Beiträge von Valeria Maximilla

    Valeria Maximilla erinnerte sich nun gut an die Iulia, sie hatte sie damals auf der Werkschau des Dolios in Begleitung des gutaussehenden Ritters mit den blauen Augen und dem dunklen Haar erblickt und noch gedacht, welch schönes, elegantes Paar. Elegant war Graecina noch immer, aber in Trauerkleidung und bleich.
    Die Valeria ließ sich auf der Kline nieder. Wieder klang ihre Stimme dünn und gepresst in ihren Ohren, als sie sprach:
    „Ich danke dir, Iulia Graecina, dass Du mich empfängst. Ich wollte nur noch einmal persönlich kondolieren….“
    Sie brach ab. Eine Träne rollte ihre Wange hinab und zog eine Spur durch das sanft aufgetragene Bleiweiß.
    „Ich habe Iulia Phoebe und Caesoninus beide gekannt, wenn auch nicht für lange Zeit.“, fuhr sie fort.
    Wieder rauschte es in ihren Ohren. Seit sie von dem Tod der beiden Iulier erfahren hatte, war die Welt für sie wie gedämpft. Und sinnlos.
    Und nun dachte sie wieder daran, dass Caesoninus, der bereits den Cursus Honorum beschritten hatte, vielleicht im Elysium weilte, aber Iulia Phoebe, die weder Kinder noch etwas Großartiges für Roma geleistet hatte, sich vom dunklen Fährmann über den Styx in den grauen Hades fahren lassen musste. Alleine war sie dort, ein Schatten.
    Da gab es so gar keine Hoffnung.


    „Da gibt es so gar keine Hoffnung“, sagte sie laut. Gleich merkte Maximilla, dass sie laut gedacht hatte. Sie schlug beide Hände vor den Mund.
    Was fiel ihr ein, so etwas zu sagen? Graecina musste sie für taktlos und vollkommen überdreht halten.
    Aber solche Missgeschicke passierten Maximilla gerade andauernd. Erschrocken sah sie Graecina an und wurde so rot wie ein Granatapfel.
    Nahm wahr, dass eine nette junge Sklavin verdünnten Wein und einen Obsteller servierte.

    „Ich freue mich für dich!“, rief Maximilla aufrichtig aus. Der Gedanke an das Lebensglück ihrer Freundin ließ einen Moment die Farbe in ihr Gesicht zurückkehren.
    Dann schlug das Grau wieder über ihr zusammen. Die Welt war grau, und es war so schwierig, klar zu denken.


    „Ja, einfach futsch der Peregrinus!“, sagte sie Viridomarus betreffend. Und mit eigener Logik setzte sie hinzu:
    „Du hast recht, Stella. Wenn ich jetzt Vestalin werden würde, würde sich der Kerl noch etwas einbilden und denken, er hat mir das Herz gebrochen! Doch wenn ich einen anderen heirate, dann wird er schon sehen, was er davon hat! Außerdem würde ich…. Klingt albern oder?, so schrecklich gerne für einen Haufen Kinder sorgen. Eine große Familie habe ich mir immer gewünscht. Da meine Mutter bei meiner Geburt gestorben ist, blieb ich immer ohne Geschwister.“


    Dann dachte Maximilla daran, dass die beiden Iulias Stella und Phoebe zwar Cousinen, jedoch wie Schwestern gewesen waren. Es war zu traurig. Jetzt stiegen ihr Tränen in die Augen, und Remigius, der gute Junge, reichte ihr sofort eine riesige spitzenbesetzte Serviette.
    Das brachte Maximilla ein wenig zum Lachen:" Warum nicht gleich eine Toga von acht Ellen Länge, Remigius!“, schimpfte sie. Sie trocknete sich die Augen.
    Dann sprach sie:
    „Ich werde zur Frigg beten, weil dein Verlobter doch in Germanien ist. Frigg ist wie Iuno, nur auf Germanisch. Sie schützt Ehe und Familie und beschützt bestimmt auch den Deinen.
    Meinst du, dein lieber Florus wird persönlich zum Caesar Augustus eingeladen? Das wäre ja großartig. Welche Möglichkeiten sich da wohl ergeben?“


    Wieder kehrte so etwas wie Lebendigkeit in ihr Gesicht zurück.

