Beiträge von Norius Carbo

    Da im grünen Wohnbereich der WiSim totale Flaute herrscht, wäre ich bereit es mit einem Malerbetrieb zu versuchen, jedoch bevor ich mich in unnötige Unkosten stürze, müsste ich sichergehen, dass der Nachschub an Edelhölzern gewährleistet ist!


    Kann da jemand was machen bzw. der Staat?

    Mehrere Tage vergingen, seit der letzten Unterrichtseinheit, ehe Carbo endlich den erwarteten Brief von Iulius Caesoninus bekam. In weiteren zwei Tagen würde also ihr nächstes Treffen in der Domus Iulia stattfinden!


    Wie versprochen übte sich Carbo jeden Tag an den mitgenommenen Gegenständen und es dauerte nicht lange, bis er die Bedeutung eines jeden Gegenstands im Bezug auf den Opferritus im Schlaf aufsagen konnte. Hoch motiviert und mit den Gegenständen des Iuliers unterm Arm stapfte Carbo also aus der Taverna in Richtung Esquilin. Hier oben war er noch gar nicht gewesen, es schien aber eine richtig vornehme Wohngegend zu sein. Er musste zwar zwei Mal nach dem Weg fragen, aber schlussendlich fand er die Domus Iulia. Von außen nicht gerade etwas besonderes, aber das war ja bei römischen Häusern und Villen normal, dass sie ihre Pracht und ihre Herrlichkeit erst im Inneren entfalteten. Carbo atmete noch einmal tief durch, ehe er zur Porta trat und anklopfte.


    T o c k


    T o c k


    T o c k

    Bislang war Carbos Plan in Rom Geld zu verdienen voll aufgegangen. Vergleichbar mit allen anderen Stellen, die er bislang inne gehabt hatte, bekam er jetzt als Stationarius ein geradezu fürstliches Gehalt. Jeder andere wäre an seiner Stelle wohl einfach in Rom in seiner bequemen Position verblieben. Derjenige hätte sich wohl ein wenig etwas angespart, davon sich ein kleines Häuschen in den Außenbezirken gekauft und eine Familie gegründet und danach wäre er für den Rest seines Lebens als Bediensteter im Dienst des Cursus Honorum verblieben und anschließend in Rom gestorben. Doch nicht so Carbo. Er wusste warum er hier war und deshalb blieb er auch trotz seines neuen, hohen Gehalts weiterhin absichtlich in seiner kleinen Kammer in der Taverna Apicia wohnen, anstatt sich etwas bequemeres zu mieten. Er war nur auf Zeit hier.


    So blieb er immobilientechnisch zwar am Bettlerstab, jedoch in Belangen seiner Garderobe war es wohl schön langsam an der Zeit etwas zu unternehmen. Der Junge lief nämlich immer noch in seinen einfachen Schreiberfetzen aus Mogontiacum herum, ein ändernswerter Umstand. So machte er sich also auf, um ein Schneidergeschäft zu suchen. Unterwegs stiegen Bilder vor seinem inneren Auge auf, wie er sich seine neuen Tuniken vorstellte. Am besten mehrere bunte Kleidungsstücke, am besten teils noch gemustert. Ganz neu einkleiden wollte er sich, damit er seine alten Kleider baldmöglichst loswerden konnte. Ein Schmunzeln entglitt ihm beim Gedanken, dass ihn niemand mehr zuhause in Mogontiacum wiedererkennen würde, wenn er mit seinen feinen Stoffen dort erst aufkreuzte.
    Endlich fand er ein ansprechendes Geschäft, „Zur flinken Nadel“, hieß es. Trolliger Name. Hier wollte er seine neuen Gewänder erstehen. So betrat Carbo das Geschäft und sah sich um.

