Beiträge von Decius Germanicus Corvus

    “Nein, wieso sollten sie?“, fragte Germanicus Corvus scheinbar naiv. Aber vielleicht war diese Naivität auch nur gespielt.
    “Eine Einladung ist doch etwas Erfreuliches. Allerdings muss für die Sicherheit der Veranstaltung gesorgt werden und du weißt genau so gut wie ich, dass es um die zurzeit nicht so gut bestellt ist.“

    “Oh ja, dass ist furchtbar!“, stimmte Germanicus Corvus zu.


    Wie er es sagte, da hätte man fast annehmen können er hätte erst jetzt von diesen Unruhen erfahren. Das war natürlich nicht der Fall, denn darüber hatten sie vor dem Eintreffen des Mannes, der sich Titus Decimus Verus nannte, schließlich gerade gesprochen.
    Trotzdem sah er Appius Terentius Cyprianus mit empörtem Gesichtsausdruck an, was schon einer gekonnten schauspielerischen Leistung gleich kam.


    “Praefectus Legionis Terentius Cyprianus“, rief er aus, und es klang vorwurfsvoll, “dem muss Einhalt geboten werden! Ich will, dass sofort die gesamte XXII. Legion in Marsch gesetzt wird! Sie soll in die Stadt einmarschieren und für Ordnung sorgen! Es muss jetzt durchgegriffen werden. Rädelsführer und Brandstifter sind sofort festzunehmen. Wer sich zu wehren wagt, nimmt seinen Tod in Kauf.
    Und... äh... auch vor den Toren von Basileia muss aufgeräumt werden.“


    Ganz offensichtlich wollte er sein Zögern vergessen machen.

    ...und so war es:



    An den Procurator a libellis
    Tiberius Prudentius Balbus
    Administratio Imperatoris
    Palatium Augusti
    Roma


    Salve Tiberius Prudentius Balbus!


    Dieses Schreiben bringt erfreuliche Kunde! Ganz Rom wird jubeln, wenn es von dieser Neuigkeit erfährt.
    Denn ich darf vermelden, dass der seit dem vergangenen Jahr im Feindesland vermisste ehemalige Legatus Legionis der Legio Prima, der Senator Marcus Decimus Livianus lebt und wohlbehalten aus den Händen der Parther entkommen ist.
    Er hält sich hier, in Alexandria auf.
    Seine Befreier sind Herius Hadrianus Subdolus, ehemaliger Tribunus Angusticlavius der Legio II Germanica, sowie Regionarius von Italia, und Primus Decimus Magnus, Verwandter des Decimus Livianus und einst Praefectus Alae der Ala II Numidia.
    Sie unternahmen inkognito eine wagemutige Expedition in das Land der Parther und schafften, was man für nahezu aussichtslos halten musste: Sie fanden und befreiten den gefangenen Senator.
    Es geht ihm den Umständen entsprechend gut und er wird nach Rom zurückkehren, sobald er sich von den Strapazen seiner Gefangenschaft und Flucht erholt hat.
    Ich habe ihn hier in Alexandria freundlich und mit allen Ehren aufgenommen. Zwar ist es Senatoren verboten, ohne ausdrückliche Erlaubnis des Kaisers aegyptischen Boden zu betreten. Aber ich habe von entsprechenden Maßnahmen Abstand genommen, weil ich annehme, dass der Kaiser angesichts der besonderen Situation eine Ausnahme für gerechtfertigt halten wird.
    Ich bitte Dich, Procurator a libellis Tiberius Prudentius Balbus, den Kaiser, den Senat von Rom und die nächsten Verwandten des Decimus Livianus von seiner glücklichen Rettung in Kenntnis zu setzen.

    [Blockierte Grafik: http://www.sai.uni-heidelberg.de/~harm/ImperiumRomanum/Alexandria_et_Aegyptus/Unterschrift_Corvus_PAeg_Papyrus.png]
    ALEXANDRIA – ANTE DIEM V KAL MAI DCCCLIX A.U.C.

    (27.4.2009/106 n.Chr.)


