Beiträge von Viniciana Thula

    Morgens und abends zu lesen


    Der, den ich liebe
    Hat mir gesagt
    Dass er mich braucht.
    Darum
    Gebe ich auf mich acht
    Sehe auf meinen Weg und
    Fürchte von jedem Regetropfen
    Dass er mich erschlagen könnte.

    Bertolt Brecht



    Es war der Tag nach der Cena, der eine berauschende Nacht gefolgt war. Heute, so schien es, ging alles wieder seinen normalen Gang. Wie jeden Tag ging ich meinen alltäglichen Aufgaben nach. Doch heute tat ich es beschwingter als sonst. Etwas Großes war geschehen, letzte Nacht. Amors Pfeile hatten mich zielsicher ins Herz getroffen. Alles schien heute in ein besonderes Licht getaucht zu sein.


    Am Morgen hatte ich eine besonders hübsche türkisfarbene Tunika angezogen. Natürlich trug ich an meinem Arm auch den Armreif, den Massa mir am Abend zuvor geschenkt hatte. Eingehüllt in eine blaue Paenula verlies ich am Vormittag das Haus. Amir, der Stallknecht sollte mich begleiten, da er die Einkäufe tragen sollte, die ich heute zu tätigen hatte.


    Kurze Zeit später, nach dem ein Centurio mit acht Männern die Castra über das Haupttor verlassen hatte, folgten wir beide. Amir und ich schlugen den direkten Weg zur Markthalle ein. Nach der gestrigen Cena fehlten verschiedene Lebensmittel. Außerdem war etwas Geschirr zu Bruch gegangen, das ersetzt werden musste. Und schließlich musste ich noch das rote Tänzerinnenkostüm ihrer Eigentümerin zurückbringen. Später dann wollte ich noch einmal bei der Kräuterfrau vorbeischauen. Vielleicht konnte sie mir heute einige nützliche Tipps geben, womit man sich schminken konnte, damit es dezent und nicht zu aufdringlich wirkte. Doch das hob ich mir für den Schluss meiner kleinen Einkaufstour auf. Denn dorthin wollte ich alleine gehen. Vorher würde ich den jungen Syrer mit den Einkäufen nach Hause schicken.
    Doch zunächst konzentrierten wir uns auf das Wesentliche. Die Markthalle und die Marktstände davor waren schnell erreicht. Heute herrschte ein reges Treiben in der Stadt. Mehr als sonst, wollte ich meinen.

    Der Herr seinem Mädchen. Nun war ich wirklich gerührt, versuchte zu lächeln obwohl mir eigentlich die Tränen kommen wollten. Er hatte meine Frage nicht mit Worten beantwortet, doch ich spürte, warum er mir diesen Schmuck zum Geschenk gemacht hatten. Wie die meisten Männer, tat sich auch Massa schwer, seine wahren Gefühle in Worten preiszugeben. Unter der harten Schale steckte doch ein weicher Kern.
    Ich nahm den Armreif und streifte ihn über meinen rechten Arm, so dass er seinen Platz an meinem Oberarm fand. "Er sieht wunderschön aus! Vielen Dank für dieses schöne Geschenk!" Dann umarmte und küsste ich ihn.

    „Aha, schade!“ Ein wenig enttäuscht war ich schon. Niemand konnte mir etwas über dieses Land sagen. Vielleicht gab es dieses Land gar nicht und in Wirklichkeit kam ich vielleicht aus Britannia oder Hibernia, so wie Andriscus, meine Bekanntschaft von der Markthalle, vermutet hatte. Doch als ich weiterfragen wollte, wandte sich Massa plötzlich von mir ab, um eine Schatulle zu holen, die er mir dann gab. „Für mich? Aber wieso?“, fragte ich und blickte erst zu ihm und dann auf die Schatulle. Dann öffnete ich sie vorsichtig. Zum Vorschein kam ein goldenes Schmuckstück. Ein Armreif in Form einer sich windenden Schlange, deren Auge ein kleiner Saphir zierte. Bei diesem Anblick war ich erst einmal sprachlos und brachte nur ein Schluchzen heraus. So etwas Schönes und Wertvolles hatte ich noch nie besessen. Ich nahm den Armreif heraus und besah ihn mir von allen Seiten. Dabei entdeckte ich eine Gravur, die ich auf der Innenseite befand. Mit meinen Fingern strich ich vorsichtig darüber. Einige der Buchstaben kannte ich noch, doch ihre Bedeutung war mir nicht klar. „Was... was steht da?“ Ich hielt ihn den Armreif hin, damit er mir vorlesen konnte, was auf der Innenseite stand.