    Der Klang des Wortes „Minor“ war jenes fehlende Stück, das das Bild vervollständigte und plötzliche Klarheit über die schon längst vergessen geglaubte Erinnerung verschaffte. „Oh, Minor! Genau, Flavius Gracchus Minor, das war der Name des Offiziers!“ Beim Bewusstwerden dieser Erkenntnis weiteten sich Carbos Augen und er schnappte nach Luft. „So will es also doch wahr sein, dass ich vor Jahren einst deinem Sohn höchstselbst begegnet sein soll?“ Überwältigt von so einer Fügung der Götter kratzte er sich als aller erstes einmal am Hinterkopf. „Doch jetzt, wo ich den Namen wieder weiß, fällt mir auch der Rest jener Begegnung wieder ein. Damals war ich Stadtschreiber in der Kommunalverwaltung und wollte meinen Feierabend auf ein paar Krüge Wein in der Taverne begehen, als ich auf den tribunus laticlavius Manius Flavius Gracchus Minor traf. Ich weiß noch, dass wir über meine ehemaligen Pläne gesprochen hatten in die Armee einzutreten und ich... erzählte ihm auch von dem Anschlag auf mich, was letztendlich einer Einschreibung zum Militärdienst zuwidergekommen war. Oh, Götter ist das alles schon lang her, bestimmt hat dein Sohn mich längst vergessen. Aber ich weiß auch noch, dass ich ihm auch von meiner echten Heimat in Noricum erzählt habe... und am Ende, hm.. hab ich ihn gefragt, ob ich nicht sein Klient werden dürfte, doch es kam nicht dazu, wieso weiß ich jedoch nicht mehr.“ Da gab es über eine Million Menschen in dieser riesigen Stadt Roma, dem Haupt der Welt und Carbo trag ausgerechnet jenen einen Senator, der der Vater des einzigen Patriziers war, den Carbo jemals in Mogontiacum kennengelernt hatte! Was es nicht alles gab auf der Welt.


    Mit Freuden hörte der Junge anschließend die wohlwollenden flavischen Worte zu seinem Werk als Amtsträger. Anscheinend interessierten sie sich beide für Kunst und Kultur. In einer Welt in der Norius Carbo Römer gewesen wäre und zudem bestenfalls ranggleich (oder wenigstens annähernd), er war sich sicher, er und Gracchus wären gute Freunde geworden.


    Als dann dieser es so auffasste, dass Carbo all sein Eigen und seine Zukunft in Mogontiacum zugunsten eines Lebens in Rom aufgegeben hatte, lächelte er und antwortete: „Ganz im Gegenteil, o Senator, ich bin hier in Rom gerade damit ich meine begonnene Karriere in Mogontiacum fortsetzen kann.“ Er unterbrach kurz und rutschte etwas auf der Bank hin und her, um es sich wieder bequemer auf seinem Sitzplatz zu machen, ehe er fortfuhr: „Zu einem weile ich in Italia, um bald das Orakel von Cumae aufzusuchen und dies verbinde ich gleich mit einem längeren Aufenthalt hier in Roma, um mir einige Geldreserven anzulegen für die Zeit meiner Rückkehr in den Norden, um in Mogontiacum als Aedil zu kandidieren. Als ich damals deinen Sohn getroffen hatte war das erst kurz nach meiner Genesung gewesen. Ich wollte nur noch weg aus dieser Stadt in der ich fast mein Leben verwirkt hätte und ich wollte wirklich nach meinem Besuch beim Orakel in Rom verweilen. Doch die verstrichene Zeit seit damals und meine beiden zusätzlichen Lebensjahre haben mich weiser gemacht. Selbst wenn ich mir einmal meinen großen großen Traum erfülle und ein vollwertiger römischer Bürger wäre, so wäre ich in Rom trotzdem stets ein Niemand. Ein Namenloser, der nicht auffällt und für den sich niemand interessiert. Alle Aufstiegschancen wären mir unmöglich in dieser Stadt neben den wahren Römern und den großen Familien. In Mogontiacum oben an der Reichsgrenze jedoch kann ich etwas bewegen. Ich kann in der Ämterhierarchie weiter aufsteigen, nachdem ich ja schon einen Fuß in der Tür habe und so will ich mich nach meiner Rückkehr vollends in Germania Superior niederlassen und mich mit all meinen Fähigkeiten und Talenten dafür einsetzen diesen Flecken Lands zu einem noch besseren und lebenswerteren Stück Heimat für die Einwohner zu machen, als er es jetzt schon ist.

    Für das, dass es dieses Mal nur um ein paar Gegenstände gegangen war, fühlte sich Carbos Kopf ziehmlich angefüllt an. Doch irgendwie war er doch enttäuscht, als Caesoninus verkündete, dass die heutige Lektion schon wieder zu Ende sein sollte.
    Naja, man musste ja beim ersten Mal nicht gleich übertreiben. So war Carbo schon umso mehr gespannt, als der Iulier ihm eröffnete, er solle die heute behandelten Gegenstände mit nachhause nehmen und dass die nächsten Treffen zudem bei Iulius Caesoninus zuhause stattfinden würden. Weil er dann nicht mehr Aedituus, sondern Vigintivir wäre? Schon etwas gewagt sowas vor der Wahl herumzuposaunen, doch andererseits konnte man das ja auch als besonderes Selbstvertrauen auslegen.


