellen willst, um Rom besser kennenzulernen. Ich habe den dringenden Wunsch, das berühmte Heiligtum des Aesculapius auf der Tiberinsel zu besuchen. Es wäre mir eine große Freude, wenn deine Nichte mich dorthin begleiten würde."

    Auf die Ankündigung des Decimers, der Medica eine Audienz beim Kaiser zu verschaffen, nickte sie höflich. Sie konnte ja auch schlecht einfach an der Pforte der Domus Augustana anklopfen. Nun war Geduld gefragt. Dazu schadete es sicher nicht, sich des göttlichen Beistandes des Heilgottes auf der Tiberinsel zu versichern.
    Mit einem dankbarn Lächeln auf den Lippen folgte die Medica der Sklavin zu dem ihr zugewiesenen Gästezimmer.

    Interessiert lauschte Chrysogona was die junge Decima ihr zu sagen hatte. Sie kam also aus Hispania! Damit war sie auch keine waschechte Römerin. Als Camelia anmerkte, dass sie alleine geblieben war, erinnterte sich die Griechin dass der Gardetribun ihr gesagt hatte, dass Camelia sein Mündel war. Somit war der Vater offenbar schon verstorben. Die Medica nahm sich vor, ihre junge Begleiterin bei Gelegenheit danach zu fragen, wollte aber nicht gleich so tief in ihr Privatleben eindringen. So so, ein eigenes Pferd wünschte sich Camelia. Wie ungewöhnlich für eine junge Frau, zumal in einer Großstadt wie Rom es war. Mit einem Zwinkern erwiderte sie darauf.
    "Nun, ich hoffe wir kommen auch auf andere Weise zur Tiberinsel als in der Sänfte oder auf dem Pferderücken. Ich kann nämlich nicht reiten und verlasse mich gerne auf meine Füße. Aber vielleicht erfüllt sich dein Wunsch ja und du lebst irgendwann wieder auf dem Lande, wo du dann womöglich auch ein Pferd besitzen kannst. In einer Stadt wie Rom ist es wohl eher ein umpraktisches Haustier."


    Chrysogona hob die Augenbrauen als die Decima ihr berichtete, dass sie nach dem Stadtspaziergang Erholung in der Musik gesucht habe und wenig später erwähnte sie auch welches Instrument sie spielte: die Kithara. Erfreut klatschte die Griechin in die Hände.
    "Wie schön! Du spielst Kithara? Dann werde ich nur zu gerne bei der Statue der Fortuna sitzen und dir beim Spielen zuhören. Ich liebe Musik! Und speziell den Klang der Kithara. Singst du auch dazu?", wollte sie wissen.

    Die Frau an der Seite der Decima war also eine Ornatrix. Chrysogona nickte ihr grüßend zu. Interessiert hörte sie, dass auch die Nichte ihres Gastgebers noch nicht lang in Rom war und zuvor auf dem Land gelebt hatte. Das war der Medica sehr sympathisch. Vermutlich konnte die junge Frau ihre Besorgnis, sich in der riesigen Stadt zurechtzufinden und mit den Gepflogenheiten der Römer vertraut zu werden, verstehen.
    "Du hast auf dem Land gelebt und bist auch noch nicht so lang in Rom? Dann kannst du sicher verstehen, dass ich befürchte, mich zu verlaufen. Wo auf dem Land hast du gelebt, Decima Camelia?", wollte Chrysogona wissen. Sie lächelte Camelia freundlich an.


    Dann erklärte sie den Hintergrund ihres Wunsches.
    "Ich würde gerne das berühmte Heiligtum des Aesculapius auf der Tiberinsel aufsuchen, um den Gott um Beistand zu bitten. Und so viel ich weiß, müssen wir, um dorthin zu gelangen, durch das Zentrum Roms laufen. Bei der Gelegenheit würde ich gerne ein wenig vom pulsierenden Herzen der ewigen Stadt kennen lernen."


