Beiträge von Terpander

    Nun war Briseis entzückend betrunken und alles, was ihr gerade durch den Kopf schoss, sprudelte zwischen ihren rot bemalten Lippen hervor, die vom Mulsum feucht glänzten. Sanft griff Terpander nach ihren Händen und zog sie wieder neben sich. Etliche Köpfe hatten sich bei ihrem bühnenreifen Vortrag in ihre Richtung gedreht. Das störte Terpander nicht. Aber wenn er über solche Dinge sprach, dann wollte er es auf Augenhöhe tun. Und in die Augen sah er ihr auch.


    "Du bist liebeskrank, Briseis. Doch es sind nicht meine Küsse, nach denen es dich verlangt. Den Kummer kann ich nicht von dir nehmen, nur deinen Schmerz lindern. Die Frage ist, ob du das unter diesen Voraussetzungen willst."


    Ihm selbst war es gleich, ob er nur ein Ersatz war. Nichts anderes war er seit jeher gewohnt. Was andere gekränkt hätte, sah er pragmatisch. Er genoss die Stunden der Zweisamkeit, die sich daraus ergaben. Aber die gebrochenen Herzen zu heilen - das lag nicht in seiner Macht.


    "Den Namen Terpander suchte Scato für mich aus", erklärte er. "Er fand ihn gut für einen Lehrer aus Athen. Verkauft wurde ich als Satyros, aber so darf ein Lehrer nicht heißen. Der älteste bekannte Terpander war übrigens bekannt für seine Musik - und er diente als Streitschlichter in Sparta."


    Ein Umstand, den Terpander ausgesprochen komisch fand. Aber all das interessierte Briseis vermutlich gerade nicht. Er gab ihr einen Klaps auf den Po.


    "Jetzt geh dir deinen Mulsum holen. Ich habe noch Wasser."

    "Sein Name ist Anis von Alexandria", raunte Terpander und Ehrfurcht schwang im Klang seiner Stimme mit. "Aus seinem Mund sprechen die Götter, er kennt die Antworten auf alle Fragen. Ich habe eine Botschaft für einen Toten, die muss er an meiner Stelle übermitteln. Aber bei unserem letzten Treffen warnte Anis mich auch. Ich hätte einen lebendigen Feind, sagte er, viel näher als ich glauben würde. Dafür fertigte er mir einen Glücksbringer, den ich abholen will."


    Dass es sich um einen Fluch handelte, konnte er in der Öffentlichkeit nicht aussprechen.


    "Ich muss Anis noch etwas vorbeibringen und den Glücksbringer abholen. Außerdem jagen mich die Erinyen mit Fackeln und Schlangen in ihren Händen. Um sie zu verwirren, benötigte ich dein Blut. Wir werden den damit beschriebenen magischen Papyrus unter Mondschein zerreißen und die Fetzen zerstreuen. Dann müssen die Erinyen die Stückchen suchen."


    Der Wirt dieser Taberna war indes weniger geschäftstüchtig als der Magus - er hatte ihnen noch immer nichts zu trinken bringen lassen. Vielleicht war es zu faszinierend gewesen, zu beobachten, wie Terpander Briseis mithilfe der Schminke in ein noch schöneres Mädchen verwandelte. Ihre Hand hatte sein Gewand nach oben geschoben und ruhte nun zart auf seinem Oberschenkel. Zwar vermochte nicht einmal Terpander einen Krieger oder auch nur einen Mann aus Tiberios zu machen - anders sah es scheinbar damit aus, das Mädchen in ihm zu wecken. Das fiel erstaunlich leicht. Terpander könnte nicht mehr aufstehen, ohne sich zu blamieren. Zumindest vermutete er, dass die prüden Römer mit der Antwort seines Körpers auf die nun schon eine Weile stattfindende Balz ihre Probleme hätten.


    Indem Terpander den Arm um Briseis legte, erwiderte er ihre Suche nach Nähe. Seine Hand massierte sanft die schmale Flanke, an der er jede Rippe spürte. "Briseis hat all die Zeit in dir geschlummert", raunte Terpander in ihr Haar. "Weder Angst noch Schmerz waren notwendig, dies war dein innerer Wunsch. Es sei denn, die Angst und der Schmerz sind längst da."