    “Das überträgst du so schnell als möglich in Reine, dann unterzeichne ich und es geht unverzüglich auf seine Reise.“, befahl der Praefectus anschließend.

    “Sie haben Feuer an das Schiff gelegt?!“


    Die Störung der Verladearbeiten war dem Präfekten sichtlich egal. Aber Feuer? Das war eine ernste Gefahr für das Schiff, andere Schiffe, und die ganze Stadt.


    “Ich bin entsetzt! Wie gut, dass ihr das Feuer löschen konntet. Ich hoffe, es ist kein großer Schaden entstanden?“

    Nur selten ließ sich der Praefectus Aegypti persönlich in der Schreibstube der Scribae blicken, obwohl diese sich direkt an die weitläufige Zimmerflucht anschloss, in der er seiner tagtäglichen Arbeit nach ging.
    Doch heute tat er es und das musste etwas zu bedeuten haben.


    “Ich habe einen Brief zu diktieren.“, verkündete er ohne vorherigen Gruß.
    “Der Brief ist wichtig und er muss auf schnellstem Wege nach Rom.“

    “Mir nicht.“, meldete sich Germanicus Corvus zu Wort, den die Dynamik der Ereignisse sichtlich zu schaffen machten. Das war eigentlich erstaunlich, denn schließlich hatte er hatte als Offizier auch schon brenzlige Situationen zu bestehen gehabt und gemeistert.


    “Sind sie auf dein Schiff gekommen? Die Aufst... ähm, dass Gesindel, meine ich?“

    “Ja, äh..., ja, natürlich. Ich wünsche dir einen schönen Tag, Iunia Urgulania. Vale!“


    Germanicus Corvus versuchte freundlich zu wirken. Doch innerlich war er aufgewühlt und wie schon bei dem erst kurz zurückliegenden Antrittsbesuch der Pyrtanen war es wieder die Feindschaft zwischen den Würdenträgern der Stadt und dem Praefectus Legionis der XXII., die Ursache seiner Unruhe war. Froh war er nur, dass er die drohende Klage vor einem Praetor in Rom gerade noch hatte abwenden können. Aber eine Lösung des Problems, auch dass wusste er, war das noch lange nicht.

    'Zur Rechenschaft gezogen' – diese Formulierung löste bei Corvus dann doch ein wenig Unbehagen aus, denn der Praefectus Legionis war ihm zwar unterstellt, aber nicht von ihm ernannt worden. Außerdem hatte es sich schon seit Monaten gezeigt, dass sich Corvus gegen den sehr selbstbewussten Terentius Cyprianus nur bedingt durchsetzen konnte.


    Trotzdem nickte er und sagte: “Du kannst ganz unbesorgt sein.“


    Leider klangen seine Worte dabei nicht ganz so überzeugend wie er es wollte.

    “In Aufregung?“


    Germanicus Corvus sah den Gymnasiarchos so an, als hätte dieser in einer für ihn vollkommen fremden Sprache zu ihm gesprochen. Er sprang auf.


    “Das... ich sollte dich für diese schrecklichen Anschuldigungen verhaften lassen! Ja, dass sollte ich. Das ist unerhört! Dein Glück, Nikolaos Kerykes, dein Glück ist es, dass ich dich selbst dazu aufgefordert habe, offen zu reden.
    Wir vergessen diese Sache, ja, dass ist das Beste für alle. Was heute hier gesagt wurde wird diese Halle niemals verlassen.
    Es ist genug. Ihr könnt gehen.“


    Der Praefectus Aegypti drehte sich unvermittelt um und starrte den alten Stuhl aus ptolemäischer Zeit an, auf dem er bis eben gesessen hatte und auf dem er immer saß, wenn er Audienzen abhielt. Er wollte nicht glauben, dass Terentius Cyprianus das Feuer in Alexandria schürte, um Rom zu schaden. Aber seit dieser Mann das Kommando über die XXII. übernommen hatte, war die Lage zweifellos schwieriger geworden. Die Spannungen in der Stadt waren fast körperlich spürbar und die Meldungen über Unruhen häuften sich. Was nun, wenn Cyprianus zwar kein Verräter an Rom war, aber ihn, Germanicus Corvus, bloß stellen wollte, weil er seinen Posten für sich wollte? Was, wenn er an seinem Stuhl sägte?

