Beiträge von Tiberios

    Als Scato ihn auch davon jagte, verlor Tiberios die Geduld:
    "Dominus miles, Brandstiifterin und Mörderin - das ist nicht dein Ernst?", sagte er nur.
    War denn die ganze Welt verrückt geworden? Hatten sie alle ihren Verstand verloren?
    Eireann war aufsässig, unüberlegt und manchmal dumm, aber sie war bestimmt keine Verbrecherin, dafür würde er die Hand ins Feuer legen.

    Dominus Manius Purgitius Lurco, dachte Tiberios. Der Urbaner schlug einen schärferen Ton als Scato,
    und Tiberios war einen Moment lang erstaunt: Was hatte er dem Römer getan?


    " dominus miles", antwortete Tiberios sehr höflich ,und man musste ihn kennen, um zu merken, dass er sich ärgerte:
    " Ich wußte nicht, dass das Lesen von griechischen Romanen gefährlich ist oder eine romfeindliche Gesinnung zeigt.", er deutete auf die Schriftrollen:


    "....und das Stellen einer einfachen Frage, ob Gefangene Post haben dürfen, als Widerstand gegen Roma gewertet wird. Ich danke dir vielmals für die Aufklärung, ich bin Alexandriner und muss noch viel lernen wie die Dinge hier funktionieren. Aber ich bin mir sicher, wenn es jemand nicht lernt, gibt es auch andere Lehrmethoden nicht wahr? Das Gefängnis, das Schwert oder das Kreuz."


    Tiberios verbeugte sich ziemlich spöttisch, aber sah Lurco nicht in die Augen, das hätte sich für einen Sklaven nicht gehört.

    Tiberios, der weder etwas von der Lupanargeschichte mit Kyriakos noch etwas von der scheinbaren Verwicklung Eireanns in den Brand im Ganymed wußte, und dachte, Eireann wäre im Gefängnis gelandet, weil sie frech geworden und weggelaufen war, sah unglücklich drein und die Strafe erschien ihm sehr hart - er sagte aber nichts, weil ihm das nicht zustand.


    Das mit dem Griffel als tödliche Waffe muss ich mir freilich merken, dachte er. Das sage ich das nächste Mal Terpander!


    Da dominus Scato jedoch zum Ende hin freundlicher sprach, fragte er:
    "Dominus miles, Gefangene dürfen Post empfangen, nicht wahr? Dann möchte ich Eireann wenigstens schreiben, damit sie weiß, dass ich liebevoll an sie denke."


    Tiberios sah an Scato vorbei, als er errötend hinzufügte:
    "Manchmal ist das zu wissen wichtiger als alles andere."

    Der Urbaner war Sisenna Iunius Scato;
    Tiberios hätte ihn überall erkannt – und er war einen Moment lang einfach nur froh, das vertraute Gesicht des Römers zu sehen.
    Aber da Scato sich so verhielt, als hätte er ihn noch nie gesehen, passte sich der furische Sklave dem sofort an und unterdrückte jegliche Gefühlsregung:


    Salve dominus miles“, sagte er und verneigte sich ganz leicht.


    Die Auskunft von Scato war dann eindeutig;
    Tiberios hatte allerdings gehofft, das Zutrittsverbot bezöge sich nur auf Sklaven, die länger bleiben wollten. Doch wenn dieses Zutrittsverbot auch für Besuche galt, dann würde es nicht einmal helfen, wenn ihn der dominus Furius Cerretanus an der Porta abholte. Diesen Sachverhalt hatte nicht einmal die domina Furia Stella gekannt.


    „Eigentlich wollte ich eine Gefangene besuchen, die Sklavin Eireann, und dachte, dominus Optio Furius Cerretanus könne mir einen Passierschein geben.“, sagte Tiberios niedergeschlagen:


    Wenn Sklaven allerdings nicht einmal durch die Porta dürfen, kann mir auch dominus Cerretanus nicht helfen, nicht wahr?
    In diesem Fall würde ich dich bitten, an die Gefangene einige nützliche Dinge für den Privatgebrauch weiterzuleiten. - Hier eine genaue Aufstellung ".

    Tiberios zeigte seine Wachstafel.*


    bückte sich aber auch nach dem Bündel, um es zu öffnen, und dem Urbaner zu zeigen, dass seine Angaben der Wahrheit entsprachen.


    *

    - eine einfache Tunika
    - eine Chlamys, griechischer Mantel
    - ein Schlauch Posca
    - ein Kamm aus Horn
    - 1 kleine Tonamphore Olivenöl
    - 3 Stoffstreifen
    - 3 einzelne Wachstafeln
    - 1 Griffel
    - 3 Schwämme
    - 1 Stirnband
    -1 Stoffsäckchen frische Datteln
    - Drei Schriftrollen " Chaireas und Kallirrhoe "

    ,

    >> Casa Furia


    Tiberios stand vor der Castra, was er schon öfter getan hatte – so hatte er einmal etwas für den miles Sisenna Iunius Scato abgegeben, ein andermal auf diese Weise dessen SklavenTerpander kennen gelernt.