    Hatte Terpander tatsächlich erzählt, dass er Seia Sanga geschminkt hatte? Offenbar ja. Er hatte sich stets um das Wohl ihres Körpers gekümmert, wenngleich natürlich geeigneteres Personal vorhanden gewesen war. Aber seine Herrin hatte am liebsten Terpanders Dienste in Anspruch genommen, dessen charmante Gegenwart sie schätzte, so dass dieser alles Mögliche an merkwürdigen Dingen hatte lernen müssen. Gut konnte er nichts davon - bis auf die eine Sache. Terpander griff nach der Schminke. Briseis wollte ihm unbedingt gefallen. Er konnte es ihr nicht verdenken, sie war nicht die Erste, aber die Erste nach langer Zeit. Die Nacht war lang. Hairan konnte warten.


    Terpander benutzte die bloßen Finger. Mit streichelnden Bewegungen massierte er das Bleiweiß bis zu Briseis´ Haaransatz auf ihre Haut. Die roten Wangen verschwanden unter vornehmer Blässe. Nachdem er seine Finger an einem Lappen abgewischt hatte, nahm er nun doch einen Pinsel, um diesen nass zu machen und mit dem Tuschestein die Brauen in elegantem Schwung nachzuziehen. Vorsichtig umrandete er hernach die Augen, versah sie mit einem Lidstrich, der bis zur Hälfte der Schläfen reichte. Am Ende folgte das Lippenrot. Der hübsche Kussmund wartete nur darauf, geküsst zu werden. Doch Terpander hatte nicht vor, aus der Taberna geschmissen zu werden.


    Terpander schlug den Pinsel in den Lappen und schob alles wieder hinüber zu Briseis, während er verzückt das zarte Gesicht betrachtete, das nun wahrlich mädchenhaft wirkte. Er küsste die schlanke Hand und schenkte ihr einen innigen Blick.


    "Die Toten werden heute einiges zu sehen haben", flüsterte er. "Wir suchen uns ein frisches Kreuz mit einem schönen Jüngling oder einem drallen Mädchen - wer auch immer bei der letzten Fuhre gekreuzigt wurde. Vielleicht leben sie noch, dann haben wir Publikum."

    "Wasser für mich, Mulsum für meine Begleiterin", bat Terpander. "Einen Krug für Erwachsene." Nicht, dass Helvetius Archias so einen Fingerhut anbrachte.


    Wann immer der Blickwinkel es ausschloss, dass der Wirt ihn aus den Augenwinkeln beobachten konnte, musterte Terpander dessen Bewegungen. Der Mann war beherrscht, die Ruhe in Person, sich seiner Sache sicher. Mehr als ein alter Grauwolf, hier hatte Terpander einen Alpha vor sich. Interessant. Terpander, der in einer Gesellschaft aufgewachsen war, in der solche Dinge entscheidend waren, hatte keinen Zweifel an der Richtigkeit seiner Einschätzung: Dieser Mann konnte gefährlich werden. Ob Archias daran überhaupt Interesse hatte, während seine gut laufende Taberna auf dem Spiel stand, das stand auf einem anderen Blatt. Aber das Potenzial lag in seinem Blut.


    Nachdem seine Einschätzung feststand, widmete Terpander sein Augenmerk wieder ganz Briseis. Dass diese in der Öffentlichkeit seine Hand liebkoste, schmeichelte ihm. Er schätzte es, wenn man um seine Gunst warb. Er erwiderte die Zärtlichkeit mit einem leichten Spiel seiner Finger.


    "Mir geht es gut, Briseis. In der Casa Leonis läuft alles seinen gewohnten Gang. Lurco ist die gute Seele des Hauses, Scato sorgt dafür, dass es nicht zu langweilig wird" - indem er sinnlose Streits vom Zaun brach - "und Satibarzanes ist so überflüssig wie eh und je. Der Kräutergarten gedeiht und der Pfau stiehlt die Himbeeren. Und du, meine Schöne, hängst in einer Gedankenschleife fest. Wenn du mir vorwirfst, ich würde dein Verhalten gegenüber den Furiern nicht verstehen, weil ich schon dort bin, wo ich sein will, vergisst du, dir eine wichtige Frage zu stellen: Wie bin ich dahin gekommen? Lerne von den Besten, Briseis. Man erreicht nichts, indem man wie ein Bittsteller bei den Göttern weinerlich um ein wenig Glück ersucht. Man muss seinem Glück mit dem Knüppel hinterher rennen und es sich mit aller Macht nehmen. Dann sind die Götter einem hold."


    Aber das würde Tiberios schon noch lernen. So oder so.