    Ich merkte sofort, dass ich etwas angesprochen hatte, was ihm zu schaffen machte. Er entließ mich aus seiner Umarmung und setzte sich auf. Ich tat es ihm gleich, als er ohne große Umschweife sofort zum Wesentlichen kam. Wie ich bereits vermutet hatte, war sein Vater nicht einfach so gestorben. Aber das, was er nun erzählte, schockierte mich dann doch sehr.„Hingerichtet…“ echote ich. Ich wollte nicht noch weiterfragen, wie man ihn hingerichtet hatte, um ihn nicht noch mehr damit zu quälen. Natürlich wusste ich, dass man ihn wohl kaum gekreuzigt hatte, da er ja Römer war. Trotzdem lief es mir eiskalt über den Rücken, wenn ich daran dachte. „Also dann gibt es nur noch deine Schwester,“ stellte ich fest. Aber seine Schwester war weit weg. „Ich kann mich nur noch dunkel an meine Eltern erinnern. Ich weiß nur, dass meine Mutter lange rötliche Haare hatte. Und mein Vater… ich habe vergessen, wie mein Vater aussah. Bist du auf denen Reisen auch in den Norden gekommen? Weißt du, wo Thule liegt?“ Wahrscheinlich waren meine Eltern längst tot. Ich hatte keinerlei Erinnerung mehr daran, was damals passiert war. Aber vielleicht konnte er mir etwas über das Land meiner Herkunft sagen, sofern Thule überhaupt meine Heimat war.

    Noch immer lag ich ganz nahe bei ihm in seinen Armen. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, jetzt zu schlafen. Doch dafür war ich einfach noch so aufgewühlt. Ich überlegte hin und her, ob es vielleicht nicht zu persönlich war, was fragen wollte. Andererseits entschied er ja selbst darüber, ob und in welchem Umfang er mir antwortete. „Du sprichst öfter von deinem Vater. Was ist eigentlich mit ihm passiert? Und hast du sonst noch Familie?“ Ich wusste, dass sein Vater tot war. Allerdings hatte ich immer das Gefühl, dass es da noch etwas gab, was ihn beschäftigte. Und auch die Villa in Rom war ja wie ausgestorben gewesen. Konnte es wirklich sein, dass er noch der einzige seiner Familie war?

    Ein berauschendes Gefühl durchströmte meinen ganzen Körper und verlangte mir ein lustvolles Seufzen ab, dann sank ich in seine Arme und verharrte dort. Ich war glücklich und fühlte mich bei ihm geborgen. So hätte ich die ganze Nacht verharren können, engumschlungen in seinen Armen. Ich wollte nicht an morgen denken oder an das, was in ein paar Monaten oder in ein paar Jahren war. Ich war jetzt glücklich und zufrieden, mit dem was ich hatte und mit dem was ich war. „Ich liebe dich!“,flüsterte ich Massa ins Ohr und fragte mich, wie viele Sklaven das ihrem Herrn sagen konnten, ohne dass es eine Lüge war. Für den Augenblick war es für mich keine Lüge. Meine Zuneigung für ihn hatte sich weiterentwickelt. Ob er ähnlich empfand, konnte ich nicht sagen. In diesen Dingen war er verschlossen. Nur gelegentlich blitzte ein kleines Fitzelchen hervor, aus dem man Rückschlüsse hätte ziehen können. Eigentlich wusste ich nur sehr wenig über ihn. Nur das, was ich tagtäglich mitbekam. „Darf ich dich etwas fragen, Dominus?“, fragte ich aus dem nichts heraus.

