Beiträge von Iulia Phoebe

    Iulia staunte nicht schlecht. Dieser Großvater sollte ihr Onkel sein? Doch gleichzeitig atmete sie einmal tief durch aus Erleichterung, dass er somit gleichzeitig auch kein potenzieller Ehemann war, denn das wäre sogar für römische Verhältnisse ein wenig zu schräg gewesen.
    Was sie jedoch von ihm halten sollte wusste sie noch nicht so recht, diese Bemerkung von den Prachtfrauen wollte ihr nicht so recht gefallen, außerdem hatte sie schon die vielen Nubierinnen in seinem Gefolge bemerkt. Ihr neuer Onkel Antipater schien nicht gerade ein braver Mann zu sein. Ob ihre Mutter ihn kannte? Sie durfte nicht vergessen sie später dann einmal zu fragen.
    Jetzt wollte Onkel Antipater genaueres über sie hören. Da er dabei jedoch zuerst Iulia Stella anblickte, blieb Iulia stumm und wartete darauf bis sie an die Reihe käme.

    Heute hatte sich Iulia wieder einmal in „Azhars Bücher, Schriften und Schreibbedarf“ aufgehalten, einerseits um sich neue Bücher zu kaufen (sie hatte schon wieder alles ausgelesen was sie zuhause hatte) und andererseits in der stummen Hoffnung diesen faszinierenden jungen Valerier wiederzutreffen, der ihr einst dort begegnet war. Leider aber ohne Erfolg. Eine ganze Weile lang hatte sie sich zwischen den Regalen herumgedrückt, ehe sie aufgegeben, ihre neuen Papyri bezahlt und wieder nachhause gegangen war. Eigentlich hätte sie jetzt nichts besonderes mehr vorgehabt, aber von ihrer Leibsklavin Callista erfuhr sie, dass heute Damentag in den Thermen wäre. Hm, wieso eigentlich nicht, dachte sie sich.


    Bei den Thermen angekommen begab sie sich gleich als erstes ins apoditerium, um ihre Kleidung in einer der dafür gedachten Nischen abzulegen. Callista setzte sich davor auf eine Bank, um darauf aufzupassen. Ihre Arbeit wäre es dafür zu sorgen, dass Iulia Phoebe heute nicht nackt nachhause laufen musste, weil irgend eine Spaßvogeline ihre Kleider gestohlen hätte (wegen Damentag und so). In einem kleinen Wasserbecken wusch sie sich die Füße und ging dann weiter in den nächsten Raum, dem mäßig warmen tepidarium, um sich in den Becken dort einmal ganz zu waschen und sich einmal gut durchmassieren zu lassen. Iulia kam aber noch gar nicht weit, ehe sie ein bekanntes Gesicht erblickte. „Stella! Du auch hier? Was für eine Überraschung!

    Iulia war gerade ihrerseits in Textilarbeit vertieft, als sie die Kunde eines Besuchs für sie erreichte. Sie hatte gerade an diesem wunderbaren Stoff aus Serica gearbeitet, den sie vor einer Weile auf den Trajansmärkten erworben hatte. Wie schon am Fest zu Ehren von Proximus seiner Cousine erzählt, wollte Iulia aus der Seide eine Stola für sich mit goldenen Stickereien an den Rändern machen, hatte diese Arbeit jedoch bislang immer hinausgeschoben. Meist aus Bequemlichkeit, oder weil auf einem der Märkte gerade Ausverkauf gewesen war, klar, dass sie da dann hin hatte müssen. Wer würde denn sonst all die schönen Sachen kaufen? Und die Seidenstola lief ihr ja nicht davon ganz im Gegenteil zu einer möglichen neuen süßen Tunika, oder modischem Schuhwerk, das ihr andere Frauen vor der Nase wegkaufen könnten, das ging natürlich überhaupt nicht!


    Doch heute war nichts los, alles in Rom still und ruhig und auch von ihrer Mutter weit und breit nichts zu sehen, deshalb wohl der perfekte Tag, um sich dieser Arbeit endlich anzunehmen. Sie hatte sich in einen gemütlichen Korbsessel in ihrem Cubiculum gesetzt und begonnen die ersten Goldfäden mit einer Nadel durch den Stoff zu ziehen, als sie da ein Klopfen an der Tür hörte. "Herein!"
    Es war einer der Sklaven der Domus Iulia, der ihr berichtete, dass ihr Vetter Caesoninus sie umgehend im Atrium sehen wollte wegen eines Besuchs. "Für mich?" fragte Iulia überrascht. Eigentlich erwartete sie niemanden, wer das wohl sein mochte? Doch sie würde es sowieso bald herausfinden. Sie stand auf und legte den Seidenstoff zur Seite. Ein kurzer Kontrollblick in ihren Silberspiegel, ein wenig Herumgezupfe an Frisur und Tunika und schon kam sie dem Sklaven hinterher.