    „Es ist ja erst Herbst, da kann Annaeus Florus noch reisen.“, sagte Maximilla tröstlich:
    „Er muss ja nicht wie Hannibal im Schnee über die Alpen.
    Er kann sich auch von Genua aus einschiffen, und dann ist er in vier Tagen in Portus Ostiensis. "


    Die Valeria hatte gedacht, dass sie schlecht zuerst über ihr eigenes Befinden reden konnte, wenn vor ihr eine Freundin saß, die gerade zwei Familienmitglieder verloren hatte.
    Aber da Iulia Stella so lieb nachgefragte, antwortete sie nun doch:
    „Für mich ist das alles sehr schrecklich. Ich meine, nicht einmal bei uns zu Hause zwischen all den Germanen wurden Römer einfach auf der Straße ermordet. Wir haben doch Frieden, oder?
    Und...ja, mein Peregrinus ist weg. Auf Geschäftsreise mit einem Jüngling. Es ist nie etwas Unehrenhaftes passiert zwischen uns, das ist nicht das Problem. Doch ein wenig fühle ich mich schon in Stich gelassen.
    Erst tat er so, als wäre er mein bester Freund und dann verdrückt er sich ohne jegliche Mitteilung.
    Das süffisante Grinsen der Sklaven, als ich in seinem Geschäft nach ihm gefragt habe, will ich mir gar nicht ausmalen.
    Ich glaube, den Richtigen zu finden, ist doch komplizierter, als ich mir das ausgemalt habe. Ich hätte Vestalin werden sollen, doch da nehmen sie nur jüngere und auserlesene Mädchen.“


    Maximilla schluckte:
    Wenigstens bekomme ich bald meinen Kater zum Trost.“, sagte sie.

    Maximilla bedankte sich nicht bei einem Sklaven, der seine Pflicht tat. Früher hätte sie das durchaus getan, aber mittlerweile versuchte sie, sich damenhaft zu benehmen. Sie nickte nur freundlich.


    Iulia Graecina, eine Iulia, die sie nicht kannte, die aber bestimmt war wie alle Frauen der Gens, die sie bisher kennen gelernt hatte: Elegant, gebildet, musisch, eloquent.
    Maximilla zupfte an ihrer Tunika. Sie fühlte sich linkisch und ein wenig wirr im Kopf.
    Sie sagte: „Salve Iulia Graecina“, dann sah sie, dass sie ja im Atrium stand, wo sie kürzlich mit Iulius Caesoninus geredet hatte. Ohne dass sie es wollte, stiegen ihr die Tränen in die Augen.

    Valeria Maximilla hörte zu und versuchte geistig zu folgen. Dann sagte sie:
    “Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben. Das habe ich kürzlich gelesen. Das sagt ...ein Stoiker?
    Ich bin nicht klug, Stella, ich bin fürchterlich ungebildet. Ich bin nicht mit griechischen Ammen und Lehrern aufgewachsen, mich hat eine germanische Liberta in einer Villa Rustica in der Provinz erzogen. Sie war für mich immer der klügste und wichtigste Mensch, doch ihre Art Klugheit taugt für die Urbs Aeterna nicht.
    Einen gescheiten Brief auf Latein kann ich noch immer nicht schreiben. Den muss ich meinem Sklaven zum Korrigieren geben.
    Dennoch: Mich entwickeln, das gefällt mir. Wenn ich schon für mich nicht gut bin, vielleicht dann für andere gut sein?“


