Beiträge von Valeria Maximilla

    „Polydermos aus Delos? Nie gehört.“, überlegte Maximilla: „Aber ich habe sehr viel wohl noch nicht gehört. Mein Cousin, bei dem ich wohne, der kennt ihn bestimmt, er war in Athen und überhaupt in Griechenland und ist der klügste Mensch Roms. Sollte ich aber einmal einen Philosophen kennen, von dem er nichts weiß, wäre es mir auch recht, denn er hält mich immer noch für ein unbedarftes Kind. Ich jedoch bin schon vierzehn. Platon hatte bestimmt eine Menge Schüler, und da muss es auch die gegeben haben, die sich im Hintergrund hielten….“
    Sie strahlte nun:
    „Du hast deinem Dominus nicht verraten, dass du ein Philosoph bist? Nur ein wahrer Philosoph würde das tun! Ich habe gelesen, dass auch der weise Sokrates nicht Philosoph genannt werden wollte.“
    Nach Maximillas Gefühl hatte sie hier ein wahres Goldstück aufgestöbert. Wenn sie es zu einem vernünftigen Preis kaufen könnte, würden sie zu Hause stolz auf sie sein.:
    „Da ich dich entdeckt habe, werde ich Abendeinladungen geben und andere Damen einladen, und wir werden deiner Weisheit lauschen. Vielleicht werde ich sogar deine Werke herausgeben", beschloss sie. Meister Awidanos würde ihr endlich zu den intellektuellen Weihen verhelfen, die ihr als Provinzmädchen verschlossen geblieben waren:
    „Wo wohnt dein Dominus, Awidanos? Ich könnte dich mit meiner Sänfte nach Hause bringen.“, schlug Maximilla vor.

    „Awidan?“, fragte Maximilla etwas enttäuscht: „Das klingt aber nicht sehr griechisch.“ Das merkte sogar sie:
    „Oder etwa Awidan- os? Woher stammst du? Aus Athen?“ fragte sie hoffnungsvoll, denn da kamen die gebildesten Gelehrten her.
    Die Valeria gehörte zu den Leuten, die auch nur das hörten, was sie hörten wollten, zumindest ab und an.
    Als Awidan das Wort Kyniker sehr gedehnt aussprach, verstand sie das nicht etwa auf die Weise, dass der Bursche keine Ahnung hatte, von was sie redete, sondern dass er Kyniker verabscheute und sich verbat, mit Bettelphilosophen in eine Ton.. äh einen Topf geworfen zu werden.


    "Oh, ich wollte dich nicht beleidigen, in dem ich dich für einen Kyniker hielt, Meister Awidanos!“, rief Valeria Maximilla aus: „Diese Art Philosophen haben unter anderen Philosophen einen furchtbar schlechten Ruf, weil sie sich nie baden, aber du riechst ganz gut, da kannst du ganz beruhigt sein! Du bist gewiss ein Stoiker? Oder Platoniker, da du ja sagtest, du kennst dich bei Seelenwanderung aus.“


    Remigius hatte sich inzwischen seinen eigenen Apfel angeeignet und streckte Awidan großzügig den ganzen restlichen Beutel hin – war ja auch für ihn gewesen.


    Maximilla schaute indessen ihre neue Bekanntschaft so liebevoll an, als hätte sie auf dem Mercatus gerade das neuste Parfüm im Sonderangebot entdeckt:
    „Da du ein Sklave bist, meinst du, du bist zu verkaufen?“, fragte sie: „Wie heißt dein Dominus und wo finde ich ihn?“

