Beiträge von Grian

    Tja, in meinem recht kurzen Leben hatte ich schon eine ganze Menge erlebt. Nach den nicht so schönen Ereignissen in meiner Kindheit und Jugend, hoffte ich doch, dass nun die besseren Zeiten anbrachen. Dabei fand ich es gar nicht so schlimm, nicht frei zu sein. Denn mal ehrlich gesagt, so eine tolle Hütte, wie ich sie nun hatte, hätte ich mir nie im Leben leisten können, wenn ich frei gewesen wäre. Dennoch steckte mir immer die Angst im Nacken, einen Fehler zu begehen, der für mich, da ich ja nicht frei war, fatale Folgen haben konnte. Das war eben der Nachteil, wenn man auf die Gunst seines Dominus angewiesen war. Als Silas dann erzählte dann, dass die Casa früher noch vornehmer gewesen war, konnte ich mir das gar nicht vorstellen. „Echt?! Na ja, wenn die Chefin des Hauses die Nichte des Kaisers gewesen war…“, dann ging es wahrscheinlich schon. „Und warum wohnt der Consular und seine Frau nicht mehr in der Casa?“, wollte ich dann noch wissen, denn es musste ja irgendeinen Grund dafür geben. Und da sich Silas ja so prima mit allem auskannte, wusste er auch bestimmt eine Antwort darauf.


    Natürlich fand er es auch nicht so toll, dass ich in den Cubicula der Herrschaften herumgeschnüffelt hatte. Mittlerweile wusste ich ja selbst, dass es eine ganz dumme Idee gewesen war. Aber was konnte ich denn gegen meine Neugier machen? Als Dominus Serapio angekommen war, hatte ich einen Blick auf seine Sachen werfen können. Danach hatte ich einfach nicht mehr an mich halten können. Und als mir nun Silas erzählte, dass der Dominus ihn einmal mit in den Serapis-Tempel mitgenommen hatte, in dem er die Flügelsonne gesehen hatte, wurde die Sache noch mysteriöser. Natürlich war mir klar, dass der Name des Dominus vom Gott Serapis abgeleitet worden war. Aber nun fragte ich mich, worum es in seinem Kult ging. Doch eine Antwort auf diese Frage bekam ich nicht. Zumindest nicht heute. Denn Silas meinte plötzlich, ich solle mir keine Sorgen machen. Wie er das wohl meinte? Dachte er vielleicht, vom Dominus hätte ich keine Strafe zu erwarten? Wenn er das dachte, dann war er ziemlich naiv. Wobei ich ja noch ziemlich glimpflich davongekommen war. Aber was Silas dann sagte, brachte mich dann doch zum Erstaunen.
    „Aha“, meinte ich zu seinem Geheimtipp. Ehrlich gesagt, wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. Zwar hatte ich mit Domina Valentina noch nichts zu tun. Aber ich hatte immer den Eindruck, sie sei eifersüchtig auf mich, weil ich die Sklavin ihres Verlobten war. Obwohl es da überhaupt keinen Grund dafür gab. Mein Dominus war so beschäftigt, dass er für mich sowieso keine Zeit hatte.
    „Meinst du wirklich?“, fragte ich schließlich, denn wie hätte ich sie überzeugen können, dass es keinen Grund für ihre Befürchtungen gab. Vielleicht sollte ich sie einmal ansprechen. Allerdings war das wohl auch nicht die feine Art, wenn Sklaven einfach so die Herrschaften anquatschten.


    Zugegeben, mit meinem Küsschen hatte ich Silas ganz schön aus dem Konzept gebracht. Dabei wollte ich mich doch nur bedanken. Ob ich ihn mochte? Na klar, nach diesem Tag war er auf jeden Fall mein bester Freund, denn einen anderen hatte ich ja nicht. Und ob da mehr war? Das wusste ich selbst nicht so genau, da ich gar nicht so genau wusste, was Liebe ist, denn ich war noch nie richtig verliebt gewesen. Bevor ich noch länger darüber nachdenken konnte, riss mich Silas‘ Geschrei aus dem Moment heraus. Mist! Die Hunde waren weg! Erst jetzt merkte ich auch, dass Einohr sich ebenfalls klammheimlich davongemacht hatte. „Einohr! Wo bist du? Sofort hierher!!!“, schrie ich, aber Einohr ließ sich davon wenig beeindrucken. Ob Silas‘ Speck-Trick Wirkung zeigte?

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    Original von Faustus Decimus Serapio


    … Dass Renenet sie begleitete und offenbar in Valentinas Gunst stand, sah ich gern, da hatte mein Mitbringsel sich wohl gut gemacht. Im Gegensatz zu gewissen Haussklaven in unserer Casa, die auf ganz dünnem Eis gingen. Zum Beispiel Cascas freches Blondchen, das heute auch wieder mit dabei war. Bei ihrem Anblick wurden meine Augen schmal. Über der Fahrt nach Ostia, dem Wirbel um Silas' Verschwinden und den Vorbereitungen meiner heiß ersehnten Jagdpartie in den lucretilischen Bergen, hatte ich doch glatt vergessen, sie für die Blamage im Theater angemessen zu sanktionieren.
    Heute. Keinen. Ärger. versuchte mein strenger Blick ihr stumm mitzuteilen. Na mal sehen. ...


    Eigentlich hätte ich jetzt ausgelassen sein sollen, wie alle anderen, die heute Morgen die Domus verlassen hatten. Aber von Freude konnte überhaupt keine Rede sein! Immer wieder erwischte ich mich, wie ich in Dominus Serapios Richtung schaute. Sobald er den Blick in meine Richtung wechselte, versuchte ich schnell woanders hinzuschauen. Dummerweise gelang mir das einmal nicht rechtzeitig, so dass sich unsere Blicke unweigerlich treffen mussten. Oh Mann, dieser Blick hätte töten können! Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken, ging aber leider nicht. Wäre ich doch bloß zu Hause geblieben! Ja, ja, ich hatte es begriffen! Heute keinen Ärger machen. Ich wollte mir ja Mühe geben!
    Nein, heute hatte ich definitiv keinen Spaß! Das lag nicht alleine nur an Dominus Serapio´s strengen Blick. Ich war auch wegen Silas seit Tagen ziemlich durch den Wind. Dieser dumme Kerl! Wieso war er nur abgehauen? Er hatte sich doch so auf diesen Ausflug nach Ostia mit Dominus Serapio gefreut!