    Als Carbo dann die Wachstafel gereicht wurde, kritzelte er rasch seinen Namen und die Adresse der Taverna Apicia drauf. „Hier hast du sie zurück. Na dann, Gaius Iulius, freue ich mich bereits auf unser nächstes Treffen und ich verspreche ich werde bis dahin fleißig lernen. Vale bene!
    Und mit diesen Worten sammelte Carbo die Dinge auf dem Tisch auf und verließ den Tempel.

    Carbo wurde hellhörig, als der Senator erwähnte sein eigener Sohn wäre ungefähr zu jener Zeit in Germania als Tribun gewesen. Sollte es etwa sein, dass... doch nein, der Zufall wäre zu groß gewesen. Dennoch hatte Gracchus‘ Erwähnung in Verbindung seines Namens und der gerade besprochenen Sache initiiert, dass sich etwas längst vergessen geglaubtes begann in seinem Gedächtnis hochzuarbeiten, jedoch um diese Information bewusst begreifen zu können steckte es noch zu tief in seinem Inneren. Doch es hatte Carbo auf etwas gebracht. „Der erwähnte Tribun pflegte sich stets mit besonders gewählten Worten in gehobener Sprache auszudrücken. Bestimmt war er Patrizier. Darf ich fragen, wie dein Sohn heißt?


    Als dann Gracchus wirklich von seiner vergangenen Amtszeit hören wollte, machte ihn das schon sehr stolz, dass ein richtiger echter Senator Interesse an seinem Leben zeigte. So setzte er sich in noch aufrechterer Position hin, als er sowieso schon gesessen hatte und begann zu erzählen: „Ich war Magister Vici für den Vicus Apollinensis der Stadt Mogontiacum. Als solcher hatte ich stets ein offenes Ohr für die Bürger meines Vicus zu haben und ihnen bei ihren Problemen zu helfen. Daneben wollten natürlich auch die lares vicani die ihnen gebührende Aufmerksamkeit durch tägliche Trankopfer. Das waren die allgemeinen Pflichten meines Amtes. Daneben gab es dann noch meine eigenen Projekte, die ich zum Wohle der Götter, Geister und Menschen der Stadt umgesetzt habe. Für die Menschen ließ ich das städtische Theater reparieren und wieder öffnen und es ein Jahr lang durchgehend von einer eigens angeheuerten Schauspieltruppe aus Vindonissa bespielen. König Ödipus, Kyklops, Medea, Lysistrata, einfach alles was das Herz begehrte ließ ich auf die Bühne bringen.
    Carbo machte eine kurze Pause. Für einen Moment schwelgte er wieder in dem fröhlichen Theaterreigen, den er da einst im Norden veranstaltet hatte. Ach, was war das herrlich gewesen! Doch hier in Rom gab es sowieso jeden Tag gleich in mehreren Theaterbauten die diversesten Aufführungen, weshalb der Senator wohl nicht viel besonderes in diesem Teil von Carbos Bericht bemerken mochte. Schade eigentlich. Doch vielleicht wusste man das nur zu schätzen, wenn man aus dem Norden kam und aus eigener Erfahrung wusste, wie das so war, wenn Spektakel die Ausnahme (und damit etwas besonderes), denn die Regel waren.


    Doch Carbo fuhr fort: „Für die Götter und Geister hatte ich ebenfalls ein Geschenk. Während meiner Amtszeit war es mir mein besonderes Hauptanliegen gewesen alle Straßenschreine an den großen Wegkreuzungen zu reinigen und wenn nötig zu renovieren. Insgesamt wurden zehn Schreine gereinigt und -falls nötig- repariert, während sechs weitere Schreine durch Neubauten komplett ersetzt und eingeweiht wurden. Außerdem ließ ich auch eine ganz neue Aedicula aus meinen eigenen Mitteln errichten.
    Wieder unterbrach er kurz. Sollte er auch von dem letzten großen Vorfall seiner Amtszeit berichten? Falls ja könnte das zum unangenehmen Beginn der ganzen Affäre führen, doch wenn er es andererseits bedachte, der Senator wusste ja nichts von den ungeheuren Lügen, die Carbo überhaupt erst in den Schlamassel gebracht hatten. Wenn er es nur allgemein genug formulierte würde schon nichts schlimmes passieren und zu seinem größeren Ansehen vor dem Senator beitragen, weshalb er es also riskieren wollte.
    Das war es eigentlich im Grunde. Ach, ich vergaß doch noch eine Kleinigkeit. Als Magister Vici ist es auch in meiner Pflicht gelegen das Fest der Compitalien zu organisieren. Außerdem ist noch etwas ungeheures gegen Ende meiner Amtszeit passiert. Es hatte nämlich ein Komplott Rom feindlich gesinnter Germanen in Mogontiacum stattgefunden, bei dem ich tatkräftig dazu beigetragen habe, es aufzudecken und anschließend zu zerschlagen. Dies hatte mir zudem das nötige Kleingeld eingebracht, um meine Reise nach Süden anzutreten, die ich auch direkt nach meinem Amtsende antrat. Ja, und hier bin ich nun.“ meinte er abschließend ein wenig lahm. Ob er seine Sache gut vorgetragen hatte?