    „Das ihr Iulier eure Sklaven korrekt behandelt, weiß ich.“, sagte Maximilla. Sie dachte daran, wie freundlich Caesoninus damals ihr Gefolge bewirtet hatte:
    „Ich erinnere mich lebhaft daran wie Iulius Caesoninus dafür sorgte, dass meine Sklaven zu trinken und zu essen hatte. Was für ein feiner, großherziger Mann.“
    Wieder wurde Maximilla traurig. Schnell sagte sie:
    „Wenn er über dich wacht, freut er sich bestimmt über deine Vermählung. Meinst du, es freute ihn auch, wenn einer deiner Söhne Caesoninus mit Cognomen hieße? Ich glaube, ich werde eine Tochter Phoebe nennen . Dann vergesse ich sie niemals.“
    Maximilla war sprunghaft, aber sie meinte es gewiss gut. Sie spielte mit dem Wickeldorn.
    Dann hatte sie einen neuen Einfall:
    „Wenn du jetzt nach Hause kommst, ist vielleicht Post von deinem Florus da. Oder Florus selbst. Es muss doch einen Grund haben, warum die Götter gerade jetzt ein Vorzeichen senden. Das hätten sie doch schon die ganze Zeit tun können, schließlich ist ihnen nichts unmöglich. In Rom gibt es schließlich auch Raben. Und Krähen. Wobei ich den Unterschied nicht sehe, obwohl ich weiß, dass es einen gibt.“

    Aufmerksam schaute sie Stella ins Gesicht:
    "Du siehst etwas verwirrt aus. Möchtest du etwas Stärkendes? Heißen Mulsum?"

    „Tiberius ist der Name meines Cousins, bei dem ich wohne.“, sagte Maximilla kleinlaut: „Wir sind alle Valerier. Wir sind auch keine Patrizier, wir sind….“
    Sie zog den richtigen Schluss:
    „Ooooh bist du denn eine Tiberia? Eine Patrizierin? Und eine Aurinia wie wir sie in Germanien haben. Und weißt nicht wohin? Das klingt alles so verdreht. Aber ich mag das.“
    Mittlerweile hatte die Sklavin der Valeria auch Stella geholfen. Maximilla nahm die Badehandtücher und legte sie ganz in Gedanken zusammen, bevor sie sie zurück legte. Daran merkte man, dass sie nicht wirklich in vornehmen Kreisen aufgewachsen war:
    „Aber warum weißt du nicht wohin? Das….“ Sie unterbrach sich. Stella sah erschöpft aus, und es gehörte sich nicht, einen Gast mit Fragen zu löchern. Erst wurde er gelabt und durfte ruhen. Am nächsten Morgen dann konnte man ihn mit Fragen löchern.
    Maximilla nahm Stella am Arm:
    „Vor dem Eingang steht unsere Sänfte!“ Draußen vor der Porta pfiff sie schrill auf zwei Fingern. Es dauerte nicht lange bis die Reisetrage mit dem Zeichen der Quadriga auf den Vorhängen auftauchte.
    Der jugendliche Sklave Remigius, der eigentlich immer in Valeria Maximillas Nähe war, stellte einen Podest auf den Boden, damit die Damen bequem einsteigen und sich zurechtlegen konnten.
    „Nach Hause!“, befahl Maximilla: „Remigius, eil voraus und sag dem Maiordomus, dass er ein Cubiculum richten soll! Und eine leichte Cena in meinem eigenen Zimmer. Wir haben einen Gast, der länger bleibt!“
    Der jugendliche Sklave nickte: " Ich renne, Domina!" und spurtete los. Leicht schaukelnd setzte sich kurz darauf die Sänfte Richtung Casa Valeria in Bewegung. Die Vorhänge waren dicht zugezogen, so dass niemand die Insassen erkennen konnte.


    Casa Valeria

    „Ich bin auch so froh, dass du gekommen bist!“, sagte Maximilla aus tiefstem Herzen. Als Stella ihre Hände nahm, freute sie sich noch mehr:
    „Vielleicht ist dies ja der Sinn hinter allem: Nicht für sich zu leben, sondern für andere. Ihnen eine Freude zu machen, Gutes zu tun und so recht ein Segen für die Gens und die Freundinnen zu werden.
    Oder wie Cicero sagt: Non nobis solum nati sumus, wir sind nicht nur für uns allein geboren.“
    , meinte sie.


    Gerade kam der jugendliche Sklave Remigius zurück. Er hatte Graius in seinen Käfig gesperrt . Er rieb sich die frischgewaschenen Hände an seiner Tunika trocken.
    Wie freundlich der Junge immer war, und sie hatte ihn vorhin vor Iulia Stella „faul“ genannt.