    Das Angebot mit der Sänfte, lehnte Chrysogona mit einem Kopfschütteln ab.
    "Nein, nicht in der Sänfte. Ich möchte sehen, wo ich womöglich die kommenden Jahre verbringen soll. Wenn ich denn meine bescheidenen Fähigkeiten in den Dienst des ersten Mannes im Staate und seiner Familie stellen darf. Ob das allerdings der Fall sein wird, wird Tyche zu entscheiden wissen. Oh, verzeih, ihr nennt sie wohl eher Fortuna, nicht wahr?"

    Die Tür öffnete sich und zwei Frauen traten ein. Da eine von ihnen schon an der Kleidung als Sklavin zu erkennen war, musste die andere, sehr junge Frau, die Nichte des Gardetribuns sein. Decima Camelia war ein sehr hübsches junges Mädchen im heiratsfähigen Alter. Sie trug das dunkle Haar aufgesteckt und die blauen Augen bildeten einen unerwarteten Kontrast dazu. Selten hatte Chrysogona eine Frau mit dunkelbraunem Haar und blauen Augen gesehen - wirklich ein Blickfang.


    "Salvete oder Chairete, wie man in meiner Heimat zur Begrüßung sagt", begrüßte die Medica das junge Mädchen und ihre Begleiterin. "Mein Name ist Plinia Chrysogona, ich bin die Medica, die dein Onkel als Gast in seinem Haus aufgenommen hat, bis sich meine weitere Zukunft entschieden hat. Du musst Decima Camelia sein, nicht wahr? Und wer begleitet dich?"


    Chrysogonas interessierter Blick galt nun auch der Frau an der Seite der Decima.

    Chrysogona zog die Haarnadel zwischen den Zähnen hervor und steckte die Haare zum Knoten auf ihrem Hinterkopf fest. Sie richtete die vielen Falten ihres bodenlangen griechischen Peplos. Als es an der Tür klopfte, griff sie nach dem langen Mantel, den man in ihrer Heimat als Himation bezeichnete. Sie wollte den Tempel des Aesculapius aufsuchen, um den Heilgott um Unterstützung bei ihrem Vorstellungsgespräch beim Kaiser zu bitten.


    Auf ihre Bitte hin hatte Decimus Serapio ihm seine Nichte Decima Camelia zur Seite gestellt. Sie sollte Chrysogona durch das Labyrinth an Straßen und Gassen führen. Bei der Gelegenheit wollte die Medica nicht nur einen Überblick über die ewige Stadt bekommen sondern sie hoffte auch in Camelia eine angenehme Gesprächspartnerin zu finden.
    "Komm nur herein, die Tür steht offen!"


    Neugierig blickte Chrysogona zur Tür, wie die Nichte des Gardetribuns wohl aussah.

    Templum Aesculapii




    Errichtet im Jahre 460 ab urbe condita an dem Ort, an dem die Schlange des Heilgottes Aesculapius, die eigens aus Epidauros per Schiff nach Rom gebracht wurde, an Land gegangen war. Der steinerne Schiffsbug an der Ostseite und der Obelisk in der Mitte der Insel erinnern an dieses Ereignis.


    Der Tempel ist eingefasst von Portiken. Unter diesen warten Kranke darauf, dass sie die Gnade des Heilgottes erfahren und ihnen eine Wunderheilung zuteil wird. In weiteren Gebäuden werden die Votivgaben und Weihgeschenke aufbewahrt oder sie dienen der Priesterschaft des Aesculapius.


    Sim-Off:

    Bildquelle

    Eine Frage,


    ich habe bei der Recherche unter den Tempeln in Rom keinen Thread über den Asclepiustempel auf der Tiberinsel gefunden. Kann ich dann einfach einen neuen Thread unter dem Titel "Tempum Asclepii" dort aufmachen? Oder möchte da jemand eine erste Seite mit einer Ansicht des Tempels oder ähnlichem hinzufügen? ?(

    Schwungvoll betrat Decimus Serapio das Atrium. In die Kleidung eines Ritters gehüllt, genauso wie man sich einen Gardetribun vorstellte. Chrysogona kam nicht umhin, beeindruckt zu sein.


