| Lucius Licinius Messalinus
Zitat
Original von Marcus Iulius Licinus
Auch wenn Messalinus es nicht wahrhaben wollte - sehr bald musste er feststellen, dass die Rufe des Gegners nicht ganz zu Unrecht erschollen waren - und darüber hinaus kamen sie nun nicht mehr nur von vorn, sondern auch von hinten. Dennoch feuerte er seine Männer weiter an, sprang bei Engpässen ein und wies Nachkommenden einen Platz in der Schlachtreihe zu. Tatsächlich war der gegnerische Centurio, dessen Aufmachung ihn zweifellos als einen der Primi Ordines auswies, zu Boden gegangen und nur vom beherzten Einschreiten eines Optios und einer Handvoll junger Soldaten gerettet worden.
"Los, der Centurio ist gefallen! Das ist bestimmt der Primus Pilus!"
nutzte er sofort die Gelegenheit. Tatsächlich steigerte dieser kleine Triumph die Motivation noch einmal und seine Jungs machten ein paar Schritte gut. Dann aber stockte der Angriff erneut - und schlimmer: der Nachschub schien irgendwie weniger zu werden. Als der Licinier sich schließlich einen Blick über den Wall gönnte, traute er seinen Augen kaum: Dort, wo zuvor kompakte Reserve-Einheiten das Feld bedeckt hatten, war nun Bewegung entstanden - und zwar weg von der Frontlinie! Diese Feiglinge machten sich vom Acker! Wie konnte das sein?
Sehr genau wusste der Centurio, dass sie zahlenmäßig überlegen waren. Der Feldherr selbst hatte es mehrmals betont! Das hier war angeblich ein todsicheres Ding gewesen! Aber was er sah, war unmissverständlich - wenn die Reserve floh, konnte der Druck nicht aufrechterhalten werden, dann würde die Front zusammenbrechen, so tapfer sie auch kämpften. Dann würden die Rebellen ihn uns seine Männer vom Wall fegen, auf sie stürzen und alle niedermetzeln!
Kurz brandete Panik in dem alten Veteranen auf - auch er wollte nicht sterben! Dann besann er sich aber und sah auf die verzweifelt fechtenden Legionäre vor ihm - das waren seine Jungs! Er hatte Verantwortung für sie! Und eine panische Flucht würde nur dafür sorgen, dass die Rebellen sie niedermetzelten... - es blieb nur eine Möglichkeit:
"Männer, wir ziehen uns zurück! Und zwar langsam!"
Mit Befehlen und Gesten sorgte er dafür, dass sein Brückenkopf sich langsam zurückzog. Mit jedem Schritt rückwärts schlüpften einige seiner Männer aus der Formation und rutschten den Wall hinab. Bis der Licinier selbst in die Bresche sprang und die letzten drei Legionäre hinter sich durch das Loch in der Brustwehr entkommen ließ. Zu diesem Zeitpunkt war ihm alles egal - er focht wie ein junger Mann, parierte Stiche und Hiebe, rammte sein Scutum gegen Männer, die einen ganzen Kopf größer waren als er, denn er wusste genau: je länger er hier standhielt, desto mehr Abstand gewannen seine Männer gegenüber den Rebellen, die zweifellos nachsetzen würden. Er wollte den Jungs die Schmach ersparen, sich das Feldzeichen wegnehmen zu lassen - vor allem aber, ihr Leben zu verlieren. Und so hielt er stand und bewachte das Loch im Wall wie eine Löwenmutter ihr Junges.
Doch auch ein höchstmotivierter Centurio konnte gegen die Veteranen der ersten Centuria nicht ewig standhalten - bald schon ermüdeten seine alten Knochen, seine Schläge wurden schwerfälliger und seine Paraden langsamer. Er wünschte sich, den Schweiß, der in den Augen brannte, aus dem Gesicht wischen zu können, doch er hatte alle Hände voll zu tun. Und so sah er schließlich auch nicht, wie ein Gladius von der Seite vorblitzte und sich unter der Achsel in die Schulter bohrte. Er ließ das Scutum fahren und fuchtelte mit dem Gladius weiter, um den Gegner auf Distanz zu halten. Doch gegen diese Männer half auch das nicht - ein weiterer Stoß traf seinen Arm, dann drang einer durch das Focale und bohrte sich in den Hals.
Gurgelnd ging Messalinus zu Boden. In den Augenwinkeln sah er dabei das leere Feld vor dem Wall - seine Männer waren geflohen: er war nicht grundlos gestorben. Doch während sein Lebenssaft schwallartig aus der Halswunde sprudelte, sein Focale, die Tunica und überhaupt alles besudelte, dachte der sterbende Centurio plötzlich daran, warum sie hier standen: Weshalb gab es überhaupt diesen Krieg? Weil irgendein Mann, weit weg in Rom, irgendeinen anderen angeblich umgelegt hatte? Jeden Tag wurden im Imperium wahrscheinlich Tausende ermordet - scherte sich da irgendwer darum? Was würde es letztlich ändern, wenn jetzt vielleicht ein Cornelius Palma auf dem Thron des Augustus saß? Würde sich auch nur das Geringste ändern für ihn, seine Kameraden oder seine Familie hier in Norditalia? Würde Rom sicherer sein, die Grenzen fester oder die Legionen stärker? Nein! Die einzigen, die davon profitierten, dass dieser oder jener Aristokrat den Lorbeer trug, waren andere Aristokraten, die mit diesem oder jenem besser standen! Und dafür starben sie jetzt, waren Tausende auf diesem Schlachtfeld gefallen, hunderte auf dem Marsch über Alpen und Adria an Krankheiten oder Verletzungen verreckt, verloren Kinder ihre Väter, Mütter ihre Söhne, Frauen ihre Geliebten. Deshalb war Patavium geplündert worden, verhungerten wahrscheinlich irgendwo in Italia ein paar arme Schlucker mehr, deren Getreide von den Armeen requiriert wurde, ja vielleicht ganz Italia, weil Aegyptus eine Blockade verhängt hatte! Sicher, er persönlich starb für seine Männer - das war der Preis ihres Lebens - aber warum waren sie überhaupt in Lebensgefahr?
Sinnlos war das alles hier! Einfach nur sinnlos!
Mit diesem Gedanken hauchte Lucius Licinius Messalinus, Centurio der stolzen Legio XIII Gemina, gehorsamer Soldat und hochdekorierter Veteran aus vielen Schlachten, inmitten eines absurden Bürgerkriegs sein Leben aus, weil ihn seine eigenen Landsleute, die er und die ihn zu verteidigen geschworen hatten, im Namen irgendeines Politikers niedergestochen hatten...