    Iulia Stella, die nichts von Maximillas sprunghaften Gedankengängen ahnte, wurde nun mit einer völlig anderen Frage konfrontiert:
    „Man sollte doch auch zu seiner Familia gut sein, oder? Was meinst du, Stella, kann man Sklaven auch kränken so wie unsereins? Du hast mehr Erfahrung als Domina als ich, daher dachte ich, ich erkundige mich bei dir danach."

    Valeria Maximilla presste einen Moment lang beide Hände auf den Mund. Das langgezogene Aaaaaaa des Mannes? Wölfchen hatte ihn nicht verletzt, das wusste sie, aber war er vielleicht unter seiner Tunika schon verletzt gewesen? Von allen Leuten, die hier herumliefen, hatte sich der Hund mit schlafwandlerischer Sicherheit denjenigen herausgesucht, der schon halbtot war.
    So etwas passierte ihr ständig.
    „Was ist mit dir?“, fragte sie: „Brauchst du einen Medicus?“
    Aber dann hob der junge Mann die Schriftrolle, die im Dreck lag, auf und machte einen geistreichen Witz.
    Das brachte Maximilla auf genau zwei Schlussfolgerungen:. Awidan war Grieche. Awidan war gebildet.
    „Platon glaubt an die Seelenwanderung.“, bestätigte sie eifrig:
    „Das habe ich gerade noch so verstehen können. Doch du scheinst dich auszukennen. Bist du denn ein griechischer Lehrer oder gar ein Philosoph?“
    Awidan war freilich noch jung, aber das musste nichts heißen.
    „Mein Name ist Valeria Maximilla“, sprach sie : „Und der deine?“
    In diesem Moment kam Remigius. Er hatte ein ganzes Bündel Äpfel gekauft und strahlte die Valeria an:
    „Darf ich auch einen haben, Domina?“, fragte er.
    In diesem Moment war zu merken, dass der junge Diener Domina Maximilla zwar sehr gerne, aber keine Angst vor ihr hatte. Genauso wenig wie der Hund Wölfchen.
    „Ja“, sagte Valeria Maximilla: „Nimm du jetzt wieder den Hund. Dann schaust du nach, ob er einen Medicus braucht. Dann bietest du diesem griechischen Herren einen Apfel an. Und dann iss deinen Apfel. In dieser Reihenfolge.“
    Remigius war verwirrt:
    „Ob Wölfchen einen Medicus braucht, Domina?“, fragte er.
    Valeria Maximilla winkte ab: „ Alles muss ich selbst machen.“, sagte sie seufzend zu Awidan:
    „Ich nehme mal an, du hast weniger Ärger mit deinen Sklaven. Oder hast du gar keine? Bist du einer dieser bedürfnislosen Kyniker und lebst in einer Tonne? Oder bist du gar selbst ein Sklave?"

    Bei Leuten,die nur einfache Tunikas trugen, war das nicht immer ganz ersichtlich.


    Sim-Off:

    jetzt aber

    Valeria Maximilla freute sich sichtlich, dass sie Iulia Stella eine Freude machen konnte.
    „Vielleicht hat er schon geschrieben.“, sagte sie: „Aber die Post ist, wenn man Pech hat , auch nicht schneller als unsereiner. Wenn der Herbstregen schon eingesetzt hat, sind die Wege ganz schlammig,. Dann kommt dein Florus noch vor seinem Brief an.“
    Sie warf Remigius einen strafenden Blick zu, weil er beim Bücken nach dem Wickeldorn nicht schneller als Iulia Stella gewesen war. Dann setzte sie ihm Graius auf den Arm.:
    „Trag ihn zurück in den Käfig“, befahl sie und sagte zu Stella: „Remi hat eine glückliche Hand mit Tieren. Aber ich befürchte, dass er ein wenig faul ist.“
    Sie lehnte sich zurück und trank einen Schluck:
    Auf jeden Fall haben die Götter etwas Besonderes mit Annaeus Florus vor.“, meinte sie: „Sonst machten sie sich nicht die Mühe, Zeichen zu schicken. Behalte das von heute aber lieber für dich. Nur deinem Verlobten darfst du es erzählen. Das neidische Geschick und so, du weißt schon.“