    Im Atrium angekommen bemerkte sie, dass auch Stella anwesend war. Im Vorbeigehen warf sie ihr einen interessierten Blick zu mit der darin enthaltenen Frage, ob sie genaueres wüsste über die ganze Angelegenheit, ehe sie vor Vetter Caesoninus zum Stehen kam und sich an ihren Gast wandte. "Salve, ich bin erfreut deine Bekanntschaft zu machen. Ich bin Iulia Phoebe." Der Gast von ihrem Vetter war ein alter Mann mit weißem Haar und weißem Bart, doch es war ein Fremder. Was wollte der hier bei ihnen? Anscheinend nichts politisches, denn das hätte er mit seinem Gastgeber unter vier Augen besprechen können ohne sie und Stella. Mochte es denn am Ende so sein, dass...nein, konnte es das sein?
    War dieser Großvater gekommen, um eine von ihnen zu heiraten?!
    Bei diesem Gedanken wurde Iulia warm und kalt zur gleichen Zeit. Bitte, ihr Götter, alles nur nicht das! Das letzte was sie wollte war die Ehefrau eines ranzigen alten avus zu werden, nein danke! Doch wen sie heiraten wollte war irrelevant, am Ende entschieden ihr Vater, ihr Vormund, oder sonst ein männliches Familienmitglied darüber, also könnte sie nichts dagegen machen, wenn die Wahl auf sie fallen sollte.
    Nach außen hin war nichts von ihren Bedenken zu erkennen gewesen, da Iulia nach der Begrüßung ihren Platz neben Stella eingenommen und dabei wieder die Maske aufgesetzt hatte, einen vollkommen neutralen Gesichtsausdruck, der den Männern ihr Inneres verschweigen sollte, damit sie gar nicht erst zu der Gelegenheit kamen ihren Nutzen aus ihrem Verhalten zu ziehen.

    Iulia saß auf ihrem Platz und beobachtete wie sich das Fest zu entfalten begann. Der Ehrengast Proximus war gerade in einer Gesprächsrunde mit Caesoninus und Graecina vertieft, während Stella, Servilia Gemina und sie selbst ein weiteres kleines Grüppchen bildeten.


    Nach ein wenig Plauderei mit Stella über ihren neu gekauften Stoff und der Befriedigung des ärgsten Hungers, wandte sie sich wieder grinsend ihrer besten Cousine zu, als sie da die glasigen Augen bemerkte. Da sank Iulias Laune sogleich, doch nicht auf die Art wie zuvor, als sie bemerkt gehabt hatte, dass Stella fast das gleiche Abendkleid wie sie zur Schau trug. Sie stellte ihren Becher ab und rückte näher an sie heran und legte ihr einen Arm um die Schulter. Während sie sie so ein wenig an sich drückte fragte sie bloß: "Liebeskummer?"



    Servilia Gemina, Witwe des Kaeso Iulius Iuvenalis


    Servilia Gemina indessen war voll in ihrem Element. Nachdem sie sich von Eireann ordentlich ein paar Mal den Weinbecher füllen hatte lassen, verschlang sie einige Portionen des delikaten Abendmahls, ehe sie sich wieder (schon leicht beschwipst) der übrigen Tischrunde zuwandte. Was fingen in diesem Moment ihre übersensiblen Lauscher auf? Wurde dort in der Ecke nicht gerade von Hochzeit gesprochen? Neugierig stand sie auf und marschierte direkt auf Caesoninus und Iulia Graecina zu, als sie sich dort fallen ließ und neugierig fragte: "Hochzeit? Wer heiratet denn?"

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    Locusta, Coqua


    Locusta überwachte den Geburtsvorgang die ganze Zeit über sehr aufmerksam und half der Gebärenden wann immer es angebracht war. Um den Muttermund nicht zu verletzen durfte man normlerweise nicht sofort am Kind ziehen, sondern es musste aus eigener Kraft ein gewisses Stück des Weges schaffen, aber da es sich hier um eine Frühgeburt handelte war das Kind sowieso ein wenig kleiner als sonst, was auch für die Mutter eine lindernde Wohltat war. Die letzten paar Zentimeter half sie dann mit ihren Händen nach und zog das Baby ganz heraus. Es machte ein paar leise Schreie, Iulia reichte der Coqua die frischen, warmen Tücher und sie wickelte den Säugling darin ein. Dann legte sie sie Iduna auf die Brust. "Es ist ein Mädchen. Ein wenig klein und etwas schwach, aber ich bin zuversichtlich, dass die Kleine es schaffen wird." meinte Locusta. Danach entfernte sie sich in die Culina, um dort ein Messer zu holen und die Klinge über dem Feuer zu sterilisieren. In dieser Zwischenzeit konnte die neue Mutter sich ganz mit ihrem Baby beschäftigen.


    Iulia währenddessen war die ganze Zeit dabei gewesen und hatte ganz gebannt den Vorgang verfolgt. In den kritischen Momenten hatte sie tatsächlich dann auch die Hand ihrer Mutter gepackt vor Überraschung, etwas, was sie seit dem Kindesalter nicht mehr gemacht hatte. So sah also eine Geburt aus. Diese Erfahrung war etwas, was sie wohl ihren Lebtag nicht vergessen würde. Auch Servilia Gemina war ganz ergriffen von diesem Moment, doch blieb sie stumm auf ihrem Flecken Erde stehen, um Iduna in diesem besonderen Moment nicht zu stören.


    Dann war auch schon wieder Locusta mit dem heißen Messer zurück. Damit durchschnitt sie die Nabelschnur und nahm dann das neugeborene Mädchen an sich, um es in der bereitstehenden Schüssel mit dem warmen Wasser und den Schwämmen zu waschen. Danach wurde es wieder in warme Tücher gewickelt und auf Idunas Brust gelegt. "Am besten du stillst sie jetzt bald gleich, das arme Ding braucht jetzt so viel Kraft und Schlaf wie es nur kriegen kann, damit es überlebt." Dann war ihre Arbeit getan und Locusta packte ihre sieben Sachen und entfernte sich wieder.


    Iulia kam näher heran, um das Baby mit großen Augen anzusehen. "Weißt du schon einen Namen für sie?" fragte sie mit einer Glücksträne in den Augen.