    Die ganze Nacht hatten wir noch Zeit für uns. Obwohl das nicht zwingend mein Bestreben war. Doch ich wollte, dass wir es so lange wie möglich auskosten konnten.
    Er hatte es inzwischen aufgegeben, mir zuzuschauen. Nein, er genoss nur noch, denn, so wie ich spürte, war er nicht mehr weit entferntvom Gipfel der Lust, den es zu bezwingen galt. Jetzt, so glaubte ich, war der beste Moment gekommen, um sich zu vereinigen. Ich ließ von ihm ab und arbeitete mich wieder vorsichtig nach oben. Wie eine Löwin sich ihrer Beute annahm, näherte ich mich ihm und nahm auf seinem Schoß Platz, so dass wir eins wurden. Nun gehörte er mir. Ich richtete mich auf und entledigte mich des roten Nichts, während ich mein Becken sanft kreisen ließ. Ich bestimmte nun das Tempo, doch mein Ansinnen war es, ihm alles zu geben, was ich zu geben vermochte, um ihn erbeben zu lassen.
    Meine Bewegungen wurden etwas fordernder, als ich mich wieder zu ihm hinunterbeugte, so dass sich auch unsere Lippen wieder vereinigen konnten.

    Offenbar gefiel es ihm, mir zuzuschauen, was ich tat. Er hatte sich meiner Haare angenommen, so dass ich ungestört fortfahren konnte, ihn zu entdecken. Wie lange hatte er sich wohl danach gesehnt? Doch nun gab ich ihm, wonach es ihn verlangte.
    Ich konnte bereits in meiner Hand seine Erregung spüren, je näher ich mich weiter nach unten vorwagte. Noch einmal riskierte ich einen Blick zu ihm, bevor ich jenes unbekannte Terrain betrat, welches bereits zu glühen begonnen hatte. Doch erst das Spiel meiner Lippen tat sein Übriges, um sein Verlangen weiter und weiter zu steigern. Ich wollte den rechten Moment abwarten, damit es für ihn zum höchsten Vergnügen werden konnte. Mein eigenes Verlangen stellte ich dabei hinten an. Schließlich war ich seine Sklavin.

    „Dann wirst du mich also niemals mit jemand anderen teilen?“, fragte ich im Scherz und grinste schelmisch dabei. „Das ist gut! Und ich werde dir von nun an immer vertrauen, ganz gleich was kommen mag. Denn ich weiß jetzt, dass du mich beschützen wirst. Besonders vor Tribun Decimus oder Tribun Paconius und all den anderen, die mich gerne gehabt hätten, aber nicht bekommen haben.“


    Wieder küsste ich ihn und setzte mich nun langsam auf, so dass ich mich über ihn beugen konnte. Eigentlich wollte ich dann seinen Hals liebkosen, doch seine Bartstoppeln störten und machten mir einen Strich durch die Rechnung. Ebenso einige widerspenstige Strähnen meines Haars, die ich ständig nach hinten strich, die jedoch immer wieder nach vorne rutschten. „Diese Haare macht mich noch wahnsinnig!“, brummte ich grimmig. Allerdings konnte mich mein Haar nicht davon abhalten den Rest seines Körpers zu erkunden. Meine Lippen begannen sogleich damit, seinen Oberkörper mit Küssen zu übersäten. Meine Hände glitten dabei über die Muskeln seiner Arme. Immer wieder sah ich zu ihm hoch, um zu sehen, ob er Gefallen daran hatte.

    Von einer Öllampe ging ein gedämpftes Licht aus, das das Zimmer in einen honigfarbenen Ton tauchte. Magisch angezogen von Massas Hand kam ich näher und stieg in sein Bett.
    Da lag er vor mir. Er hatte mich bereits erwartet, denn genau das war es, was er mir hatte sagen wollen. Sanft strich ich ihm mit meiner Hand durch sein Haar. Dann küsste ich ihn leidenschaftlich und ausgiebig, als gäbe es kein morgen mehr.


    Als ich endlich von ihm abließ, betrachtete ich ihn eine Weile schweigend. Dann brach es aus mir heraus. All das, was sich in mir angestaut hatte. Vielleicht konnte er so verstehen, wie ich mich gerade fühlte. „Ich war so schockiert, als diese Männer um mich boten. Ich dachte, du würdest es zulassen. Und obwohl ich so wütend war und es mir so weh tat, hätte ich es getan. Denn dann hätte ich gewusst, dass ich dir nichts bedeute und dass es keinen Sinn macht, sich dagegen zu sträuben. Und das dachte ich bis zuletzt, dass ich „Nichts“ für dich bin, so wie all die anderen vor dir. Bitte vergib mir, dass ich so an dir zweifeln konnte.“

    Ich war gerade auf dem Weg zur Culina, als er an mir vorbeiging und mir das sagte. Mit offenem Mund sah ich ihm nach. Gerne hätte ich etwas gesagt, doch ich konnte nicht, weil ich mich in gewisser Weise dafür schämte, dass ich ihm nicht vertraut hatte.