    "Salve!", beantwortete sie den Gruß und schob ein "Chaire!" hinterher.


    Er sprach von der Ehre, die sie seinem Haus erwies und Chrysogona runzelte die Stirn ob der unglaublichen Höflichkeit.
    "Ich danke dir für die Gastfreundschaft. Es beschämt mich, das du meine Anwesenheit als Ehre bezeichnest. Es ist gerade umgekehrt. Ich fühle mich geehrt in deinem Haus als Gast aufgenommen worden zu sein, obwohl wir uns nicht kennen."


    Dann beantwortete sie seine Frage. "Ja, ich hatte eine gute Reise. Das Wetter war hervorragend, die See ruhig. Allein diese Schiffsreise war es wert, dass ich mich auf den Weg nach Rom gemacht habe. Sonst muss sich ja erst zeigen, ob ich den Anforderungen genüge, die die Kaiserfamilie an einen Medicus stellt."


    Sie schlug bescheiden die Augen nieder. Dann aber hob sie den Blick wieder und fixierte mit ihren dunklen Augen den Tribun. "Kennst du meinen Vater? Ich habe ihn selbst lange nicht gesehen und auch in letzter Zeit nicht gesprochen. Es wäre wohl vermessen, dir von ihm Grüße auszurichten, aber ich bin sicher, dass er sich freuen würde, zu hören, dass du mir Obdach gewährst während ich dem Kaiser meine Aufwartung mache. Du bist sehr nah dran am ersten Mann im Staate... "


    Chrysogona war neugierig, biss sich aber gleich wieder auf die Lippen. Am liebsten hätte sie gleich gefragt, was der Kaiser für ein Mann war, aber sie wollte nicht im Atrium mit der Tür ins Haus fallen. Also ließ sie den Satz unbeendet und lächelte stattdessen herzlich.
    "Er muss große Stücke auf dich halten und ich beginne zu verstehen, warum."

    Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Faustus Decimus Serapio, der Gardetribun, der nach ihr hatte schicken lassen, schien ein vielbeschäftigter Mann zu sein. Die Medica begann unruhig auf und ab zu gehen. Wie würde es ihr erst im Palast auf dem Palatin ergehen, wenn sie jetzt schon so nervös war.


    Chrysogona besah sich den Genius des römischen Volkes und die Statue der Tänzerin, doch ihr Blick blieb an nichts wirklich haften. Musca schien sie amüsiert zu beobachten und nippte an seinem verdünnten Wein. Chrysogona hatte das Getränk noch nicht angerührt, doch als sich die Warterei noch länger hinzog, griff auch sie zum Becher und nahm einen Schluck.

    Ein farbiger Ianator führte Musca und Chrysogona in die Casa Decima Marcator. Aus Alexandria war sie dunkelhäutige Sklaven gewöhnt.
    Neugierig sah sie sich um, während der Optio mit ihr ins Atrium ging. Musca schien sich fast wie zuhause zu fühlen. Er setzte sich entspannt auf einen modischen Sessel.


    Chrysogona ließ die edle Ausstattung mit Impluvium und Statuen auf sich wirken. Sie war in Rom. Das Kribbeln in der Magengrube verstärkte sich. Bislang war sie auf der Reise gewesen, gedanklich noch fern von dem was sie erwarten würde. Nun jedoch kam es auf alles an. Jeder Satz den sie sagte, jede Geste, würde auf die Goldwaage gelegt werden. Das machte sie nervös. Alles war unbekannt. Die Stadt, die Menschen, die Sitten und Gebräuche. Es war definitiv die härteste Prüfung in ihrem bisherigen Leben.
    Sie strich ihr langes Gewand glatt, prüfte den Faltenwurf und sah ein wenig indigniert auf Musca, der so tiefenentspannt wirkte. Der hatte Nerven! Für ihn ging es ja um nichts mehr. Sie war schließlich heil angekommen.

