Beiträge von Terpander

    Aulus Iunius Tacitus hatte einen Fehlkauf getätigt. Nun stellte er sich den Problemen und versuchte, das Beste daraus zu machen. Terpander kam nicht umhin, der Gemütsruhe des Herrn Achtung zu zollen, auch wenn er nicht glaubte, dass sich die Zeitvergeudung lohnte. Aber wer wusste schon, welche Motive den aufstrebenden Advokaten antrieben.


    "Malachi! Dicon!"


    Als die beiden vor ihm standen, kam Terpander gleich zur Sache. Inzwischen hatte er sich auch eine - robuste und ausreichend lange - Tunika bringen lassen, sicherheitshalber auch Unterwäsche. Es waren Männerkleider und ein Tuch, so dass alles wie ein unförmiger Sack an ihr sitzen würde, aber vielleicht tat ihr das gut. "Aulus Iunius Tacitus bedarf unserer Hilfe in den Trajansmärkten. Der Kauf einer tollpatischigen Sklavin ist in einem Desaster gemündet und wir werden Schlimmeres verhindern. Auf jetzt." Mit den beiden Männern im Schlepptau, von denen der ehemalige Gladiator Malachi die eindrucksvollere Statur hatte als der Schreiber Dicon, machte er sich im Eilschritt auf den Weg zu den Trajansmärkten.

    Terpander ließ sich nichts anmerken. Seine Methoden wären andere gewesen, aber der Herr hatte gesprochen. Er benötigte keine Hilfe dabei, sie in die Werkstatt zu tragen. Dabei sinnierte er über die Qualität der Kleidung, die wegen so banaler Belastung vollständig zerriss. Er erinnerte sich daran, wie Iunius Scato sich in der ihm eigenen hysterischen Art und Weise genau darüber echauffiert hatte, dass bei Sklavinnen ständig die Sachen rissen. Sie bekamen dabei keine Löcher, es dröselte sich auch keine Naht auf, sondern die Kleidung zerfiel mir nichts dir nichts aus heiterem Himmel einfach in ihre Bestandteile, so dass die Trägerin völlig entblößt in der Öffentlichkeit stand. Wo kamen nur diese minderwertigen Stoffe her?


    Nachdem er die Sklavin abgelegt und eine Decke über sie gebreitet hatte, kehrte er zu seinem Herrn zurück, dem Verkäufer den Rücken zugewandt und die Augenbrauen bis zum Anschlag hochgezogen. "Zur Domus Iunia, sehr wohl." Terpander marschierte aus dem Laden und ward für geraume Weile nicht gesehen.


    Wenn die Sklavin weiter Ärger machte und sich keine Besserung abzeichnete, würde er sie, sobald der Herr nicht hinsah, erwürgen und in einen Brunnen werfen.

    So war es beschlossen. Terpander nickte, als er seinen Auftrag vernahm. Der Sklavenhändler würde sein Geld bekommen. Und was Artemisia betraf - sie würde das bekommen, was sie verdiente. Erwies sie sich als tüchtig und lernwillig, würde sie in der Domus Iunia ein gutes Leben führen. Wenn nicht, würden die Herren sich ihrer zu entledigen wissen.


    Ihre erste Lektion erhielt sie, als Terpander sie an ihrem Gewand beiseite zog. Er musste dafür nicht grob werden, um sie in der Sichtweite von Iunius Tacitus zu platzieren. "Niemand hat es gern, wenn ihm jemand im Nacken hängt", erklärte er kurz und bündig. "Stehe dort, wo dein Herr dich sieht und du seine Blicke und seinen Fingerzeig aufnehmen kannst."

    Als Tacitus das Wörtchen "würdig" in Verbindung mit dieser Sklavin betrachtete, erntete er einen väterlich-vorwurfsvollen Blick, in dem alles zu lesen war, was Terpander nicht aussprach. Iunius Tacitus hatte durch seinen Fleiß, sein Wissen und sein erhabenes Auftreten Terpanders Respekt erlangt, nicht zuletzt, weil er sich ihm gegenüber anständig verhielt. Der Herr war ein junger Hoffnungsträger in den verstaubten Hallen der römischen Magistrate - und nun stellte sich heraus, dass hinter seinem sachlichen, fast kühlen Auftreten ein weiches Herz schlug, was Terpander mit Sorge erfüllte.