    Mit offenem Gemüt verfolgte Carbo den Beginn der Pantomime. Es war durchaus etwas anderes, als gewöhnliche Dramen. Kürzer, prägnanter und pointierter. Um nicht zu sagen... plötzlich wurde er von einem vorbeigehenden Mann grob angerempelt, dem eine vornehme, dunkelblonde Frau und noch eine andere nachfolgten, als sie sich gerade durch die Sitzreihe schoben. „He!“ rief Carbo aufgebracht, doch als er des Übeltäters gänzlich gewahr wurde (ein muskelbepackter Berg von einem Mann), beeilte sich Carbo wegzusehen und sich ganz klein zu machen, damit der Hüne ja nicht auf die Idee käme, er hätte gerufen. Als die Gruppe an ihm vorbei war, verfolgte er dann weiter das Stück. Dass sich im weiteren Verlauf weiter links von ihm ein kleiner Disput um einen Sonnenschirm entwickelt hatte, bekam er nicht mit, dafür saß er zu weit entfernt und so konnte er ungestört den weiteren Hergang der Kunst des Polymarches folgen. Kunst musste man es wirklich nennen! Besonders jetzt im aktuellen Abschnitt des Stücks machte sich das im Streitgespräch zwischen Kreon und Medea bemerkbar. Wie fließend der Schauspieler von einer Rolle in die andere schlüpfte und sofort wieder zurück war atemberaubend.
    Carbo zumindest hätte es nicht gekonnt.

    Carbo labte sich am Met und überlegte währenddessen wie schlimm es jetzt wirklich um seine Verletzung stand auf die Nachfrage der Frau. „Die Schmerzen sind immer noch stark, aber schon ein Fünkchen verkraftbarer, als eben noch.“ Das war wohl die beste Beschreibung. Das es einen Bluterguss gab war ja schwerlich zu übersehen.


    Der Tipp mit dem Alkohol als Erstheilmittel hörte sich gar nicht so schlecht an, weshalb Carbo ein wenig größere Schlucke nahm, um die heilende Wirkung möglichst bald erfühlen zu können. Doch so schnell wurde er nicht betrunken. Während er Schluck um Schluck zu sich nahm, überlegte Carbo, wann er eigentlich das letzte Mal Alkohol zu sich genommen hatte. Jedenfalls musste es schon eine Weile her sein. Hatte überhaupt schon mal etwas Vergährtes in Rom getrunken? Wenn er so über die Sache nachdachte, kam er zu dem Schluss, dass er wohl das letzte Mal in Ostia, bzw. seiner damaligen Überfahrt von Massilia dahin mit Wein in Kontakt gekommen war (neben gewissen... „anderen Dingen“). Dabei fiel ihm auch sein geplanter Orakelbesuch wieder ein, den hatte er in letzter Zeit auch völlig vergessen. Er musste unbedingt jetzt in nächster Zeit nach Cumae reisen, damit dieses, eher weniger erfreuliche Kapitel seines Lebens endlich abgeschlossen und das eigentliche Ziel seiner Reise in den Süden erfüllt wäre!
    Doch solange ihm der Fuß weh tat, ging er nirgends hin. Diese Erwähnung eines Heilmittels jedoch hellte seinen Horizont wieder etwas auf, weshalb er begeistert sagte: „Ja gerne! Ich wäre dir sehr dankbar, falls wir zu dieser Taberna gehen könnten! Noch ein wenig mehr Linderung wird mir bestimmt gut tun!
    Carbo versuchte vorsichtig aufzustehen, doch bei einer größeren Belastung seines verletzten Beins merkte er schnell, dass er unmöglich alleine gehen konnte. Ächzend wandte er sich an den Sklaven: „Angus, kannst du mich bitte stützen? Alleine schaffe ich es noch nicht.