    "Dich neu einkleiden? Gut." Terpander hatte schon recht genaue Vorstellungen, er würde Briseis dermaßen in Schale werfen, dass man sie nicht mehr von einem verkleideten Mann unterscheiden konnte. Tiberios würde lernen, Briseis nicht nur für ihn zu spielen - er würde Briseis für ihn werden, wann immer er ihr Gewand anlegte. "Aber nicht heute Nacht." Ein hornhautbewehrter Zeigefinger rieb sanft über die weiche Haut an der Stelle, wo zwischen zwei Fingern von Briseis eine kleine Haut sich spannte. "Aber warum hast du die Schminke nicht aufgetragen, wenn du sie besitzt?"

    Hingabe und Stolz schlossen einander keineswegs aus. Spartiaten bewiesen es jeden Tag, indem sie sich dem Kollektiv mit Körper und Geist vollkommen unterwarfen. Und selbst Tiberios zeigte nun, dass es möglich war, dem höheren Wohl zu dienen und dabei noch zu glänzen. In dem Falle war es Terpanders Wohl. Der fühlte sich gut mit dem lebenden Kleinod an seiner Seite, das so manche Blicke auf sich zog, einige neugierig, andere begehrlich. Er zog für Tiberios den Stuhl zurück und rückte ihn unter ihm wieder heran, dann setzte er selbst sich mit dem Rücken zur Wand, so dass er den Raum und die Tür im Blick behalten konnte.


    "Ich trinke keinen Alkohol, Briseis. Mein Geist muss klar sein zu jedem Augenblick. Aber lass dich nicht hindern, ich nehme Wasser. Das Kleid schmeichelt dir, ich würde mir wünschen, dass du es öfter trägst zu unseren Treffen."


    Er hob die Hand und schnipste in Richtung der Bedienung, um ihr Erscheinen ein wenig zu beschleunigen. Die Geschichte, die Tiberios ihm während der Wartezeit erzählte, fand Terpander allerdings nicht so lustig, wie der Jüngling es sich erhoffte. Stattdessen wurde der Blick des Älteren bohrend.


    "Die Waage zwischen Demut und Dummheit ist bei dir zur falschen Seite gekippt. Niemand hat eine Handhabe gegen dich, nur deine Herren, von den Urbanern und Prätorianern abgesehen, für die nur das Kriegsrecht gilt. Ein Wirt gehört nicht dazu. Das Verhältnis zwischen dir und den Furiern ist gut, also solltest du ihnen auch vertrauen. Und wenn du sie fürchtest, so fragst du das nächste Mal zumindest mich, bevor du Unsinn verzapfst."


    Tiberios hatte ihm jedoch noch eine sehr viel wichtigere Information preisgegeben, als die, dass er vor lauter Selbstlosigkeit manchmal ein Dummkopf war. Der Wirt, Helvetius Archias, war ein ausgemachtes Schlitzohr, das eine diebische Freude daran empfand, Leute nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Tiberios war ihm freudig mit beiden Füßen in die Falle gehüpft. Selbst jetzt erkannte er nicht, dass mit ihm gespielt worden war. So, so. Der Blick des alten Jägers wanderte über die Anwesenden in Richtung des Tresens, um den Mann zu betrachten. Offenbar hatten sie dort einen zweiten Wolf. Terpander musste Scato, der zu seinem Leidwesen anfällig für Manipulationsversuche war, unbedingt warnen. Scato kehrte gern hier ein und sollte sich von dem Wirt nicht um den Finger wickeln lassen.


    Terpanders Blick richtete sich wieder auf Tiberios, wie er strahlte. Fast hätte ihm seine Rüge leid getan. Aber nur fast.


    "Nimm mir meine Maßregelungen nicht übel", sagte er. "Du hast sie nötig. Ich möchte, dass es dir gut geht. Manchmal geht das nur über Schmerz." Er lächelte und ließ diese Aussage einen Moment im Raum stehen. "Aber ich hoffe, meine Worte waren nicht zu schmerzhaft für dich", fügte er dann hinzu, als hätte er nie etwas anderes als Worte gemeint.

    Als Tiberios sich selbst als Mädchen bezeichnete und dass er ihm in allem gefällig sein wollte, war das wie Kraftfutter für Terpanders ohnehin beträchtliche Ego. Hinzu kam, dass er seit einem Vierteljahr niemanden berührt hatte, so dass ihm die Aussicht verlockend erschien. Aber warum unterbreitete Tiberios ihm solch ein Angebot überhaupt? Terpander bot Tiberios den Arm an, als sei er wirklich sein Mädchen, um ihn ins Innere des Blinden Esels zu führen.