    War die Fahrt durch die Stadt schon ein Erlebnis für die Griechin gewesen, so waren es die herrschaftlichen Häuser der Gentes erst recht. Als der Reisewagen vor der Casa Decima Mercator hielt, versuchte sich Chrysogona einen Überblick über die Größe des Anwesens zu verschaffen. Doch wie bei vielen Häusern in Rom verbarg auch diese Casa ihr weitläufiges Innere den Blicken der Neugierigen.


    Es blieb der Medica also nichts anderes, als darauf zu warten eingelassen zu werden. Musca sprang vom Pferd und half ihr aus dem Wagen, galant wie immer. Er übernahm auch das Anklopfen. Gespannt und ein wenig aufgeregt wartete Chrysogona darauf, die Bewohner des Hauses und vor allem den Mann kennenzulernen, der sie eingeladen hatte, sein Gast zu sein.

    Was auch immer der Grund gewesen war, weshalb der Miles sie aufgehalten hatte, er schien sich bei Chrysogonas Auftritt in Wohlgefallen aufzulösen. Der Blick, den die Medica der Stadtwache zuwarf schwankte zwischen Amusement und "na also".


    Auf ein Kopfnicken Muscas, dass die Sache erledigt war, drehte Chrysogona um und stieg, den Peplos raffend, wieder in den Reisewagen. Nun ging es in die ewige Stadt zum Haus des Prätorianerpräfekten.


    Sim-Off:

    halb so wild ;)

    So einfach wie erwartet schien es nicht zu sein, in die ewige Stadt Einlass zu bekommen. Die Diskussion zwischen dem Prätorianeroptio und der Stadtwache dauerte an. Irgendwann entschied sich Chrysogona den Wagen zu verlassen und selbst nach dem Rechten zu sehen. Sie trat auf die beiden diskutierenden Männer zu.
    "Salve!", sprach sie die Stadtwache an. "Darf ich erfahren, wo das Problem liegt?"

    Sie kamen tatsächlich erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit in Rom an. Schon weit vor den Toren der Stadt hatte die Bebauung sichtbar zugenommen und Chrysogona war schier überwältigt von den prachtvollen Landhäusern der stadtrömischen Prominenz. An den aussagekräftigen Grabmählern rechts und links der Straße ließen sich Status und Wohlstand der Verstorbenen ablesen. Nichts schien dem Zufall überlassen, man legte Wert auf Selbstdarstellung.
    Wie anders war dieses Rom im Vergleich zu Alexandria, wo es auch eine reiche Elite gegeben hatte. Doch diese Stufe der Eitelkeiten und Liebe zur Selbstdarstellung war ihr dort nicht untergekommen. Erst recht nicht auf Kos. Sie würde ein Schlangennest betreten, das war Chrysogona bewusst. Ob sie das Zeug dazu hatte, sich dort zu behaupten würde sich erst erweisen müssen.


    Der Reisewagen hielt an. Ihr Begleiter, der Optio Marius Musca stieg vom Pferd und ging auf die Stadtwache zu. Neugierig sah Chrysogona zum Wagenfenster hinaus. Sie versuchte mitzubekommen, was gesprochen wurde.

    Wie einst im Jahr 460 ab urbe condita, als die Schlange des Asklepios auf Weisung der Sibyllinischen Bücher von Epidauros nach Rom transferiert wurde und auf der Tiberinsel den Kult des Asclepius begründete, erreichte an diesem Tag wieder ein Schiff den Hafen Roms. An Bord diesmal keine Schlange, - die Medica Chrysogona hätte sich diesen Vergleich verbeten - sondern eine "Tochter" und eifrige Verehrerin des Heilgottes.