    Carbo war gerade in einer Gasse kurz nach dem Forum Boarium unterwegs gewesen, als er es bemerkt hatte. Dort an einer verwitterten alten Wand aus halb zerfallenen Ziegelsteinen war ein kleines Ankündigungsplakat gewesen. Er war schon halb daran vorbei, als ihm erst die ganz oben abgebildeten Theatermasken ins Auge gefallen waren. Das hatte ihn dazu bewegt umzukehren und sich die Sache näher anzusehen. Das Plakat hatte eine Pantomine rund um Euripides‘ Stück „Medea“ angekündigt. Interessant, interessant.
    Wenn Carbo sich recht besann, so hatte er noch nie zuvor so eine Art darstellendes Spiel gesehen. Bloß konventielle Stücke, die er unter anderem ja auch schon selbst in Mogontiacum veranstaltet hatte. Was so eine Pantomine wohl sein mochte?


    Das herauszufinden war nun sein Ziel und so verwunderte es nicht weiters, dass man Carbo Tage später auf den Tribünen des Pompeiustheaters wiederfand, wie er dort hochvergnügt auf den Beginn der Vorstellung wartete.

    Carbo hielt die Hand an seine Verletzung.
    Der andere nahm seine Einladung zu einem Getränk freudig an. Er war schon dabei zu überlegen wo sie hin sollten, als er etwas von einem Bluterguss sagte. Carbo lächelte trocken.
    Ich wär froh, wenn es bei einem Bluterguss bleiben würde.


    Nach seiner eigenen Vorstellung erfuhr er auch endlich wer sein Konversationspartner war. „Die Freude ist ganz meinerseits, Angus aus Britannien. Wollen wir schön langsam...
    Da jedoch wurde er unterbrochen. Denn noch jemand hatte sich zu ihnen gesellt. Eine fremde Frau mit zwei Bechern in der Hand. Überrascht nahm auch Carbo seinen Becher an. „Vielen Dank! Womit verdienen wir diese Ehre? Ich bin Norius Carbo. Wer bist du?
    Die darauffolgenden Schlucke bestätigten ihm, was Angus sowieso schon ausgerufen hatte, es war wirklich Met! Und ein köstlicher sogar noch obendrein. Bestimmt ein importierter Tropfen.

    Carbo saß auf seinem Platz und folgte aufmerksam dem Unterricht. Dinge wie das Weihhrauchsteinchen kannte er ja schon, daher waren die weniger interessant für ihn. Doch andere Sachen wie das Culter, oder das Mallium Latum erregten da schon größere Aufmerksamkeit.
    Als der Aedituus nach Erklärung des Culters ansetzte, um alle Gegenstände noch einmal zu wiederholen, stöhnte Carbo innerlich etwas auf, doch er hörte weiter zu. Das folgende mit der Schüssel fand er auch interessant und als Caesoninus das Wort „Patera“ erwähnte, rief Carbo freudig aus: „Die kenn ich! Als ich Magister Vici war, habe ich für die Laren jeden Morgen Trankopfer über einer Patera vollzogen!


    Es freute ihn, dass er hierbei auch einmal etwas zum Unterricht beisteuern hatte können. Die Zwiebel als nächstes kannte er natürlich wieder, auch wenn es nach viel Arbeit klang sich alle Vorlieben für jede einzelne Gottheit merken zu müssen. Was da wohl noch auf ihn zukommen mochte?
    Das mit der Kleidung fand er allerdings wieder interessant.


    Als sie alles durch hatten, lag es an Carbo sich noch einmal jeden der Gegenstände durchzudenken. Mittlerweile fand er die Unterrichtsmethode von Caesoninus gar nicht mehr so schlecht, denn allmählich wurden ihm diese Gegenstände wirklich vertraut und das Gesagte fing an verinnerlicht zu werden. Dann nochmal eine Runde zuhören für sämtliche Gegenstände.

    Mit allerhöchster Konzentration betrachtete Carbo die Gegenstände vor sich. Das eine oder das andere war ihm sofort klar, auch dank des eigenen kleinen Opfers, das er zusammen mit dem Aedituus durchgeführt hatte, aber was beim Zerberus hatte die Sandale da am Tisch verloren?!
    Auf die konnte er sich am wenigsten einen Reim machen. Auch andere Dinge wie das Tuch waren nicht ganz klar, wofür die gut sein könnten.


    Noch ein paar Mal die Gedanken durchlaufen gelassen, versuchte es Carbo dann einfach mal mit einem Tipp: „Der Weihrauch steht ganz sicher für die Anrufung von Ianus am Beginn eines Opfers, so wie wir das auch gemacht haben. Beim Tuch bin ich mir nicht ganz sicher, doch vermutlich wird damit irgendwas abgewischt, oder gereinigt, weil so ein Opfer ja sehr sauber vonstatten gehen muss.
    Das Messer war schon wieder leichter zu erraten. Kurze Sprechpause, dann: „Das Messer ist dazu da, um das Opfertier zu töten, die Schale, um das Blut darin aufzufangen, das habe ich auch beim gestrigen Opfer so gesehen. Die Zwiebel ist natürlich eine Opfergabe. Die Kleidung dann..hmm vielleicht sind das spezielle Sachen, die der Opferherr währenddessen tragen muss?