    "Einverstanden, trinken wir etwas. Besorgen muss ich nichts, ich habe alles organisiert und an geeigneter Stelle deponiert. Ich gehe nicht gern mit einem Beutel bei Nacht durch die Subura, wenn ich noch Umwege einlegen muss und reizende Gesellschaft mich ablenkt."


    Nicht, dass körperliche Reize seinen Geist tatsächlich beeinträchtigen würden, auch wenn er sie zu schätzen wusste. Nacktheit war ein alltäglicher Bestandteil der spartanischen Körperkultur, nackt wurde trainiert, exerziert und nackt wurde getanzt und dicht an dicht geschlafen. Auch körperliche Vergnügungen untereinander kamen nicht zu kurz, denn im Gegensatz zum römischen Heer war es im spartanischen nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht, dass man sich einen Geliebten suchte, um die Bindung der Kameraden untereinander so stark wie nur möglich werden zu lassen. Aus diesem unzertrennlichen Kollektiv war Terpander herausgerissen worden und hatte eine klaffende Lücke hinterlassen. Tiberios war es wohl ganz ähnlich ergangen, als man ihn nach Roma verkauft hatte. Nun verstand Terpander.


    Tiberios fühlte sich einsam. Er verkaufte sich an ihn für den Traum von Geborgenheit.


    Ausgerechnet an ihn, an Terpander. Seine Selbstgefälligkeit spürte einen kleinen Stachel des schlechten Gewissens. Ein Trunkenbold kam ihnen in die Quere, um Tiberios für ein paar Minuten zu mieten. Die Erinnerung wurde schmerzhaft, die Wiederholung seiner Vergangenheit war wie ein Spiegel von Zeus, der ihm all seine vergangenen Untaten erneut vor Augen führte. Als wolle der Gott ihm sagen: Ich habe gesehen, was du getan hast. Den Arm, den Tiberios erschrocken umklammerte, zog Terpander aus seinen Händen und legte ihn um seine Schultern. Er zog Tiberios an sich und drückte ihm einen harten Kuss auf den Mund, den Blick noch immer auf den Trunkenbold gerichtet. In Rom ein Unding.


    "Lass uns reingehen."

    Zu sehen war aufgrund der erloschenen Laterna fast nichts mehr, doch zu spüren. Der Kontrast zwischen der zarten Hand des Scriba und Terpanders narbiger Kriegerpranke war schockierend. Sein Eromenos war in diesem Alter bereits ein tödlicher Kämpfer gewesen, wenngleich er noch viel zu lernen gehabt hätte. Terpander vergaß immer wieder, wie wehrlos die Jünglinge anderer Völker waren, als würden sie absichtlich möglichst lange im Kindesalter gehalten werden.


    Der alte Krieger lächelte kaum merklich. "Vergiss meinen Rat, er war nicht angemessen. Dass du kämpfen wolltest, ist löblich. Aber ob du mir mit deiner Laterna eine Beule verpasst hättest oder mich mit deinem Fäustchen gekitzelt, hätte keinen Unterschied gemacht."


    Als dann Tiberios ihm sein Gewandt zeigen wollte, gab Terpander ihn endlich frei und schob ihn näher vor den Eingang des Blinden Esels. Im Licht, das zusammen mit dem Stimmengewirr und dem Klappern von Geschirr aus der offenen Tür drang, erkannte er ein Kleid, das die knabenhafte Gestalt umschmeichelte. Unwillkürlich straffte Terpanders Haltung sich. Die zierlichen Hände von Briseis schienen gar nicht mehr unpassend.


    "So gefällst du mir", flüsterte Terpander und seine Finge glitten über das Kleid. "Mach dir um deine Schwäche keine Gedanken, ich bin bei dir. Zieh den Mantel aus, damit man das Kleid auch sieht." Ungefragt begann er ihm zu helfen.


    Dass Tiberios allerdings etwas essen wollte, fand Terpander nicht richtig."Man isst nicht unmittelbar vor einer Gefahrensituation", stellte er klar. "Sondern ein oder zwei Stunden vorher. Man muss sich konzentrieren können und darf nicht träge sein oder auf die Latrine müssen. Wenn dir jedoch verräterisch der Magen knurren sollte, dann nimm noch eine Kleinigkeit zu dir, aber nicht mehr als Faustgröße."