    Dann fragte Maximilla nach den letzten Momenten mit geliebten Menschen. An der Reaktion von Tiberia Stella sah sie, dass ihre Frage wohl unpassend gewesen war.
    „Nein, nein, nein“, sagte sie beschwichtigend: „Vergiss, was ich gefragt habe. Das war germanische Direktheit. So drückt es zumindest mein Cousin aus. Entschuldigung, ich wollte nicht taktlos sein!“
    Sie schüttelte den Kopf und dachte bekümmert: Ich kann nicht gut mit Leuten umgehen, das wird immer deutlicher.
    Die junge Frau indes hielt sich am Beckenrand fest und schnappte nach Luft.
    Wieder wurde Maximilla knallrot.
    Und sie sagte leise: „Das war mein Fehler. Überhaupt nicht deiner. Ich freue mich über unser Gespräch. Ich wäre gern mehr wie Du.“

    Remigius schenkte sofort ein und sah etwas fröhlicher aus. Seine Stärke war es, mit Tieren umzugehen, und da Maximilla eine Vorliebe für ihren Privatzoo hatte, hatte er geglaubt, dass seine Position gesichert sei. Nun schien sich die junge Domina nicht einmal mehr für ihre geliebten Tiere zu interessieren. Sie verschloss sich in ihrem Cubiculum. Die herrlichen Tage der unbekümmerten Ausflüge mit dem Wolfshund schienen endgültig der Vergangenheit anzugehören. Remigius bekam wieder langweilige Aufgaben im valerischen Haushalt zugeteilt. Aber vielleicht munterte Domina Iulia Stella ja Domina Maximilla wieder auf.


    Maximilla nickte: „Du siehst in dir ruhend aus.“, bestätigte sie: „Du zeigst die Haltung und die Würde einer echten Römerin.
    Ich hatte dir geschrieben, um Dir zu sagen, wie Leid mir dein Verlust tut.
    Ich wollte dich fragen, ob dein lieber Florus schon nach Hause gekommen ist? Welcher Mann steht denn der Gens Iulia jetzt bei? Gibt es Verwandte?“

    "Ich danke dir, ja der Garten ist schön. Hier habe ich auch meinen Webstuhl stehen, lange habe ich nichts mehr gewebt.", Maximillas Stimme klang gepresst und dünn in ihren eigenen Ohren.
    Sie rutschte auf ihrem Stuhl herum, zwang sich zu einem Lächeln:
    "Trink bitte etwas, liebe Stella. Oder essen?"
    Remigius schaute aufmerksam zu den beiden jungen Damen. Ein Wink, und er würde einschenken.


    "Wie geht es dir gerade?", fragte Maximilla: "Florus ist immer noch nicht in Rom, um dir beizustehen, habe ich gehört."

    "Valeria Maximilla", antwortete der junge Remigius etwas atemlos.


    Die Valeria schaute sich inzwischen um. Das letzte Mal war sie prächtig gewandet durch diese Porta getreten.
    Nun war ihre Kleidung einfach, ihr Gesicht blass, und sie nickte nur still.


    Ach, Sic transit gloria mundi*


    Sim-Off:

    So vergeht der Ruhm der Welt

    Valeria Maximilla hatte sich in der Sänfte mit dem Zeichen der valerischen Quadriga darauf bis zur Domus Iulia bringen lassen.
    Nun klopfte Remigius für sie an.
    Sie kam zum Kondolenzbesuch. Daher hatte sie eine schwarze Tunika angelegt und eine dunkle Stola darüber.
    Noch wusste sie nicht, wer von den Iuliern Zeit haben würde, sie zu empfangen. Und ob überhaupt.

    Die Valeria und ihre Besucherin kamen von der Porta rein.


    Die Sklaven wurden vom Maiordomus versorgt. Er hatte auch vorsichtshalber Wölfchen in Maximillas Cubiculum eingesperrt. Nicht dass der Hund noch die Besucherin belästigte.


    Die Casa Valeria konnte sich nicht mit der Domus Iulia messen, um so mehr, da es vor ein paar Jahren einmal einen Brand gegeben hatte. Noch lange nicht alle Zimmer waren wieder ordentlich und manches nur mit Brettern vernagelt.
    Aber der Hortus war schön. Herbstastern und Lavendel blühten noch, und die Bienen summten. Und noch konnte man in Roma im Gegensatz zu Germanien draußen sitzen.
    Auf einem kleinen Gartenklapptisch standen schon Posca, Rhodomeli und ein paar mit Pinienkernen gefüllte Datteln, die man mit der Hand essen konnte.
    Maximilla war froh, dass die valerischen Sklaven so flink waren und mitdachten.
    „Setz dich doch, liebe Iulia Stella“, sagte sie und wies auf einen der beiden Stühle.