    Während Nikolaos Kerykes sprach wurde Germanicus Corvus immer fahler im Gesicht. Schweigend hörte er zu, doch man konnte sehen, wie sich seiner eine wachsende Unruhe bemächtigte, die ihn nervös auf seinem Stuhl hin und her rutschen ließ.
    Als der Gymnasiarchos endlich fertig war – und das dauerte, denn der redete wie ein Wasserfall – da war der Praefectus ziemlich weiß im Gesicht. Wie aus einem bösen Traum erwacht sah er Nikolaos an, und dann zu Cleonymus.


    “Das... das sind ungeheuerliche Anschuldigungen...“, stammelte er.
    “Unmöglich, dass ist u-n-m-ö-g-l-i-c-h! Terentius Cyprianus ist ein römischer Offizier! Er ist ein hoch dekorierter Offizier. Er hat sich vielfach ausgezeichnet und er hat seinen Eid auf den Kaiser geschworen. Ein römischer Offizier... das... ein römischer Offizer... niemals... ein römischer Offizier wird niemals Verrat üben! Niemals! Das ist vollkommen ausgeschlossen! AUSGESCHLOSSEN!


    Du musst dich irren. Das ist Unsinn. Keine Frage, dass muss es sein. Nein. Kein römischer Offizier würde Rom je verraten. Das geht nicht und das macht auch keinen Sinn, denn es gibt keinen Ort, wo man vor Roms Rache sicher wäre. Rom ist die Welt und die Welt ist Rom! Ein Verrat an der römischen Sache ist sinnlos! Absurd. Unmöglich. Ausgeschlossen.
    Was hätte er schon zu gewinnen? Wieso sollte er wollen, dass Aegyptus und Alexandria in Unordnung versinken? Wieso sollte er wollen, dass Rom vom aegyptischen Getreide abgeschnitten wird? Was könnte er gewinnen?
    Dein Verdacht... er ist... Nein!“

    “Quintus Fabius“, rief Corvus mit zornesrotem Gesicht aus, “du vergisst dich und du hast ganz recht, dein Verhalten ist unerhört!“
    Er schlug mit der Faust auf den Tisch, so das eine kleine Statuette in Form einer Katze – ein altes Stück aus pharaonischer Zeit das ihm als Schriftrollenbeschwerer diente – um fiel.


    “Ich schätze ein offenes Wort und als Stabsoffizier ist es deine Pflicht, Vorschläge zu machen und Rat zu geben. Aber deine Kritik ist maßlos und unverschämt. Beleidigend geradezu. Du bist Soldat. Kümmere dich um deine Aufgaben. Du sprichst von Dingen, von denen du nichts zu verstehen scheinst!“


    Und nun wandte er sich dem Praefectus Legionis Terentius zu. Er zeigte mit dem Finger auf ihn – drohend.


    “Habe ich dir nicht gesagt, dass diese Übungen in Alexandria ein Risiko sind? Hast du nicht trotzdem darauf bestanden und habe ich dir nicht mit den Worten nachgegeben, dass ich dich dafür verantwortlich machen werde, wenn diese Sache aus dem Ruder läuft?
    Nun, was ist jetzt? Da draußen steht der Mob vor den Toren des Königsviertels. Du bist mit der XXII. für die Sicherheit innerhalb der Stadt verantwortlich. Das dieser Offizier... wie war sein Name, Furius? Das der ermordet wurde ist schlimm genug, dass seine Leiche geschändet wurde unverzeihlich, aber das hätte gar nicht passieren dürfen!
    Das nenne ich Versagen! Es ist dein Versagen, Appius Terentius! Ich beabsichtige nicht, mich dafür vor dem Kaiser zu verantworten. Nein, dass wirst du tun. Ich werde Rom schreiben und deine Ablösung fordern!“


    Offensichtlich wollte sich Germanicus Corvus aus der eigenen Verantwortung stehlen und brauchte nun dringend einen vorzeigbaren Sündenbock. Denn letztlich war ja schließlich er selbst der Oberbefehlshaber in Aegyptus.