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    Original von Quintilia Valentina


    Verlegen aß Valentina den Rest der Erdbeere und folgte dann Serapios Blick. Er sah zu Cascas Sklavin. Valentina hatte noch nicht viele Berührungspunkte mit ihr. Es war nicht einmal Absicht, auch wenn sie ein seltsames Gefühl befiel, jedes Mal wenn sie die blonde Frau sah. Sie war jung und sie war hübsch. Und sie gehörte Casca, was bedeutete, dass sie sich viel in seiner Gegenwart aufhielt, wenn er in der Casa war. Valentina vertraute Casca und doch war selbst sie nicht frei vom unschönen Gefühl der Eifersucht. Da war es ihr ganz recht, wenn sie mit Serapio unterwegs war. Auch wenn sie keine Ahnung über deren Verfehlungen in letzter Zeit hatte. Irgend etwas musste vorgefallen sein, Serapios Blick sprach Bände. Doch jetzt und hier war nicht der passende Ort nachzufragen.


    Tja, und dann war da noch Domina Valentina, die es Dominus Serapio nachmachte und mich nun auch anschaute, als wäre ich ein Fremdkörper, der hier nicht hingehörte. Dabei hatte ich mit ihr doch noch gar nichts zu tun. Was konnte ich dafür, dass Dominus Casca mich gekauft hatte?
    Schließlich starrte ich zu Boden, weil ich merkte, wie die Tränen in mir aufsteigen wollten. Verdammt, Silas hatte es doch richtig gemacht! Er hatte die Faxen dicke und war einfach abgehauen. Vielleicht sollte ich das auch machen.


    Inzwischen hatte der dicke Mann auf der Tribüne zu reden begonnen. Jetzt ging es also gleich los. Mir war das mittlerweile ziemlich Schnuppe. Doch ich versuchte, mich einfach zu entspannen und den Decimer und die Quintilia beiseite zu schieben, auch wenn das schwerlich möglich war. Also wischte ich mir etwaige Tränen ab und zog meine Nase hoch.
    Jetzt merkte ich auch, dass es hier um gar kein Rennen, sondern um Dichtkunst und Reden schwingen ging. Mir blieb auch nichts erspart! Was hatten mir die Blödies in der Domus nur erzählt?! Na egal, ob rennen oder reden, Hauptsache ein Wettstreit! Und einen tollen Preis gab es auch noch. Ein Stück Land irgendwo in JWD (janz weit draußen). Besser als gar nix, sagte ich da nur.
    Schließlich fiel mein Blick auch auf die Kaiserin, als der Ansager sie begrüßte. „Hoch lebe sie!“, rief ich brav, damit man mir nichts vorwerfen konnte. Denn eigentlich kannte ich sie ja gar nicht.

    Ich sah Silas fragend an und wunderte mich ein wenig, als er meinte, er würde auch gerne was Tolles können. Tat er das nicht schon bereits? Er hatte einen festen Platz, an dem er bleiben konnte, eine Familie, die ihn liebte und eine Aufgabe, in der er mit der Zeit noch weiter wachsen konnte, so dass sein Dominus mit ihm voll zufrieden sein konnte. „Du kannst doch schon viele tolle Sachen! Und du wirst garantiert noch mehr dazulernen mit der Zeit.“ Wie das allerdings bei mir aussah und überhaupt, wie lange ich noch Zeit hatte, stand in den Sternen. Der Gedanke an den Sklavenmarkt hing immer wie ein Damoklesschwert über mir. Wahrscheinlich ging auch deshalb immer alles schief.


    „Ja, ich wurde schon ziemlich oft verkauft. Und ich kann dir sagen, es ist echt ein mieses Gefühl, dort oben stehen zu müssen. Das Schlimmste ist dann, wenn du bei so einem miesen Drecksack oder einem Totalversager landest, der dich schlägt, weil er die Wahrheit über sich nicht vertragen kann.“ Oh ja, ich hatte schon sehr viele Facetten der Gattung Mensch kennenlernen dürfen. Ein paar weniger, wären auch ausreichend gewesen. „Mein erster Dominus war eigentlich ganz nett gewesen. Er lebte mit seiner Frau und seinen Kindern in Colonia Agrippinensum in Germanien und hatte es im Laufe seines Lebens zu etwas gebracht. Ich war für ihn wie ein weiteres eigenes Kind. Ich durfte sogar mit seinen Kindern Lesen und Schreiben lernen und ich bekam immer reichlich. Dumm nur, dass er so ein paar krumme Geschäfte am Laufen gehabt hatte, von denen nicht mal seine Frau wusste und er dann richtigen Ärger mit der Obrigkeit kriegte.“ Dumm für mich, denn was dann kam, war alles andere als Schön. „Danach wurde ich an einen fahrenden Händler verhökert, der den Leuten eine selbstgebraute Wundermedizin andrehte. Klar, es war toll, mit ihm so durch die Lande zu tingeln. Aber als ich seinen Kunden erzählte, wofür sie in Wirklichkeit ihr Geld ausgegeben hatten, wurde er richtig sauer.“ Der Typ hatte mir das richtig übel genommen. besonders dann, als er unter Androhung von Waffengewalt aus einem norischen Kaff hinauskomplimentiert wurde. „Na ja, was danach kam, war auch nicht viel besser. Eher schlechter. Als ich so ungefähr dreizehn oder vierzehn war, wollte mir mein damaliger Dominus an die Wäsche. Ich hab mich gewährt. Dabei ist dann dummerweise eine Kanne zu Bruch gegangen, die ich ihm über den Schädel gezogen hatte. Schade nur, dass der Dreckskerl nicht auch den Löffel abgeben hatte. Mein lieber Schwan, danach hatte ich was erleben können!“ Ein paar meiner Narben auf meinem Rücken rührten davon her. Ich hätte ihm sicher noch stundenlang von meinen zweifelhaften Begegnungen mit meinen zahlreichen Vorbesitzern erzählen können, aber das hätte Silas sicher irgendwann gelangweilt. Zumal das alles Schnee von gestern und vorgestern war. „Aber jetzt kannst du dir sicher vorstellen, wie froh ich bin, bei den Decimern gelandet zu sein. In so‘ nem vornehmen Haus war ich vorher noch nie. Und klar, Dominus Casca und Dominus Serapio sind tausendmal besser als die ganzen Vollpfosten, denen ich vorher gehört habe. Doch genau darin liegt das Problem, denn manchmal mach ich richtig dumme Sachen. Bei Dominus Serapio zum Beispiel. Letztens im Theater hab ich was ganz Dummes gesagt und damit zwei fremde Damen erschreckt. Seitdem bin ich, glaube ich, bei ihm unten durch. So ein bisschen jedenfalls. Na ja, und als wir uns kennenlernten, hab ich auch was Blödes gemacht. Ich hatte mich in sein Cubiculum geschlichen, weil mich das Zeugs so interessierte, was bei ihm so rumsteht. Aber ich hab nichts geklaut! Ehrlich!“, betonte ich.
    Ob Silas auch schon mal in Dominus Serapios Cubiculum war? Wenn ja, konnte er sicher verstehen, was mich dorthin getrieben hatte. „Hast du schon mal ´ne geflügelte Sonne gesehen? Warte mal, wie hieß das gleich nochmal? Orisis-Serapio, oder so.“ Diese Truhe und die Einlegearbeit darauf, die ich bei ihm entdeckt hatte, ließen mich noch immer nicht los. Außerdem hatte mir Dominus Serapio noch immer nicht diese Geschichte erzählt. Würde er wahrscheinlich auch nicht mehr, nachdem, was im Theater gelaufen war. Hätte ich mich nur so verhalten, wie Silas, dann stünde ich noch immer in seiner Gunst!