    Das rote Nichts… wo hatte ich es nur hingeworfen? Eigentlich war mir der Fetzen zuwider gewesen. Ihm aber hatte er anscheinend gefallen. Dann erinnerte ich mich wieder, dass er noch in meiner Kammer liegen musste...
    Kurzerhand zog ich mich wieder um und trat mit dem roten Nichts und offenem Haar ohne angeklopft zu haben in sein Cubiculum ein. Zunächst verharrte ich an der Tür, dann aber schritt ich auf ihn zu.

    Eigentlich hatte ich mich bereits mit meinem Schicksal abgefunden. Wie damals in Massilia würde ich alles über mich ergehen lassen. Trotzdem schwang heute wie damals die Angst mit, was man mir sonst noch antun könnte. Manche Männer fanden es besonders erregend, wenn sie die Frau, die ihnen ausgeliefert war, auch noch misshandelten.


    Natürlich antwortete Massa nicht direkt auf meine Frage, obschon ich den Eindruck hatte, dass seine Gäste nur noch auf das Ende der Versteigerung warteten. Ich sah zunächst nur sein Lächeln und konzentrierte mich weniger darauf, was er sagte. Doch kurze Zeit später begriff ich, dass es wohl gar nicht seine Absicht gewesen war, mich an den Meistbietenden weiterzureichen. Mir fiel ein Stein vom Herzen und meinem Gesicht konnte man sicher die Erleichterung ansehen. „Danke!“, flüsterte ich ihm zu.


    Seine Gäste schienen von seinem Geschenk nur mäßig begeistert zu sein. Die Runde löste sich dann nach und auch auf. Bis schließlich alle gegangen waren. Auch die Musiker hatten ihre Instrumente eingepackt und waren gegangen, nachdem sie ihre Gage für den Abend erhalten hatten. Dummerweise hatten sie Lyssis roten Fummel vergessen, den ich irgendwo achtlos in eine Ecke geworfen hatte, nachdem ich mich wieder umgezogen hatte.

    Eigentlich war ich jetzt nur noch müde. Doch es gab noch jede Menge zu tun. Die Culina ähnelte mehr einem Schlachtfeld und auch das Triclinium bedurfte der Reinigung. Nelia und Amir waren bereits in der Culina verschwunden, während ich damit begann, leere und halbleer Becher und Teller einzusammeln. Dieser Abend hatte mir nicht nur körperlich viel abverlangt. Er hatte mich verwirrt und verunsichert. Letztendlich hatte er für mich wieder so viele Fragen aufgeworfen, für die ich keine gültige Antwort finden konnte.

    Wut und Trauer! Genau das war es, was ich gerade empfand. Wut über das, was gerade im Triclinium geschah und Trauer, weil ich mich so sehr in Massa getäuscht hatte. Er war kein Deut besser als Glaucus! Ich hätte heulen können, aber ich tat es nicht. Stattdessen saß ich da und glotzte ins Nichts. Massa hatte an diesem Abend seinen Wein und sein Essen mit seinem Kameraden geteilt. Da war es doch logisch, dass er auch mich mit ihnen teilte und sich daraus auch noch einen Spaß machte.
    Ich konnte es nicht fassen, wieso ich so dämlich sein konnte. Wahrscheinlich war sein Gesäusel, mit dem er mich eingelullt hatte, dass er sich nichts nehmen wolle, was ich ihm nicht zu geben bereit wäre. Das war nur ein übler Trick gewesen, um mich gefügig zu machen. Und ich war ihm voll auf den Leim gegangen!
    Aber was konnte ich jetzt tun? Sollte ich hier sitzen bleiben und weiter schmollen? Mich verweigern und ihm damit vor seinem Kameraden eine Szene machen? Eins wusste ich, ganz egal was ich tat, um ihm meinen Unmut zu zeigen, er würde es mir doppelt und dreifach zurückzahlen, denn er saß am längeren Hebel. Also konnte ich gar nichts machen, außer zu funktionieren und zu gehorchen, wenn ich keinen Ärger haben wollte. Keine schönen Aussichten für die Zukunft.