    Germanicus Corvus atmete hörbar aus.


    “Das ist bedauerlich, wirklich bedauerlich. Aber es ist unmöglich! Ich kann dem Präfekten einer der beiden hier stationierten Legionen auf keinen Fall in Alexandria den Prozess machen. Nein, dass geht nicht! Er wurde vom Imperator selbst eingesetzt. Täte ich es, dann könnte man mir Amtsanmaßung vorwerfen.
    Als Oberbefehlshaber in Aegyptus kann ich ihn zurechtweisen und ich garantiere für deine Sicherheit. Du kannst unbesorgt sein, so lange ich hier das Sagen habe, wird kein römischer Bürger und keine römische Bürgerin gekreuzigt werden. Davon einmal abgesehen, halte ich diese Drohung, so sie denn ernst gemeint war, einer Dame gegenüber für nicht statthaft, natürlich unverschämt und in deinem Fall, selbstverständlich, für vollkommen unbegründet.
    Ich kann dich nicht davon abhalten, deine Klage vor einen Praetor zu bringen. Aber... also... in Rom wird das keinen guten Eindruck machen...“


    Und damit meinte er zweifellos, dass eine solche Klage ein schlechtes Licht auf seine Statthalterschaft werfen würde. Denn ihm war sehr daran gelegen, dass man dort glaubte, er hätte die Lage hier, in dieser für das Imperium so wichtigen Provinz, voll und ganz im Griff, auch wenn dies von Woche zu Woche immer weniger der Fall zu sein schien.

    “Am Kreuz? Eine römische Bürgerin? Nein, nein, dass ist undenkbar!“, rief Corvus aus, denn das war eine Strafe, die von jeher Ausländern und Unfreien vorbehalten war.


    “Aber... ähm... die Klage einer Römerin gegen einen Römer und dazu noch gegen den Legaten einer Legion, die bekanntlich außerhalb Alexandrias stationiert ist... also... nein, ich denke, darüber sollte ein Praetor befinden.“


    Es war offenkundig, dass der Präfekt die Brisanz eines solchen Verfahrens scheute und sich nicht darum riss, mit dieser Sache mehr als nötig zu tun zu haben.


    “Aber ich kann deine Klage nach Rom weiter leiten. Es sei denn, du willst es dir nicht vielleicht doch noch einmal überlegen. Ein klärendes Gespräch ist manchmal viel besser als ein Gerichtsverfahren, sehr viel besser.“


    Er sah sie fragend an, wenngleich mit nicht sehr viel Hoffnung.

    “Ein Verdacht?“
    Zumindest zeigte sich Neugierde im erzürnten, empörten und ziemlich roten Gesicht des Präfekten.
    Aber die Worte von Ánthimos Bantotakis hatten ihn noch nicht beruhigen können, auch wenn er ebenfalls keinen Sinn darin gesehen hatte, weshalb Spitzel der Stadtwache die Legionen ausspionieren sollten. Zumindest war er in seinem Unverständnis nicht ganz alleine, so schien es. Das war eine höchst undurchsichtige und merkwürdige Geschichte.


    “Wenn der Frieden und die Ordnung von ganz Aegyptus auf dem Spiel steht, wie du sagst, dann raus mit der Sprache! Lass uns hören, was du zu sagen hast!“


    Er machte eine ausladende Geste, nur um noch einmal zu zeigen, dass er seinen Verdacht vor ihm und den versammelten Würdenträgern äußern solle.

    “Ja, ja, natürlich, ihr werdet freien Zugang zum Basileia-Viertel haben.“


    Der Präfekt wandte sich dem Centurio zu, der die Besucher begleitet hatte. Er kannte ihn nicht namentlich und darum sprach er ihn mit seinem Rang an:
    “Centurio! Sorge dafür, dass die Wache informiert wird. Diese Männer dürfen die Tore des Königsviertels ungehindert passieren!“