    Trotz dieser gesprochenen Worte, war sich Carbo sicher, dass er falsch lag, denn wenn er die Toga betrachtete, so wirkte sie wie eine ganz gewöhnliche Toga, ohne besondere Stickereien, oder dass sie aus außergewöhnlichem Stoff gemacht worden wäre.

    Wäre Carbo Christ gewesen, dann wären jetzt für ihn alle Kreuze des Himmels zu Boden gestürzt, denn er konnte kaum fassen, was der hochwürdige Senator da gerade von sich gegeben hatte. Er hatte seine Standesgenossen als „nutzlos“ bezeichnet! Ein frevelnder Ausspruch, den er sich als kleiner Wurm und Nichts (aus den Augen eines Römers mit Bürgerrecht) nie und nimmer auch nur zu denken gewagt hätte. Doch vermutlich war das ja der übliche Umgangston der Eliten, so genau wusste er das ja auch nicht. Oder er hatte es mit einem besonders mutigen Mann zu tun so etwas öffentlich zu verlautbaren, alles in allem -trotzdem, dass die Äußerung Carbo erschreckt hatte- fand er es dennoch irgendwie beeindruckend. „Ich bin mir sicher, dass die Senatoren Roms keineswegs nutzlos sind. Bestimmt sind sie die Stütze der Gesellschaft, auf denen all unsere Verwaltung und Politik lastet als Spitze der Gesellschaft.“, bemerkte der Junge, während er den Flavier beim hinsetzen zusah, in der Meinung, er müsse etwas positives über den Senat sagen. Auch war er immer noch etwas verunsichert wegen der Situation mit einem waschechten Senator zu sprechen. Ein Angehöriger dieses Standes stand für Carbo einfach so ungeheuer hoch über ihn in der Nahrungskette, dass er sich das kaum vorzustellen vermochte. Irgendwie war es schon anders als damals mit diesem Edelsohn in der Taberna Silva Nigra vor so vielen Monaten. Vielleicht aber auch, weil der noch sehr jung gewesen war, während der Mann neben Carbo bestimmt schon so einiges geleistet hatte für Rom.


    Doch als wäre dieser Abend der Mirakel nicht schon perfekt, so fand sich Carbo tatsächlich in der Position des Aufklärers gegenüber dem ehrenwerten Mitglied der Gesellschaft wieder, als dieser nach den näheren Befangenheiten des Amtes des Magister Vicis sich erkundigte. Ein echt verrückter Tag. Doch diese Gelegenheit konnte er auch gleich nutzen, um dem Flavier von seiner früheren Begegnung mit einem anderen Patrizier zu erzählen (für Carbo war das ja bislang immer noch immer jeweils ein höchst denkbares Ereignis, wo es praktisch keine Patrizier im Norden gab und jede solcher Begegnungen zum Spektakel für ihn geriet).
    Gerne doch, o Senator. Jeder Vicus Mogontiacums wählt seine Vertreter, die sogenannten Magistri Vici. Sie sind dafür verantwortlich, im Namen ihres Vicus regelmäßig den Lares vicani zu opfern, außerdem haben sie den Aediles zur Hand zu gehen und zudem die Interessen ihres Vicus zu vertreten und für die Nöte und Anliegen der Vicani da zu sein. Falls du willst, erläutere ich dir das Amt des Magister Vici anhand meiner eigenen Amtszeit zur lebensnahen Übersicht dieses Einstiegsamts des mogontiacischen Cursus Honorum.


    Carbo machte eine Pause und räusperte sich. In Rücksicht auf seinen hohen Zuhörer wollte er sich darum bemühen das folgende langsam und verständlich zu erzählen, damit der Senator sich an seiner Mähr ergötzen könne und nicht davon erschlagen wäre.