    Die ganze Anlage wirkte sehr einschüchternd auf den furischen Sklaven: die steinernen Türmen und die hohen Mauern und das grimmig wirkende Wachpersonal, das sich aus Urbanern und Praetorianern zusammen setzte.

    Aber heute half alles nichts, heute würde er durch das Tor gehen müssen, auch wenn er noch so ängstlich war.


    Tiberios fasste das Bündel, in dem er die Sachen für die Gefangene Eireann dabei hatte und die Wachstafel mit der Liste der mitgebrachten Sachen fester und schritt auf das Tor zu.


    Die domina Furia Stella hatte ihm gesagt, er solle sich zunächst an den dominus Appius Furius Cerretanus wenden, um die Erlaubnis, die gefangene Eireann zu besuchen, einzuholen.


    Tiberios grüßte die Wachen, ohne einen von ihnen direkt anzusprechen, mit einer Verbeugung:


    „Salvete, domini milites, ich möchte bitte zum officium von optio Appius Furius Cerretanus.
    Mein Name ist Tiberios, ein Sklave der Furier.“

    >> Bibliothek


    Nach dem Gespräch mit seiner domina Furia Stella betrat Tiberios die Sklavenunterkunft, und legte sich bäuchlings auf sein Bett, um das Bündel hervorzuräumen, in dem sich seine persönlichen Sachen befanden.
    Er überlegte, was Eireann im carcer...es schauderte ihn, dieses Wort zu denken, vielleicht brauchen konnte, und kramte in dem, was er besaß.


    Der furische Sklave fertigte umsichtig eine Liste auf einer Wachstafel an:


    - eine einfache Tunika
    - eine Chlamys, griechischer Mantel
    - ein Schlauch Posca
    - ein Kamm aus Horn
    - 1 kleine Tonamphore Olivenöl
    - 3 Stoffstreifen
    - 3 einzelne Wachstafeln
    - 1 Griffel
    - 3 Schwämme
    - 1 Stirnband
    -1 Stoffsäckchen frische Datteln
    - Drei Schriftrollen " Chaireas und Kallirrhoe "



    Tiberios nahm die Bronzespange von seiner chlamys. Bestimmt durfte Eireann keine spitzen Gegenstände haben. Um seinen griechischen Mantel tat es ihm etwas leid, er wärmte so schön, aber Eireann musste bestimmt noch mehr Kälte aushalten. Auch seine zweite Tunika packte er ein.


    Die Schriftrollen hatte er erst kürzlich gekauft. Chaireas und Kallirrhoe von Chariton von Aphrodisias, war ein griechischer Abenteuerroman um ein junges Paar, das getrennt wird und sich unter großen Gefahren wiederfindet – wie passend, dachte Tiberios.
    Er hatte die Geschichte erst zur Hälfte durch und hatte gehofft, sie seiner domina empfehlen zu können, falls ihr einmal der Sinn nach leichter Lektüre stand.
    Nun sollte sie Eireann gehören, um sie etwas von der bitteren Gefangenschaft abzulenken.


    Auch der Kamm, das Öl, die Wachstafeln und der Griffel, Stirnband und die Naturschwämme waren seine persönlichen Dinge, und die Datteln und die posca gehörten zu seinen Vorräten, die er benutzte, wenn er nach Portus ins Handelshaus Furii fuhr.


    Die Datteln im Stoffsäckchen weckten in dem furischen Sklaven liebevolle Erinnerungen. Es war schon lange her, als er zur domus Iulia gelaufen war, um Eireann damit eine kleine Freude zu machen.


    Tiberios schob sein sehr mager gewordenes Bündel wieder unter sein Bett und machte sich auf den Weg zur Castra.

    Tiberios war wirklich dankbar, dass domina Furia Stella ihm erlaubte, sich auf den Schemel zu setzen.


    Die Gefühle, die er gerade fühlte: Angst um Eireann, die im carcer der Urbaner einsaß, durchaus auch gemischt mit Wut auf Eireann, die sie beide in eine solche Situation gebracht hatte, ließen ihn für einen Moment fast seine Haltung verlieren.


    Er war froh, sich erst einmal auf das Eingießen des Wassers in einen Becher konzentrieren zu können, dann überlegte er kurz und goss auch den anderen voll.
    Seine Erziehung war so gewesen, dass ein guter Diener Probleme löste und das auch vorausschauend – und keineswegs selbst der Verursacher von Problemen wurde.