    Als Iduna nach einer ganzen Weile plötzlich aufschrie, konnte das Iulia nicht so recht einordnen, was jetzt genau passiert war, aber fest stand irgendwas war anders. Deshalb sprang sie auf und lief los, um Locusta zu holen. So schnell wie möglich war sie mit der alten Köchin wieder im Zimmer, die auch gleich alle nötigen noch fehlende Utensilien mitbrachte, die sie vorsorglich schon einmal in der Culina vorbereitet gehabt hatte wie Schwämme, oder heißes Wasser.


    Locusta schwang die Decke von Iduna weg und bückte sich mit prüfendem Blick.


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    Locusta, Coqua


    "Hmm ja jetzt ist sie geöffnet, also sollte das Kind jeden Moment kommen." Sie streichelte Iduna über den Kopf, um sie zu beruhigen. "Was fühlst du, Kind? Wenn du spürst, dass es auf dem Weg ist, dann presse so fest du kannst, ja?" Falls doch etwas gröberes mit Iduna passieren sollte, hatte Locusta vorsorglich auch Nadel und Faden und Heilsalben mitgebracht.

    Iulia setzte sich auf die Battkante neben Iduna und ergriff wieder ihre Hand, um ihr damit Trost zu spenden. Sie hatte keine Ahnung, ob das überhaupt etwas nützte, aber sie hatte das eigentümliche Gefühl sie müsste etwas tun und das war im Moment nun einmal alles was ihr produktives einfiel. Ihre Mutter ging zuerst eine Weile auf und ab, aber dann setzte auch sie sich zu Iduna und neben ihre Tochter. "Immer schön entspannen, je lockerer du bist, desto weniger tut das alles weh, vertrau mir, Kind." versuchte sie der Sklavin Mut zuzusprechen. Sie als erfahrene Mutter konnte da wohl mehr mitreden wie Iulia selbst.
    "Als ich meine Iulia bekommen habe, hatte ich mehrere Stunden in den Wehen gelegen, aber das ist bei jedem unterschiedlich. Vielleicht kommt es erst in einigen Stunden, oder jeden Moment, da muss man warten."


    In der Zwischenzeit war die Coqua wieder im Zimmer aufgetaucht mit einigen sauberen Tüchern und einer frischen Tunika, die sie beides auf eine Kommode in der Nähe legte.


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    Locusta, Coqua


    "Ich werde in einer halben Stunde noch einmal nach dir sehen Iduna, falls mich jemand sucht ich bin solange wieder in der Küche." Und schon war sie wieder zur Tür hinaus, um weiterzukochen. Iulia beneidete Locusta um ihre Ruhe, aber die alte Frau war immerhin eine erfahrene Hebamme. Wenn sie ruhig blieb bestand wohl kein Grund zur Unruhe.

    Iulia und ihre Mutter standen mit bangen Gesichtsausdrücken neben dem Bett auf dem Iduna lag, auch drei der Sänftenträger waren nachsehen gekommen, wie es ihrer Kollegin so erging. Wonga stand in der Nähe der Tür und sah von Iduna und Iulia hin und her, ganz so, als wüsste er nicht, ob er bleiben oder gehen sollte.


    Als dann der losgeschickte Sklave mit der alten Köchin ankam, wedelte diese gleich mit beiden Armen und rief:


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    Locusta, Coqua


    "Alle Mann raus hier! Raus sage ich! Das Mädchen braucht jetzt Ruhe!"
    Daraufhin trollten sich die schaulustige Sklavenhorde und Wonga konnte sich ebenfalls guten Gewissens entfernen. Iulia und Servilia Gemina blieben natürlich anwesend. Locusta humpelte zum Bett und machte Iduna untenrum frei und beugte sich mit einem prüfenden Blick hinunter. Dann brummte sie.
    "Sie ist noch nicht geöffnet, es dauert also noch ein wenig. Am besten wir machen es ihr indessen so bequem wie möglich, während ich schon einmal die nötigen Utensilien beschaffe." Noch einmal mit einem fragenden Blick in Richtung ihrer Herrschaft nickte Locusta, als keine weiteren Anmerkungen mehr kamen und wuselte wieder davon.


    Iulia ging zu einer Truhe und fing daraus eine dünne Wolldecke hervor, die sie über Iduna drapierte. So war sie zumindest etwas bedeckt. "Wie lange wird das jetzt dauern, Nana?"
    Servilia Gemina zuckte mit den Schultern. "Das weiß man vorher nicht, aber die Wehen setzen üblicherweise schon mehrere Stunden vor der eigentlichen Geburt ein, also wird es schon noch etwas dauern. Locusta sagte ja schon, dass Iduna noch nicht geöffnet ist."

    Langsam und vorsichtig hatte Wonga die schwangere und durchnässte Iduna zur Sänfte getragen und sie dort so bequem wie möglich abgelegt.
    Gleich darauf hatte Servilia Gemina den Sklaven befohlen die Sänfte so schnell es ging zurück zur Domus Iulia zu schaffen und so hatten die Träger die Sänfte hochgehoben und sich eilenden Schrittes in Bewegung gesetzt. Unterdessen hatte Iulia ihr immerzu fest die Hand gehalten und voller Sorge auf sie geblickt, das arme Mädchen hatte nämlich noch vor Ort das Bewusstsein verloren.


