Da Caesoninus jemand war, der als Aedituus sehr viel mit dem Göttlichen zu tun gehabt hatte jeden Tag, war Tiberius nicht überrascht, als er die Gerechtigkeit der Sphäre des Göttlichen zuordnete.
"Gerechtigkeit als letztlich losgelöst vom Recht. Das ist eine neue Idee. Interessant."
Sodann meldete sich Duccius zu Wort. Recht als Ordnung. Drei Aspekte. Iustum, Aequum, Legitimum. Anscheinend hatte Callistus sich da durchaus Gedanken gemacht. Diese semantischen Aufteilungen fielen bei den meisten Diskussionen über das Recht früher oder später unter den Tisch.
"Und Gerechtigkeit als mögliches Endresultat. Ja. Interessant."
Sim-Off:Keine knallharten Nicht-Positivisten hier was?
"Und behalte die Aufteilung in Iustum, Aequum und Legitimum auf jeden Fall im Kopf. Die können wir später denke ich gelegentlich noch brauchen.
Nun, viele andere behaupten, dass es genau anders herum ist. Dass ohne Gerechtigkeit überhaupt kein Recht entstehen könnte. Hierfür beziehen sie sich dann aber wieder auf die Götter, die Caesoninus erwähnt hat. Allerdings mit völlig unterschiedlichen Konsequenzen. Göttliche Gerechtigkeit als Legitimation des weltlichen Rechts. Nicht als zwei voneinander getrennte Sphären.
Ich hoffe ich hatte dich richtig verstanden.
Jedenfalls kann ich euch sagen, dass wenn wir unser Recht hier in Rom anschauen, wie du Caesonius sicher weißt, es geschichtlich so aussieht, dass viele unserer Rechtsnormen und ihre Begründung ihren Ursprung im sakralen Bereich, dem Bereich der göttlichen Gerechtigkeit haben, auch wenn uns das vielleicht heutzutage nicht mehr ständig bewusst ist. Aber zu den Ursprüngen gleich mehr.
Wenn wir uns ansehen, was die großen Denker - Callistus hat die Griechen ja schon erwähnt - dazu sagen, haben wir ein interessantes Bild vor uns.
Cicero würdest du vielleicht interessant finden, Caesoninus. Recht hat für ihn Gerechtigkeit als Ziel. Er glaubt an das Recht durch die göttliche Vernunft* Die griechischen Philosophen wie Platon und Aristoteles, ihrer allgemeinen Linie folgend, haben für das Recht ein anderes Ziel. Das Recht hat , indem es "gut" und "gerecht" ist, nämlich das Ziel, die eudamonia, das Glück oder die Glückseeligkeit, zu fördern. Sowohl des Privaten als auch im Gemeinwesen.** Wie da die Mittel im Spezifischen sind erstmal nicht von besonderem Interesse.
Und wenn ihr mich schließlich nach meiner Ansicht fragt, so stellt Recht im Wesentlichen einen Mechanismus dar, der es ermöglicht, Konflikte im Privaten oder im Gemeinwesen zu vermeiden und aufzulösen.
Hierzu zähle ich alle Normen, die wir uns in unserem Gemeinwesen so gegeben haben. Sei es durch formelles Gesetz des Augustus oder des Senats, sei es durch die allgemeinen Sitten, die wir für selbstverständlich halten. Denn ob man nun durch den Richter wegen eines Gesetzesverstoß oder durch die öffentliche Meinung wegen eines Sittenverstoßes verurteilt und bestraft werde, mag für den einzelnen oft kaum einen Unterschied machen. Ansonsten bin ich eher geneigt, dem großen Cicero zu folgen.
Aber wie ich schon gesagt hatte. Viele dieser Erklärungsversuche, was Recht ist, sind legitim, haben Stärken und Schwächen und die Philosophen werden sich noch lang um diese Frage streiten. Ich fand es nur nützlich mit dieser Frage zu beginnen, um später gelegentlich darauf zurück zu kommen.
Wir könnten dieses Thema gern noch eine Weile verfolgen. Wenn also noch etwas dazu loswerden will, kann er das ja jederzeit anbringen.
Lasst uns aber von den luftigen Sphären der Philosophie einstweilen auf den harten Boden der Praxis zurückkehren.
Was würdet ihr sagen, ist das Rechtsgeschäft - nennen wir es einfach mal so - , das sich in dieser Stadt am häufigsten abspielt jeden Tag?"
Sim-Off:*In De Legibus steht das.
**Nikomachische Ethik; Politeia