    Die domina war so gut zu ihm, und als sie ihn bedauernd ansah und ihm riet, seinen Wunsch aufzusparen, nickte er ziemlich überwältigt.


    Dann trank Tiberios erst einmal aus seinem Becher.
    Sich zu setzen und einen Schluck zu trinken, half ihm, sich zu sammeln.:


    Ich danke dir, domina für all deine Güte.“, sagte er:
    „Ich werde deinem Rat folgen. Somit werde ich mir diesen Mittag freinehmen und bald aufbrechen. Wenn du es wünschst, erstatte ich dir Bericht über das, was ich erfahren habe.“


    Der furische Sklave sah sich nochmals prüfend um:
    "Hier in der Bibliothek ist alles in guter Ordnung, ich war für heute auch fast mt der Arbeit durch, die ich mir vorgenommen hatte.", fügte er hinzu.


    Die domina Furia Stella sollte keinesfalls annehmen, er würde wegen privater Angelegenheiten seine Pflichten vernachlässigen, so etwas würde er nie tun.

    Es hört sich beruhigend an, dass Terpander bei dem, was wir vorhaben, auf mich aufpassen wird, dachte Tiberios. Außer ruhelosen Toten und Wesen aus der Unterwelt gab es außerhalb der Stadttore natürlich auch Gesindel aus Fleisch und Blut, Räuber und Wegelagerer.


    Die Ausführungen über die homoioi fand er sehr interessant. Es zeigte ihm wieder einmal, wie umfassend der hellenische Geist war.. Das Leben in Sparta und das Leben in Alexandria konnten unterschiedlicher nicht sein, doch verstanden sich ihre Einwohner alle als Griechen, sprachen die gleiche Sprache und beteten zu den selben Göttern.


    Der nächste Satz war dann wieder eine Beleidigung, und außerdem ruinierte Terpander Tiberios seine Frisur,
    Zwischen den Happen Weisheit, die ihm der Ältere ab und zu zukommen ließ, musste er sich wohl oder übel kränken lassen. Ein Glück, dass Tiberios ohnehin nach der apatheia , der unerschütterlichen Gemütsruhe der philosophischen Schulen, strebte.


    „Zumindest wäre ich auch mit abgehackten Füßen ein nützlicher Sklave, nur bei abgehackten Händen würde es eng.“, sagte der junge Alexandriner:" Ach - wie sähe das denn in deinem Fall aus, Terpander servus?“
    „Servus“ betonte Tiberios und lächelte jetzt.


    Dann hob er die Hand zum Abschied, als Scatos früherer Lehrer davonschritt.


    Tiberios strich sich die Locken mit den Fingern zurecht und bändigte sie mit seinem Stirnband.
    Aber er ging noch nicht gleich Richtung Casa Furia. Tatsächlich sah er sich noch ein wenig die Brandstelle an.
    Er versuchte zu erkennen, wo das Feuer ausgebrochen und welchen Verlauf es genommen hatte, aber es gelang ihm nicht.
    Der Brand war so heftig gewesen, dass zumindest für sein ungeübtes Auge alle Spuren verwischt waren.
    Mit der Fußspitze scharrte er im Schutt. Dann war seine Neugier befriedigt, außerdem war es wirklich schon spät .
    Tiberios nahm seinen Bündel mit den Buchenholztafeln unter den Arm und machte sich auf den Heimweg.

    Jedes Wort der domina Furia Stella traf Tiberios ins Mark.
    Es war in seinen Augen doch ein großes Glück für Eireann, dass dominus Cerretanus sie gekauft hatte. Sie wäre in ein gutes, kultiviertes Heim gekommen, in dem die Herrschaft weder grausam noch ungerecht war. Außerdem wußte Eireann, dass Tiberios, der furischen familia angehörte, war ihr das denn völlig gleichgültig?


    Und was bedeutete es, dass Eireann unbedingt mit in die Castra wollte? Jeder wußte, dass der Aufenthalt dort nur Soldaten erlaubt war. Hatte sie sich dominus Cerretanus etwa an den Hals geworfen? Aber dazu passte wiederum nicht ihre Flucht – wenn Eireann sich in ihren neuen Herren verliebt hätte, würde sie nicht alles tun, um ihm zu gefallen?


    Das Geschehene schien Tiberios sehr verworren und bar jeder Logik.


    Und er schämte sich Furia Stella gegenüber zutiefst für das Verhalten seiner Freundin.
    Trotz allem brachte er es aber nicht übers Herz, Eireann zu verurteilen, bevor er sie gesehen und gesprochen hatte.