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    Zuhause dann angekommen hatte sie gleich gerufen: "Bringt sie in mein Cubiculum und legt sie auf meinem Bett ab!" Iulia fand, dass Iduna ihr Kind nicht auf einer kalten harten Sklavenpritsche im Untergeschoss des Hauses bekommen sollte, sondern eher in einer lauschigen und weichen Umgebung. Und wenn es auch bedeutete, dass sie sich hinterher ein neues Bett kaufen musste!
    Servilia Gemina schien nichts dagegen zu haben, denn sie widersprach ihrer Tochter nicht, als sie angeordnet hatte Iduna in ihr Zimmer zu bringen.
    Dann rief sie einem anderen Sklaven zu: "Hol Locusta! Sag ihr, dass Iduna ihr Kind bekommt!"
    Dieser nickte und eilte los, während Wonga Iduna vorsichtig vom Boden der Sänfte auflas und durch die Tür ins Innere trug und sie dort dann sanft auf Iulias weiches Bett legte.

    Iulia starrte auf Iduna vor sich am Boden und hielt sich die Hände vor dem Mund. Tränen waren ihr in die Augen getreten. Wonga stand nur dumpf neben ihr und starrte Iduna an. Es war offensichtlich, dass die ganze Situation sein Begriffsvermögen bei weitem überstieg. Seinen Auftrag, Iulia Phoebe zurück zur Sänfte zu bringen, hatte er vollkommen vergessen. Der Anblick der kleinen Sklavin, wie sie da mit gespreizten Beinen darniederlag und offensichtlich große Schmerzen hatte, hatte alles andere aus seinem Kopf gespült.



    Servilia Gemina, Witwe des Kaeso Iulius Iuvenalis


    Servilia Geminas Sorgen indessen wuchsen ebenfalls. Wonga war schon viel zu lange fort und es strömten immer noch mehr und mehr Menschen zu dem Hain, was war dort nur los? Endlich fasste sie sich ein Herz und getraute sich auch jetzt aus der sicheren Sänfte zu steigen und persönlich zu erkunden was dort vor sich ging. Sie winkte Callista und zwei der drei noch bei der Sänfte befindlichen Leibwächtern und schritt so schnell es ihr Stand geziemte auf die Menge zu. "Iulia! Iulia wo bist du? Iulia! Macht Platz! Lasst mich durch! Ich muss... bei allen Göttern!"


    Erschrocken hatte auch Iulias Mutter jetzt Iduna erblickt. Nach einer kurzen Schrecksekunde erholte sie sich wieder und eilte zu der Sklavin hin. Dann kniete sie sich neben ihr nieder und berührte ihren Bauch. "Iduna! Etwa jetzt schon? Wir müssen dich unbedingt nachhause schaffen!" Sie wandte sich zu Wonga um und winkte ihn barsch herbei. "Wonga! Herkommen! Trage sie zurück zur Sänfte und das so vorichtig wie möglich verstanden?! Sie bekommt schon bald ihr Kind!"


    Ganz benommen beobachtete Iulia wie Wonga sich zu dem armen Mädchen hinunterbeugte und sie ganz vorsichtig in seine Arme hob, sodass Iduna mit dem Rücken auf ihnen zu liegen kam und der Bauch und die Beine in keinster Weise eingeengt wurden. So wuchtete er sie langsam hoch und trug sie zurück zur Sänfte, während Iulia, Callista und Servilia Gemina sie zusammen mit den beiden anderen Leibwächtern begleiteten. Iulia hatte Idunas Hand ergriffen und hielt sie fest, während sie ihr die ganze Zeit über gut zuredete.
    "Halte durch, wir bringen dich nachhause. Es wird alles gut werden. Hörst du Iduna? Wir sind alle für dich da."

    Langsam bewegte sich eine herrschaftliche Sänfte durch die Straßen und Gassen der Stadt, getragen von mehreren kräftigen Sklaven. Zusätzlich begleiteten vier Leibwächter den Tross. Jeder Mann und jede Frau, die sie erblickte, musste unverkennbar das Wappen einer Taube erkennen, das an den Seiten prangte, denn die Sänfte war eine iulische.



    In ihr saßen Iulia Phoebe und ihre Mutter Servilia Gemina. Iulias persönliche Leibsklavin, Leibwächterin und vertraute Freundin, die Sklavin Callista, war ebenfalls mit von der Partie und sicherte die Sänfte nach hinten hin ab. So herrschaftlich reisten die beiden also, ganz wie es sich für Angehörige der besseren Schichten Roms mit Senatoren in der Familie nun einmal geziemte. Servilia Gemina (ganz im Standesbewusstsein ihrer erlauchten servilisch-republikanischen Ahnen) saß einer Königin gleich auf ihrem Platz und blickte erwartungsvoll nach vorne, während Iulia neben ihr da schon einen etwas gedrucksteren Eindruck machte. Sie hatte sich schon auf die Feriae Annae Perennae gefreut, aber eigentlich andere Pläne gehabt. Iulia hatte eigentlich zusammen mit ihrer Cousine und besten Freundin Iulia Stella kommen wollen, aber ihre Mutter hatte da andere Pläne gehabt. "Wir werden die Festtage nutzen und uns ein wenig umsehen gehen, ob wir nicht endlich einmal eine passende Partie für dich finden!" hatte sie mit ihrer volldröhnenden Stimme in Iulias Cubiculum verkündet und ihr so jede Hoffnung auf Spaß schon einmal gründlichst verdorben. Auf Mannesbeschau mit der eigenen Mutter gehen....das versprach "lustig" zu werden...
    Und das ganz besonders, wenn die mitkommende Mutter Servilia Gemina die Schreckliche hieß...



    Servilia Gemina, Witwe des Kaeso Iulius Iuvenalis


    Unweit des Haines, wo sie am Fest teilnehmen wollten, blickte sie zu ihrer Tochter und verkniff ein wenig die Mundwinkel. "Jetzt lächel doch einmal, Kind. Wenn du einer Stinkmorchel gleich die Männer ansiehst wird dich nie jemand heiraten wollen!"
    Iulia verdrehte die Augen. "Ich weiß Nana...aber muss das unbedingt heute sein? Ich wollte doch schon mit Stella..."