    Valeria Maximilla schüttelte den Kopf: „ Graius kann zwar reden, aber nicht viel.“, sagte sie. Sie nahm den Vogel auf die Hand und streichelte sein metallisch schimmerndes Gefieder.
    Wie um sie zu bestätigen krächzte der Rabe sein Cave Canem:


    „Aber schau mal, er ist von der linken Seite geflogen gekommen. Immer ist links etwas Schlechtes, aber bei der Deutung des Vogelflugs ist es etwas Gutes. Das ist in Rom nicht anders als in Germanien.“ sagte sie:
    „Und er hat dir einen Wickeldorn mitgebracht. Wie eine Spindel steht das für die Aufgaben einer Matrona. Du wirst deinen lieben Florus bald heiraten! Die Götter sagen es.“
    Maximilla lächelte:
    "Adalheidis kann mit dem Raben und dem Wolf sprechen, ich jedoch habe keine besonderen Fähigkeiten. Aber ich erkenne Signas, Vorzeichen, wenn ich sie sehe. Ich freue mich so für dich!"

    Das dem jungen netten Mann wegen Wölfchens Anspringen sein Apfel aus der Hand gefallen war und der Wolfshund so tat, als sei er ein lieber Bekannter, den er seit Jahren nicht wieder gesehen hatte, das war Valeria Maximilla sehr peinlich.
    Sie lief rot an und kreischte: „Remigius! Tu was!“
    Doch ihr Sklave blieb wo er war und aus seiner Sicht war das intelligent gehandelt.
    Ließ er die Schriftrollen fallen, würden sich kleine Taschendiebe darauf stürzen, um sie wegzutragen, ehe er bis Drei gezählt hatte. Wölfchen dagegen würde niemand wegtragen. Da waren die Leute eher erpicht darauf, ihn wieder abzuschütteln.
    „Geht nicht, Domina.“, brummte er.


    Maximilla verdrehte die Augen:"Du bist solch ein Nichtsnutz von Sklave!“, schimpfte sie, lief selbst los und fasste den Hund am Nackenhaar. Die Valeria war (zu ihrem heimlichen Kummer) nicht sonderlich groß, so dass ihr Wölfchen fast zum Bauchnabel reichte.
    „Wolf!“, japste sie: „Aus! Sitz!“
    Nach wie vor war sie davon überzeugt, dass ihr Riesentier von Hund so sensibel war, dass es für ihn eine Strafe bedeutete Wolf anstatt Wölfchen genannt zu werden.
    Mit aller Kraft zerrte sie den Hund von dem jungen Mann fort: „Wolf, weg da!“
    Wölfchen drückte sein Hinterteil gegen den Boden, während er seine Herrin mit glänzenden Augen und halb geöffnetem Maul anschaute. Er war offensichtlich in Spiellaune.


    „Entschuldige vielmals!“, sagte Maximilla zu Awidan: „Hast du dir weh getan?! Ich hoffe nicht!
    REMIGIUS, geh schon und kauf dem jungen Herren einen frischen Apfel, na los! DAS wirst du hinkriegen!“


    Man sah dem jungen Sklaven an, dass er trotz des Geschimpfe seiner Domina die Ruhe weg hatte. Strafe hatte er offensichtlich nicht zu fürchten.
    Mit einer ungeduldigen Bewegung nahm ihm Maximilla die Schriftrollen ab: „ Alles muss man selber machen! Die nehm ich! Jetzt geh schon!“
    Die Werke waren „Die Geheimnisse des Totenorakels – Das Nekromanteion von Ephira, Die Seelenlehre nach Anchises und auf Griechisch Menon von Platon, weil es darin um Wiedergeburt ging.
    Leider war auch die Valeria mit den Schriftrollen UND der Leine des Wolfshundes überfordert, die Schriftrolle mit dem Text von Platon platschte hinunter und Awidan vor die Füße.