    „Domina, es tut mir alles sehr leid.“. sagte Tiberios mit gesenktem Kopf und sehr ernst:
    „Dennoch möchte ich dich bitten, den Wunsch, den ich frei habe, mir jetzt zu erfüllen: Erlaube mir selbst zur Castra zu gehen und die Sklavin Eireann im Carcer zu besuchen, um ihr einige persönlichen Sachen.vorbeizubringen. Ich bin mir sicher, Eireann wird sich mir anvertrauen. Ich bitte dich, domina, um diese Gnade.“

    Tiberios schmerzte der Griff an der Schulter, doch gab er keinen Laut von sich. Erst als Terpander ihn losließ, zuckte er zusammen:
    „Ich würde nicht mit dir kämpfen wollen, Terpander.“, sagte er, und nun spottete er über sich selbst:
    „Du weißt, dass ich kaum die Kraft habe, einen Griffel zu halten. Und wenn mein calamos aus Bronze ist, dann komme ich schon schwer an meine Grenzen.
    Im übrigen werden Kriege wirklich nicht mit Worten gewonnen, doch sind es Worte, die entscheiden, ob man sich an den Krieg überhaupt noch erinnert. Selbst ein Achilles wäre ohne einen Homer schon längst in Vergessenheit geraten und was wüßten wir noch von Troja?“


    Dann schüttelte Tiberios den Kopf:
    „ Der Rat zu Gorgonus, das war kein Gedicht, nein. Erst hat mich dein dominus genau befragt, um abzuschätzen, ob Gorgonus seine Drohungen wahrmachen würde. Aus meinen Schilderungen hat er dann geschlossen, dass Gorgonus zwar erbost darüber ist, dass ich in meinem Alter nun sein Vorgesetzter bin, dass er aber seinen Mitsklaven gegenüber nicht zur Gewalt neigt. Dein dominus hat mir geraten, eben nicht den Vorgesetzten herauszukehren, sondern eher Gemeinsamkeiten mit den anderen Sklaven zu suchen. Das habe ich getan, wir trinken nun öfter zusammen einen Schluck, waren ab und zu zusammen im Lupanar und unterhalten uns über dieses und jenes. Gorgonus und ich sind immer noch keine Freunde, aber er macht jetzt einigermaßen, was ich ihm sage, er empfindet mich nicht mehr als Bedrohung für seine Stellung. Dein dominus hat meine Position als vilicus gerettet, er ist wirklich sehr klug.“*


    Tiberios sah etwas traurig drein, denn er erinnerte sich sehr gut an das Gespräch und sein abruptes Ende.


    Aber als Terpander sagte, Scato habe die Schriftrollen für verflucht gehalten, erschrak er. Der Fluch eines Sklaven gegenüber eines römischen Bürgers wurde unter Umständen wie ein Mordversuch behandelt, zumindest wenn dem römischen Bürger etwas zustieß.
    Fortuna sei Dank hatte Terpander irgendwie nachprüfen können, dass es keine Verfluchung gegeben hatte.


    Das Thema Fluch brachte Tiberios zurück zum Thema des magischen Rituals, das Terpander ausführen wollte:
    „In sechs Tagen um Mitternacht , Via Appia, durch die Porta Capena. Ich werde pünktlich dort sein, wenn ich bis dahin nicht tot oder verkauft bin .“, sagte er.


    Tiberios wurde blass, denn seine Befürchtungen hatten sich bewahrheitet: Eireann, der keltische Feuerkopf, war im Kerker der Urbaniciani. Aber was genau ist geschehen?, dachte er.


    Tiberios wußte weder, dass der dominus Appius Furius Cerretanus Eireann gekauft, noch dass sie aus der Casa Furia weggelaufen und später in den Brand des Lupanars Ganymed verwickelt worden war.


    Da die domina Furia Stella ihn abwartend anschaute, schloss der junge Grieche daraus, dass sie ihm erlaubte, frei zu sprechen:


    Die Sklavin Eireann ist eine sehr gute Freundin, domina.“, sagte er:
    „Ich kenne sie schon seit dem Tag, als mich mein dominus gekauft hat.* Eireann hat ein hitziges Temperament und gibt gerne Widerworte. Sie macht vieles, ohne vorher zu überlegen. Aber sie ist liebevoll, arbeitet fleißig und hat ein gutes Herz. Niemals würde sie ein Verbrechen begehen!“




    " Salve, domina, zu Diensten", Tiberios hatte in gebückter Haltung aufgeräumt und richtete sich nun auf.
    Er war aufmerksam, aber schaute Furia Stella wie üblich nicht in die Augen. Er hoffte, dass alles zu ihrer Zufriedenheit war.

