Es tat schon gut einmal wieder mit Aviana zu sprechen, auch wenn sie beide teils sehr verschiedene Frauen waren. Natürlich, sowohl Iulia Aviana, als auch Iulia Phoebe waren beide sehr auf gutes Benehmen, Etikette und Würde bedacht und beide wunderschön, doch in den Nuancen ihrer Persönlichkeiten waren sie beide doch teils grundverschieden, bzw. kollidierten in ihren Interessen und Ansichten. Vielleicht lag es daran, dass Aviana die Tochter eines einflussreichen Senators aus Rom und Iulia Phoebe -mehr oder weniger- ein Kind vom Lande war, denn falls sie raten hätte müssen, so hätte Iulia schon darauf getippt, dass sie teils bei weitem verrücktere Dinge (trotz aller Würde und guter Erziehung) abzuziehen bereit war, als Aviana. Alleine, wenn sie nur daran dachte, was sie alles in den letzen Monaten erlebt hatte (ob freiwillig, oder nicht sei einmal dahingestellt).
Z.B. wusste Iulia immer noch nicht, ob sie die Sache auf sich beruhen, oder sich in Grund und Boden schämen sollte, als damals, bei Iulia Stellas Ankunft, ihre Mutter sie mit den erotischen Versen des Dichters Meleagros von Gadara erwischt und daraufhin das ganze Haus in Grund und Boden gebrüllt hatte, was Licinus (der gerade Stella am begrüßen gewesen war) gar nicht gefallen und es daher anschließend eine gehörige Standpauke sowohl für die Mutter, als auch für die Tochter, gesetzt hatte.
Oder als Annaeus Florus Minor im Zuge seines Wahlkampfes zum Vigintivir im Ludus Dacicus eine Cena Libera ausgerichtet hatte, zu der sich Iulia und Stella heimlich alleine hingeschlichen hatten, ohne jemand anderem im Haus etwas zu sagen (und dort beinahe ihrem Verwandten Caesoninus in die Arme gelaufen wären), das waren nun einmal alles Dinge, die sie sich bei Aviana nie und nimmer vorstellen konnte, weil sie ihr einfach noch einmal eine Spur korrekter und auf die Regeln bedachter vorkam, als sie selbst.
Und deshalb sprach sie auch so gerne mit ihr, sie sah Aviana als so etwas wie einen "guten Kompass" an, was gutes Benehmen anging, an dem man sich von Zeit zu Zeit neu ausrichten konnte, falls die jugendlichen Flausen bei einem wieder einmal Überhand genommen hatten.
Doch dieses Mal schienen sie in ein kleines thematisches Missverständnis geraten zu sein. Iulia hatte sich für die aktuelle Mode in Misenum interessiert, doch Aviana erzählte ihr stattdessen vom kulturellen Leben der Stadt und von Dichtern (wobei sie rot im Gesicht wurde, wie Iulia durchaus bemerkte). Nun, auch wenn sie jetzt nicht auf ihre Frage geantwortet hatte, so wollte Iulia jetzt nicht die Unhöflichkeit begehen und sie darauf aufmerksam machen (wenn sie sie auch einen ganz kurzen Moment sehr überrascht angesehen hatte), sodass sie eine interessierte Miene aufsetzte und meinte: "Wie schön, dass, äh... Misenum so aufblüht, ich würde es gern wieder einmal sehen. Und wie geht es dir sonst so? Sonst noch irgendetwas spannendes erlebt?"
Ich weiß schon, dass es in der Antike keine Kompasse gab, aber mir ist keine bessere (bzw. antik-zeitgemäßere) Metapher eingefallen und weils ja eh ein "Text aus dem Off" und keine direkte Rede war, wirds wohl halb so schlimm sein.