Wäre Carbo Christ gewesen, dann wären jetzt für ihn alle Kreuze des Himmels zu Boden gestürzt, denn er konnte kaum fassen, was der hochwürdige Senator da gerade von sich gegeben hatte. Er hatte seine Standesgenossen als „nutzlos“ bezeichnet! Ein frevelnder Ausspruch, den er sich als kleiner Wurm und Nichts (aus den Augen eines Römers mit Bürgerrecht) nie und nimmer auch nur zu denken gewagt hätte. Doch vermutlich war das ja der übliche Umgangston der Eliten, so genau wusste er das ja auch nicht. Oder er hatte es mit einem besonders mutigen Mann zu tun so etwas öffentlich zu verlautbaren, alles in allem -trotzdem, dass die Äußerung Carbo erschreckt hatte- fand er es dennoch irgendwie beeindruckend. „Ich bin mir sicher, dass die Senatoren Roms keineswegs nutzlos sind. Bestimmt sind sie die Stütze der Gesellschaft, auf denen all unsere Verwaltung und Politik lastet als Spitze der Gesellschaft.“, bemerkte der Junge, während er den Flavier beim hinsetzen zusah, in der Meinung, er müsse etwas positives über den Senat sagen. Auch war er immer noch etwas verunsichert wegen der Situation mit einem waschechten Senator zu sprechen. Ein Angehöriger dieses Standes stand für Carbo einfach so ungeheuer hoch über ihn in der Nahrungskette, dass er sich das kaum vorzustellen vermochte. Irgendwie war es schon anders als damals mit diesem Edelsohn in der Taberna Silva Nigra vor so vielen Monaten. Vielleicht aber auch, weil der noch sehr jung gewesen war, während der Mann neben Carbo bestimmt schon so einiges geleistet hatte für Rom.
Doch als wäre dieser Abend der Mirakel nicht schon perfekt, so fand sich Carbo tatsächlich in der Position des Aufklärers gegenüber dem ehrenwerten Mitglied der Gesellschaft wieder, als dieser nach den näheren Befangenheiten des Amtes des Magister Vicis sich erkundigte. Ein echt verrückter Tag. Doch diese Gelegenheit konnte er auch gleich nutzen, um dem Flavier von seiner früheren Begegnung mit einem anderen Patrizier zu erzählen (für Carbo war das ja bislang immer noch immer jeweils ein höchst denkbares Ereignis, wo es praktisch keine Patrizier im Norden gab und jede solcher Begegnungen zum Spektakel für ihn geriet).
„Gerne doch, o Senator. Jeder Vicus Mogontiacums wählt seine Vertreter, die sogenannten Magistri Vici. Sie sind dafür verantwortlich, im Namen ihres Vicus regelmäßig den Lares vicani zu opfern, außerdem haben sie den Aediles zur Hand zu gehen und zudem die Interessen ihres Vicus zu vertreten und für die Nöte und Anliegen der Vicani da zu sein. Falls du willst, erläutere ich dir das Amt des Magister Vici anhand meiner eigenen Amtszeit zur lebensnahen Übersicht dieses Einstiegsamts des mogontiacischen Cursus Honorum.“
Carbo machte eine Pause und räusperte sich. In Rücksicht auf seinen hohen Zuhörer wollte er sich darum bemühen das folgende langsam und verständlich zu erzählen, damit der Senator sich an seiner Mähr ergötzen könne und nicht davon erschlagen wäre.
„Alles fing damit an, dass ich von Noricum nach Mogontiacum kam und Stadtschreiber in der Kommunalverwaltung wurde. Über diese Tätigkeit kam ich schon ein paar Mal mit dem Amt des Magister Vici in Berührung. Auch traf ich eines Abends dabei einen anderen Patrizier, es war sehr beeindruckend für mich. Wir sprachen davon, dass ich gerne sein Patron werden wollte, in der Hoffnung, daraus irgendeinen Vorteil ziehen zu können, doch wurde daraus nichts. Seinen Namen weiß ich leider nicht mehr so genau, doch es war ein fülliger junger Mann von guten zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren mit braunem Haar und braunen Augen, der dort in Germania Superior seinen Dienst als Tribun abgeleistet hatte. Das war bestimmt schon vor ca. zwei Jahren. Meine einzige andere Begegnung mit einem anderen Patrizier bisher, doch ich schweife ab, verzeih mir! Jedenfalls nach einem Jahr Dienst erhielt ich die Bürgerrechte der Stadt und kandidierte, mit einem wohlhabenden und wohlgesinnten Spender im Rücken, bei der nächsten Wahl als Magister Vici und wurde tatsächlich gewählt. Dann begann meine Amtszeit. Soll ich sie dir nur grob, oder im Detail darlegen, o Senator?“
Langsam aber sicher gewöhnte sich Carbo an seinen blaublütigen Gesprächspartner und er fand allmählich wieder zu der entspannteren Gesprächshaltung zurück, die er gehabt hatte, als der Flavier noch ein Fremder für ihn gewesen war.