    Als der Junge mir von Dominus Serapios Versprechen erzählte, lächelte ich anerkennend. Das war schon eine tolle Sache! „Ja, ich denke, er kann auch voll nett sein. Nur wenn man sich so dämlich benimmt, wie ich, dann eben nicht!“ Auf jeden Fall freute ich mich für Silas, denn er würde es nicht bei dem Decimer verkacken, so wie ich es getan hatte. Wenn es jemand verdient hatte, für etwas belohnt zu werden, dann Silas! Er war richtig nett und lieb. Wie sehr er sich Mühe gab, mich zu trösten. Schade, dass er noch so jung war! Aber das hielt mich nicht davon ab, ihm meine Dankbarkeit zu zeigen. „Weißt du was? Du bist echt süß!“, sagte ich, trat auf ihn zu und küsste ihn auf die Backe.

    Ja, ich war auch traurig! Nicht umsonst versuchte ich so wenig wie möglich an damals zu denken, als ich noch meine Eltern hatte und alles noch gut war. Aber es gab einfach Dinge, die man nie vergisst, ganz egal, wie lange sie schon her waren. Der Tag, an dem Papa mir einen Welpen mitgebracht hatte zum Beispiel. Der Tag, an dem Mama mit mir geschimpft hatte und ich vor lauter Wut davongelaufen war oder der Tag, an dem mir unsere Nachbarin sagte, meine Eltern seien bei einem Unfall ums Leben gekommen. Der Tag an dem mich fremde Männer gepackt hatten und mich aus unserem Haus gezerrt hatten, nachdem sie mir gesagt hatten, es sei nicht mehr unser Haus und ich müsse die Schulden meines Vaters begleichen. Mist, jetzt kam das alles wieder hoch und auch der Schmerz, der mein Inneres ergriff und meine Augen feucht werden ließ.


    „Ja, bin ich“, sagte ich knapp mit belegter Stimme und versuchte nicht wieder loszuheulen. „Wir hatten einen Hof in der Nähe von Augustonemetum in Gallien. Aber das ist schon so lange her.“ Nur noch spärlich konnte ich mich an die wilde Landschaft erinnern und an die grünen Berge. Immer wenn ich nachts weinend auf meinem Lager gelegen hatte als ich noch jünger war, versuchte ich die Bilder in meinem Kopf wachzuhalten. Doch allmählich begannen meine Erinnerungen zu verblassen.


    Silas‘ Einwurf brachte mich dann wieder aus meinen Gedanken zurück. Ja, das stimmte wohl, was er da sagte. Das hatte ich schon an meinem ersten Tag begriffen, das Dominus Casca ein guter Dominus war. Deswegen war ich ja auch immer so bemüht, nicht unangenehm aufzufallen. Nur schaffte ich es einfach nicht. Immer wieder scheiterte ich an mir selbst. Vielleicht weil mich nie jemand an die Hand genommen hatte und sich um mich gekümmert hatte und weil ich nie wirklich etwas Richtiges gelernt hatte.


    „Ich würde auch gerne mal so was Tolles machen können“, warf ich plötzlich ein, als er so anerkennend von seiner Schwester sprach. „Aber alles, was ich anfange, geht schief. Und irgendwann passiert dann das, was bisher jedes Mal passiert ist, wenn ich zu viel Murks gemacht habe: Ab zum Sklavenmarkt!“ Das letzte Wort untermalte ich mit einer passenden Handbewegung – Daumen nach unten. „Mich wundert es echt, dass man mich noch dahin zurück verfrachtet hat, nach allem, was ich mir mit Dominus Serapio geleistet hab.“ Bestimmt hatte Silas davon gehört. Wahrscheinlich hatte es sich schon überall herumgesprochen. Genauso wie die blöde Sache mit dem blöden Philomenus.


    Anscheinend hatte ich mich geradewegs bereits zum nächsten Fettnäpfchen aufgemacht, als ich mich nach Silas‘ Beziehungsstatus erkundigt hatte. Das Thema war ihm sichtlich unangenehm, so rot wie er plötzlich wurde. Und natürlich hatte er nichts Festes. Wahrscheinlich hätte er auch nichts erzählt, wenn es anders gewesen wäre. Da war es nur fair, dass er mir dieselbe Frage stellte. „Och, bei mir ist es genauso. Ich hab nix am Laufen. Oder meinst du, ich fang mit was mit dem Volldepp Philodemus was an?“

    Auch Einohr zog nicht minder an seiner Leine. Die Schnauze hielt er knapp über dem Boden gestreckt und begann zu schnüffeln. Es schien so, als habe er eine Witterung aufgenommen. Vielleicht war an der Stelle kurz zuvor ein Kaninchen entlang gehoppelt oder eine Maus lang getippelt. Aber vielleicht suchte er sich auch nur die passende Stelle, um sein Geschäft zu verrichten, was er dann auch prompt tat. Ich hielt notgedrungen an, um auf den Hund zu warten, während Silas schon ein Stück weiter gezogen wurde.


    „Paulinus, aha!“, meinte ich dann, was ja auch logisch war. Schließlich war er ja auch Stallbursche. Einohr hatte sich wieder in Bewegung gesetzt, so dass ich Silas bald wieder einholen konnte. Diesmal war es Reißzahn, die schnüffelte und zu graben begann. Ich zog an Einohrs Leine, um ihm zu signalisieren, dass er kurz stehenbleiben sollte, denn ich wollte nicht, dass meine Unterhaltung mit Silas abbrach.
    „Also dann hilfst du Paulinus nur mal gelegentlich aus, weil er dein Kumpel ist. Verstehe.“ Na klar, wenn seine Hauptaufgabe nur die des Mundschenks war, dann hatte er doch jede Menge „freie Zeit“, die er mit anderen Arbeiten füllte. Anscheinend kam er dabei nicht auf so dumme Ideen, wie ich sie gelegentlich hatte.
    Ich erwiderte sein Lächeln und musste leise kichern, als ich sein Erröten bemerkte. Anscheinend hatte er noch nicht so viel Erfahrung mit Mädchen oder überhaupt mit Frauen. Mal abgesehen von seinen Schwestern. Aber das war ja auch etwas völlig anderes.