    Terpander blickte wieder nach vorn, wo die Sklavin gerade auf die Knie sank. Dann blickte wieder zu Iunius Tacitus. "Herr", sagte er ruhig und bedacht, "als ehemaliger Paedagogus versichere ich dir: Jeder Mensch ist lernfähig. Es gilt einzig, die geeigneten Mittel zu finden und sie konsequent durchzusetzen. Damit wird die Entscheidung also weder stehen noch fallen. Für die entscheidendere Frage halte ich, ob der Nutzen die notwendige Mühe aufwiegt."


    Eine minimale Falte entstand zwischen seiner Stirn, als er daran dachte, dass die Frau dem selben Volk entsprossen sein sollte wie einst Alexander. Er stellte sich vor, wie dessen Gebeine im Mausoleum in Alexandria zornig rasselten.


    "Immerhin, sie scheint ausreichend verzweifelt zu sein. Ich sehe einen möglichen Nutzen in ihr, und das ist nicht der angepriesene. Du sprachst davon, dir eine Frau suchen zu wollen. Sicher wird sie ihr eigenes Personal in die Domus Iunia mitbringen, aber dennoch könnte es wohl nicht schaden, einen eigenen weiblichen Sklaven auf Vorrat zu besitzen, für Notfälle. Ob es diese sein soll, das liegt natürlich in deinem Ermessen, Herr."

    Mit einer dicken Mappe frisch gekaufter Papyri unter dem Arm fand sich auch Terpander ein. Er war auf dem Sklavenmarkt ein gern gesehener Gast, zumindest, wenn man die Perspektive des alten Sklaventreibers zum Maßstab nahm. Gelegentlich hatte er es sich zum Zeitvertreib gemacht, ohne Kaufabsicht die Preise in die Höhe zu treiben, was dem alten Titus Tranquilius zusätzliches Einkommen beschert hatte. Heute war das nicht möglich, denn Aulus Iunius Tacitus war auch zugegen. Er nickte in dessen Richtung und klopfte kurz auf die Mappe, sprach ihn jedoch nicht an, da der Herr gerade in einem Gespräch mit dem Sklavenhändler vertieft war.


    Nun warf Terpander einen Blick nach oben, um zu sehen, um welche Ware es ging. Aus seiner Heimat war Terpander Nacktheit gewohnt, so dass erst die Reaktion der Vestalin ihn daran erinnerte, dass hier etwas Ungehöriges vor sich ging. Jetzt zeigte sich ein gehässiger Zug um seine Mundwinkel, als er die offensichtliche Hilflosigkeit der Sklavin wahrnahm. Mitleid zählte nicht zu den Eigenschaften, die Terpander besaß, dafür eine gehörige Portion Schadenfreude und ein Gefühl der eigenen Überlegenheit.


    Beischlaf gab es an jeder Ecke für wenige Asse, dafür musste man keine teure Sklavin halten, und wenn man Terpander hieß, musste man dafür überhaupt nichts bezahlen. Anscheinend wusste die Sklavin nicht, dass dieses Geschäft in Rom praktisch nichts wert war. Auch er selbst hatte entsprechende Aufgaben erfüllt, aber er war vor allem Griechischlehrer gewesen, worin sein eigentlicher Wert begründet lag. Eine Sklavin, die nichts anderes konnte, würde kaum einen Käufer bei der Oberschicht finden. Solche vegetierten üblicherweise in den Lupanaren, aber genossen nicht das gute Leben in einer römischen Familie. Das würden die Frauen des Hauses auch kaum dulden.


    Na, mal schauen, wie sich das hier noch entwickelte. Vielleicht kaufte sie ja irgendjemand aus Mitleid oder nur darum, damit sie sich endlich wieder anzog und die kultivierte Oberschicht nicht länger beleidigt wude.

    "Eine berechtigte Frage. Was Änderungen betraf, so waren und sind die Spartiaten Betonschädel. Die Tradition war Garant für den Erfolg und Versuche, den Kampfgeist des Gegners zu schwächen, gehören zur Kriegsführung dazu. Zersetzung, Demoralisierung. Es bedarf einer guten Portion Sturheit, dagegen zu bestehen, wenn man so eine kleine Polis ist. Die gleiche Sturheit fiel Sparta irgendwann auf die Füße. Andererseits - wenn man die Traditionen und damit die Kultur aufgibt, verliert man sich dann nicht automatisch selbst?“

    Der junge Römer mit dem adretten Bart war scheinbar jemand, der sich am besten entspannen konnte, wenn jemand lange dozierte. Terpander legte das Handtuch beiseite und massierte Tacitus die Kopfhaut, damit sein Haar voll und gesund blieb, während er sprach. Für seine Verhältnisse waren das viele Worte auf einmal, aber der Herr wünschte es eben so, also sprach der Hellene.