    Er blickte sich sichernd um. "Entscheide dich schnell, wir sollten hier nicht stehen. Du fürchtest die Nacht, weil sie dich mit Blindheit schlägt. Aber das tut sie auch mit deinen Feinden. Oder warum ist die Nacht auch die Stunde der Diebe und Mörder? Bei Tag wandelt man wie auf einem Präsentierteller. Die Sicherheit, in der du dich im Lichte wähnst, ist nichts als Einbildung. Betrachte den heutigen Ausflug als eine Lektion. Zunächst besuchen wir einen Magus. Einen, der sich auf die Kunst der Totenbeschwörung versteht. Lass die Laterna aus und wandle mit mir auf den Pfaden der Dunkelheit."

    Fast sanft fingen Terpanders Finger den Schlag ab, der zeitgleich auch von Tiberios selbst abgebremst wurde. Sein Handgelenk wurde nun von einer warmen Hand gehalten, in der viel Kraft steckte, die ihn aber nur vorsichtig hielt.


    "Du lernst dazu, Briseis", grüßte Terpander und schaute kurz, ob Tiberios sich für ihn hübsch gemacht hatte. "Einen Fehler nur hast du gemacht, neben jenem, dass du mutterseelenallein und hell erleuchtet durch die finsteren Jagdgründe der Heloten spaziert bist." Was allein schon genügte, um Terpanders Zehennägel aufzurollen. "Wenn du eine beleuchtete Hand hast und eine unbeleuchtete, dann blende künftig mit der Ersten und schlage mit der Zweiten an anderer Stelle zu. Oder suche dir einen Gegner, der nicht schnell genug ist, eine heransausende Laterna abzufangen."


    Er blinzelte ihm mit einem Auge zu, dann sicherte er mit seinen Blicken die Umgebung. Ihm gefiel die Subura nicht. Zu unübersichtlich, zu viele unbekannte Variablen. Sie sollten hier nicht länger als nötig verweilen.

    Anhand seines Äußeren war Tiberios in der Dunkelheit nicht für Terpander zu identifizieren, zumal er andere Kleidung trug als gewohnt. Der Spartaner erkannte den Jüngling an seiner Statur und an seinen Bewegungen, ein dunkler Schemen nur, dessen Konturen kaum vom Licht der Laterna definiert wurden. Die Gestalt wartete auf jemanden - auf ihn, wenn Terpander sich nicht darin irrte, wen er hier vor sich hatte, was durchaus im Bereich des Möglichen lag, da der Mensch ihm den Rücken zukehrte. Terpander trat lautlos, da er kein Schuhwerk trug, aus der Finsternis und stellte sich genau hinter den Mann. Dann pustete er ihm leicht ins Genick, wobei er nicht wusste, ob Tiberios - oder der Fremde - dies auf der Haut zu spüren vermochte, oder ob ihn das Wackeln des feinen Stoffes an den Nackenhärchen kitzelte. Vielleicht spürte er auch Terpanders Körperwärme, erkannte ihn am Geruch oder ein Instinkt warnte ihn, dass jemand hinter ihm stand.

    Auf dunklen Pfaden


    Die Nacht hatte ihr schwarzes Tuch auf die Urbs Aeterna gesenkt. Es war stockfinster, denn es gab keine Straßenbeleuchtung. Wer Feuer wollte, musste es mit sich tragen. Das einzige Licht war jenes, welches aus den Wohnungen und Geschäften drang, wo noch Öllampen brannten oder, hin und wieder, die Fackeln von Vigiles und Urbanern, wenn sie Streife gingen. Trotz der Finsternis war es nicht still, im Gegenteil herrschte enervierender Lärm. Nachts war es in Rom lauter als tags, denn erst nach Sonnenuntergang durften die schweren Ochsenkarren in die Stadt. Ihre Räder rumpelten über das Pflaster und die Hufe der Tiere klapperten dazu im Takt, was das Leben in der Subura auch akustisch qualvoll machte. Dazu kamen die Rufe der dazugehörigen Menschen, die sich gegenseitig beschimpften oder jemanden aufforderten, Platz zu machen. Sich hier um Ruhe zu bemühen, war müßig, weshalb niemand Rücksicht auf die Anwohner nahm.