    Alles fing damit an, dass ich von Noricum nach Mogontiacum kam und Stadtschreiber in der Kommunalverwaltung wurde. Über diese Tätigkeit kam ich schon ein paar Mal mit dem Amt des Magister Vici in Berührung. Auch traf ich eines Abends dabei einen anderen Patrizier, es war sehr beeindruckend für mich. Wir sprachen davon, dass ich gerne sein Patron werden wollte, in der Hoffnung, daraus irgendeinen Vorteil ziehen zu können, doch wurde daraus nichts. Seinen Namen weiß ich leider nicht mehr so genau, doch es war ein fülliger junger Mann von guten zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren mit braunem Haar und braunen Augen, der dort in Germania Superior seinen Dienst als Tribun abgeleistet hatte. Das war bestimmt schon vor ca. zwei Jahren. Meine einzige andere Begegnung mit einem anderen Patrizier bisher, doch ich schweife ab, verzeih mir! Jedenfalls nach einem Jahr Dienst erhielt ich die Bürgerrechte der Stadt und kandidierte, mit einem wohlhabenden und wohlgesinnten Spender im Rücken, bei der nächsten Wahl als Magister Vici und wurde tatsächlich gewählt. Dann begann meine Amtszeit. Soll ich sie dir nur grob, oder im Detail darlegen, o Senator?
    Langsam aber sicher gewöhnte sich Carbo an seinen blaublütigen Gesprächspartner und er fand allmählich wieder zu der entspannteren Gesprächshaltung zurück, die er gehabt hatte, als der Flavier noch ein Fremder für ihn gewesen war.

    Carbos Augen weiteten sich mit jedem weiteren Wort, das sein Konversationspartner von sich gab. Manius Flavius Gracchus also. Pontifex des römischen Pantheons (war das nicht etwas noch höheres als sein Bekannter Iulius Caesoninus?) und zudem auch noch Senator und Eingeschriebener Vater des altehrwürdigen, mächtigen Senats von Rom. Und mit so einem strahlenden Stern des imperialen Firmaments war er, der mickrige kleine Poststationsangestellte ohne jeden Bürgerrechts gerade im Gespräch! Welch Scherz sich hier die Götter wohl mit ihm erlaubt hatten ihn einer so derart bedeutenden Persönlichkeit gegenüberzustellen! Gewiss würde der andere sofort gehen, sollte er erst Carbos Personalien zu Ohren bekommen. Doch genau die wurden jetzt von ihm erwartet.


    Carbo öffnete und schloss mehrmals seinen Mund, ehe er es schaffte folgende Worte herauszubringen: „N.., Norius Carbo. Mein Name ist Norius Carbo. Gewesener Magister Vici in Mogontiacum und jetziger Stationarius auf Zeit beim kaiserlichen Cursus Publicus hier in Rom. Ich will noch hinzufügen, dass es mir eine große Ehre ist mit dir sprechen zu dürfen, o Senator!“ beeilte er sich noch hinzuzufügen um nicht unhöflich zu wirken. Wie klein er sich gerade vorkam! Das war hier nun der dritte hohe Römer mit dem er Bekanntschaft geschlossen hatte, nach seinem finanziellen Gönner Marsus und diesem adeligen Tribun jener einen Nacht, dem er einmal seine Klientelschaft angeboten hatte. Wie war jedoch nur dessen Name?! Carbo kam einfach nicht darauf. Vermutlich auch sowas wie „Flavius“?

    Carbo befühlte sein wundes Bein. Schöne Bescherung, aber es sollte schon gehen so halbwegs. Der Fremde hatte sich bislang als sehr freundlich und um ihn besorgt erwiesen, was Carbo durchaus beachtenswert fand in dieser riesigen und unpersönlichen Metropole. Das verdiente durchaus Anerkennung, weshalb er meinte: „Danke, aber ich denke ich werde keinen Medicus behelligen müssen. Nur das mit dem sitzen klingt nach einer guten Idee. Lass mir ein paar Augenblicke, um mich etwas zu sammeln. Wollen wir danach etwas trinken gehen? Ich lade dich ein dafür, dass du für mich Partei ergriffen hast. Dafür danke ich dir.
    Carbo setzte sich kurzerhand auf genau jene Kiste, die ihm so sehr zum Verhängnis geworden war und streckte unter Keuchen sein Bein aus um sich so -hoffentlich- zumindest etwas Linderung zu verschaffen. Dann sah er hoch zu dem Fremden. „Mein Name ist übrigens Norius Carbo, gewesener Magister Vici in Mogontiacum und aktuell Stationarius beim kaiserlichen Cursus Publicus.
    Zwar war es normalerweise nicht seine Art sich so umfassend vorzustellen, jedoch hatte er beobachtet, dass das die Römer (in Rom) wohl gerne taten, vermutlich um Eindruck bei ihrem Gegenüber zu schinden. Doch egal, besser man wies gleich seine ganze Visitenkarte vor, als dass es hinterher zu spät war. Und wenn es die Römer so eben lieber hatten als bloß ihren Namen zu nenen?