    Der Sklave Remigius war mittlerweile aufgetaucht, schüttelte seine frischgewaschenen Hände hinter seinem Rücken ab und wartete. Er würde Maximilla und die Dame bedienen, das machte er ja immer.
    „Ich bin froh, dass du hier bist. Ich hatte geschrieben.“, sagte Maximilla.

    Valeria Maximilla schickte den Sklaven Remigius mit einem Tablett mit Posca und etwas Brot und Oliven nach draußen, um die Wächter zu versorgen.
    Der blonde Junge war neugierig. Aber er sah respektvoll zu Boden, als er den Leuten Essen und Trinken reichte.


    Die Valeria jedoch ging Iulia Stella voran zum
    > Hortus.

    Valeria Maximilla wurde lebhaft. Stella behandelte sie endlich mal nicht wie ein Kind, sondern redete ernsthaft mit ihr. Cousin Tiberius hielt sie noch für sehr kindlich und interessierte sich wenig für das, was in ihr vorging. Und auch Viridomarus hatte in ihr wohl eher ein unterhaltsames Kind gesehen, denn von einer Frau, die einem wichtig war, verabschiedete man sich doch, wenn man verreiste.
    „Pluto ist so… Alles ist verbunden, jeder Mensch, jede Entscheidung, hallt in der Ewigkeit wieder, sagst du. Und ich habe das Gefühl, der Unterweltgott fragt mich die ganze Zeit: Ist das jetzt wichtig? Was ich auch jetzt tu, da kommt die Frage.
    Und dann tu ich nichts mehr, liege auf meinem Bett und weiß nicht, wohin mit mir.
    Weißt du, ich habe einmal eine Sklavin kennen gelernt, die mich beleidigt hat. Sie gehörte Iulius Caesoninus. Ich kam in die Domus Iulia angerauscht und verlangte eine Entschuldigung. Natürlich gewährte man sie mir.
    Aber nun fühle ich mich furchtbar deswegen. Es waren Caesoninus letzte Tage, und was ich zuletzt mit ihm gesprochen habe, war so banal und unwichtig.
    Hätte ich nicht besser sein können?
    Ich war wirklich ein dummes selbstsüchtiges Gör.“


    Als Stella „Alles fließt“ nannte, wusste Maximilla das erste Mal in ihrem Leben, dass das ein Satz von Heraklit war.
    Ihre neue Zurückgezogenheit hatte dazu geführt, sich auf den Hosenboden zu setzen und sogar im gefürchteten Griechisch Fortschritte zu machen.
    Stella hatte solche Probleme sicherlich nicht. Bestimmt war sie eine jener Stadtrömerinnen, die schon mit einer griechischen Amme aufgewachsen waren, gebildet und eloquent. Bestimmt lagen ihr Dummheiten, wie sie die Valeria machte, fern.


    Jetzt fragte Maximilla:
    Was hast du denn den Menschen, die du mochtest, gesagt oder getan als du sie das letzte Mal vor ihrem Tod gesehen hast ?"

    Patrokles, der heute der valerische Ianitor war, bekam einen Moment lang große Augen, als er Iulia Stella mit ihrem Gefolge sah. Für heute wurde kein Besuch erwartet. Aber er erinnerte sich gleich wieder daran, wie gut Valeria Maximilla mit ihrer großen Schar in der Domus Iulia empfangen worden war. Da durften sich die Valerier nicht lumpen lassen.
    Während er einen jugendlichen Cursor zum Maiordomus ( Getränke, Erfrischungen, Sitzmöglichkeiten) und Domina Valeria Maximilla ( Gäste empfangen!) schickte, öffnete er die Porta weit.
    "Salve Domina Iulia Stella, tritt ein und willkommen! Rechter Fuss zuerst bitte...", sagte er, aber als er die junge Iulia in ihren Trauergewändern betrachtete, dachte er, dass das mit dem rechten Fuß dazu diente, kein Unglück in die Casa zu tragen, doch dass das Unglück ja bereits da war.