    Obwohl Tiberios wie fast jeder Grieche Nekropolen bei Nacht fürchtete, hatte er doch der jungen Sulamith versprochen, sich die Predigen der Neuen Lehre anzuhören und sich den Treffpunkt gemerkt. Wenn er etwas versprach, hielt er es, auch wenn es bedeutete, dass er sich abends heimlich aus dem Haus schleichen musste.
    Der junge Alexandriner war immer bereit, Neues zu lernen und Philosophie und Kulte interessierten ihn generell.
    Heute aber ging sein Interesse über reine Wissbegier hinaus. Sulamith, die sanfte, freundliche Hebräerin hatte im Namen ihrer Religion Kummer und Leid durchlitten. Weshalb hatte sie sich aufgeopfert? Was war es, das sie in jedem Geschöpf, auch dem niedrigsten Sklavenmädchen, einen Mitmenschen sehen ließ? Hier lag ein Geheimnis, und Tiberios wollte es ergründen.
    Der furische Sklave schritt, mit einer Decke gegen die nächtliche Kühle geschützt, die er wie einen Umhang trug und halb über den Kopf gezogen hatte und einer brennenden Fackel in der Hand die Via Triumphalis in Richtung Tiber hinauf.
    Er war fast erleichtert, dass sich noch mehr Menschen auf den gleichen Weg gemacht hatten und in die gleiche Richtung gingen.
    Tiberios schaute, ob er irgendwo Sulamith sehen würde, doch es war schwierig außerhalb des Lichtkreises der Flamme etwas oder jemanden zu erkennen, als er inmitten der Menschen, die gekommen waren, stehenblieb.


    Sim-Off:

    Diese Ereignisse geschahen sim on für Tiberios nach ANTE DIEM XVIII KAL FEB DCCCLXX A.U.C , Tiberios ist Scriba des Gnaeus Furius Philus, aber noch kein vilicus in Portus Ostiensis

    Was auch Terpander über Tiberios dachte, dessen Ausbildung zum Scriba war durchaus hart gewesen, wenn auch auf andere Weise als die Erziehung eines spartiatischen freien Jungen. Es ging ja bei allem, was Tiberios lernte, darum, seine Fähigkeiten zum Gebrauch für andere und nicht seine Persönlichkeit zu schulen..
    Wie brachte man aber einen lebhaften und neugierigen Zwölfjährigen, der gerne Ball spielte und dank seiner Flinkheit auch oft der „König“ war und über alles und jeden Witze riss, dazu, sich plötzlich vollkommen zurückzunehmen und stundenlang hinter einer Kline auszuharren, bis eine Handbewegung seines kyrios ihm bedeutete, dass seine Dienste gebraucht wurden?
    Sein ehemaliger Kyrios Athenodoros hatte verboten, dass Tiberios geschlagen wurde, und so bestraften ihn seine Lehrer mit Kürzung seiner Rationen. Das bedeutete, dass der junge Sklave von seinem zwölften bis zu seinem sechzehnten Lebensjahr oft nicht satt geworden war, und sich noch heute über eine Gratismahlzeit sehr freuen konnte. ( Und dann auch leichtsinnig wurde wie damals, als er Terpander in das verlassene Haus gefolgt war).
    Was sich Tiberios in dieser Zeit angeeignet hatte, war, Menschen genau zu beobachten und aus dem, was er wahrnahm, sofort und schnell Schlüsse zu ziehen, wie er dem jungen rhodischen Sklaven Hephitios erklärt hatte.
    Erst Philippos hatte Tiberios beigebracht, den Platz, auf den ihn die Götter gestellt hatten, wirklich aus vollem Herzen zu akzeptieren, und sich anstatt äußeren Zwang zum Dienst die innere Haltung, sein Bestes geben zu wollen, anzueignen, und seitdem war es seltener nötig gewesen, den jungen Sklaven zu maßregeln.


    „Ich bedaure es überaus , dir diese Freude nicht machen zu können, aber nein, Gorgonus hat mich nicht verprügelt.“, sagte Tiberios :
    „Aber du hast natürlich recht, was nicht ist, kann ja noch werden.
    Im übrigen möchte ich wissen, ob du nun genug davon hast , mich zu verspotten oder ob dein Spott das Angebot verbirgt, mich irgendwie zu trainieren?“


    Wer Tiberios gut kannte, wußte, dass er diesen sehr höflichen Ton anschlug, wenn er zornig wurde:
    „Bisher habe ich mich auch nie prügeln müssen. Wenn ich wirklich jemanden erledigen möchte, sehe ich näher hin, da kommen oft die erstaunlichsten Dinge zum Vorschein. Aber wenn ich jemanden mag, mache ich das selbstverständlich nicht – das Genauerhinschauen, meine ich.“