    „Deine Mama hat vollkommen Recht!“, antwortete ich, denn ich merkte, wie es ihm peinlich war, über seine Mama zu sprechen. „Sei froh, dass du noch eine hast! Eine Mama, meine ich.“ Es lag ein wenig Wehmut in meiner Stimme. Zwar konnte ich mich kaum noch an meine Eltern erinnern, doch ich wusste genau, wie es war, wenn man auf sich allein gestellt war.


    „Na ja, ein bisschen kenne ich mich mit ihnen aus. Mein Papa hatte auch welche. Zur Jagd.“ Es war bestimmt eine gefühlte Ewigkeit her, seit ich meinen Vater Papa genannt hatte. „Damals war ich noch klein. Ich habe oft mit den Hunden gespielt. Ja und später war ich bei einem Dominus, der auch Hunde hatte.“ Die hatte er genauso schlecht behandelt, wie mich. Manchmal hatte ich mich mit ihnen um das Essen streiten müssen. Zum Glück waren diese Zeiten längst vorbei!


    „Ach na ja, eigentlich soll ich mich um meinen Dominus kümmern. Du weißt schon, sein Cubiculum sauber halten, mich um seine Wäsche kümmern und seinen Bedürfnissen entsprechen.“ Was das auch immer heißen sollte. „Aber du hast sicher schon selbst gemerkt, dass er in letzter Zeit kaum zu Hause ist.“ Also hatte ich auch jede Menge ‚freie Zeit‘, die meist Rhea zu füllen wusste.


    „Und, hast du schon eine Freundin?“ Ein so hübscher Kerl wie Silas konnte sich garantiert kaum vor den Mädels retten. Ich dachte gar nicht daran, dass ihm meine Frage vielleicht peinlich sein könnte. Dummerweise sprach ich eben immer alles laut aus, was ich dachte, ohne vorher nachzudenken. Auch so ein Fehler von mir.

    Eigentlich hatte ich nicht mehr damit gerechnet, überhaupt noch einmal das Haus verlassen zu dürfen. Nachdem was ich mir letztens im Theater geleistet hatte. Überhaupt hatte ich fest damit gerechnet, Dominus Serapios Zorn zu spüren. Aber nichts dergleichen! Gut, Dominus Serapio hatte mich weiterhin mit Ignoranz gestraft und mich seitdem auch nicht mehr rufen lassen. Wahrscheinlich konnte er auch gut und gerne auf meine Dienste verzichten. Umso mehr erstaunte es mich jetzt, zu denjenigen Sklaven zu gehören, die ihn und die anderen Herrschaften zu begleiten. Vielleicht war das jetzt so was wie eine letzte Chance. Wenn ich die wieder vermasselte, konnte ich mich garantiert warm anziehen. Also, so sagte ich mir, am besten einfach die Klappe halten, solange keiner das Gegenteil befahl und ja nicht unangenehm auffallen! Wenn ich mich daran hielt, konnte nichts Schlimmes passieren.


    Auf dem Weg zum Forum erfuhr ich dann auch so nebenbei, wohin wir eigentlich gingen. Zum Glück war es nicht wieder so ein superlangweiliges Theaterstück, bei dem so ein komischer Kerl die ganze Zeit vorne auf der Bühne herumhüpfte. Nein, dieses Mal gingen wir zu einem Wettstreit. Also so eine Art Wettrennen, zumindest dachte ich das. Sogar die Augusta höchstpersönlich sollte dort sein, um zuzusehen – nicht um mitzumachen. Stattdessen würde ein Vertreter der Decima bei diesem Wettstreit teilnehmen - Dominus Scapula! Sicher war dann auch dessen Sklave Nereos nicht weit.
    Schade nur, das mein Dominus nicht dabei sein konnte. In letzter Zeit hatte ich ihn so gut wie gar nicht gesehen. Ständig war er außer Haus und nahm mich nie mit. Aber vielleicht hatte das auch sein Gutes, denn sonst hätte er ganz sicher von meinem ‚Missgeschick‘ im Theater gehört.
    Dann waren da noch Domina Valentina, die Verlobte meines Dominus und ihre ägyptische Sklavin, die ihr Dominus Serapio geschenkt hatte. Zum Glück hatte sie das gefährliche Katzenvieh zu Hause gelassen, sonst hätte es womöglich noch sämtliche Teilnehmer des Wettstreits aufgefressen.
    Wie mir zu Ohren gekommen war, hatten Domina Valentina und Dominus Serapio mal was miteinander. Aber irgendwie hatte das nicht geklappt und jetzt war sie mit meinem Dominus verlobt. Irgendwie beneidete ich ja schon ihre kleine Ägypterin. Domina Valentina hatte ihr gerade eine von den lecker aussehenden Erdbeeren geschenkt. Bestimmt war die zuckersüß! Mir schenkte keiner eine Erdbeere, oder irgendetwas anderes…

    Die Hunde freuten sich wie Bolle darauf, endlich rauszukommen. Da ging es ihnen genauso wie mir. Sie zogen ordentlich an ihren Leinen und ich musste echt aufpassen, dass Einohr sich nicht losriss, sobald uns jemand entgegen kam. Es bedurfte doch schon einige Kraft, die Viecher in Schach zu halten. Aber das machte mir nichts aus. Doch nach einiger Zeit hatte Silas einen Weg eingeschlagen, auf dem uns nur noch selten Leute entgegen kamen.


    Bisher hatten wir kaum ein Wort gewechselt, seitdem er mich zum Hundespaziergang eingeladen hatte und wir die Casa verlassen hatten. Überhaupt wusste ich nicht besonders viel über Silas. Außer das er im Hause geboren worden war und seine ganze Familie auch den Decimern diente. Daher dachte ich, es wäre doch eine gute Idee, sich mit Silas ein wenig zu unterhalten.
    „Führst du öfters die Hunde aus?“ Ich sah zu dem Jungen hinüber, der nun direkt auf gleicher Höhe neben mir lief. Wie alt er wohl sein mochte? Ich schätzte ihn mal auf vierzehn oder fünfzehn Jahre.
    „Echt schön, dass du mich mitgenommen hast!“, sagte ich lächelnd. Ich musste kaum noch an Philodemos, den blöden Affen denken.