    Ich wusch mein Gesicht mit kaltem Wasser und trocknete es, dann ging ich zurück ins Triclinium, tänzelte noch etwas zur Musik und näherte mich dann der Kline meines Dominus. Direkt vor ihm ließ ich mich auf dem Boden nieder, so dass ich ihn direkt vor mir hatte. Die Flucht nach vorne war sicher das Beste, was ich in dieser Situation tun konnte. „Hast du einen guten Preis für mich erzielt, Dominus? Welcher der Herrn hat den Zuschlag bekommen?“ Der Klang meiner Stimme war anders als sonst. Sie war unpersönlich und kühl. Ich wollte unbedingt vermeiden, meine wahren Gefühle zur Schau zu tragen. Wenn ich eines gut konnte, dann war es das Tragen von Masken. Das hatte ich fast mein ganzes Leben getan…

    Schwer zu sagen, ob es Glück oder Pech war, dass ich nicht gehört hatte, worüber sich die Tribunen unterhielten. Ich war mehr damit beschäftigt gewesen, mich auf das zu konzentrieren, was ich tat.


    Allmählich merkte ich, wie mir langsam die Puste ausging. Wie lange hatte ich jetzt schon getanzt? Eine Stunde? Oder mehr? Als die Musiker wieder eine Pause einlegten, verschwand ich kurz in der Culina um etwas Wasser zu trinken.
    Kurz darauf kamen auch die beiden Musiker, um sich ebenfalls zu erfrischen.
    "Oh Mann, meine Füße tun mir schon weh! Wie lange werd' ich noch tanzen müssen?", fragte ich die beiden. Der Tibiaspieler zuckte nur mit den Schultern. Sein Kollege, der eindeutig redseliger an diesem Abend gewesen war grinste. "Ich glaube nicht mehr lange. Sie bieten schon für dich." Wie jetzt? Sie boten bereits für mich?! Weshalb denn? Ich kapierte rein gar nichts. "Hä, wieso sollten sie für mich bieten? Wollen die mich meinem Dominus abkaufen?" Das war doch kein Sklavenmarkt!
    "Du hast keine Ahnung, was? - Sie hat keine Ahnung!", rief er lachend. Sein Kollege brachte nur ein müdes Lächeln zustande. "Also, die wollen dich kaufen, damit du mit einem von ihnen, na du weißt schon.", erklärte er grinsend. Endlich begriff ich, was da draußen vor sich ging und ich war einfach nur schockiert darüber, wie naiv ich gewesen war. War es auch naiv zu glauben, dass Massa das nicht zulassen würde? Ich wusste nicht mehr, was ich noch glauben sollte.


    "Hey komm, es geht weiter," rief mir der Kitharaspieler zu. Ich aber schüttelte nur den Kopf. "Ich geh da nicht mehr rein! Sagt denen meinetwegen, mir wäre übel oder sonst irgendwas. Aber ich geh da nicht mehr rein!"
    Die beiden Musiker zuckten mit den Schultern und betraten wieder das Triclinium. Kurze Zeit später erklang wieder ihre Musik.

    Nachdem ich eine Weile hin und her gehüpft war, hatte auch der letzte Gast dieses „rote Etwas“ zur Kenntnis genommen. Wie mir schien, war wohl keiner unter ihnen, dem es nicht gefallen hätte, was er da sah. Wenigstens war so der Abend vor einem frühzeitigen Ende bewahrt worden.