    Und nun kam schon Valeria Maximilla. Sie war ungeschminkt, in einer schlichten tannengrünen Tunika und das Haar einfach zu einem Pferdeschwanz gebunden.
    Sie vergaß alle Förmlichkeit und nahm Stellas Hände:
    "Meine liebe Stella!", sagte sie bewegt: "Ich freue mich über dein Kommen, auch wenn ich mir einen anderen Anlass gewünscht hätte."
    Innerlich dachte sie: Kann man das so sagen? Oder klingt das unmöglich? Aber ich kann doch nicht gleich an der Tür anfangen zu weinen!


    Maximilla schaute die Begleiter der Freundin an. Vier Männer schienen die Porta zu sichern. Sie konnte es ihnen nicht verdenken.
    Aber wie Sklaven wirkten sie nicht, eher wie.... Praetorianer oder Urbaner im Zivil?
    Es war gut, dass sie Iulia Stella beschützten.
    Auch auf sie trat sie zu:
    "Salve, wenn ihr euch erfrischen wollt, kommt mit rein oder ein Diener bringt euch etwas nach draußen.", sagte sie.


    Und zu Iulia Stella: "Gehen wir in den Hortus"

    Maximilla hatte Stella weder nach ihrer Gens noch ihrem Stand gefragt. Im Wasser selbst sah man niemandem seinen Status an. Erst hinterher konnte man Reichtum an der Anzahl der Sklavinnen, an den kostbaren Ölen und feinen Handtüchern ablesen.
    Ob Stella wohl viele Sklavinnen dabei hatte? Oder selbst eine war? Egal, sie hatte interessante Ideen.


    Mit schräg gelegtem Kopf lauschte Maximilla:
    „Wir waren hier, das klingt schön.“, sagte sie:
    „Nur wer wird davon künden, wenn wir keine großen Taten vollbringen? Schau, ich hatte eine Freundin, Iulia Phoebe. Sie war noch nicht verheiratet, hatte keine Kinder. Nun ist sie tot, ermordet worden auf der Straße. Sie war voller Leben und Pläne und Gelächter und Freude auf ihre Zukunft. Manche hielten sie für hochmütig, aber als ich neu in Rom ankam, war sie sehr lieb mit mir. Wo ist das hin, Stella? Hört ein Mensch einfach so auf? Noch denke ich täglich an sie, aber es wird schon weniger und irgendwann werde ich nur noch einmal im Jahr an sie denken.
    Pluto macht mir Angst. Wenn es stimmt, was sie erzählen, ist er ein Despot im Schattenreich und lässt uns ewig wie dummes Gras auf der Asphodeloswiese herum stehen!“

    Fast zornig verdrehte Maximilla die Augen:
    „Oder wird man wiedergeboren? Viele Völker glauben das. Die Germanen glauben sogar, dass die Welt mit allem was darauf ist und die Götter irgendwann sterben und dann beginnt alles von Neuem mit einem Sonnenaufgang.“
    Die Valeria schenkte Stella einen forschenden Blick:
    „Entschuldigung, dass ich dich mit so düsteren Themen zutexte.
    Tiberius, das ist mein Cousin, bei dem ich lebe, würde mir empfehlen, meine Lektüre zu wechseln.
    Ich lese gerade nur so Zeug.
    Das wir alle schon Schatten sind und nur Gefangene einer endlosen Abfolge von Ereignissen, das klingt so, als würdest du Pluto regelrecht verehren?“

    „Salve Stella, ich bin Valeria Maximilla“, stellte sich Maximilla vor und lächelte.