    Nun machte Tiberios eine Pause und lächelte freundlich:
    „Du bist der alte Lehrer des dominus Scato ,und ich mag dich“, versicherte er, ohne das kleine Wörtchen „noch“ anzufügen:
    „Weißt du übrigens, dass dein dominus mir geraten hat, wie ich Gorgonus behandeln soll? Der dominus Sisenna Iunius Scato ist stark und klug, aber das ist es nicht alleine. Er hatte die Güte, sich der Probleme eines in römischen Augen zweifellos bedeutungslosen Sklaven anzunehmen, der nicht einmal ihm gehört.“


    Nun verschwand der schneidende Ton aus Tiberios‘Stimme, und er sah den Älteren bittend an:
    „ Hast du ihm übrigens das Geschenk von mir gegeben? Es würde mich glücklich machen, wenn dein dominus wenigstens ab und zu noch freundlich an mich denken könnte.“

    Tiberios hörte genau hin.
    Obwohl er selbst Terpander vorgeworfen hatte, irgendwelchen sexuellen Spielchen zu frönen, hatte er sofort bemerkt, dass Scatos Sklave mit der kalten Präzision eines Chirurgen vorgegangen war, als er die winzige Amphore mit Tiberos‘ Blut füllte. Da hatte jeder Handgriff gesessen.
    Auf diese Weise würde Terpander wohl auch foltern oder einen Mord begehen, wenn er es aus irgendwelchen Gründen für notwendig halten würde, dachte Tiberios:
    Scatos Mutter musste eine unerschrockene Frau sein, wenn sie es fertig brachte, sich in seine Arme zu schmiegen. Weiß denn der dominus Scato, was er da im Haus hat?


    Und nun sagte eben jener Terpander, dass die Erynien ihn verfolgten, und Tiberios wunderte das überhaupt nicht.
    „Die Rachegöttinnen jagen einen Mann nicht wegen Kleinigkeiten“, sagte er genauso ernst. Aber er fragte nicht nach, obwohl er vor Neugier fast platzte. Zu gegebener Zeit würde er bestimmt mehr herausbekommen.


    Auf Terpanders Bemerkung über Männlichkeit und der entsprechenden Geisteshaltung nickte er zustimmend:
    „Manchmal ist es schlecht, jünger zu wirken als man ist, weil mich keiner für voll nimmt, manchmal gut, weil ich unterschätzt werde.“, sagte er.
    Ob Narben wirklich eine Zier waren? Weder Frauen noch Männer hatten sich bisher bei ihm über ihr Fehlen beschwert.


    Als Terpander seinen Oberarm packte, fühlte sich Tiberios ein wenig wie auf dem Sklavenmarkt, als er von seinem Herren manzipiert worden war– nur diesmal mit einem Käufer, der seine Unzulänglichkeiten bemängelte. Er konnte nicht verhindern, dass er rot wurde, als Terpander „Herrje“ sagte.


    Blieb die wichtigste Frage des Tages, die ihm Terpander stellte:
    „ Ich muss des Nachts eine Fluchtafel vor dem Leichnam eines Gekreuzigten vergraben. Bist du dabei?"
    Ein Leichnam eines Gekreuzigten – das war ein unheiliger Toter, der keine Bestattungsriten bekommen hatte und keine Münze für Charon, und der dazu verdammt war, auf der Erde umherzuirren. Das jagte Tiberios Angst ein.. Ein wenig vertraute er darauf, dass Terpander in der Lage war, ihm nekydaimones vom Hals zu halten. Oder würde er sie durch die böse Tat in der Vergangenheit gerade recht anlocken?


    Tiberios hatte jedoch gebeten, mitkommen zu dürfen und wollte keineswegs einen Rückzieher machen.
    „Ich bin dabei.“, sagte er daher eifrig und richtete seine grauen Augen auf Terpander:
    „ Du wirst es nicht bereuen, mich mitzunehmen, ich werde in allem deinen Anweisungen gehorchen. Und auch wenn ich nicht so aussehe, ich kann durchaus Lasten tragen. Und mich still verhalten, wenn es sein muss. Wo und wann treffen wir uns?“

    Tiberios nahm den Brief vom Posteingang an sich, da er doch offensichtlich an ihn gerichtet war, setzte sich in der Sklavenunterkunft auf sein Bett und las ihn.
    Oh, er war von seinem neuen Bekannten, seinem Landsmann, dem ansehnlichen und höflichen Custos
    Hephitios von der Insel Rhodos * :
    Tiberios las:



    Ad
    Tiberius Servus
    Casa Furia
    Roma


    Salve Tiberios!


    Triff mich in der hora octa de meridie* in drei Tagen an denselben Brunnen wie das letzte Mal. Falls du nicht kannst schicke mir bitte eine Benachrichtigung.