    Ich folgte dem Kurzen einfach und fühlte mich auch schon ein bisschen besser. Die Molosser konnten einem schon ganz schön das Fürchten lehren. Besonders wenn sie bellten, sobald man sich ihnen näherte. Ich aber fürchtete mich kein bisschen. Jedoch hatte ich Respekt vor ihnen. Aber wenn man im Umgang mit Hunden einiges beachtete, konnte normalerweise nicht viel schief gehen.


    Die armen Viecher lagen gelangweilt und angekettet im Hof. Doch sobald wir beide auftauchten hoben sie ihre Köpfe. Natürlich hatten sie gleich Silas‘ Leckerlies gerochen. Außerdem hofften sie darauf, von uns nun ausgeführt zu werden. Die Hunde erhoben sich als Silas sie anleinte. Voller Vorfreude schwänzelten mit ihren Ruten und schüttelten die Köpfe sodass der Sabber, der ihnen links und rechts aus den herabhängenden Lefzen tropfte, durch die Gegend geschleudert wurde.
    "Danke!", sagte ich und nahm Einohrs Leine entgegen. Ich hörte mir Silas‘ Erklärungen an und nickte zustimmend. Zwischendurch streichelte ich Einohr vorsichtig. „Guter Junge!“, lobte ich ihn. Der Hund hechelte und legte die Ohren an. Ja, ich war gleich in meinem Element. Als Kind hatte ich schon Erfahrungen mit Hunden sammeln können. Mein Vater hatte zwei, die er immer zur Jagd mitgenommen hatte. Aber auch später lebte ich eine Zeit lang bei einem Dominus, der Hunde hatte.
    Silas nahm die beiden anderen Hunde. Nun konnte es endlich losgehen.

    Er war, na toll! Irgendwie schaffte ich es doch immer wieder punktgenau ins Fettnäpfchen zu tappen. Dabei hatte ich doch nur alles gut machen wollen und dieser aufgetakelten Tante da vorne ein bisschen Respekt einflößen wollen. Die hätte doch sonst nie im Leben freiwillig ihren Schirm einpacken lassen! Nie!


    Ja gut, ich hatte einen Fehler gemacht und zwar einen riesengroßen! Ich hätte es vielleicht einfach anders angehen sollen. Vielleicht etwas bedachter oder etwas freundlicher... höflicher eben. Na ja, mit den feinen Manieren hatte ich schon immer auf Kriegsfuß gestanden. Das hatte mir eben nie einer wirklich beigebracht.


    Dominus Serapio sprach kein Wort mehr mit mir. Ebenso beachtete mich gar nicht mehr. Ich war wie Luft für ihn. Das machte die Sache für mich noch umso schlimmer. Zusammengekauert saß ich jetzt da, verdrückte ein paar Tränen und versuchte dabei nicht zu schniefen. Ich riskierte nicht einmal mehr einen Blick nach vorne zur Bühne oder hinunter zu den verschreckten Dämchen, die ich mit meiner Aktion in Wallung gebracht hatte. Nur nicht mehr unangenehm auffallen! Am liebsten wäre ich jetzt ganz weit weg gewesen. Egal wo, nur eben nicht hier! Das waren so die Momente, in denen man sich wünschte, man könne sich einfach davonschleichen. Dummerweise ging das aber nicht so einfach, sonst hätte ich alles nur noch schlimmer gemacht. Noch ein Schnitzer und ich war ganz unten durch bei Dominus Serapio. Also blieb mir nichts anderes übrig, als da zu sitzen und zu warten. Warten, auf schöneres Wetter, warten bis noch mehr Wasser den Tiber hinunter geflossen war, warten bis Dominus Serapio mich vielleicht doch noch eines Blickes würdigte und warten, bis endlich dieses blöde Stück dort unten zu Ende war.

    Nicht von schlechten Eltern, war so mein erster Gedanke, als ich mir… ah ja Nereos genauer betrachtete. Das Gleiche machte er im Übrigen auch. Dabei stand sein Mund ziemlich weit offen. Männer eben! Keine Ahnung warum. Vielleicht aus den gleichen Gründen, weshalb ich mir den Hübschen mal etwas genauer betrachtete. Nur hatte ich dabei den Mund zu.
    „Ach echt, Alexandria! Ist ja toll! Da war ich auch noch nie!“ Ich war ja schon froh, dass ich es bis nach Rom geschafft hatte. Wenn er also versucht hatte, mich zu beeindrucken, war ihn das schon mal gelungen. Da er aber anscheinen auf Nummer sicher gehen wollte, veränderte er scheinbar ganz unauffällig (aber sicher doch!) seine Position, so dass man seinen Alabasterkörper besser bestaunen konnte. Wie er da so am Türrahmen gelehnt stand! Ich dacht nur OMG, was für´n Typ! Ein weiterer Kandidat, der mir in Notsituationen mal eben behilflich werden konnte, wenn ich mal wieder die Latrine putzen oder den Mist kübeln sollte. Und falls der Kerl nicht der totale Looser war, konnte sich mit ihm da sogar noch etwas entwickeln, sozusagen im zwischenmenschlichen. Aber da ich ja keine von denen war, die sich an jeden Typen sofort dranhängten, ließ ich ihn erst mal zappeln. Wenn er tatsächlich was von mir wollte, dann musste er sich noch ein bisschen mehr anstrengen. Ohne Fleiß keinen Preis!


    Seine Frage war ja schon berechtigt, jetzt da ich wusste, wer er war. Timaia stand immer noch regungslos da und starrte Nereos an. Das erinnerte mich an so eine Geschichte, die ich mal gehört hatte, von ´ner Tussi, die alle erstarren ließ, die sie anschauten. Vielleicht war das der gleiche Effekt bei Timaia.


    „Ja also ich bin Grian und das da ist Timaia.“ Ich deutete auf die andere Sklavin. Anscheinend war sie wirklich erstarrt oder sogar schon kurz vorm abnippeln. „He Timaia, einfach weiteratmen!“ Endlich schien wieder das Leben in ihren Körper zukehren zu wollen. Sie machte ein paar hektische Bewegungen und versuchte, jetzt auch einmal etwas zu sagen. Aber ich war schneller.
    „Moment mal, ich weiß zwar nicht wer diese Rahel ist, aber Rhea hat uns beide hergeschickt. Wir sollten das Zimmer auf Vordermann bringen. Und da das Zeug hier schon rumstand, dachte ich, es wäre doch eine tolle Idee, die Klamotten von deinem Dominus schon mal in die Truhe zu räumen.“ Letzteres war natürlich nur ein Wunschgedanke gewesen, da bisher nur ganz wenige Kleidungsstücke ihren Weg in die Truhe gefunden hatten. „Aber wenn du das lieber machen möchtest, kein Problem! Nur zu! Ich denke, dann sind wir hier fertig, oder Timaia?“ Nur pro forma sah ich zu der anderen Sklavin hinüber, die damit völlig überfordert schien und „Äh, was?!“ sagte.