    Terpander bevorzugte als Nachtmensch die dunkle Zeit. In der Hitze Lakoniens, wo es von Frühling bis Herbst über dreißig Grad wurden, war es nur natürlich, vor allem die Zeiten der Dämmerung und der Dunkelheit zu nutzen. Der alte Sklave stand in der Nähe der Taberna, vor der sich mit Tiberios treffen wollte. Zwei halbnackte Huren gingen an ihm vorbei, ohne ihn zu bemerken, lasziv die Hinterteile schwingend. Sein Blick folgte ihnen nicht, denn jede Ablenkung im falschen Moment konnte tödlich enden. Gewohnheitsmäßig hatte Terpander sich in die finsterste Ecke gelehnt, wo er nahezu unsichtbar war. Das Licht mied er, um den Ratten der Subura kein leichtes Ziel zu bieten. Sein Blick wanderte immer wieder zu der Lichtinsel, welche vor der offenen Tür des Blinden Esels lag, wo die Gäste aus und ein gingen, doch er behielt die ganze Umgebung im Auge, als stünde er Wache. Wer einmal Soldat gewesen war, blieb es für immer.


    Terpander war gespannt, ob Tiberios sich, wie die meisten es instinktiv taten, von Lichtinsel zu Lichtinsel hangeln würde, um nicht fehlzutreten, oder ob er mit den Schatten verschmelzen und die Wege mit den übrigen Sinnen ertasten würde.

    Da war es wieder, das alte Übel: Scato war ins Grübeln verfallen. Vermutlich war gerade eine ruhige Zeit bei den Cohortes Urbanae, so dass er Zeit und Kraft fand, sich um so etwas Gedanken zu machen. Für Terpander bewies das erneut, wie unentbehrlich er für Scato war. Er genoss es, ihn so zermürbt zu sehen und sich nun wichtig machen zu können. Freundschaften und Liebschaften vergingen. Ein Lehrmeister war ewig.


    "Du gibst zu viel auf Worte", sprach Terpander ruhig. "Ein Mensch kann lügen. Er kann schmeicheln, um Gefälligkeiten herauszuschinden und beleidigen, um zu verletzen. Worte sind Schall und Rauch, Scato. Erst recht bei einer Quasselstrippe wie Lurco. Er redet gern, und wenn er gerade nichts zu sagen hat, zerrt er den erstbesten Inhalt herbei und walzt ihn breit wie einen Teig. Das entspannt ihn. Aber mit jedem überflüssigen Wort wird der Inhalt dünner. Wenn Lurco dieser Dame ein wortreiches Kompliment vorträgt, sagt das weniger aus, als wenn er sie schweigend von Kopf bis Fuß gemustert hätte mit einem Lächeln auf den Lippen. Nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten sollst du die Menschen messen. Ich dachte, das hätte ich dir schon vor Jahren beigebracht."


    Das erste, was man in Sparta zum Thema Sprache lernte, war, mit Worten zu geizen. Und warum das gut war, sah man gerade an dem Häufchen Elend, das von Worten verletzt wie von Pfeilen, in einem Gartenstuhl hing und trauernd seinen Pfau umklammerte. Die römische Erziehung war grausig. Terpander wartete, bis Scato wieder aufschaute. Er wies in einer umfassenden Geste auf den Garten und auf das Haus, das sie umgab.


    "Mit der Zunge ist Lurco ein Trampel. Das weiß er vermutlich. Darum hat er bei dir eine andere Sprache gewählt als bei dieser fremden Frau. Eine die nicht misszuverstehen ist. Du trägst seine Botschaft um den Hals, hältst sie in den Armen, du sitzt inmitten von ihr und blickst auf sie hinaus."

    Terpander hielt inne und lauschte, als die weinerliche Stimme seines Herrn durch die abendliche Casa Leonis hallte. Er blickte zurück auf das Bett, in dem er gerade das Geschenk von Lurco gefunden hatte. In Kombination mit Scatos Laune zählte er eins und eins zusammen. Es hatte Streit gegeben, Lurco wollte sich mit der kleinen Aufmerksamkeit versöhnen und Scato schwelgte noch in tiefster Trauer. Bevor Scato das Geschenk fand, musste er herunterfahren, sonst verpuffte die Wirkung, vor allem musste verhindert werden, dass aus der Verzweiflung ein Wutanfall wurde. Menschen neigten dazu, im Zorn Dummheiten zu begehen. Aber das zu verhindern war leichter gesagt als getan. Terpander schritt ins Peristyl, wo er Scato antraf, der ihn offenbar suchte. An dessen verheulten Augen sah er, dass er richtig geraten hatte. Der Gesichtsausdruck seines jungen Herrn war eine einzige Anklage und gleich würde eine Tirade folgen, die vermutlich zu Ungunsten von Lurco ausgehen würde. Bevor hier Dummheiten geschahen, würde Terpander einschreiten.


