Nachdem das Volk ruhig geworden war und seine Aufmerksamkeit sich auf mich konzentrierte, begann ich meine Kandidaturrede. Eine Sache, die ich noch nie geliebt hatte und die mir genug Kopfzerbrechen bereitete, um mir Sorgen zu machen. Doch was sein musste, musste sein. Es war halt einfach nicht meine Stärke, Versprechen ins Blaue abzugeben. Ich mochte es lieber, konkrete Dinge mit einem Gegenüber zu besprechen und Lösungen zu finden.
Quirites, Bürger Roms, Bürger des Imperium, hört mich an! Einige von euch mögen mich kennen, einige sind vielleicht extra wegen mir hier, andere fragen sich garantiert, wer ich bin und weshalb ich heute auf der Rostra stehe.
Eine miserable "Captatio Benevolentiae", eine Technik mit welcher die Aufmerksamkeit und speziell in Gerichtsreden auch das Mitgefühl des Publikums erregt werden soll. Ein Stilmittel jeder Rede, egal wo und wann, sobald man etwas von seinem Publikum wollte. Doch selbst eine miserable Captatio war besser als gar keine!
Ich bin Senator Lucius Annaeus Florus Minor, Sohn des Senators Lucius Annaeus Florus und Initiator der Gesetzesänderung, welche einigen von euch neue Chancen und Rechte gebracht hat, als die Lex Germanica Servitium und der Codex Militaris kürzlich angepasst wurden.
Auch dies war ein Stilmittel römischer Reden. Erinnere das Publikum an einen kürzlichen Erfolg, vor Gericht oder wo auch immer, damit sich möglichst viele von ihnen mit der entsprechenden Bekanntmachung oder dem entsprechenden Fest verbinden können oder sich daran erinnern.
Nun galt es aber ernst:
Ich stehe heute hier vor euch, weil ich den nächsten Schritt im Cursus Honorum machen möchte. Als Vigintivir arbeitete ich für das Volk und versuchte die Strassenreinigung zu verbessern, damit bei Hitze oder Regen unsere Strassen sauber und problemlos passierbar sind. Als Quaestor Principis habe ich dann unserem Kaiser gedient. Nun ist es an der Zeit, dass ich meinen Fokus wieder auf das Volk richte, das Volk aus welchem ich stamme. Die Annaei sind noch immer eine plebejische Familie, auch wenn sie in der Zwischenzeit einige Senatoren hervorgebracht haben. Doch immer waren wir und bleiben wir dem einfachen Volke verbunden, aus welchem unsere Vorväter und auch mein eigener Vater sich emporgearbeitet haben. Status bedeutet nichts, wenn man vergisst woher man kommt. Wir Annaei vergessen dies nicht.
Aus diesem Grund stehe ich heute vor euch, um meine Kandidatur zum Tribunus Plebis zu erklären. Nicht Spiele und Luxus sollen das Thema meiner nächsten Amtszeit sein, sondern die Rechte der einfachen Römer, eure Rechte, die Rechte derjenigen Menschen, die jeden Tag ihren Schweiss vergiessen, ihr Blut hergeben, um das Imperium gross zu halten oder noch grösser zu machen.
Nun war klar, warum ich hier stand. Doch was wollte ich erreichen? Gab es denn überhaupt ein Ziel, welches ein Volkstribun in der heutigen Zeit noch verfolgen konnte?
Vielleicht fragt ihr euch, was denn heute, in unserem Reich, unter der Führung des Kaisers, ein Volkstribun noch erreichen kann. Schliesslich sind wir keine Republik mehr, in welcher das Veto des Tribunus Plebis jeden Gesetzesentwurf verhindern konnte. Damals war der Volkstribun die mächtigste Person im Land, mächtiger selbst als die Consuln, denn sein Veto verhinderte alles, ohne eine Möglichkeit es umzustossen.
Das liess ich zuerst sacken, denn zu oft hatten Volkstribune versucht, die alte Republik wiederherzustellen, bloss um ihre eigene Macht zu festigen.
Ganz in der alten Tradition will ich versuchen, die Rechte der einfachen Bevölkerung zu stärken. Meine Vorbereitung hat gezeigt, dass in den Zeiten der Wirren und des Bürgerkrieges unser höchstes Gesetz, der Codex Universalis, willkürlich und gesetzeswidrig zu Gunsten des damaligen Machthabers geändert wurde. Nach dem Bürgerkrieg wurde der Codex einfach belassen wie er war und die Änderungen nicht rückgängig gemacht. Die Macht des Kaisers und des Caesars sind praktisch uneingeschränkt und selbst der Senat kann sich seiner Rechte nicht sicher sein.
Ohhhs und Ahhhs machten sich im Publikum breit. Es war nicht allgemein bekannt, dass damals faktisch eine Entmachtung des Volkes stattgefunden hatte und die zuvor noch begrenzten Rechte des Kaiseramtes massiv ausgebaut wurden. Ich liess das Volk in Ruhe etwas murren und genoss es, dass es mir gelungen war, ihre Aufmerksamkeit zu halten und ihnen etwas zu geben, was man diskutieren konnte. Doch dann wurde es Zeit, weiter zu sprechen.
Quirites, ich bitte euch, beruhigt euch. Genau aus diesem Grund kandidiere ich als Volkstribun. Ich will eure Sorgen hören, eure Probleme aufnehmen und das Grundgesetz unseres Imperiums wieder so installieren, wie es von unseren guten Kaisern eigentlich gedacht war. Der grosse TIBERIUS AQUILIUS SEVERUS AUGUSTUS, unser geliebter Kaiser, hat seine Rechte nie missbraucht und euch, das Volk Roms, immer den nötigen Respekt entgegen gebracht. Ich bin mir sicher, dass auch der Senat dies tun wird und verspreche euch, dass ich mein Bestes geben werde, um den Codex Universalis und darin vor allem die Rechte und Pflichten der kaiserlichen Familie, wieder so herzustellen, wie es eigentlich gedacht war. Meine Leute arbeiten bereits daran, die Geschichte dieser ungesetzlichen Veränderungen aufzudecken, damit ich die Beweise dem Senat und dem Kaiser vorlegen kann.
Wieder begann das Volk zu diskutieren, ich liess es, bevor ich wieder Ruhe verlangte.
Ausserdem habe ich mich, wie es unsere Tradition verlangt, um die offene Stelle als Sodalis der Augustales beworben. Als Senator und speziell als Volkstribun, sehe ich es als meine Pflicht an, auch eine Position im Cultus Deorum zu haben. Und welcher Kult wäre da besser geeignet als der des göttlichen Augustus? Wie die Annaei stand auch er unter dem Schutz der Venus und leitete den Staat mit Geschick und einem guten Auge auch für das Volk.
Ihr, Bürger Roms, ihr habt es in der Hand, mich zu wählen! Gebt mir eure Stimme, macht mich zum Volkstribun, macht mich zu eurem Instrument, mit welchem wir die Fehler und Schäden an unserem Staat beheben können.
Ich schloss mit dem Bild des "Bürgerwerkzeuges", des Arbeiters für die Kleinen. Ein weiterer rhetorischer Trick, doch ich meinte es durchaus ernst. Ein Annaeus würde nie vergessen, woher die Familie kam. Vom Peregrinus zum Senator, aus der untersten Schicht in die oberste. Mehr ging nicht und daran musste man IMMER denken.