    "Gerade heute, kleiner Sperling!" unterbrach sie da bestimmt die Mutter, "immerhin ist an Festtagen die Chance besonders groß, dass man vornehme Senatorensöhne auf den Straßen antrifft, die vielleicht schon bald um dich freien werden, wenn sie dich erst erblickt haben. Also Haltung annehmen und sich eloquent verhalten, dann wird das schon. Wir wollen ja nicht, dass du als vertrocknete alte Jungfer endest, so wie Tante..."


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    Wonga


    "Domina! Trubel! Trubel vorne! Domina umdrehen?" rief da der hünenhafte Sklave Wonga in ihre Konversation hinein und deutete auf die immer größer werdende Menschentraube im Hain und die hektischen Rufe und Bewegungen der Leute dort.
    Iulia reckte den Hals zwischen den Tüchern der Sänfte hervor, um zu erspähen was denn dort vor sich ging. Anscheinend versprach der Tag doch noch interessant zu werden.
    Auch Servilia betrachtete die Szenerie vor sich mit leichtem Stirnrunzeln und überdachte die Lage.
    "Ja Wonga, wir gehen zurück! Alle Mann umdrehen zurück zum Esquilin! Alle Mann....IULIA!!!"


    Noch ehe ihre Mutter sie zurückhalten konnte, war Iulia auch schon aus der Sänfte geschlüpft und lief auf den Hain zu. Sie wollte unbedingt wissen was denn so aufregend dort war und zumindest von weitem schien es nicht gefährlich zu sein. Servilia Gemina sah das anders und fuchtelte wild mit den Händen hinterher.
    "IULIA! KOMM SOFORT ZURÜCK! NA WARTE; WENN ICH DICH IN DIE....IULIA KOMM!!!"
    Sie blieb mit dem Unterkörper in der Sänfte, denn sie traute belebten Menschenmassen grundsätzlich nicht. Wer wusste schon auf welche Ideen der Pöbel kam!
    Doch ihre Tochter musste gerettet werden, weshalb ein Sklave dafür wohl geopfert werden musste. "Wonga! Hole mir meine Tochter zurück! Schnell! BEWEG DICH!"
    So groß und stark der Nubier auch sein mochte, wenn die Servilierin erst einmal zu brüllen anfing, schrumpfte auch er unter ihrer Stimmgewalt zu einem Zwerg zusammen.
    Deshalb beeilte er sich und spurtete los, um Iulia einzuholen und zurück zur iulischen Sänfte zu tragen.


    Der Vorsprung war jedoch schon zu weit gewesen, ehe der Befehl erschollen war, weshalb Wonga bei der Tochter erst einlangte, als diese schon mitten im Geschehen stand und auf den Kern des Aufruhrs blickte. Entgeistert stand Iulia vor Iduna. Das war doch die Neue, die Cousin Gaius mit nachhause gebracht hatte vom Würfelspiel!
    Auch Wonga war neben seiner kleinen Domina stehengeblieben und starrte gebannt auf die vor ihm liegende Sklavenkameradin. Iulia rief sie an: "Iduna! Iduna was ist mit dir?!"


    Servilia Gemina, Witwe des Kaeso Iulius Iuvenalis


    Genüsslich schlürfte Servilia Gemina den Falerner in sich hinein, ehe sie sich mit dem Handrücken den Mund wischte und wieder Eireann den Becher hinhielt. "Mach noch einmal voll, Kind." Anschließend ruhte ihr Blick auf Eireanns Gesicht, ganz so, als ob sie eine äußerst interessante Landkarte studieren würde. "Du bist neu hier, was? Jedenfalls bist du mir nicht bekannt. Wer bist du, Kind?" Kaum hatt sie ihren Satz zu Ende gebracht, ließ die Servilierin ihren Blick mit leichtem Kopfschütteln kurz in die Familienrunde schweifen und murmelte: "Immer neue Sklaven für diese Iulier. Möchte wirklich wissen wieso dieser Haushalt so einen hohen Verschleiß von denen hat."
    Dann wandte sie sich wieder der Sklavin zu in Erwartung einer Antwort.


    Zwei Sitzplätze von ihr entfernt hatte Iulia das Treiben ihrer Mutter registriert. Stirnrunzelnd blickte sie zu ihr hinüber. Das Essen hatte noch nicht einmal wirklich angefangen und Servilia Gemina war schon beim dritten Krug Wein, ob das gut gehen mochte? Was war los mit ihr? Wieso soff sie so?

    Immer noch innerlich etwas erregt saß Iulia neben Stella und verfolgte das Geschehen im Raum, bis ihre Cousine sich zu ihr beugte und sie ansprach. Da sie sich innerhalb der Familie befanden, ließ Iulia ihre gesellschaftliche Maske heute weniger streng sein, ja sie erlaubte sich sogar die Andeutung eines Lächelns und das Heben der rechten Augenbraue, ehe sie ihr leise antwortete: "Zufall...glaub mir..."
    Der leicht erschöpfte Tonfall ließ nur zu gut erkennen, welche Myriaden von Kleidungsstücken Iulia zuvor durchprobieren hatte müssen, ehe sie sich für diese Endauswahl entscheiden hatte müssen dürfen.