    Beinahe drei Wochen waren sie unterwegs gewesen. Von Kos über Corinthus, dann durch die Meerenge bei Messana. Von dort aus hatte sich das Schiff nah an der Küste gehalten und war schließlich über Puteolis nach Ostia gesegelt. Das Wetter und die Winde waren günstig gewesen. Chrysogona hatte die Reise in vollen Zügen genossen. Schon allein für diese Seereise hatte es sich gelohnt das Angebot des Kaisers anzunehmen.


    Als das Schiff nun in den großen Stadthafen der ewigen Stadt einlief, stand die Medica neben Optio Marius Musca an der Reling und besah sich das emsige Treiben an den Kaianlagen. Unter Traian hatte man ein Stück von der eigentlichen Stadt Ostia entfernt ein weiteres Hafenbecken angelegt. Dort legte auch das Schiff mit der "Fracht" aus Kos an. Den weiteren Weg in die Hauptstadt des Imperiums würden sie im Reisewagen zurücklegen.
    Chrysogona betrachtete aufmerksam die Hafenanlagen. Riesige Horrea zum Lagern der Waren, die für Rom bestimmt waren, verteilten sich hinter den Kaianlagen. Wie fleißige Ameisen waren Sklaven und Hilfarbeiter dabei, die Fracht der Lastkähne zu löschen. Manches wurde auf kleinere Boote umgeladen, die vermutlich über Kanäle oder den Tiber selbst Waren in die Stadt transportieren sollten.


    Eine Planke wurde angelegt und Musca half der Medica von Bord. Alles war auf´s Feinste vorbereitet. Ein Wagen stand bereit, der Chrysogona und ihre Habseligkeiten nach Rom bringen würde. Sie bestieg das Gefährt und versicherte sich, dass auch die Kiste mit ihren medizinischen Instrumenten Platz fand. Die Nacht würde sie in Rom verbringen. Neugierig sah sie nach draußen, während sich der Wagen in Bewegung setzte. Sie wollte einen Eindruck von dem Land bekommen, das womöglich ihre neue Heimat werden sollte.

    Optio Marius Musca wartete bereits am Hafen auf Chrysogona. Er hatte alle Formalitäten erledigt und das Gepäck der Medica verstauen lassen. Galant reichte er Chrysogona die Hand um ihr an Bord zu helfen. Der schnelle Segler würde im günstigsten Falle gut zwei Wochen unterwegs sein. Noch war das Wetter hervorragend, eine angenehme Brise würde die Fahrt erleichtern. Doch es war bereits September und somit konnten jederzeit Herbststürme aufziehen, die eine Überfahrt nach Rom zu einer gefährlichen Reise machen würden.


    Chrysogona begrüßte den Schiffsführer. Geschützt unter einem Sonnensegel, konnte sie das Ablegemanöver beobachten. Als sie den schönen Naturhafen von Kos verließen, blickte Chrysogona zurück auf die Stadt und das erhöht gelegene Asklepieion. Mit Wehmut betrachtete sie die imposante Anlage, die ihr so viele Jahre Heimat gewesen war. Ob sie jemals wiederkehren würde?

    Mit einem feinen Lächeln hatte der Optio Marius Musca Chrysogonas Zustimmung hingenommen. Er hatte wohl längst geahnt, dass die ehrgeizige Medica sich diese Chance nicht entgehen lassen würde.


    Am selben Tag noch hatte Chrysogona den Archiatros des Asklepieions Gaius Stertius Tychicus von dem Angebot aus Rom und ihrer Entscheidung informiert. Tychicus schien nicht überrascht zu sein, wohl aber traurig, eine seiner fähigsten Mitarbeiterinnen zu verlieren. Er versprach ihr, dass sie jederzeit willkommen wäre, falls sie die Gunst des Kaisers nicht erlangen oder wieder verlieren würde. Dankbar hatte Chrysogona dieses Versprechen gehört, denn es stand schließlich noch in den Sternen, ob sie den Imperator von ihren Fähigkeiten überzeugen können würde.


