„Die Welt durchwandern wir,
unruhig, getrieben,
die Zukunft in Sand und in Wasser geschrieben,
frei wie die Vögel, Blätter im Wind,
wir treiben dahin und dahin und dahin....
Lebendes Holz aus Yggdrasils Ästen,wir driften dahin von Osten nach Westen,morgen woanders, heute noch hier: - Treibholz sind wir.“*
Es waren nur wenige Tage und doch kamen sie Idun vor wie eine Ewigkeit. In Fesseln lag sie in diesem dunkeln Raum. Sie ließ ihre Gedanken wandern und erlebte die vergangen Tage nochmal. Den Tag an jenem sie Verus aus dem Dorf holte – ihn rettete. Jene intensive Tage in denen sie und der Römer sich näher gekommen waren, in denen sie gleich waren. Jene Tage die sie so tief in ihrer Seele berührt haben, dass sie nun wusste was Einsamkeit ist. Und jene Leere, jene Einsamkeit die sie spürte seit die Legionen gekommen waren um ihn zu retten und die Toten zu rächen. Sie spürte immer noch die Blicke voller Hass welche ihr die Dorfbewohner zugesandt hatten. Und jene voller Misstrauen der Soldaten. All diesen Blicken jedoch hielt sie stand. Sie ging den Weg ihres Schicksals, ihren Weg den sie frei gewählt hatte.
Sie war allein mit ihren Gedanken und Gefühlen, sie konnte sie nicht teilen. Bisher war das nie ein Problem gewesen, aber seit den tagen in der Hütte war es das. Wenn man wusste was Einsamkeit war konnte dies grausam sein. Unwissenheit hatte auch seine guten Seiten.
Auch wenn sie auf Anordnung des Offiziers die persönliche Gefangene des Tiberes war hieß das nicht, dass sie in seiner Nähe bleiben konnte. Nein es hieß nur, dass sie nicht mit den anderen Gefangenen zusammen transportiert wurde. Von ein paar Männer begleitet wurde sie allein geführt. Immer wieder hatten die Männer versucht sie zum reden zu bringen, hatten ihr vorgeworfen, dass der Centurio unter ihrem Bann stehen würde. Doch Idun hatte nicht reagiert. Sie schwieg und dass nun schon seit der Rückmarsch begonnen hatte.
Sie war allein hier in diesem dunkeln Raum. Wieder allein. Vor wenigen Augenblicken noch war ein älterer Soldat hier gewesen, der ihr eine Botschaft überbracht hatte. Eine Botschaft von Verus und er hatte ihr ein in Opium getränkte Beißholz in die Hand gelegt. „Nimm es Mädchen.“ Hatte er gesagt. „Er tut es nicht gern, aber es muss ein.“ Hatte er gesagt. „Es ist zum Wohle Roms.“ Waren seine Worte gewesen. Idun hatte verstanden, hatte dem Alten dankend zugenickt, aber weiter geschwiegen.
Nein sie wusste nicht was auf sie zukommen würde. Sie konnte nur ahnen. Sie kannte Rom, sie kannte seine Grausamkeit – zu nur allzu gern erklärten Römer dies als die Gerechtigkeit Roms. Alles geschah zum Wohle Roms. Allein dieses Worte zum Wohle Roms hinterließen einen bitteren Beigeschmack bei all jenen die außerhalb Roms standen. Für sie bedeutete dieses zum Wohle Roms zumeist Leid und Kummer.
Ja Idun hatte verstanden und sie hatte auch verstanden das Verus es nicht gern tat und doch tun musste für Rom. Sie konnte nur ahnen, wie er sich fühlen musste.
Ja ihre Gedanken waren tatsächlich bei ihm. Sie sorgte sich nicht um sich selbst, sondern um ihn. Sie hatte gesehen, wie verletzlich und zerbrechlich die Seele dieses Mannes ist. Die Rüstung die er trug war nur ein Panzer, der ihn versuchte zu schützen vor dieser Welt die zumeist grausam war. Zu gern wäre sie jetzt bei ihm, würde ihm gern Zuversicht geben, würde ihm sagen, dass sie ihm vertraute. Würde ihr Versprechen der Treue bekräftigen.