    In kurzer Folge aufeinander trafen jetzt Iulia Graecina, Lucius Iulius Antoninus und Caius ein. Danach kam Caesoninus dazu ihrem Ehrengast die Neulinge der Familie vorzustellen. Während dieser Zeit ruhte Iulias Blick auf Proximus, wie er da auf seiner Kline lag. Ihre Gefühle diesem Familienmitglied waren immer noch nicht eindeutig für sie. War das Groll, das sie in sich verspürte, wenn sie ihn sah? Zorn darüber, dass er sie und ihre Mutter aus Misenum hinausgeworfen hatte? Oder war das bloß die Trauer über die verlorene Heimat? Oder war sie wieder zu einer neutralen Haltung gekommen? Viele Fragen, keine Antworten.


    Als dann der erste Gang serviert wurde, seufzte Iulia dankbar. "Na endlich! Ich verhungere schon." raunte sie in Richtung Iulia Stella. Sie belud sich ihren Teller und begann zu essen. "Übrigens, ich denke ich weiß schon, was ich mir aus meinem Seidenstoff machen will, den ich dir vor kurzem gezeigt habe und zwar eine Stola mit goldenen Stickereien an den Rändern, was hälst du davon?" Iulia gab viel auf Stellas Modeempfinden.



    Servilia Gemina, Witwe des Kaeso Iulius Iuvenalis


    Iulias Mutter indessen hatte es sich mit einer Rebe Trauben gemütlich gemacht. "Ach Marcus, was gibt es Neues aus Misenum? Iulia und ich waren ja schon so lange nicht mehr dort! Natürlich denke ich bei jedem Schluck von deinem Wein an Misenum, irgendwie ist es mir doch schon auch ans Herz gewachsen, die Natur und die Idylle dort, aber du weißt bestimmt was ich meine" trällerte sie vergnügt in Richtung des Ehrengastes.
    Als das Essen kam, machte sich Servilia Gemina ein wenig Gustum de praecoquiis auf den Teller. "Oooh, das sieht ja sehr schmackhaft aus! Locusta hat sich wieder einmal selbst übertroffen!" meinte sie mit Blick auf die reich gedeckte Tafel. "Hmm dazu würde ein Falerner gut passen, oder? Du da!" herrisch schnippte sie nach Eireann "fülle mir Falerner ein!" und hielt ihr den soeben geleerten Becher hin.

    Auch zu den Damen der Iulier ward die Kunde durchgedrungen, dass familiärer hoher Besuch angekommen war und man sich entsprechend herzurichten hatte. Natürlich auch klar, dass dadurch Iulia Phoebe wieder einmal eine Gelegenheit hatte unter ihrem Nilpferd von Mutter zu leiden. Denn Servilia Gemina lief schon zum gefühlt hundertsten Mal zum Kleiderschrank und zog immer wieder andere Sachen heraus, die ihre Tochter doch heute Abend tragen könnte. Gerade hatte sie eine himmelblaue Tunika mit goldenen Stickereien hervorgezogen und hielt sie strahlend hoch.



    Servilia Gemina, Witwe des Kaeso Iulius Iuvenalis


    "Das wäre doch herzallerliebst! Zieh am besten das an, mein kleiner Sperling!" Iulia, die gerade erst in ihre Lieblingstunika in bage geschlüpft war, verdrehte die Augen. "Aber Nana, ich möchte viel lieber die hier tragen. Die ist viel bequemer und ich fühle mich wohler darin." Das hätte gerade noch gefehlt. Servilia Gemina verzog die Mundwinkel, wodurch sich ihre Backen anspannten. "Nichts da! Mit diesem alten Fetzen gehst du mir nicht aus dem Cubiculum! Was soll Iulius Proximus nur von dir denken, wenn du so verlottert zum Essen erscheinst! Wir wollen ja einen guten Eindruck auf ihn machen, stimmts?"
    Iulia wandte sich um, während sie die Tunika wieder über ihren Kopf zog und dabei murmelte: "Ja klar...besonders dafür, dass wir aus Misenum hinausgeworfen wurden."
    "WIE WAR DAS?!"
    "Nichts Nana! Ehrlich!"
    Servilia Gemina bedachte ihre Tochter mit einem bösen Blick, ließ es jedoch gut sein und drehte sich stattdessen wieder ihren Kleidern zu. "Hmm, deine Stolen gefallen mir auch nicht mehr wirklich, ich denke wir müssen einmal wieder zusammen einkaufen gehen...was ist denn das? Oh, diese violette Tunika würde sich aber auch nicht schlecht an dir machen, was wäre denn, wenn..." Iulia wollte gerade die himmelblaue Tunika überziehen, als sie die Worte ihrer Mutter hörte. Genervt pfefferte sie das Kleidungsstück zu Boden und machte in Richtung von Servilia Geminas Rücken genervte und erboste Gesten, während Iulias Leibsklavin Callista danebenstand und sich mit einer Hand vor dem Mund ein Kichern verhielt.


    Später...
    Die Götter (und Servilia Gemina) hatten am Ende doch noch Gnade gefunden mit der guten Iulia und als es endlich Zeit fürs Abendessen war, kamen sie zum Triclinium. Iulia war in eine modische lange Tunika gehüllt mit einem breiten Gürtel und aufgehübscht mit Goldschmuck. Als sie jedoch den Essensraum betrat und ihr Blick auf die schon anwesende Iulia Stella fiel, erstarrte sie urplötzlich zur Salzsäule. Ihre Augen und Mundwinkel verzogen sich und mit einem kaum wahrnehmbaren Kopfschütteln formten ihre Lippen die stummen Worte "Das hat sie nicht an..."
    Doch bevor jemand etwas bemerken konnte, hatte sie schon wieder den Kopf erhoben und schritt mit einer neutralen Maske zum Platz neben ihrer Cousine zu und ließ sich darauf nieder.
    Als auch bei Servilia Gemina endlich der Sesterz gefallen war, strahlte sie und deutete auf die beiden. "Wie süß, ihr habt ja fast das gleiche an! Ihr könntet direkt Zwillinge sein!" Immer noch erfreut grinsend setzte auch sie sich jetzt, während Iulia ihre Mutter mit Blicken tötete.