    Zwischen zwei Stückern hatte ich dann ein wenig Zeit, um zu verschnaufen. „Hey, das machst du ziemlich gut! Dafür, dass du keine Professionelle bist,“ wisperte mir der Kitharaspieler augenzwinkernd und zugleich aufmunternd zu. „Aber weißt du, du solltest noch wenig aus dir herausgehen. Geh auf dein Publikum zu! Beziehe mit es ein! Flirte mit ihnen!“ Ich sah ihn nur verständnislos an. „Flirten? Bist du bescheuert?! Sowas mache ich nicht! Damit die mich am Ende auch noch betatschen, oder was?!“ , zischte ich ihm leise entgegen. Schließlich war ich ja nicht blöd! Spätestens dann, wenn der Nachtisch abgeräumt war, ging die Party hier erst richtig los, bis alles irgendwann Stunden später in einem einzigen Besäufnis endete. Ehrlich gesagt wollte ich mir gar nicht vorstellen, was diese Kerle dann mit einer wie mir anstellen würden.
    „Aber sei doch nicht so prüde! Das ist doch der Sinn der Sache!“ , meinte er grinsend. „Prüde? Ich bin nicht prüde! Aber so was mach ich ganz bestimmt nicht!“ , entgegnete ich. „Äh, wenn die beiden Herrschaften dann soweit wären, könnten wir dann wieder weiterspielen?“, mischte sich der Tibiaspieler mit einer leicht angesäuerten Miene ein und einem zynischen Ton ein.
    Das nächste Stück begann und auch ich begann mich wieder zu der Musik zu bewegen. Diesmal wackelte ich noch etwas mehr mit den Hüften. Als nach einer Weile dann der Nachtisch abgeräumt wurde, kam ich den Klinen gefährlich nahe, so dass mein Publikum eigentlich nur die Hand nach mir auszustrecken brauchte, um mich fassen zu können.

    Was?! Echt jetzt? Das konnte unmöglich sein Ernst sein! Oder doch? Dementsprechend war meine Reaktion. „Ich?! Aber ich kann…“ …doch gar nicht tanzen. Genau in dem Augenblick erinnerte ich mich wieder an unser Gespräch vor ein paar Tagen, in dem er mir Verantwortung übertragen hatte und darauf gespannt war, wie gut ich im Verwalten sein. Ich war gerade auf dem besten Weg komplett darin zu versagen, weil mir alles zu entgleiten schien. Was würde dann morgen passieren, wenn ich es heute Abend scheiterte? Ich wusste zwar noch nicht wie, aber mir würde irgendetwas einfallen, damit die Cena so ablief, wie sie geplant war. „Ja, Dominus.“ , seufzte ich schließlich und eilte wieder hinaus ins Atrium zu den beiden Musikern.


    „Und? Was ist jetzt? Sollen wir jetzt spielen, oder nicht?“ , fragte der Tibiaspieler brummig.
    „Natürlich sollt ihr spielen. Aber wir brauchen auch eine Tänzerin! Gibt es keinen Ersatz für diese Lysandra?“ Das war mein letzter kläglicher Versuch, um aus der Nummer heil herauszukommen, denn ich wollte ganz bestimmt nicht tanzen!
    „Ne, für Lyssi gibt’s keinen Ersatz,“ meldete sich den Kitharaspieler zur Wort. „Aber weißt du was? Lyssi hat uns ihren Fummel mitgegeben. Der könnte dir passen.“ Der Kerl zwinkerte mir vielsagend zu. Dann kramte er aus seiner Tasche einen rötlichen Stoff heraus und warf ihn mir entgegen. „Ähm, was soll ich damit?“ Ich sah mir ‚Lyssi’s Fummel‘ genauer an und stellte fest, dass es sich um eine recht kurze aber weite Tunika aus einem sehr leichte und sehr dünnen Stoff handelte – eigentlich ein Hauch aus nichts… „Die ist ja so gut wie durchsichtig!“ , meinte ich ganz entrüstet. „Na klar“ , antwortete der Kitharaspieler grinsend. Ich atmete einmal tief ein und aus, dann verfluchte ich ‚Lyssi‘ bis auf die Knochen. „Na schön! Ihr geht jetzt da rein und macht Musik! Jetzt! …Und dann kommt der verdammte Nachtisch!“
    Die beiden Musiker packten ihre Instrumente aus und begaben sich zu den Gästen ins Triclinium. Kurz darauf hörte ich sie auch spielen, während ich zu Nelia in die Culina ging. Glücklicherweise war sie mit dem Nachtisch bereits fertig. Wenn ich nun tatsächlich tanzen sollte, musste sie mich im Triclinium vertreten…


    Schließlich wurde einige Zeit später der dritte und letzte Gang aufgetischt:




    Als besonderes 'Schmankerl' erschien kurz darauf eine Tänzerin mit offenem rotbräunlichen Haar in eine weite rötliche Tunika gehüllt, die bis knapp über die Knie reichte und die recht deutlich erahnen ließ, was sich darunter befand. Anfangs wirkte sie etwas unbeholfen, doch mit der Zeit orientierte sie sich mehr und mehr an den Rhythmus der Musik...