    "Es gibt die Vollbürger, das sind die Spartiaten - jene Männer in Bronzerüstung und rotem Mantel, die man sich gemeinhin unter einem Spartaner vorstellt. Es ist ein Kriegeradel. Darunter stehen die Periöken, Freie, die am ehesten mit Peregrini zu vergleichen sind. Es sind Angehörige der unterworfenen Regionen. Sie leben mehr oder weniger autonom und leisten gelegentlich Kriegsdienste. Die Stellung der Periöken im lakedaimonischen Heer darf nicht unterschätzt werden. Eine Hochzeit zwischene Vollbürgern und Periöken ist allerdings völlig ausgeschlossen, während Römer und Peregrini ja öfter mal heiraten.


    Dem gegenüber stehen noch die Heloten. Die sind zwar im Staat sesshaft, aber keine Bürger, dürfen außerdem ihr Land nicht verlassen, sondern haben es zu bewirtschaften. Vielleicht kannst du sie dir als öffentliche Sklaven vorstellen. Wichtig ist, dass sie niemals ausschließlich einem einzelnen Spartaner gehören können, sondern immer auch für ihr Gemeinwesen zuständig sind. Seit der Herrschaft von Rom ist das aber rückläufig und wird zunehmend durch die übliche Form der Sklaverei ersetzt.


    Militärisch ist Sparta natürlich schon seit 300 Jahren nicht mehr ernstzunehmen. Unser letzter großer Kampf war gegen die Achaier und Makedonen. Unter König Nabis endete die unabhängige Politik Spartas. Schuld daran waren natürlich die Römer, die von den feigen Achaiern um Hilfe angefleht wurden. Sparta schlug sich in Anbetracht einer solchen Übermacht hervorragend, aber am Ende konnte solchem Druck nicht standgehalten werden. Die Macht der Polis wurde stark beschnitten. Seine Unabhängigkeit durfte Sparta allerdings ebenso behalten wie die Stadtmauern, die Nabis hatte errichten lassen. Nach ihm gab es keinen König mehr.


    Im Grunde hat Sparta nach der Niederlage das Los der übrigen griechischen Staaten geteilt, jedoch wurde ihm von den Römern besondere Ehre zuteil. Wir blieben frei und haben nominell nichts anderes als Freundschaftsdienste erwiesen. Jedoch sind zum Beispiel sind die Ephoren - so eine Art Aufsichtsbeamte, die auch die Außenpolitik bestimmten - aus dem Leben Spartas verschwunden. Nach Augustus aber hat Rom die Zügel noch fester gezogen und von der Freiheit blieb nicht mehr allzu viel übrig. Das Thema ist umfangreich, aber mit Politik hatte ich im Grunde nie viel zu tun. Fakt ist: Alles war klar geregelt, bis Rom die Herrschaft übernahm.


    Für einen Menschenschlag, der seit jeher für den Kampf lebt, ist so eine neue, aufgezwungene Ordnung nicht leicht zu verkraften, auch heute nicht, obwohl das zehn Generationen her ist. Wofür leben wir noch? Für ein zerbrochenes Spiegelbild. Unsere gesamte Gesellschaft war und ist auf den Kampf ausgelegt. Wir versuchen, die Traditionen hoch zu halten, aber es sind nur Schatten und vergebene Hoffnungen. Der Geist Spartas stirbt."


    Den Optimismus hatte Terpander wahrlich nicht für sich gepachtet.


    "Aber bevor du dich sorgst: Ich gehöre nicht zu jenen, die Rom dafür hassen. Rom war einfach besser, das ist der Lauf der Dinge. Es ist nur ärgerlich, dass es kein vernünftiger Kampf war, kein Untergang im eigenen Blut, wie Sparta ihn verdient hätte, sondern schnöde Außenpolitik, die am Ende alles entschied."