    „Danke“, erwiderte Maximilla und griff tatsächlich zu, wobei sie so in Gedanken war, dass sie nicht wahr nahm, was sie sich in den Mund schob: Ein Stückchen Melone oder eine Traube vielleicht.
    Aufmerksam schaute sie Graecina an. Wie lieb und gut die Iulia plötzlich aussah, als sähe sie etwas Wunderschönes in der Ferne. Und sie berührte sie so sanft an der Schulter.
    Maximilla beschloss sich ihr anzuvertrauen:
    „Seit einiger Zeit ist alles so dunkel in mir, als hätte nichts mehr einen Sinn.“, gestand sie: „Ich bete zu Iuno und sogar zu Frigg, so heißt Iuno in Germanien hat mir meine Ziehmutter erklärt, aber meine Gebete spenden mir keinen Trost. Ich dachte früher immer, ich sei eine tapfere Römerin, aber ich fühle mich nicht mehr tapfer.
    Ob ich Angst vor dem Tod bekommen habe? Vor der Dunkelheit und dem Vergessen?
    Ich lese was ich in die Finger kriegen kann über von Philosophen und Priestern über das Jenseits, aber nachts, wenn keiner da ist, wache ich auf und habe das Gefühl, die Wände und die Decke kommen näher, und ich kann nicht mehr atmen. Dann will ich um Hilfe schreien, aber ich weiß schon, dass keiner kommt und keiner der Götter mich hört.“

    Sie senkte den Kopf:
    „Eine Schande für die Valerier bin ich.“, murmelte sie: „Und anstatt Trost zu spenden, erzähle ich dir von meinen Problemen. Verzeih mir, liebe Graecina! Ich sollte gehen….“
    Sie rieb sich die Augen und verwischte die aufgetragene Farbe.

    Valeria Maximilla hatte ihre Sänfte in einer Seitenstraße parken lassen und war zu Fuß gegangen. Sie hatte in einer Buchhandlung weitere religionsphilosophische Werke eingekauft, da sie seit dem Tod ihrer Bekannten Iulia Phoebe und Iulius Caesoninus von dem Jenseitsthema regelrecht besessen war. Sie las alles, was sie darüber finden konnte.
    Remigius, ihr jugendlicher blonder Sklave hatte unter einem Arm die Schriftrollen, mit der anderen Hand hielt er Wölfchens Strick. Wölfchen war Maxis Hund, der nach Ansicht seiner jungen Domina viel Bewegung brauchte. Wölfchen war ja gutmütig, nur eben sehr groß und nach Remigius Meinung furchtbar schlecht erzogen.
    Aber das konnte er seiner Herrin, die an dem grauen zottligen Wolfshund hing, unmöglich sagen.


    Leider waren die interessantesten Bücher nicht auf Latein geschrieben, und obwohl die Valeria in der letzten Zeit angefangen hatte, sich wirklich um die griechische Sprache zu bemühen, ging es immer noch zu holprig vorwärts.
    Sie hatte gedacht, einen Lehrer zu finden, aber sie fand keinen.
    Die Vorurteile ihres Vaters über Sklaven- Lehrer hatte sie abgelegt, mittlerweile wusste sie, dass ihr Vater mit seinen Ansichten nicht in allem recht gehabt hatte.
    Eine Sittenstrenge a la Cato war in einer modernen Metropole wie Rom einfach fehl am Platze.
    Dennoch: Der Markt für gebildete Hauslehrer schien gerade wie leergefegt. Wobei dazu kam, dass Maximilla nur eine Haustochter unter Potestas war. Sie erhielt ein Taschengeld. Sie konnte nicht für tausend Sesterzen Sklaven einkaufen.
    Wölfchen indes schien den jungen Mann, der einen Apfel aß und dabei Maximilla beobachtete, anziehend zu finden. ( Wölfchens Geschmack war speziell, er hatte damals auch die angemalten Zwillinge anziehend gefunden).
    Er riss an der Leine, und der Sklave Remigius, der mit Schriftrollen und der Kontrolle des Hundes kämpfte, war einen Moment lang unachtsam. Kläffend sprang der Wolfshund mit beiden Vorderpfoten an Awidan hoch. Dabei wedelte er aber mit dem Schwanz und sah aus, als würde er grinsen.