    Die andere junge Frau wusste nicht, wie schwer sie das Lächeln gerade ankam. Sie hatte die ganze Zeit das Gefühl, eine unsichtbare Iulia Phoebe an ihrer Seite zu sehen, die sich in der Bronzespiegelung einer Säulenverzierung nahe des Beckenrandes Grimassen schnitt und ihr Haar auf verschiedene Weise, als wäre sie ihre eigene Ornatrix, hochsteckte und so fragte die Valeria:
    „Meinst du auch, dass Honig wirklich gut für das Haarwachstum ist, wenn man es sich in die Spitzen schmiert?“


    Schon im gleichen Augenblick verwünschte sich Maximilla. Sie wurde knallrot. Weshalb redete sie ohne Sinn und Verstand?
    Die Andere musste sie für völlig überdreht halten, und so sagte sie als nächstes:
    „Ist man, wenn man tot ist, wirklich nur ein Schatten im Hades? Ich stelle mir das höchst unangenehm vor.“
    Das machte es jetzt wohl noch schlimmer. Valeria Maximilla war entschieden noch nicht gesellschaftsfähig. Sie hätte zuhause hinter ihren neuentdeckten Schriftrollen bleiben sollen.


    Vor lauter Verlegenheit tauchte sie unter und hielt die Luft an. Dann kam sie unter der Wasseroberfläche hoch und hoffte, dass diese Stella ein ausgesprochenes Kurzzeitgedächtnis hatte.
    „Wenn du nachher massiert werden möchtest, Stella, nimm nicht Ovidia, sagte sie in höflichstem Plauderton und kreuzte hinter ihrem Rücken die Finger, um Frigg zu bitten, sie vor weiteren unpassenden Bemerkungen zu bewahren.
    „Ovidia bricht einem fast das Kreuz.“
    Wieder lächelte sie ausgesprochen freundlich:

    Valeria Maximilla war lange nicht mehr in den Agrippathermen gewesen. Zu sehr lastete die Erinnerung an diesen unbeschwerten Tag und den tragischen Verlust von Iulia Phoebe auf ihrem Gemüt.


    ( Und auch die unerwartete Abreise von Viridomarus, den sie für ihren besten Freund gehalten und der ihr nicht einmal eine kleine Nachricht hinterlassen hatte. Mit einem Mädel vom Land konnte man es ja machen. Anderseits hatten sie auch so den handfesten Skandal vermieden, den "Eine Valeria lässt sich mit einem Peregrinus ein" ergeben hätte....)


    Aber es half nichts, die Valeria konnte sich nicht auf ewig in ihrer Casa verkriechen. (Nur ihren Studien war es zugute gekommen, Maxi hatte in allem Fortschritte gemacht).
    Heute war sie also wieder in die Therme gekommen. Im Apoditerium hatte sie sich umgezogen, ihre Kleider in die Nische getan und suchte nun nach ihrer körperlichen Reinigung das Tepidarium auf.
    Ihre Holzsandalen klapperten auf dem Fliesenboden, als sie zum Becken hinlief. Dort ließ sie sich in das lauwarme Wasser gleiten und bewunderte einen Moment lang die Deckengemälde.
    Ihr gegenüber befand sich eine junge Frau, vielleicht etwas älter als sie selbst. Ihre Blicke begegneten sich. Der jungen Frau schien nichts zu entgehen, sie beobachtete alles.


    Maximilla sprach sie an: "Salve, herrlich hier, nicht?"

    Auf heitere Weise ging der Badenachmittag in den Agrippathermen zu Ende. Beschwingt und sich rundum wohl fühlend trat Valeria Maximilla den Heimweg an. Sie hatte in den beiden Iulias neue Bekannte und - vielleicht - auch zukünftige Freundinnen gewonnen. Ihr Cousin Tiberius würde sich bestimmt über ihre neu entdeckten sozialen Fähigkeiten freuen. In der Villa Rustica, in der sie aufgewachsen war, hatte es außer ihr ja keine junge Römerin gegeben, mit der sie hätte üben können.
    Noch wusste die Valeria nicht, dass sie am Anfang einer Kette von Ereignissen stand, die ihr Leben ändern würden.
    Es war nicht mehr und nicht weniger als das Ende ihrer Kindheit.


    -Ende-