    Sim-Off:

    Wie die innenpolitische Situation zu Zeiten des Rollenspiels im Einzelnen ist, kann ich leider nicht sagen, da die Quellenlage zu meinem Bedauern dazu äußerst dürftig ausfällt. Die Spartaner selbst schrieben ja nichts auf; es gibt keine schriftlichen Quellen aus der Hand von Lakedaimoniern. Die alten Stände sind aber während der Zeit des Prinzipats zumindest noch zum Teil vorhanden.


    "Es ist auch ungewöhnlich, Herr. Es ist die Strafe für ein Verbrechen gegen einen der Homoioi."


    Das musste man dazu sagen, denn eine Untat gegen einen Heloten interessierte noch weniger, als in Rom die Untat gegen einen Sklaven zählte, und auch die Periöken waren nur bedingt mit Peregrini zu vergleichen. Der Abstand der Vollbürger zu ihnen war riesig und unüberwindbar, wohingegen ein Peregrinus problemlos das römische Bürgerrecht erlangen konnte. Was Terpander verschwieg, war, dass es weder Verfahren noch Urteil gegeben hatte und er sich in der Sklaverei genau davor versteckte. Tatsächlich wusste selbst in der Polis kaum jemand davon, was er angerichtet hatte.


    "Über Sparta gibt es viel zu erzählen, es würde ganze Bücher füllen. Wir selbst schreiben sie jedoch nicht nieder. Dichtkunst ist in der Polis der beste Weg, sich lächerlich zu machen. Ich spreche natürlich ganz allgemein, Herr, vom Geiste Spartas, nicht von mir. Was würde euch denn interessieren, wovon darf ich euch erzählen?"

    Der "arschfaule Terpander" hielt sich im Hintergrund, damit die Herren ungestört plaudern konnten. Er wollte sich nicht des unziemlichen Lauschens schuldig machen. Und ja, ein wenig ausruhen wollte er vielleicht auch. Als er Stilos Blick bemerkte, hielt er ihm eine Schale mit Zitronenwasser hin, die eigens für diesen Zweck gedacht war. Über seinem Arm hing ein trockenes Tuch, an dem Stilo sich bedienen konnte. Scheinbar schmeckten die Eier, es war nicht mehr viel übrig. Tacitus hingegen schien noch gar nichts gegessen zu haben, wie Terpander mit leichtem Unbehagen feststellte. Scheinbar würde er mit der Küche ein ernstes Gespräch führen müssen, da die dort beschäftigten Sklaven sich nicht ausreichend informiert hatten, wie es dem Herrn schmeckte.

    "Das kommt darauf an, was man als Kultur definiert, Herr. Spartas Geist ist Selbstaufgabe, was nichts mit dem Prunk römischer Kultur gemein hat. Ja, ich stamme aus der Polis und habe die Agoge durchlaufen. Unser beliebtestes Gericht ist die Blutsuppe, unsere Gesänge handeln vom Sterben, unser berühmtestes Fest ist die Geißelung der Epheben. Auch heute noch werden schwächliche Kinder dem Taygetos überantwortet. Dass ein feingeistiger Römer wie du Spartas Beitrag für die hellenische Welt als von unschätzbarem Wert bezeichnet, mag deiner Wohlerzogenheit geschuldet sein. Und natürlich hat mein Vater mich nicht nach einem Kitharöden benannt. Das war meine erste Herrin."


    Terpander sprach mit Tacitus recht offen, so wie er es gewohnt war. Ein Sklave, der nur Ja und Danke sagte, war für die Küche geeignet, aber nicht als Gesellschafter. Falls den Herrn diese Art und Weise störte, würde er sich schon zu Wort melden.


    Das Haar von Tacitus war fertig eingeschäumt. Terpander übergoss es vorsichtig mit warmem Wasser, wobei er darauf achtete, dass möglichst wenig davon in das Gesicht des Herrn floss. Mit einem Handttuch tupfte er ihm das Gesicht ab und massierte ihm anschließend durch den flauschigen Stoff die Kopfhaut, so dass das Haar schonend getrocknet wurde. Zudem beugten Massagen Haarausfall vor. Haar- und Bartpflege gehörte zu den wenigen Aufgaben, die er nicht nur aus Pflichtgefühl erledigte, sondern wirklich gern tat.


    "Damit, dass du Tyrtaios kennst, habe ich nicht unbedingt gerechnet, muss ich zugeben."