Ja auch die vergangen Tage hatten nichts daran geändert. Idun hatte vorher gewusst, dass diese Welt, in die sie sich freiwillig begab, nicht gut – nicht gerecht ist. Sie hatte gewusst, dass diese Welt grausam und brutal war. Das diese Welt jeden strafte, der nicht zu ihr gehörte. Es war wie ein Naturgesetz. Rom unterwarf. Rom unterdrückte. Rom versklavte.Und Rom nahm keine Rücksicht.
Und genau für jenes Rom würde Verus nun handeln müssen...
Die Tür wurde geöffnet und sie wurde aus ihren Gedanken gerissen. Zwei Soldaten betraten den dunkele Raum. Idun hatte nicht die Möglichkeit sich an das plötzlich einfallende Licht zu gewöhnen und konnte kaum etwas erkennen. Aber sie vernahm das unverkennbare Klirren der aufeinander schlagenden Kettenglieder. Es war also so weit sie waren gekommen um sie zu holen...
Unsanft, ja fast schon brutal wurde die zierliche Frau von den beiden – ihr an Kraft und Körpergröße bei weitem überlegenen – Männer auf die Füße gezerrt.
Kaum auf den Füßen, den sicheren Stand noch gar nicht gefunden wurde auch schon ihre Arme nach hinten auf den Rücken gezogen. Und dort wurde ihre Handgelenke mit den Fesseln versehen. Idun hielt aber weiter das in Opium getränkte Holz fest in ihrer rechten Faust umklammert.Nach dem dann auch ihre Füße so zusammengekettet wurde, dass sie nur kleine Schritte machen konnte wurde sie aus der Zelle geschubst. Die beiden Soldaten trieben sie vor sich her. Ihre Augen hatten Mühe sich an das helle Licht zu gewöhnen, keinen Moment gab man ihr dafür Zeit schon wieder wurde an ihr gezerrt. Als der Mann ihr drohte, hob sie das erst mal ihren Blick und sah ihn direkt aus ihren dunklen braunen Augen an, die gerade ob des Wechsels von Dunkel auf Hell fast schwarz wirkten. Dieser Mann hasste sie auch wenn sie nicht verstand warum. Auch seine Drohung verstand sie nicht. Sie hatte sich bisher nicht widersetzt, sondern alles stumm ertragen.
Doch auch jetzt erhob sie nicht ihre Stimme,sie schwieg, wie schon seit Tagen kam kein Wort, kein Laut über ihre Lippen.
Sie führte die an Händen und Füßen gefesselte Seherin auf eine großen Platz. Sie sah die vielen Menschen doch erkannte keine Gesichter, es war nur eine gesichtslose Masse, die um den Platz herumstand und wohl auf ein Spektakel hoffte. Für Idun jedoch waren sie nicht existent. Ihre Augen suchten, sie glitten vorbei an den beiden Pfählen die so aufgestellt worden waren, dass jemand dazwischen angebunden werden konnte. Ihre Augen suchten weiter und sie fanden ihn.
Ihr Schritt stockte... da stand er und er verkörperte in seiner Paraderüstung – ganz ohne Kampfspuren – Rom. Ihr Herz war es welches sich in der Brust zusammenkrampfte und sie rang nach Luft. Ihr Blick fiel auf seine Hände und fanden das was kommen würde – eine Peitsche. Das war es also, was zum Wohle Roms notwendig war? Sie hob ihren Blick, der trotz der Situation frei von Angst war - aber eine Unsicherheit in sich barg, und suchte seine Augen – und als sie sie fanden stand sie Welt für einen Moment still. Alles um sie herum verschwand in einem Nebel, es gab keine anderen Menschen mehr, nicht den Platz hier, nicht die drohende Peitsche in seiner Hand, nicht die Rüstung. Es gab nur die beiden Augenpaare die aufeinandertrafen. Ihre Lippen jedoch bleiben versiegelt, kein Laut, keine stumme mit den Lippen geformten Wörter. Sie fand was sie suchte in seinen Augen und die Unsicherheit schwand und wich einer Hoffnung. Ja Blicke konnten so viel mehr sagen als tausend Worte. In ihrem Blick lag viel Liebe und Vertrauen. Kaum merklich nickte sie ihm zu und gab ihm damit ihre Zustimmung für alles was folgen würde.
Nur einen Augenblick nicht viel länger dauerte der Moment, denn dann wurde sie unsanft voran gedrängt...