    Nach dem totalen Reinfall des Luscus folgte der nächste Redner, einer von den Decimern. Iulia kannte ihn nicht und sah ihn heute zum ersten Mal. Was er wohl auf dem Kasten haben mochte?
    Jedenfalls begann er zu sprechen und so lauschte sie interessiert. Diese Rede gefiel ihr wieder besser, auch fiel ihr auf, dass Decimus Scapula das gleiche rhetorische Stilmittel wie ihr Vetter verwendete, als er drei Eigenschaften für Rom direkt hintereinander verwendete. Auch das direkte Ansprechen der Zuhörer war ein Pluspunkt. Zwei oder drei Mal ließ er zwar Satzenden bzw. Hauptwörter weg, was den Stil etwas minderte, jedoch alles in allem eine ordentliche Rede. Autsch, was war das jedoch am Schluss? Ganz schlimme Wortwiederholung mit „weiterhin“. Iulia klatschte wie die anderen Zuseher jedoch auch. Dann kam ein ganz besonders exotischer Teilnehmer, ein Nichtrömer!
    Anscheinend war der Kerl sehr nervös, denn er rückte nicht sofort mit der Sprache heraus. Dann aber klappte es. Der Peregrinus berichtete von seinem bisherigen Leben und was er darin nicht alles Rom zu verdanken hatte. Eine für sie doch sehr ungewöhnliche Weise Rom zu preisen, aber andererseits war es doch wieder irgendwo passend. Diese Rede stimmte sie auf jeden Fall nachdenklich über die gesagten Worte und über ihren eigenen Status als Römerin und ihre Beziehung zu Rom. Vieles was für sie immer selbstverständlich da gewesen war, hatten Menschen ohne Bürgerrecht nicht, nur bedachte man das im Alltag nicht. Norius Carbos Rede jedoch hatte ihr diesen Aspekt wieder in Erinnerung gerufen. Genauso wie bei Scapula klatschte sie auch hier natürlich hinterher.

    Gespannt darauf was als nächstes kommen würde, erwartete Iulia den nächsten Rhetor. Der auftretende Mann war ihr völlig unbekannt. Er begann zu sprechen und nach den Darbietungen von Iulius Caesoninus und Valerius Flaccus hatte sie größte Erwartungen an ihn. Doch leider wurde sie enttäuscht.
    Schon ab der Hälfte war für Iulia klar, dass dieser Kandidat mit den beiden vorigen nicht mithalten konnte. Seine Rede hatte nicht die Wortgewalt eines Caesoninus, aber auch die Technik eines Flaccus fehlte. Insgesamt kam ihr die Rede ein wenig "altbacken" vom Gefühl her vor. Wo sonst man außer in Rom auf großer Bühne Reden halten konnte? Ganz klar in Griechenland in den großen Poleis wie Sparta und Athen. Selbsterniedrigung, indem man sich selbst unnötigerweise als "unbekannten Mann" bezeichnete, ebenfalls ein Minuspunkt. Wenn man schon auf der Rostra am Forum Romanum war, hatte man ja die Chance genau diesen Umstand zu ändern und ihn nicht auch noch in die Breite zu treten! Apropo Forum Romanum, hatte der Kerl in seiner Rede gerade ernsthaft den ehrwürdigsten und ruhmreichsten Platz dieser Stadt beleidigt und als "unschön" abgestempelt? Das wurde ja immer besser! Die folgenden endlosen dankenswerten Aufzählungspunkte fand sie ehrlich gesagt ein wenig ermüdend, was nicht alles toll an ihnen, den Römern war und wer nicht schon alles an ihre Tür geklopft hatte (also von den "Bösen" jetzt).


    "Die Worte meiner Rede werden schnell verhallen"
    Oh ja, das war ein wahres Wort, mein Freund, dachte sie sich. Das Beste kam dann natürlich noch am Schluss, als der Redner jetzt schon einmal den Tod aller heute hier anwesenden Zuhörer rhetorisch vorweg nahm. Egal ob ihr Typen da seid oder nicht, ob ihr alle längst Staub seid, Roma wird trotzdem groß sein, denn dazu braucht es euch nicht. Schöne Aussage.
    Ganz klar die schwächste der drei bisherigen Reden. Doch wie sah das wohl der Rest der Familie? Interessiert beugte sie sich zu Iulia Graecina hinüber und fragte sie: "He du! Sag mal, welche Reden haben dir bislang am besten und am schlechtesten gefallen?"

    Genauso wie die anderen Zuseher klatschte auch Iulia Beifall für Valerius Flaccus. In der Art und im Aufbau seiner Rede war ihrer Meinung nach wieder klar der Jurist herausgestochen. Flaccus‘ Rede war weniger mitreissend und prägnant gewesen als die von Caesoninus, auch ihr Ton war viel nüchterner und eher an eine Beweisdarlegung vor Gericht erinnernd, als dafür da um die Massen mitzureissen, andererseits erschien sie Iulia technisch gesehen ein wenig vielseitiger und ausgefeilter, als die ihres Vetters. Die beiden Reden des ersten Tages bildeten somit gleich einen Gegensatz, der größer nicht sein könnte. Auf der einen Seite nüchterne Technik und auf der anderen packende Emotion. Was würden wohl die Richter davon bevorzugen? Entsprechend deren Präferenzen hätte dann der eine oder andere Kandidat die besseren Chancen auf den Sieg. Doch mochte diese Frage wohl eine eigene philosophische Debatte sein, worauf es an einer guten Rede mehr ankam, darauf dass sie Leute mitriss und von ihrem Inhalt überzeugte, oder dass sie technisch ausgereift war und möglichst viele verschiedene Register der Rhetorik bot, wenn dies auch ihrer Kraft ein wenig abträglich sein mochte.


