Ja, Canus hatte Angst vor diesem Moment und er war nicht gerade der Typ Mensch, der vor vielen Dingen Angst hatte oder sich ständig um alle möglichen Dinge unnötige Sorgen machte. Doch das hier war etwas ganz anderes, es ging um seine Familie – etwas, was ihm trotz allem verdammt wichtig war. So war er mit etwas Abstand zu seiner Schwester stehen geblieben und er war gespannt, wie sie auf seine Stimme, seine Worte reagieren würde. In dieser Situation rechnete er tatsächlich mit dem Schlimmsten, war nervös, auch wenn er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, sondern dies mit einem leichten Lächeln auf seinen Lippen zu überspielen. Sie hatte sich verändert, natürlich, es war eine lange Zeit gewesen, doch der Sklave hatte ihn schließlich zu ihr geführt und so brauchte er nicht lange, um sie wieder zu erkennen. Ihr erging es jedoch etwas anders, sie schien sich zunächst zu fragen, wer der Mann war, der hier nun vor ihr stand – doch verübeln konnte er es ihr nicht.
Als sie seinen Namen sagte, lief Canus ein leichter Schauer über seinen Rücken und er nickte langsam, in diesem Moment nicht sofort fähig etwas zu sagen. Die Reaktion, die dann von Valentina folgte, hätte er jedoch nicht erwartet. Nicht weil sie ein schlechter Mensch war, viel mehr aber weil es auf ihn zutraf und er alle Verachtung der Welt von ihr verdient hätte. Doch... Valentina war einfach nicht so ein Mensch. Er war überrascht, als sie ihm um den Hals fiel und erstaunlich fest an sich drückte. An ihrer Stimme war deutlich hörbar dass sie weinte, auch spürte er etwas feuchtes auf seiner Haut an seinem Hals. Canus schloss für einen Moment die Augen um selbst seine Tränen zu unterdrücken, doch seine Augen wurden merklich feucht, auch wenn er es nicht wollte – er hasste es vor anderen Menschen. Aber dieses Wiedersehen, Valentinas Gefühlsausbruch... es rührte ihn einfach zu sehr, wühlte ihn innerlich auf.
Er legte seine Arme um seine jüngere, kleinere Schwester und erwiderte den Druck, atmete tief durch und öffnete seine Augen wieder. „Verzeih mir Valentina... bitte, verzeih mir. Ich war dumm dich hier alleine zu lassen, dich im Stich zu lassen. Ich weiß dass ich für dich hätte da sein, für dich hätte bleiben sollen, trotz allem was passiert ist. Ich... war irgendwann an einem Punkt, an dem ich mich zu sehr geschämt habe wieder zu kommen, zu viele Schuldgefühle hatte gegangen zu sein,“ versuchte Canus sein Handeln irgendwie zu erklären. „Aber... ich wollte dich nicht weiter im Stich lassen. Ich weiß dass ich mich allem stellen muss. Aber das ist es wert, solange ich dich wieder in meiner Nähe weiß, solange wir wieder füreinander da sein können.“ Tief atmete er wieder durch, es war nicht leicht für ihn eigene Fehler einzugestehen, all dies zu sagen fiel ihm verdammt schwer. „Ich werde dich nie wieder im Stich lassen, kleine Schwester, nie wieder, ob du es willst oder nicht,“ sagte er dann mit deutlich leiserer Stimme und legte seine rechte Hand vorsichtig an ihren Hinterkopf, um sanft über ihr Haar zu streicheln. Dabei spürte er, wie auch ihm schließlich die ein oder andere Träne über die Wange lief. Er hatte so eine große Angst vor diesem Moment gehabt, eine derartige Angst, die ihn so lange davon abgehalten hatte, zurück zu kehren – bis heute.