    Valeria Maximilla hakte Stella unter, brachte sie in den Umkleideraum und zeigte ihr die steinernen Bänke vor den Kleidungsaufbewahrungsnischen, auf die man sich setzen konnte. Da der Badebetrieb gerade in vollem Gange war, waren sie nur durch ein paar Dienerinnen belegt, die geduldig auf ihre Herrinnen warten. Sie hielten ein Auge auf die mitgebrachten Sachen. Auch in den Thermen wurde leider geklaut, selbst Tunikas oder Sandalen.
    Während sich Valeria Maximilla von ihrer mitgebrachten Sklavin ankleiden ließ, war sie schwer am Überlegen. Zuhause in der Civitas Aquensis hätte sie gewusst, was zu tun war: Jemand hatte Hunger und man gab ihm zu essen, jemand hatte kein Obdach und man bot ihm Gastfreundschaft an. Aber Rom war nicht die Provinz. Hier war alles anders, und es gab viele schlechte Menschen. Man hatte Maximilla eingeschärft, nicht jedem zu trauen und schon gar nicht mit jedem zu reden, was sie nach provinzieller Art, da dort jeder jeden kannte, immer noch zu oft tat.
    Auch wenn Stella eine Aurinia war und Maximilla in ihrer Lichtheit an die germanischen Mädchen erinnerte, sie würde vorsichtig sein:
    „Meine Sklavin kann auch dir helfen, dich anzuziehen, Stella“,sagte sie: „Und ich lade dich gerne in die Casa Valeria ein zum Übernachten, es gibt so viele leerstehende Cubicula, wenn auch nicht alle wirklich bewohnbar sind, weil es einmal einen Brand gegeben hat, und Tiberius – Tiberius ist mein Cousin, dem die Casa Valeria gehört, noch nicht dazu gekommen ist, alles zu renovieren, aber Platz gibt es genug. Doch bevor ich dir die Porta der Casa Valeria öffne – bitte sag mir, welchen Standes du bist und wie deine Gens heißt.“
    Sie schaute auf das blonde Haar und die edle Gestalt der jungen Frau. Sie ist bestimmt aus guten Haus, dachte Valeria Maximilla und fuhr fort:
    „Oder wenn es dir lieber ist, kann ich dir Geld leihen, damit du dir in der Taberna Apicia ein Zimmer mieten kannst. Du wirst es mir irgendwann, wenn du kannst, zurück geben, nicht wahr?“

    Maximilla war Stella gerade dankbar, die so kluge Worte sprach. Ein wenig heiterte sie der Gedanke sogar auf:
    „Adalheidis gehörte früher meinem Vater, bis er sie freigelassen hat.“, sagte sie:
    "Sie wäre niemals respektlos geworden, aber meistens hörte er auf ihren Rat, weil sie eine glückliche Hand mit der Landwirtschaft hatte. Ich stelle sie mir gerade vor, wie sie Hel in der Eishölle anpflaumt: Was soll ich hier? Lass mich sofort zu Lucius Valerius Maximius, der kommt ohne mich doch überhaupt nicht klar!
    Die Gedanken, die du über die Laren hast, die sind so tröstlich, Stella. Ich fand die ganze Sache so kalt und wenig persönlich, als würden sich die Ahnen nur für Größe und Heldentaten interessieren. Ich fragte mich, was passiert mit denen, die ein ganz kleines Leben führen, so wie ich es gerade tue.
    Du bist so klug und lieb, Iulia Stella, bestimmt wirst du eine hervorragende Matrona und eine gute Mutter.
    Erzähl mir, wann hast du deine Eltern verloren….“


    Plötzlich kamen Tumult und Schreie aus dem Atrium, und Remigius lauschte und wurde etwas blass.
    „Verzeih Domina!“, stieß er hervor und stellte den Weinkrug etwas unsanft auf dem Gartentisch ab: „Das ist Graius, diese Bestia, immer büchst er aus…..“
    Valeria Maximilla zuckte die Schultern:
    „Graius ist der zahme Rabe, den ich aus Germanien mitgebracht habe.“, sagte sie:
    „Er ist intelligent und bekommt die Käfigtür auf.“


    In diesem Moment schwirrte etwas Schwarzes in den Garten und stieß ein heiseres Krächzen aus.
    Remigius versuchte, den Vogel zu fangen, aber da legte ihm die Valeria die Hand auf die Schulter. Sie hielt ihn zurück.