    Mit einem imaginären großen Fragezeichen über dem Kopf folgte Carbo dem Iulier also wieder die Tempelstufen hinunter. Wohin er ihn wohl bringen würde? Vielleicht zu sich nachhause? Wieso hatten sie sich dann überhaupt erst hier verabredet? Hm, vielleicht war das doch ein abwegiger Gedanke. Das Fragezeichen vergrößerte sich jedoch noch mehr, als Caesoninus nach dem unteren Treppenabsatz nicht weiter über den Platz des Forum Iuliums dessen Zugängen zustrebte, sondern sich scharf rechts wandte und anschließend um die Ecke des Tempels herumschritt. Hier befand sich augenscheinlich eine Sackgasse, gebildet vom Venustempel selbst und den äußeren Säulenumgängen des Forums. Was beim Tartarus wollten sie in dieser leeren Ecke?!!


    Doch die Aufklärung wallte umso stärker über seinem Haupt herab, als er erkannte, wohin die Reise wirklich ging. Nicht ein Ort abseits des Tempels war ihr Ziel, sondern die Kammern darunter! Das machte Sinn, also so wirklich. Gleich wieder fühlte sich Carbo viel ruhiger, jetzt wo er wusste wohin es ging. Neugierig betrat er das Innere der Gewölbe und sah sich um. So sahen also die Arbeitsräume der Tempelangestellten aus, die normalerweise der Öffentlichkeit verschlossen blieben, interessant. Wie aufgefordert setzte der Junge sich und bekam kurz darauf auch gleich die erste Frage bzw. Aufgabe gestellt. Kurz dachte er über die Frage nach. Ein Glück, dass er dem gestrigen Opfer am Venustempel beigewohnt hatte, so konnte er den Opfervorgang an sich einfach aus seiner Erinnerung her schildern: „Hm, also ich weiß, dass die Römer ihre Opfer aus den gleichen Gründen vollziehen, wie andere Völker des Erdkreises; um ihre Götter milde zu stimmen und ihre Gunst zu erflehen. Vom Opfervorgang selbst habe ich bislang beobachten können, dass zuerst alle beteiligten sich waschen müssen, dann gehen sie ins Tempelinnere. Dort machen sie vermutlich ähnliche Dinge wie ich damals, als ich für meine passende Liebe zuhause betete. Dann kommen alle heraus und jemand sagt man soll still sein. Dann wird das Opfertier mit dem Messer gestreichelt und umgebracht. Dann folgt die Eingeweideschau und das wars im großen und ganzen, oder?“ fragte Carbo unschuldig nach. Das war zumindest alles, an das er sich erinnern konnte.

    Während er wartete, vertrieb sich Carbo die Zeit damit sich ein wenig die Decke des Tempels, sowie weiterer architektonischer Details. Die Kasemattenkacheln waren überaus hübsch anzusehen. Carbo hatte in Folge seines geweckten Interesses ein wenig über diesen Tempel gelesen in den öffentlichen Bibliotheken. Er war angeblich vom römischen Diktator Gaius Iulius Caesar errichtet worden als Betonung und Zementierung der Behauptung der Herkunft seiner Familie von der Göttin Venus. Und insbesondere...


    Da wurde der Junge in seinen Gedanken plötzlich von einer Bewegung in seinem peripheren Blickfeld unterbrochen. Auch ein Ruf ertönte. Verwirrt grüßte Carbo zurück und ehe er noch den Mund geschlossen hatte, war der Blonde auch schon wieder verschwunden. Um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, setzte sich jetzt auch Carbo in Bewegung und kam in die Gänge. Er folgte Caesoninus wohin die Reise auch gehen mochte.

    Augenscheinlich hatte Carbo etwas richtiges gesagt, denn der fremde wohlhabende Römer zeigte sich sehr beeindruckt von seiner Äußerung. Das machte ihn schon etwas stolz.
    Doch währte es nicht lange, denn kaum kamen wieder Wörter aus dem Munde des anderen heraus, so verfehlten sie Carbos Sprachzentrum, also der Ort wo der Sinn gehörter Worte ausgewertet wurde. Was zum Hades war Jovialität und was hatte sie mit der Rücksichtslosigkeit der Römer zu tun?!
    Doch Carbo war Fortuna hold. Ihm blieb es erspart darauf eine Antwort geben zu müssen (von der er selbst jetzt noch nicht den leisesten Schimmer hatte, wie sie wohl aussehen könnte), da nun auch der Mann die exzentrische Frau entdeckt und angesprochen hatte.
    So also saß Carbo stumm auf seinem Platz und blickte interessiert auf die Dame in Erwartung ihrer Antwort.