    "Setz dich bitte da hin, ich bin für dich da", sagte Terpander und zeigte auf einen Stuhl. Dann pfiff er nach dem Pfau. Dem jungen Mann fehlte der Vater oder ein anderer älterer männlicher Verwandter, der ihm Rat geben konnte. Terpander übernahm diese Rolle als sein ehemaliger Lehrer nur zu gern. Als Scato saß, drückte er ihm den blauen Pfauenhahn Narcissus in die Arme. Jetzt konnte Scato weder herumschreien noch gestikulieren, denn er liebte seinen Pfau abgöttisch.


    "Und nun erzählst du mir in Ruhe, was los war. Sati wird uns gleich noch etwas zu Trinken bringen." Die letzten Worte waren lauter gesprochen, damit Satibarzanes sie auch hörte. Terpander zog sich einen eigenen Stuhl heran, um sich dazu zu setzen. Vor ihnen lag der Kräutergarten, der um die Abendzeit besonders duftete. Terpander lächelte mitfühlend. "Also?"

    Terpander sah dem Römer verwundert nach. Lurco hatte sich erstaunlich leicht von seinen Mordgedanken abbringen lassen. Wenn Terpander den Entschluss fasste, zu töten, war das unumkehrbar. Dann konnte er nicht rasten noch ruhen, bis sein Opfer im eigenen Blute lag.


    Lurco fehlte es noch an Biss, dafür, dass er ein Urbaner war. So ging das nicht. Terpander würde ihm helfen.


    Und während er einige Getränke vorbereitete, sann er darüber nach, wie er Lurcos Hass auf Asinias Mann schüren konnte.

    Terpander brummte. Er sah noch nicht so recht ein, warum ausgerechnet er den Ehemann beiseiteschaffen sollte und nicht Lurco. Da er der Sklave eines Kameraden von Tarpa war, stank es genau so zum Himmel, wenn Terpander den Kerl in den Tartaros schickte.


    "Jemanden verschwinden zu lassen, ist eine Kleinigkeit. Aber was habe ich davon, außer dir einen Gefallen zu erweisen? Angenommen, jemand ermittelt besonders gründlich und die Spur würde zur Casa Leonis zurückführen, wäre Scato als mein Besitzer dran. Du würdest mit dem Wissen um den Grund des Verschwindens Scatos Leben in deiner Hand halten. Und jeder weiß, dass der Liebhaber von heute der kakodaimon von Morgen ist. Die schrecklichsten Verbrechen werden aus Liebe begangen und nicht aus Hass."

    Terpander hob ein wenig das Kinn, als Lurco über seine eisgrauen Bartstoppeln strich.


    "Die Lektion lautet, dass du deinen Gast Tarpa im Triclinium vergessen hast." Er schaute ernst. "Man lässt seine Gäste nicht warten, auch nicht in Sparta. Tarpa erschien mir zerknautscht, du hast ihn hierher gebracht, weil er einen Freund braucht. Sei ihm dieser Freund. Jetzt wollen wir uns zunächst um ein anderes Wohl kümmern. Und danach, vielleicht, lehre ich dich Vertrauen."


    Er gab Lurco frei und wich einen Schritt zurück.

    Bei der Begrüßung, die von Angesicht zu Angesicht erfolgte, fühlte Terpander ... Lysander ... sich glücklich. Für einen Moment war er wieder Krieger und nicht Sklave, wenngleich er Scato gern diente und auch dessen Freund.


    "Spartaner sind alle Bewohner von Sparta", erklärte Terpander. "Doch nur die Spartiaten sind die Vollbürger und Krieger. Ich war einer von ihnen, einer der homoioi, einer der Gleichen. Ich habe für den Krieg gelebt, mehr noch für meine Kameraden. Ganz ähnlich wie du lebte ich in einer Kaserne. In Sparta lebt man auch als verheirateter Mann ganz anders als in Rom, wenn du möchtest, erzähle ich dir einmal davon."


    Doch jetzt gerade war Terpander in einer ganz anderen Stimmung. Dass Lurco ihn nicht als Sklave behandelte, sondern auf Augenhöhe mit seinem wahren Namen begrüßt hatte, weckte vieles, das unterdrückt in ihm geschlafen hatte. Er packte den jüngeren Mann, drehte sich mit ihm herum und nun war es Lurco, der mit dem Rücken zur Wand stand.


    "Du bist ein Beschützer der Schwachen, Lurco. Aber einen kannst du nicht beschützen und das bist du selbst. Du bist für zwei Lupos durchs Feuer gegangen, Satibarzanes hat mir davon berichtet. Du hast dein Leben für sie riskiert. ich werde dich lehren, zu erkennen, dass du auch für dich selbst sorgen musst, damit du für andere stark sein kannst."