    Graius flog einmal eine Runde über den Hortus, bevor er links von Iulia Stella etwas fallen ließ, es war ein kleiner bronzener Wickeldorn von Maximillas eigenem Spinnzubehör. Es gab einen hellen singenden Ton, als er auf dem Steinboden aufkam.
    Dann landete der Rabe auf dem Tisch, von wo er sich eine Weintraube stibitzte.


    Die Valeria erhob sich. Sie sah aus, als ob sie lauschte, blass und großäugig. Dann sprach sie voller Ehrfurcht:
    „Iulia Stella, die Götter werden deinen Wunsch erfüllen: Annaeus Florus wird bald hier sein.“*


    Sim-Off:

    * Auch bei den Römern galten Raben als Götterboten


    Jetzt lächelte Maximilla:
    „Das ist bei uns Valeriern nicht anders. Ja, es stimmt, Phoebe und Caesoninus werden beide iulische Laren werden und dir immer beistehen. Aber:“
    Sie sah nachdenklich drein:
    „Meine Mutter ist eine Campania. Das bedeutet doch, sie muss auf die Campanier achten und nicht auf mich. Und mit Adalheidis, die mich groß gezogen hat, ist es noch schlimmer, sie ist eine germanische Liberta. Ob sie mit zu den Valeriern darf? Oder geht sie in den germanischen Hades, der auch nicht viel schöner ist als unserer: Eine Eishölle, über die eine Riesin herrscht.
    Entschuldige meine konfusen Gedanken: Doch es beschäftigt mich gerade ungemein, was mit uns nach unserem Tod passiert. Das Leben ist so kurz, und wir sind viel länger tot als lebendig.
    Aber der Gedanke an Phoebe und Caesoninus als Laren ist tröstlich. Caesoninus bekommt bestimmt eine Imago aus Wachs, da er ein Amt hatte, so nach alter Tradition.“


    Aus tiefster Niedergeschlagenheit konnte Maximilla in praktische Erwägungen verfallen.

    Valeria Maximilla bekam Augen groß wie runde Zierbleche:
    „Du hast das mit der toten Frau vorhergewusst.“, flüsterte sie:
    „Du bist eine Aurinia. Aber du bist doch keine Germanin, oder? Wie kann das sein?“
    Ein ziemlicher Lärm begann. Die Thermenverwaltung wollte offensichtlich von dem Todesfall ablenken und schickte einige Flötenmusikerinnen und Akrobatinnen zu den Becken hinein, die sehr geschickt anfingen, sich Bälle und Ringe zuzuwerfen, auf den Händen zu gehen und zu tanzen.


    Maximilla deutete auf ihre Ohren – nun verstand sie kein Wort mehr. Und Schreien wollte sie nicht.
    Sie bot der neuen Bekannten hilfsbereit ihren Arm:
    Eine Badesklavin wartete schon mit großen Tüchern, um den jungen Damen behilflich zu sein.
    „Noch eine schöne Massage, Dominae?“, schrie sie lächelnd.
    Die Valeria nahm ein Badetuch, reichte Tiberia Stella ein anderes und machte eine abwehrende Handbewegung.


    Als sie sich vom Becken entfernten, nahm der Flötenlärm den Göttern sei Dank ab.
    „Meine eigene Sklavin wartet in der Umkleidehalle.“, sagte Maximilla „Wo ist deine Sklavin, Stella ? Ich bin mit der Sänfte gekomen, ich nehme doch an, du auch? Wenn dir nicht gut ist, bringe ich dich gerne dorthin. Oder wenn du keine dabei hast, nehme ich dich bis zu deinem Zuhause mit.
    Ich bin früher auch gerne zu Fuß gegangen, aber alle meinen, dass sich das für eine Dame nicht wirklich gehört.
    Nicht dass du umkippst und dir den Kopf an dem ganzen Marmor hier aufschlägst. Du bist ganz blass.“


    Jetzt winkte sie die Badesklavin doch zu sich:
    „Bring der Domina Wein oder Mulsum!“, befahl sie.
    Die Sklavin verschwand und kam mit einem metallenen Becher wieder, in dem der Gewürzwein war,
    Kniend bot sie ihn Tiberia Stella von einem Tablett an.