    Hier im Halbdunkel war ich geschützt. Garantiert würde mich hier keiner finden. Ich konnte hier bleiben, solange ich wollte. Bis ich alt, grau und verschrumpelt war. Dann erst wollte ich vielleicht wieder raus kommen. Sollten sie doch alle nach mir suchen und nach mir rufen, bis ihre Stimme weg war. Nie wieder wollte ich nochmal einem von denen begegnen!


    Bei all meinen Vorsätzen hatte ich einige wichtige Dinge außer Acht gelassen:
    1. Der Hunger und Durst würde mich spätestens in einigen Stunden hinaustreiben. Das bedeutete, ich musste zurück in die Küche, um an etwas Essbares zu kommen.
    2. Irgendwann würden Casca und Co. nach mir rufen lassen. Sicher war es keine gute Idee, sie warten zu lassen oder gar ihre Befehle zu missachten. Ich wusste ja, was mir dann blühte. Auch wenn die anderen Sklaven alle blöd waren, wollte ich nicht wieder zurück zum Sklavenmarkt.
    3. Ich hatte nicht mit der Hartnäckigkeit eines Sklavenjungen namens Silas gerechnet, der nach einer Weil plötzlich vor meinem Versteck aufgetauchte und mich anscheinend auch gleich entdeckt hatte. So ein Mist!


    Er war gar nicht überrascht, mich hier zu finden. Klar, der Kurze war hier im Haus aufgewachsen und kannte wahrscheinlich jeden Winkel.
    „Verzieh dich!“, rief ich automatisch, als ich seine Stimme hörte, ohne abzuwarten, was er noch alles sagte. Als ich dann endlich realisiert hatte, was Silas noch so alles gesagt hatte, wurde ich doch neugierig. „Dir mit den Hunden helfen?“ Hatte ich richtig gehört? Vorsichtig kam ich aus meinem Versteck herausgekrabbelt. Wischte mir die Tränen mit dem Handrücken aus dem Gesicht und zog die Nase hoch.
    „Was hast du gesagt? Ich soll dir helfen, die Hunde auszuführen?“ Das war doch gar keine so schlechte Idee! Dann kam ich mal für eine Weile hier raus und bekam wieder die Birne frei. Außerdem war ich tierlieb und mochte die sabbernden Viecher. „Ja, würde ich gerne!“, antwortete ich und lächelte sogar wieder ein bisschen dabei.

    Meine Finger strichen vorsichtig über die edle Stickerei, bevor ich mich mit dem nächsten Kleidungsstück beschäftigen wollte. Dass sich in der Zwischenzeit die Tür geöffnet hatte und jemand eingetreten war, bekam ich gar nicht mit, weil ich viel zu vertieft war. Tolle Klamotten hatten mich schon immer interessiert. Ich bemerkte es nur weil ich mal wieder zu Timaia hinüber schaute, die sich plötzlich erhoben hatte und mit eingefrorenem Gesichtsausdruck zur Tür starrend, einer Salzsäule gleich, einfach nur so da stand. Timaia wirkte ja ansonsten eh schon ziemlich unentspannt auf jeden, der mit ihr zu tun hatte. Doch nun sah sie sich mit etwas konfrontiert, mit dem sie nicht zurechtkam. Automatisch fuhr ich um, und entdeckte dieses mir unbekannte Gesicht. Der Kerl in der Tür klang nun nicht wirklich bedrohlich aber dennoch bestimmt. Nun ja, ich hatte ja bereits einige Erfahrung mit Leuten, die plötzlich einfach so hinter einem standen. Aber diesmal hatte ich ja einen eindeutigen Auftrag erhalten und hatte somit eine Berechtigung, hier sein zu dürfen.


    „Klar doch! Wer bist du denn? Dich hab ich ja noch gar nicht gesehen!“ Inzwischen hatte ich Dominus Scapulas edles Gewand wieder sich selbst überlassen und kümmerte mich nun mehr um sein Personal, zu dem der Fremde ja augenscheinlich gehörte. Timaia ließ ich dabei völlig außer Acht. Sie musste sich selbst wieder aus ihrer Starre befreien.

    Zitat

    Original von Faustus Decimus Serapio


    Urplötzlich blieb mir das Lachen im Hals stecken, als er begann, mich zur Schnecke zu machen. Ich wusste gar nicht, warum er sich denn jetzt so aufregte. Eben noch hatte er mich noch für meine Tat gelobt und jetzt? „Aber das war doch nur Spass! Du bist doch gar nicht…“ Allmählich dämmerte mir, dass ich unwissentlich vielleicht doch voll ins Wespennest gegriffen haben könnte. „Oh Scheiße, du bist…“ Woher hätte ich das denn wissen sollen? Mir erzählte ja nie einer was! Also hörte ich mir seine Schimpftirade an und wurde dabei immer kleiner.
    Upps, das Wörtchen höflich musste mir doch tatsächlich entgangen sein! Hatte er das wirklich gesagt – höflich? Ich konnte mich gar nicht daran erinnern. Aber jetzt, da er es sagte, musste es wohl so gewesen sein. Tja, also das war ja jetzt richtig blöde. Für mich. Und überhaupt. Der alte Jupp hätte wahrscheinlich jetzt gesagt ‚domm jeloofe!‘


    „Tschuldigung, Dominus,“ murmelte ich kleinlaut, knabberte nervös auf meiner Unterlippe herum und schwieg dann besser, so wie er es verlangte. Wahrscheinlich war das hier das Ende unserer guten Freundschaft. Wenn wir dann später wieder zu Hause waren, konnte ich mich eh warm anziehen. Außer, ich konnte es irgendwie wieder gut machen. Bloß wie? Mich irgendwie als nützlich erweisen... ihn erretten... ihn vor einer irren Angreiferin beschützen. Leider war nur gerade keine zur Hand. Im Augenblick konnte ich nichts anderes tun, als ihm zu gehorchen und dabei ziemlich belämmert dreinzublicken.