    Den erhobenen Becher wie auch Massas Blick hatte ich registriert und füllte sogleich den Becher des Tribuns wieder mit verdünnten Wein. Dann zog ich mich wieder zurück und verharrte weiterhin still im Hintergrund.
    Doch ganz kurz darauf entdeckte ich Nelia, die kurz zur Tür hereinlugte und Amir etwas zuflüsterte. Gleich daraufhin suchte er hilfesuchend meinen Blick und spätestens dann ahnte ich, dass etwas nicht so lief, wie es eigentlich geplant war. Unauffällig schob ich mich zur Tür hinaus und bedeutete Amir, er möge den Gästen bei Bedarf Wein nachschenken.


    Draußen im Atrium warteten zwei jüngerer Männer, beides Musiker. Der eine sollte die Tibia spielen und der andere die Kithara. Aber halt, da fehlte doch noch jemand! „Was ist los, wo ist die Tänzerin?“, fragte ich die beiden. Der Tibaspieler zuckte nur gelangweilt mit den Schultern, während der andere sich ganz entspannt am Kopf kratzte. „Lysandra konnte nicht mitkommen. Sie hat sich den Zeh verstaucht.“ Hatte ich gerade richtig gehört? Nein, ich musste mich verhört haben! „Wie bitte? Ja und jetzt?“ , fragte ich eigentlich mich selbst, denn von den beiden Musikern schien keine Hilfe kommen zu wollen. „Nix jetzt, sie kann heute nicht tanzen. Fertig!“ Wahrscheinlich sah ich gerade ziemlich bestürzt aus und noch schlimmer, mir fehlten die Worte! Doch ich wusste auch, wenn ich jetzt noch länger hier draußen blieb, dann geschah gleich im Triclinium die nächste Katastrophe.


    Ich verschwand also wieder im Triclinium und trat zu Massa heran und beugte mich zu ihm hinunter. Es nützte nichts, ihm diesen Schlamassel vorzuenthalten.
    „Dominus, es gibt ein Problem. Die beiden Musiker wären jetzt da, aber die Tänzerin fehlt. Die beiden sagen, sie habe sich den Zeh verstaucht und könne heute nicht tanzen.“

    Die Vorspeisen mundeten allen Gästen. So sollte es ja auch sein. Offenbar hatte Nelia mit ihrer Zusammenstellung wieder mal ins Schwarze getroffen. Die hispanische Köchin hatte schließlich schon in anderen größeren Haushalten gekocht, bevor sie in Massas Dienste getreten war. Dabei hätte sie noch gut und gerne etwas mehr Hilfe gebrauchen können! Amir und ich waren ihr zur Hand gegangen, wo wir nur konnten. Allein nur für die Zubereitung der einzelnen Speisen hatte sie unzählige Stunden in der Küche verbracht und sie war immer noch nicht fertig! Denn gerade bastelte sie noch an der Vollendung der Hauptspeisen, die im Laufe des Abends noch serviert werden sollten...


    Allmählich leerten sich die Schüsselchen und auch das Mulsum, welches ich einige Tage zuvor angesetzt hatte. Das war das Zeichen zum Abräumen.


    Kurze Zeit später brachten Amir und ich die Speisen des Hauptganges herein:


    ~~~ mensa prima ~~~


    Frisch gefangener Lachs aus dem Rhenus, gegrillt
    Miesmuscheln in Weinsud
    Pullum Lasertum
    (Ingwerhuhn)
    Porcus Troianus vom Wildschwein
    (am Stück gegrilltes Wildschwein, mit Würsten gefüllt)
    Dazu wird frischgebackenes Brot gereicht


    Der absolute Höhepunkt dieses Hauptganges war zweifellos Porcus Troianus. Das am Stück gegrillte Wildschwein wurde stehend hereingebracht. Dann schlitzte man ihm vor den Augen der Gäste den Bauch auf, so dass die Würste, mit denen es gefüllt war, wie Gedärm herausquollen.
    Nun mussten nur noch die Akteure für das Unterhaltungsprogramm erscheinen...