    Zitat

    Original von Tiberius Valerius Flaccus


    "Ich fang mal mit 80 Sesterze für den Klunker an" ;):D


    Ja, Maximilla kauft den Stein, und bekommt das Geld von ihrem Cousin wieder. Dieser Plot Twist gefällt mir. :dafuer:

    Dennoch nickte Maximilla, ja, Iulia Stella hatte Recht. Trotz aller medizinischen Fortschritte und griechischer Ärzte für diejenigen, die sich das leisten konnten, waren Geburten für Mutter und Kind immer noch eine furchtbar gefährliche Angelegenheit. Deshalb gab es so viele Göttinnen, die Gebärenden beistanden: Porrima, Prorsa, Carmenta, die Iuno Lucina. Und auch bis sie älter waren, gab es so vieles, was Kinder zustoßen konnte: Fieber und all die Gespenster, die die Kleinen verfolgten.
    Ob es weniger weh tat, eines zu verlieren, wenn man noch viele hatte?
    Maximilla merkte selbst, wie sie wieder in düsteres Fahrtwasser geriet und ärgerte sich über sich selber:
    "Wäre ich guter Hoffnung, würde ich Adalheidis bitten, herzukommen.", sagte sie: "Sie hat mich groß gezogen. Ich denke, sie bekommt so etwas auch ein zweites Mal hin."
    Neugierig schaute sie Iulia Stella an. Die Iulia war schon verlobt. Nächstes Jahr um die Zeit würde sie vielleicht schon ein Kind unter ihrem Herzen tragen.
    Dann fiel ihr wieder ein, dass Iulia Phoebe niemals Matrona und niemals Mutter werden würde.
    Nachdenklich fragte sie:
    "Was glaubst du, Stella? Ob es Phoebe irgendwie mitbekommen kann, was aus dir wird? Ob sie sich dafür noch interessiert? Was geschieht mit uns nach dem Tod?"

    Aber diesmal wusste Maximilla, von was Tiberia Stella sprach. Sie schaute sich um, ob jemand zuhörte und sagte dann ehrfürchtig:
    „Oh, Stella, du bist eine Albruna oder Aurinia, eine Weise Frau. Das mit den Träumen und mit dem Tod, doch, doch, das passt alles. Ich bin in der Civitas Aquensis in Germanien aufgewachsen. Eine Germanin aus dem Stamm der Myrginge hat mich erzogen. Sie hat mir von den Seherinnen erzählt, die dort sehen und wahrsagen.“


    Maximilla kämpfte damit, ob sie so tun sollte als wisse sie mehr, um für die neue Bekannte interessant zu bleiben. Dann entschied sie sich für Ehrlichkeit:
    „Leider hat mir Adalheidis, weil ich doch eine Römerin bin, nie ganz ausführlich darüber berichtet." sagte sie:
    „Sie glaubte, wir Römer können nicht mehr mit den Alben sprechen, so nannte sie es. Zu dir sprechen sie aber!"
    Wieder schaute sie sich um. Die Furcht, für verdreht gehalten zu werden, war da:
    „Die Götter haben etwas Großes vor mit dir, Stella! Das hätte Adalheidis gesagt, und sie irrte sich nie. Genauso wenig wie die Götter sich irren, wenn sie dir solch eine Gabe verleihen.“


    Nun leuchteten ihre Augen in neuem Glanz. Sie war bewegt durch fremdes Schicksal. Ein wenig lüftete sich der graue Schleier, der schon so lange über ihr lag, und ihre Bewegungen und Gedanken zäh und quälend machten, als sei sie in einen Morast geraten. Vielleicht würde Anteilnahme sie wieder lebendig und froh werden lassen, wie vor dem Tod der Iulier.


    „Lass mich dir helfen, Stella“, schlug Maximilla vor:
    "Egal was es auch sei, wenn ich es dir geben kann, bekommst du es!"