    Ich hatte ja so den Kanal voll! Warum musste immer nur mir so was passieren!? ja sicher, ich hatte Philodemos´ Blödheit ausgenutzt. Aber musste er jetzt tratschen wie ein Waschweib?


    Ich rannte hinaus, rempelte dabei einige Sklaven an, die mir entgegen kamen und sich dann lautstark über mich beschwerten. Aber die konnten mich alle mal! Ich wollte niemand mehr sehen. Schon gar keinen, der sich mit Philodemos über meine Oberweite ausgetauscht hatte.


    Zuflucht fand ich schließlich draußen im Hof unter einer Treppe. Dorthin verkroch ich mich und ergab mich meinen jämmerlichen Tränen. In solchen Momenten wurde einem wieder deutlich, wie verloren und allein man doch war. Es gab niemanden, dem man sich anvertrauen konnte, da ich im Prinzip die gesamte Sklavenschaft gegen mich hatte. Zumindest glaubte ich das. Und Dominus Casca oder gar Dominus Serapio damit zu behelligen stand außer Frage.

    Zitat

    Original von Faustus Decimus Serapio und Matinia Marcella


    WAHNSINN! Ich konnte es ja gar nicht glauben! Der Zicke hatte ich ordentlich eingeschenkt. So sehr, dass sie die Hosen gestrichen voll hatte. In Nullkommanichts war der Schirm weg und das Problem gegessen.


    Zufrieden kletterte ich zu meinem Platz zurück und erntete jede Menge Anerkennung von Dominus Serapio. Garantiert war ich bei ihm ein ganzes Stück auf der Zufriedenheit-Skala gestiegen. Tja, Daumen hoch! Ich grinste über das ganze Gesicht und setzte mich wieder neben ihn. „Hast du gesehen, die hatte voll Schiss vor dir, Dominus! Ich hab ihr erzählt, du bist der Chef von den Schwarzröcken und wenn sie ihren Schirm nicht sofort wegpackt landet sie in einem von deinen Kerkern“, berichtete ich ihm feixend und kriegte mich kaum ein. „Aber das schärfste war ja, sie hat mir jedes Wort geglaubt!“, fügte ich noch prustend hinzu. Ich musste richtig nach Luft schnappen, weil ich einfach nicht mehr aufhören konnte zu lachen. Natürlich hatte ich längst den roten Faden verloren, was jetzt gerade auf der Bühne geschah. Wahrscheinlich weil dieser Faden sowieso nie vorhanden gewesen war. Letztendlich war das wirkliche Leben doch wesentlich aufregender und witziger.

    Philodemos! Dieser blöde Depp! Ich war richtig sauer, als ich gehört hatte, dass der Blödmann jetzt jedem erzählte, er hätte mich nackt gesehen und ich hätte solche Titten! Ja,ja, er hatte mich ja auch nackt gesehen. Das war ja seine Belohnung gewesen, weil er für mich die Latrine geputzt hatte. Nur angucken - nicht anfassen, hatte ich ihm gesagt. Ich hätte ihm auch sagen sollen, dass er die Klappe halten sollte!
    Mich hatte eben doch tatsachlich Nicon, der Dreikäsehoch gefragt, ob er für mich auch mal die Latrine saubermachen dürfte! Dem Kurzen hatte ich erst mal eine gescheuert, dann suchte ich nach Philodemos, um ihn zur Rede zu stellen. Schließlich hatte ich ihm vor dem Servitriciuum aufgelauert. Er hatte mir nur ins Gesicht schauen müssen, um zu wissen, was los war. Daher machte er sich gleich in die Hose war kurz vorm flennen und wäre am liebsten vor mir weggelaufen. Aber ich heftete mich an seine Fersen. „Du dämlicher Blödmann, warum schreibst du´s nicht gleich an die Hauswand der Domus ‚Grians Titten sind der Wahnsinn‘. Dann kriegt es auch wirklich jeder mit!“ Er blieb kurz stehen und schauerte mich ganz belämmert an. „Ich hab´s ja nur ein paar Leuten erzählt. Und jetzt lass mich in Ruhe!“ Dann lief er weiter. „Nur ein paar Leuten? Das ich nicht lache! Diese kleine Rotznase Nicon hat mich schon angesprochen und der Typ an der Porta guckt mich auch die ganze Zeit so an, als wolle er mir die Tunika vom Leib reißen. Mal ganz zu schweigen von den Libertini von Dominus Serapio!“ Inzwischen hatten wir beide das Servitriciuum erreicht. Die Sklaven, die sich gerade dort aufhielten, schauten uns alle verdutzt an. Philodemus, der Schwachkopf meinte dann nur: „Deine Titten sind ja auch der Wahnsinn!“, weil er wohl dachte, dass er mich damit wieder besänftigen könnte. Aber das krasse Gegenteil hatte er damit erreicht. „Halt die Fresse, du Arsch!“, schrie ich. Ich war wirklich bedient! Jetzt hatte es so ziemlich jeder in der Sklavenschaft mitbekommen, inclusive dem jungen Bengel, dem ich heute schon ein paar Mal über den Weg gelaufen war. „Na, hat dieser Idiot dir auch erzählt, was für tollen Titten ich habe?“ Ich wartete nicht seine Antwort ab, sondern suchte das Weite.

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    Eigentlich hätte das ein gemütlicher Nachmittag werden sollen. Im Garten hatte ich ein nettes Plätzchen entdeckt von wo aus man die letzten Strahlen der Spätsommersonne genießen konnte. Aber daraus wurde nichts! Nachdem es an der Porta geklopft hatte und sich ein neues Familienmitglied angekündigt hatte, brach plötzlich allerorts die Hektik aus. Wie aufgeschreckte Hühner liefen alle herum.
    Für eine Weile konnte ich mich dem ganzen Trubel erfolgreich entziehen, indem ich so tat, als ob ich etwas nähte. Ich hatte mir einen alten Fetzen geschnappt, den niemand mehr brauchte und fuchtelte immer mit einer Nadel herum, wenn jemand in meine Nähe kam. Aber Rhea, der Villica konnte ich nicht lange etwas vormachen. Unter ihrem strengen Blick begab ich mich ohne Widerrede zusammen mit Timaia zu Dominus Scapulas neuem Cubiculum.