    Am darauffolgenden Morgen stand Chrysogona mit ihrem Assistenten Kairos in dem Behandlungsraum, den sie in den vergangenen Jahren ihr Eigen hatte nennen dürfen und packte. Sechs verschieden große bronzene Schröpfköpfe wurden in einer Kiste verstaut, desweiteren diverse Gefäße mit Heilmitteln von denen Chrysogona annahm, dass sie in Rom nicht so einfach aufzutreiben sein würden.


    Mit sanfter Hand strich sie über das hölzerne Kästchen, das ihre Instrumente enthielt. In zwei übereinander angeordneten kleinen Schubfächern, waren die Skalpelle, Knochenheber, Spatel und Sonden, Pinzetten und Ohrlöffelchen in jeweils passende Aussparungen einsortiert. Die Klingen waren austauschbar, die Griffe der Instrumente edel verziert mit Tauschierungen in Form einer Schlange. Das Instrumentenkästchen und sein Inhalt waren ein Geschenk ihres Vaters gewesen, als er sie vor Jahren ans Asklepieion von Kos schickte.
    Chrysogona reichte Kairos das Kästchen. Sie lächelte.


    "Du wirst mir fehlen Kairos. Ich hatte nie zuvor einen so fähigen Helfer wie dich. Mein Nachfolger darf sich glücklich schätzen."
    Die Medica reichte dem Sohn eines Olivenbauern beide Hände und drückte seine. Es fiel ihr schwer, Abschied von Kos zu nehmen. Abrupt riss sie sich los und drehte Kairos den Rücken zu. Sie bewegte sich auf die weit geöffnet Tür zu, die den herrlichen Ausblick auf das Meer freigab.
    "Du kannst die Sachen zum Hafen hinunter bringen. Ich werde gleich nachkommen."


    Während ihr Assistent die Kiste mit Instrumenten und Heilmitteln auf einen Wagen lud, auf dem auch schon eine Reisetruhe mit Chrysogonas Kleidung Platz gefunden hatte, schritt die Medica ein letztes Mal die Stufen zur obersten Terrasse des Heiligtums hinauf und betrat den Tempel des Asklepios. Nachdenklich ging sie an all den Weihgaben und Votivtafeln vorbei und versuchte sich den Anblick einzuprägen, damit er auch in der Fremde bei ihr blieb.


    Dann wandte sie sich zum Gehen, ließ Tempel und Abaton hinter sich, ebenso die Tempel der mittleren Terrasse. Vor dem Tor des Heiligtums auf der untersten Ebene hatten sich die Kollegen versammelt, um Chrysogona zu verabschieden. Die Medica war kein gefühlsbetonter Mensch, doch konnte sie sich in diesem Augenblick einer gewissen Sentimentalität nicht erwehren. Sie umarmte und schüttelte Hände. Gute Wünsche und weise Ratschläge vermischten sich mit Scherzen und Sticheleien. Da musste sogar die ernste Medica grinsen. Sie sprach einen letzten Dank an den Archiatros Tychicus aus und verprach bald zu schreiben. Dann wandte sie sich ab, durchquerte das Tor und lief zum Hafen hinunter.

    Es war Chrysogona nicht leicht gefallen Schlaf zu finden. Zu aufwühlend waren der Besuch des Optios und der Brief aus Rom gewesen. Doch irgendwann in den frühen Morgenstunden hatte sie einen sehr lebendigen Traum.