    Hephitios


    Das Schreiben weckte sofort die Abenteuerlust des jungen Alexandriners. Ob Hephitios noch mehr über den Verbleib den toten Rabastos herausgefunden hatte ? Nun, man würde sehen.


    Tiberios überlegte, was man für einen solchen Ausflug brauchen konnte. Etwas zu trinken auf jeden Fall,
    ein paar Öllichter, obwohl die achte Stunde noch frühe am Nachmittag war, aber man wußte ja nie - und ein Seil. Er hatte zwar nicht vor, zu klettern, doch in allen Geschichten, die er gehört hatte, wurde immer betont, wie wichtig ein Seil war.
    Etwas, das als Waffe dienen konnte, besaß und mochte er auch nicht.


    Bestimmt würde er sich aus der Casa Furia loseisen können. Oder noch besser, er würde dafür sorgen, dass man dachte, er wäre nach Portus ins Handelshaus Furii gefahren, ohne direkt zu lügen.Dann würde man ihn den ganzen Tag und auch bis in die Nacht hinein nicht vermissen.


    Cassander, der dienstälteste Sklave des Handelshauses, kam im übrigen gut zu Recht, wenn er, Tiberios, den Schriftkram erledigte. Cassander hätte, wenn er lesen und schreiben könnte, nach Tiberios 'Meinung überhaupt schon auf einen anderen Platz mit mehr Verantwortung gehört.* *


    Also in drei Tagen, Hephitios, dachte der furische Sklave in Vorausfreude.



    Kaum ließ Terpander ihn los und klopfte ihm auf die Schultern, fasste sich Tiberios in den Nacken :
    „Der Schnitt hat weh getan und wird bestimmt eine Narbe geben. Und ich hoffe sehr, es ist nichts auf meine neue Tunika gekommen. Weißt du, wie schwer Blut aus weißer Kleidung rausgeht ?“, bemerkte er und dann äußerst misstrauisch:
    „Was hast du benutzt, um mir die Wunde zuzufügen? War es hoffentlich sauber?“

    Er traute Terpander gar nicht mehr. Der Mann hatte doch eindeutig Aussetzer in seinem Verstand. Am Besten würde er ihm zukünftig aus dem Weg gehen….


    Dann sprach der ältere Sklave:
    "Nun kann ich es dir ja sagen. Ich benötige das gewaltsam geraubte Blut eines Jünglings für einen Zauber." und zeigte die kleine gefüllte Amphore.


    „Wenn der Zauber darum ging, einem Jüngling Furcht einzujagen, ist er gelungen“, sagte Tiberios kopfschüttelnd, aber die folgenden Worte über eine Entschädigung oder einen Preis ließen ihn alle Vorsätze bezüglich Terpander wieder vergessen:


    „Wenn dem so ist: Ich möchte wissen, was du mit meinem Blut anstellen willst ! Ich war noch nie bei einem magischen Ritual dabei und würde so etwas zu gerne einmal sehen!“


    Der Schmerz war vergessen, und seine Augen funkelten.

    Terpander machte sich in Tiberios‘ Nacken zu schaffen, und der junge Sklave fühlte einen kurzen Schmerz, der ihn zusammenzucken ließ.
    Dann sickerte etwas Heißes seinen Nacken hinab.
    War das Blut ? Was tat Terpander da genau? Hatte er etwa ein Messer oder einen Dolch bei sich? Und war der ältere iunische Sklave noch bei Verstand ? Seine Worte zumindest klangen dunkel und unheilvoll.


    Tiberios, der weder sein noch das Blut von jemandem anderen sehen konnte, wurde blass,
    doch die nächste Frage Terpanders verhinderte zumindest, dass ihm schlecht wurde:


    „Lass mich los, wenn du keinen Ärger mit den Furiern bekommen möchtest! Ich habe Besorgungen für die Bibliothek der Casa Furia gemacht und durch die Subura führt eine Abkürzung nach Hause, deshalb halte ich mich in einer zwielichtigen Gegend auf. Ich habe mich auch nicht aufgehalten, ich habe die Gegend nur durchquert. In meinem Bündel sind übrigens Platten aus Buchenholz, also geh achtsam damit um, so etwas zerbricht sehr leicht. Ob ich ins Lupanar wollte?
    Nein, ich war nur neugierig, die Brandstätte zu sehen. Vermutlich war das Lupanar Ganymed dein eigenes Ziel, Terpander, und nun hälst du dich mit höchstmerkwürdigen Spielen an mir schadlos. Weiß dein dominus von deinen Vorlieben ? Ich werde dafür sorgen, dass meine domina sich bei ihm beschwert! Dann wird er Schadensersatz leisten müssen. Hoffentlich bestraft er dich! Und was soll das werden, wenn es fertig ist?“

    Wie immer, wenn er Angst hatte, redete Tiberios ziemlich viel.


