Das war zu viel. Nun sah ich endgültig rot. Ich hätte nicht sagen können, wie es mir letztlich gelang, aber ich kam von den Fesseln frei. Meine Hände waren blutverschmiert, die Handgelenke tief eingerissen, wund und auf. Ich sprang auf. Pures Adrenalin schoß durch meine Adern und puschte meinen Körper hoch, gab mir Kräfte, die ich längst nicht mehr zu haben dachte.
Der Schemel kippte polternd um und ich näherte mich wie eine Katze, schnell Malachias. In meiner Hand hatte ich plötzlich die lange Scherbe, die ich, ehe sie mich wieder herausgebracht hatten, hatte verbergen können. Ich sah sein erstauntes, fast entsetztes Gesicht und spürte meine eigene Wut, Zorn und sogar Hass auf ihn in mir kochen. Alles andere war ausgeblendet. Ich hörte nicht den Schrei der Frau, als ich auf Malachias einstach und ihn scheinbar sogar leicht verletzte, aber der Schrei eines Mannes, laut, befehlend und unüberhörbar, drang zu mir durch. Ich konnte nicht sagen ob beim ersten Mal oder ob er mehrmals hatte schreien müssen, aber ich hörte ihn meinen Namen rufen und in meinem Kopf machte es "Klick".
Ich wirbelte rum, sah die Frau von vorher und hinter ihr Curio. Beide Gesichter waren vor Entsetzen erstarrt. Oder war es bei Curio Wut? Vielleicht war es auch mein eigenes Entsetzen und meine Wut, die ich in ihnen sah. Meine Hand hielt die Scherbe fest umklammert und Blut tropfte von ihr und den Handgelenken auf den Verandaboden. Sie hatte bereits eine tiefe Wunde in die Hand geschnitten, aber das sah ich nicht, spürte es nicht einmal. Ich sah nur plötzlich, dass alles vorbei war und ich nie wieder eine solch gute Chance bekommen würde.
Meine Wut und mein Hass verpufften im Nichts und dafür legte sich eine unendliche Ruhe über mich. Ja, jetzt würde ich es endlich tun können. Antiope verzeih mir, aber wir sehen uns in Hels Reich wieder, dachte ich. Auch an meine Familie, so sie noch lebte sandte ich einen letzten Abschiedsgruß. Dann, während ich zurückwich, in die hinterste Ecke der Veranda, immer von den näher kommenden mich zurückziehend, nicht mehr auf die Worte achtend, sprach ich stumm, nur die Lippen bewegten sich wortlos, meinen Abschied:
Dort treffe ich dann meinen Vater
Dort treffe ich meine Mutter, meine Schwestern und meine Brüder
Dort treffe ich all jene Menschen meiner Ahnenreihe von Beginn an
Sie rufen bereits nach mir,
Sie bitten mich meinen Platz Einzunehmen
Hinter den Toren von Wallhalla
Wo die Tapferen ewig leben!
Dann riss ich, an der Brüstung angekommen, meine Hand mit der Scherbe hoch, sah zu den Menschen ein letztes Mal hin, bemerkte nur am Rande, dass die Frau auf mich zustürzte und dachte noch, zu spät, und stach mir mit der Scherbe tief in die Brust. Ich hatte mein Herz treffen wollen und hätte es vielleicht, aber ich spürte noch die Hand an meinem Arm und wie er leicht zur Seite gedrückt wurde. Die Scherbe drang in die Brust und das auch tief, aber sie traf nicht das Herz.
Nun wich alle Kraft aus mir, alles was mich bis zu diesem Zeitpunkt auf den Beinen gehalten hatte. Ich sackte in die Knie und alles um mich herum verschwamm. Mein letzter Gedanke, mein letztes Wort, tonlos und doch deutlich auf meinen Lippen zu sehen war der Name meiner Blutsschwester, dann wurd alles dunkel um mich herum.
Das ich, schwerverletzt und blutend, auf dem Verandaboden zum liegen kam, bemerkte ich nicht mehr. Auch nicht, dass plötzlich große Hektik um mich herum ausbrach, größere noch als Minuten zuvor, als ich auf Malachias einstach.