    Ein paar Sklaven hatten bereits sein Gepäck dort abgestellt. Unsere Aufgabe war es nun, den Raum zu säubern, alles auszupacken und einzuräumen, kurzum die Bude ein wenig wohnlich zu machen. Während ich mir das Gepäck des Neuankömmlings anschaute, schritt die gute Timaia sofort ans Werk und begann Staub zu wischen. Sollte sie nur! Ich fand es weitaus spannender zu erfahren, wer dieser Scapula war und was er alles in seinem Gepäck hatte.
    Hin und wieder sah sie stumm zu mir herüber, um zu sehen, was ich so trieb. Timaias Blicken konnte man entnehmen, dass sie es nicht gut hieß, was ich machte, allerdings beschwerte sie sich auch nicht bei mir.
    „Fragst du dich nicht auch, was dieser Scapula für ein Typ ist?“, fragte ich schließlich um dieses blöde „Sich-Angeschweige“ endlich zu beenden.
    „Wir müssen uns beeilen!“ Timaias Stimmchen zitterte. Sie hatte kurz zu mir geschaut und begann dann, das Bett zu machen. Aber von ihrer Betriebsamkeit ließ ich mich nicht anstecken. Ganz gemütlich nahm ich mich der Kleidung des Dominus an und räumte sie in eine Truhe. Jedoch nicht bevor ich sie eingehend inspiziert hatte.
    „Also seinen Klamotten nach zu urteilen ist er einer, der immer gleich hier schreit, wenn etwas besonders angesagt ist.“ Seine Kleidung sah nicht nur sehr hochwertig aus, sondern wirkte auch ziemlich teuer. Nur das Beste vom Besten und natürlich alles brandneu!
    „Ich kenne Dominus Scapula nicht,“ bekam ich nur zur Antwort. Offenbar war Timaia nicht wirklich geneigt, sich mit mir zu unterhalten. Stattdessen wirkte sie eher wie ein ängstliches Eichhörnchen, das jedes Mal erschrocken aufblickte, sobald sie ein Geräusch vernahm. Mir machte das nichts aus. Ich bestaunte stattdessen die feinbestickten Tunicae des Decimers. „Boah, schau mal! Das sind echte Goldfäden!“, rief ich und breitete die Kleidungsstücke vor mir aus. Aber auch damit konnte ich Timaias Interesse nicht gewinnen.

    Zitat

    Original von Faustus Decimus Serapio


    Das war ja wirklich nett von Dominus Serapio, dass er mir erklärte, worum es im Stück eigentlich ging. Na ja, im Prinzip war es die gleiche Leier wie immer: Frau wird mit zwei Blagen sitzen gelassen und kann nun selber sehen, wie sie klar kommt. Obwohl sie sich vorher, extra für ihren Typen Stress mit ihren Leuten eingehandelt hatte. Ganz klar, dass die Frau Rache wollte! „Dieser Iason ist ja ein echter Scheißkerl! Sie hat ja so was von Recht, dass sie ihm jetzt zeigt, wo´s langgeht!“ Jetzt, da ich den vollen Durchblick hatte, hoffte ich für Medea, dass sie am Ende siegte und ihrem Drecksack von Ehemann ordentlich eins auswischte! So geht man einfach nicht mit Frauen um! Und schon gar nicht mit der Mutter der eigenen Kinder! „Hau den Typen weg, Medea!“ rief ich plötzlich, angestachelt von meiner frisch erwachten feministischen Einstellung. Aber ich merkte schnell, dass ich die einzige war, die Medea anfeuerte.


    Zumindest aber senkte sich plötzlich vor uns dieser bescheuerte Schirm. Ein paar klare Worte meinerseits hatten gereicht, damit ich endlich auch mal visuell etwas von der Aufführung mitbekam. Allerdings überraschte es mich sehr, was ich da unten sah. Momentmal, was machte denn der Kerl in Frauenkleidern da unten? Man war es ja gewohnt, dass Männer auch die weiblichen Rollen spielten. Aber der hübsche Bengel da unten tat alles, nur nicht spielen! Der war nur am rumhopsen und machte ganz komische Verrenkungen. „Was hat der denn?“ fragte ich mich besorgt, allerdings so dass es auch Dominus Serapio hören konnte. Kaum hatte ich laut gedacht, war – Schwupps – auch schon wieder die Sicht versperrt. Die zum Schirm dazugehörige Schnepfe hatte ihrer Schirmträgerin lautstark klargemacht, dass ihre Frisur zum Tartaros ging, wenn sie den Schirm so niedrig hielt.


    „Ach Mensch!“ Die Enttäuschung war meiner Stimme anzuhören. Ich wollte doch wissen, was Medea so alles drehte um ihrem Alten ordentlich einzuschenken.
    Dominus Serapio fand das auch nicht so prickelnd. Ich verstand zwar nicht, wieso die Milch – äh welche Milch denn? – schlecht war, aber wenn er meinte… Zum Glück aber hatte er richtig erkannt, dass ich es mit meinem Mundwerk schon einmal geschafft hatte, den blöden Schirm zu senken. Vielleicht schaffte ich es jetzt ja auch, dass das dämliche Ding ganz verschwand. Als er mich mit Cynthia ansprach, reagierte ich zwar nicht sofort, schließlich war ich ja erst vor wenigen Minuten so umbenannt worden, so dass mir der komische Name noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen war. Doch dann kam ganz schnell wieder die Erinnerung zurück! „Äh ja, klar mach ich!“ antwortete ich und erhob mich. Ich suchte mir einen geeigneten Weg durch die Zuschauer hindurch und kletterte über so manchen Kopf hinweg, damit ich nicht bis zum Ende der Reihe laufen musste. Auf diese Weise erreichte ich schnell mein Ziel und stand so direkt vor der aufgemotzten Dame, damit sie es diesmal war, die nichts mehr von der Aufführung sehen konnte.


    Da ich ja eine blühende Fantasie und ein gesundes Selbstvertrauen hatte und sowieso um kein Wort verlegen war, sprach ich sie direkt an. „Gute Frau, wenn dein blöder Schirm dir deine Sicht nach hinten nicht verbauen würde, hättest du vielleicht den schlechtgelaunten Typen hinter dir gesehen. Mal ganz unter uns, an deiner Stelle würde ich ihn nicht sauer machen wollen, denn das ist der Chef der Pretorianer! Das sieht man ihm zwar nicht an, weil er heute eigentlich in inkognito hier ist und das Stück sehen will. Verstehst du, er will es S E H E N! Aber wenn du ihn noch länger mit deinem Schrimchen reizt, wirst du all seinen Zorn zu spüren kriegen. Denn seine Schwarzröcke haben immer noch ein Plätzchen im tiefsten Loch ihres Kerkers frei!“ Mit meinem Zeigefinger hatte ich leicht auf Dominus Serapio gedeutet und ein todernstes Gesicht dazu gemacht, damit ich glaubhaft wirkte. Ich konnte ja nicht ahnen, dass er tatschlich mal bei dem Verein mit der schwarzen Uniform gewesen war.