    Terpander wartete einige Momente. Die Berührung hatte nichts Unangenehmes, sie war freundschaftlich und so entspannte er sich und schloss die Augen. Wie Lurco ihn beschrieben hatte, das gefiel ihm und er drückte sich ihm entgegen.


    "Ich war Lysander aus Sparta", gab er leise zu. "Verkauft wurde ich als Satyros aus Athen, da es dort gute Lehrer gibt und gebildete Athener sind entsprechend teuer. Aber ich war weder das eine noch das andere. Kein Lehrer und kein Athener. Ich war Soldat."


    Sein wahres Wesen zu offenbaren, hatte etwas Wohltuendes. Lurco würde diese Information nicht gegen ihn verwenden. So war er nicht. Da Terpander sich gerade rundum wohl fühlte und Lurco ihn eingeladen hatte, packte er ihn am Kragen und zerrte ihn fest an sich heran.


    "Ich will, dass aus dem Kätzchen zumindest ein Luchs wird. Darum drille ich Satibarzanes. Ich kann meine Augen nicht überall haben. Er wird sicher sein, so lange er bei mir ist. Doch kaum bin ich fort, erlischt mein Schutz. Und darum will ich, dass er seine Krallen entdeckt, anstatt ihn zu behüten, bis er so fett und träge ist, dass es zu spät ist. Ich lehre ihn, zu überleben."

    Als Lurco ihm sagte, nicht mal Terpander wäre gern er selbst, musste der gestandene Krieger schlucken. Er war nicht er selbst, das war das Problem. Er trug nicht einmal seinen Namen.


    "Ich bin nicht ich, dominus Lurco", erklärte er langsam. "Ich wurde nicht als Sklave geboren, ich wurde versklavt. Ich diene meinem Herrn Scato gern und jetzt auch dir. Aber ich kann nicht in jeder Hinsicht aus meiner alten, narbigen Haut heraus."


    Wenn Lurco noch mehr wissen wollte, musste er fragen, denn Terpander wollte den Römer nicht langweilen mit Dingen, die ihm fremd waren. Dann folgte unvermittelt ein Kinnhaken, nicht stark genug, ihn zu verletzen, aber doch auch nicht sanft. Eine Mahnung, es nicht zu weit zu treiben im Quälen von Satibarzanes.


    "Was beliebt dir?", hakte Terpander nach, der gern zurückgeboxt hätte, ohne bei diesen Gedanken Zorn zu verspüren. "Mir hat man alles auf diese Weise beigebracht. Und ich bin doch kein schlechter Mensch geworden." Nicht 'man'. Asterios war es gewesen, sein Erastes, der den Heldentod in der Schlacht gefunden hatte.

    "Angenehm dich kennenzulernen, dominus Tarpa", grüßte Terpander. Von dem Mann hatte Scato erzählt, er war einer seiner engsten Freunde.


    "Satibarzanes putzt, weil er putzen möchte", erklärte er laut genug, dass Satibarzanes es hörte. "Womit hat Herr Scato dich denn fertig gemacht, dominus Lurco?" Vermutlich ein Ausbruch emotionaler Natur, sein Herr war dann anstrengend. Terpander ließ sich vom zürnenden Lurco ohne Wiederstand an die Wand drücken. Doch seine aufrechte Haltung kommunizierte, was er davon hielt. Nicht einmal Scato nahm sich heraus, ihn so zu behandeln. Außerdem presste Lurco ihn mit dem ganzen Körper flach, so dass er seinen Schritt gegen den von Terpander drückte. Alle Achtung. So viel Schneid, ihm auf diese Weise zu drohen, hatte er dem Soldaten gar nicht zugetraut. Die Herausforderung würde er gern annehmen und dann würden sie ja sehen, wer hier wem den Schritt sonstwohin presste. Leider verbot ihm das sein Stand.


    "Ich bin mitnichten dein Feind, dominus Lurco", sprach Terpander ruhig. "Ich verhalte mich so, wie es für alle am besten ist. In einem Jahr wird Sati kein fettes kleines weinerliches Schweinchen mehr sein, das jedem im Weg rumsteht, sondern ein Mann, auf den Rom stolz sein kann." Oder tot.


    "Ich stehe dir zur Verfügung, wann immer es dir beliebt", fügte er noch hinzu und verneigte sich, nachdem Lurco ihn freigegeben hatte. Er folgte ihm ins Triclinium, um die Herren zu bewirten.