    Chrysogona stieg die Stufen des Tempels hinauf der Asklepios und Hygieia geweiht war. Sie betrat die Cella und spendete beiden Göttern Weihrauch. Deutlich formulierte sie ihren Dank für die hinter ihr liegende Lehrzeit am Asklepieion und die offensichtliche Gunst der Heilgötter. Anschließend bat sie um einen Wink der Götter bezüglich der Anfrage aus Rom. Lange stand sie dort, wartete auf ein Zeichen. Sie betrachtete das bärtige Antlitz des Heilgottes und die zarten Gesichtszüge seiner Tochter. Doch nichts ließ auf ein Zeichen schließen. Der Rauch zog kräuselnd zum Dach des Heiligtums empor, kein Luftzug, kein Mucks ließ auf eine Reaktion der Götter schließen. Schließlich ließ Chrysogona die zum Gebet erhobenen Hände sinken und zog sich resigniert zurück. Am Tor des Tempel drehte sie sich um und durchquerte die Vorhalle.


    Als sie gerade die Stufen hinabsteigen wollte, erblickte sie in der Ferne einen schwarzen Punkt, der rasch näher kam. Es war ein Vogel, ein großer Raubvogel. Er trug etwas in den Fängen. Gebannt starrte Chrysogona auf den Vogel. Es war ein Adler! Und er trug eine Schlange in den Krallen! Mit einem markdurchdringenden Schrei drehte er direkt vor Chrysogona ab und ließ die Schlange vor ihre Füße fallen. Dann entschwand er in die Lüfte.


    Die Medica setzte sich auf. Sie atmete tief durch. Eindeutig war das Zeichen, das ihr die Götter gesandt hatten. Der Traum war nicht schwer zu interpretieren und bestätigte das Vertrauen ihres Vaters. Es war also im Sinne der Götter, dass sie den weiten Weg nach Rom machte, um sich dem Kaiser vorzustellen.
    Chrysogona würde Optio Marius Musca und dann auch den Kollegen am Asklepieion ihre Entscheidung mitteilen.

    Die weiteren Konsultationen des Vormittag brachte Chrysogona diszipliniert wie eh und ja hinter sich, wenn sie auch ab und an mit ihren Gedanken zu der schweren Entscheidung abdriftete, die vor ihr lag.


    Am Nachmittag, während sich die meisten Patienten in der Therme aufhielten, nahm sich Chrysogona Zeit, mit sich und ihren Gedanken alleine zu sein. Sie verließ den Gebäudekomplex des Asklepieion und spazierte durch den heiligen Zypressenhain des Apollo Kyparissios, der die Anlage umgab. Es war still, nur das Rauschen des Windes war in den Zweigen der Zypressen zu hören. Chrysogona erinnerte sich daran, dass im Orakelheiligtum von Dordona die Zukunft aus dem Rauschen des Windes in den heiligen Eichen des Zeus gehört wurde. Ob sie ihre Zukunft aus dem Rauschen der Zypressen würde hören können? Die Medica lauschte. Es klang schön, beruhigend. Aber eine Antwort konnte sie so nicht finden. Dennoch versank Chrysogona in eine Art meditativen Zustand, der es ihr ermöglichte, eine Bitte an den Orakelgott Apollo zu senden. Sie bat ihn um einen Traum, der ihr die Antwort auf die schwierige Entscheidung erleichtern möge.


    Zu gerne hätte sie ihren Vater um Rat gefragt, aber ein Brief nach Alexandria wäre zu lang unterwegs. Sie hatte nur eine Nacht. Und im Prinzip hatte ihr Vater ihr seine Antwort bereits übermittelt. Er hatte ihren Namen ins Spiel gebracht. Also traute er ihr diese Aufgabe zu.


    Seufzend trat Chrysogona an den Rand des Hochplateaus und blickte über die glitzernden Wellen des Meeres hinweg. Irgendwo in der Ferne, weit weg von Kos, weit weg von Alexandria, wartete eine Herausforderung auf sie. War sie bereit, sie anzunehmen? Sich in das Schlangennest Rom zu begeben? Ins Zentrum der Macht?


    Als sie sich an diesem Abend schlafen legte, legte sie eine Münze für Mnemosyne auf ihren Nachttisch. Sie hoffte, in dieser Nacht eine Antwort auf ihre Frage zu bekommen und sie wollte sich unbedingt daran erinnern, wenn sie aufwachte.