    Iulia jedenfalls hatte auch Flaccus‘ Rede sehr gefallen. Um ihren Vetter zusätzlich noch ein wenig zu ärgern beugte sie sich zu Caesoninus hinüber und rief ihm über den Lärm der Menge zu:
    Tja, sieht so aus als wars das mit deinen Chancen auf den Sieg!
    Ob Flaccus sich überhaupt noch an sie erinnern konnte?
    Ein wenig hatte er Iulia ja schon gefallen.

    Natürlich war heute auch Iulia Phoebe im Tross der Familie dabei, um ihren Verwandten anzufeuern und so fand man sie neben Iulia Graecina stehend, ihre Leibwächterin und Freundin Callista direkt hinter ihr stehend.
    Was war das nur für eine Freude in so einer Menschenmenge zu stehen! Und erst die ganzen Frauen, die perfekte Gelegenheit für sie, sich ein paar besonders schöne Frisurmodelle abzukupfern. Immerhin liebte sie es immer wieder mal etwas neues mit ihren Haaren auszuprobieren. Das ausgefallendste, was sie bislang versucht hatte war, als sie anlässlich einer Feier einmal eine kleine Trireme in ihr Haar flechten hatte lassen und ihre leichten Locken darum herum wie Wellen mit Nadeln fixiert drapiert worden waren. Servilia Gemina hatte dieser „anrüchige Firlefanz von der Arroganz eines Pfaus“ (wie sie diese Frisur benannt hatte) eher weniger gefallen. „Denkst du dein Vetter hat eine Chance zu gewinnen?“ raunte ihr Callista von hinten zu. Amüsiert hob Iulia eine Braue. „Wenn es etwas gibt, das dem lieben Gaius liegt, dann sich selbst reden zu hören, natürlich wird er gewinnen!
    Keine Frage. Doch nicht lange und sie könnten sich selbst von seiner Kunst überzeugen, denn schon wurde ihr Vetter angekündigt.
    Dann trat er auch schon höchstselbst in Erscheinung. Iulia hatte die Rede zuvor nicht gekannt, also war es auch für sie das erste (und einzige) Mal, aber sie musste zugeben, dass Caesoninus seine Sache gut machte! Sogar eine Art roter Faden wollte sie darin erkennen, alles in allem eine gelungene Rede. Nachher applaudierte sie genauso wie der Rest der Menge auch. „Gar nicht so schlecht, oder?“ meinte sie zu Graecina neben ihr.
    Dann wurde auch schon der nächste Sprecher angekündigt. Valerius Flaccus! Den kannte Iulia ebenfalls von einer früheren Begegnung her, mal sehen, ob er ihrem Verwandten das Wasser reichen konnte. Eigentlich musste er sich ja gut im Reden schwingen auskennen, wo er sich ja viel mit Gesetzestexten auseinandersetzte und selbst Kommentare zu ihnen schrieb. Doch einmal sehen.
    Caesoninus fand seinen Weg zu der Stelle unter den Zusehern, wo die Vertreter der Gens Iulia standen und erkundigte sich nach der Güte seiner Darbietung. „Zumindest für den vorletzten Platz wird es schon reichen. Aber nein im Ernst, du warst gut!“ meinte Iulia vergnügt. Sie liebte es ihn zu necken. Doch jetzt Bühne frei für Valerius Flaccus.

    Eigentlich hatte Iulia gedacht nach ihrem Platzwechsel mit Caesoninus hätte sie endlich genug Ruhe, um die traurigen Geschehnisse auf der Bühne angemessen mitverfolgen zu können, doch denkste.
    Die beiden unterhielten sich so laut und ungezwungen, dass sie Mühe hatte sich vollauf auf das Stück zu konzentrieren. Am liebsten hätte sie die rechte Hand an ihr Ohr und vors Gesicht gelegt, um die beiden Turteltäubchen völlig auszublenden, aber natürlich ging das in der Öffentlichkeit nicht, wie würde das nur aussehen?
    Geistiges Ausblenden musste ausreichen. Verbissen versuchend ihren schwatzenden Vetter nicht wahrzunehmen, verfolgte Iulia das Ende des Stücks und auch der fliegende Drachenwagen war atemberaubend gut gemacht. So traurig das Ende von Medea auch sein mochte, die wahre Tragik spielte sich zeitgleich plötzlich hier direkt neben ihr ab! Denn Iulia Graecina links von ihr war ohnmächtig geworden.
    Gleich als sie es bemerkte wandte auch sie sich der lieben Verwandten zu. „Graecina! Was ist mit dir!“ Sie wollte sie auffangen, doch ein fremder Mann war schneller. Wohl noch mal Glück gehabt. Jetzt hatte auch ihr lüsterner Vetter bemerkt, dass etwas nicht stimmte und war seinerseits herbeigeeilt, um sich beim Unbekannten nach Graecinas Wohl zu erkundigen. Bei all ihrer Angst konnte sich Iulia ein paar ironische Gedanken einfach nicht verkneifen. Was denkst du wohl du Held, ohnmächtig ist die Gute geworden!