    Und er hätte sich gerne in den Nacken gefasst, wo er den Wundschmerz spürte, aber das ging nicht, weil Terpander den jungen Alexandriner immer noch festhielt,

    Tiberios erschrak zu Tode, als ihn plötzlich jemand überfiel und an die Hauswand presste. Er spürte einen harten Griff in seinem Haar und der raue Putz bohrte sich in seine Wange.


    Wäre er doch nicht so neugierig gewesen und hätte die Brandstelle sehen wollen. Und hätte er sich nicht darauf verlassen, dass bei Tageslicht ihm niemand etwas Böses tun würde, wenn er die Abkürzung durch die Subura nahm.
    Und noch weniger darauf, dass wenn man höflich und freundlich war, auch die Umwelt freundlich und höflich reagierte; mit dieser Einstellung war der junge Alexandriner zwar sehr oft gut gefahren, aber heute schien diese Rechnung nicht aufzugehen.


    Dass ihm jemand aus der Subura zu Hilfe kommen würde, war unwahrscheinlich. Die Bewohner des Viertels sahen bei Verbrechen jeder Art weg und kümmerten sich lieber um ihre eigenen Angelegenheiten.


    Aber das Schlimmste für Tiberios war, dass man ihm wahrscheinlich die Buchenholzplatten für den Codex abnehmen würde, obwohl sie außer für seine eigene Arbeit für niemanden sonst einen Wert besaßen.
    Sie waren außerdem schon bezahlt – was würde die domina sagen?


    Tiberios gab sich gerade dieser Schmach hin, da fühlte er etwas Scharfes an seinem Hals. Nun wagte er kaum mehr zu atmen .
    Vielleicht verliert die domina Furia Stella heute nicht nur den Codex für ihre Bibliothek sondern auch ihren Bibliothekar, fuhr es ihm durch den Kopf.


    Da er sich nicht rühren konnte, hatte Tiberios den Angreifer aus dem Hinterhalt nicht sehen können, doch nun drang eine bekannte Stimme an sein Ohr:
    „Nichts gelernt?“


    Das war Terpander.


    Tiberios fühlte Erleichterung und gleichzeitig stieg Wut in ihm auf:
    Musste Scatos ehemaliger Hauslehrer ihn jedesmal in Todesangst versetzen, wenn sie aufeinander trafen?


    „Du bist nicht Terpander!“, stieß er erbost hervor :
    „Du bist ein nekydaimon, den nicht einmal Charon über den Styx rudern wollte und der zurück gekommen ist, die Lebenden zu quälen ! Ich wäre dir verbunden, wenn du mich auf der Stelle loslässt !“

    Tiberios ging vor Sulamith in die Hocke, versuchte ihren Blick zu fassen.


    Er wechselte von Latein ins Griechische, als könne er die junge Hebräerin damit besser erreichen , aber seine Absicht war auch, dass nicht jeder von dem Treffpunkt der cristiani hörte.
    Dass die domina Iulia Graecina vermutlich jedes Wort verstand, konnte er nicht vermeiden.


    Er sagte:
    " Chaire Sulamith , ich werde in zwei Nächten zur Nekropole nahe der Ruinen des alten Circus Gai et Neronis kommen, wie du es mir gesagt hast . * Das verspreche ich dir bei allen Göttern , auch bei
    Ha- Schem, wie ihr ihn nennt, nicht wahr. * * Ich bitte dich darum und wäre dankbar, dass auch du anwesend bist, denn bestimmt werde ich nicht alles verstehen und Fragen an dich haben."


    Der junge Alexandriner sprach respektvoll, aber nicht wie ein Sklave zu einer domina, sondern wie ein Schüler der Philosophie zu einer Lehrerin sprechen mochte.


    Der griechische Philosoph Platon hatte gesagt, dass jedes Lebewesen nur das Abbild einer perfekten Idee war, und Tiberios war von diesem Gedanken überzeugt:
    Sulamith war mehr als das, was in dieser Nacht geschehen war, auch mehr als dieser unsägliche Verbrecher Titus.
    Ein Teil des innersten Wesens von Sulamith war frei, perfekt und ohne Makel.


    Der Philosoph hatte aber auch gesagt, dass man diesen Teil des Wesens nur über die Vernunft erreichen konnte, und das war es, was Tiberios gerade versuchte.


    Dabei wußte er nicht einmal, ob Sulamith ihn verstehen oder auch nur hören konnte.



    Als der furische Sklave sein Versprechen gegeben hatte, den Versammlungsort aufzusuchen, erhob er sich und trat einige Schritte zurück.