    Exedra


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    Von der gemütlichen Sitznische aus konnte man den Garten betrachten und geschützt auch bei Regenwetter an der frischen Luft beisammensitzen, einen Wein trinken und etwas essen.


    * * *


    Da es schon etwas kühl wurde, stellten die Sklaven eine breite Feuerschale dazu, die mit ihrem tiefen Glutbett angenehme Wärme verströmte. Die glühenden Kohlen hatten sie aus der Küche entnommen, sonst würde es zu lange dauern, bis die Wärme genügte. Auf dem Tisch standen verführerisch arrangierte Speisen bereit. Die gewünschten weichgekochten Eier in Honig* lagen in einer Schale, dazu gab es violett leuchtenden Getreidebrei mit gekochten Pflaumen. Wer wollte, konnte sich frisch geschlagene Sahne dazugeben oder mit Pfeffer, Salz und Honig nachwürzen. Auch eine Schale mit Feigen stand bereit, sowie ein Teller mit sanft geräucherten Schinkenstücken, falls jemand zwischendurch etwas Herzhaftes wünschte, das geschmacklich dazu passte.


    Sim-Off:

    *Rezept: In ovis apalis

    Eine lange Reihe von Sklaven marschierte zügig an der Tür vorbei, jeder Trug ein Tablett. Ziel war die Exedra, die nun in Windeseile hergerichtet wurde. Stilo war ein anspruchsloser Gast, aber sein Humor war zum Kotzen, vor allem wenn er auf Terpanders Kosten ging. Wahrscheinlich lachte der Prätorianer sich beim Anblick der gestressten Sklaven köstlich ins Fäustchen.


    Terpander ließ sich von seinem Unmut nichts anmerken, als er den gewünschten attischen Rotwein samt Wasser ins Tablinium trug und beiden Herren einschenkte, dem Hausherrn zuerst und Stilo einen Fingerbreit weniger. Aias brachte die gewünschte Vorspeise. Ohne das Gespräch zu unterbrechen, verschwanden die Sklaven wieder, um sich der Exedra zu widmen.


    Der Koch jammerte, Terpander schaute finster, Botenjunge Begoas stand kurz vor den Tränen. Doch wenig später war die Exedra in einen äußerst einladenden Ort verwandelt. Terpander gab dem Hausherrn ein nonverbales Zeichen, dass alles bereit war, ehe er wieder entschwand.

    Terpander stand gerade hinter dem Kopf von Tacitus, während er die Tunika faltete, so dass dieser nicht die Entgleisung in seinem Gesicht sah, als er ein Gedicht wünschte. Schmähgedichte kannte Terpander, pädagogische Merksprüche und unanständige Stammtischreime. Kriegslieder, in denen das Sterben und Schlachten wortreich gepriesen wurde. Aber vermutlich nichts, was nach dem Geschmack des Herrn sein würde.


    Terpander nahm ein Stück Seife zur Hand, das für die Haare gedacht war und das einen unaufdringlichen Duft verströmte. Das machte er nass, rubbelte es in seinen Händen und legte es dann ab, um die eingeschäumten Hände im Haar des Herrn zu vergraben.


    Er wollte tatsächlich ein Gedicht ...


    Zumindest eine Kopfmassage musste Tacitus über sich ergehen lassen, sonst wurden die Haare nicht sauber. Kein Mann seines Standes wollte Schuppen auf den Schultern spazieren tragen und wenn doch, würde Terpander es nicht widerspruchslos erdulden. Endlich hatte er sich für ein Lied entschieden, dass er nun als Gedicht vortrug:


    "Unerbittlich, immerwährend, festausharrend in der Not

    Unserer Väter Ahnen, schwangen ihre Lanzen blutigrot.

    Endlich dann, nach zwei Jahrzehnten ließ der Feind das fette Land,

    Aus Ithomes hohen Bergen hat er sich zur Flucht gewandt.


    Der schönste Tod von allen ist es, von Feindes Hand

    Als tapfrer Mann zu fallen im Streit fürs Heimatland;

    Doch nichts erträgt sich schwerer, als fort ins Elend fliehn,

    Der reichen Heimat ferne durchs Land als Bettler ziehn.


    Zur Seit' den grauen Vater, das Mütterlein, o Qual!,

    Und mit den kleinen Kindern das ehliche Gemahl.

    Ihn treibt der harte Mangel; im Zwang der bittern Not

    Fleht er umsonst um Beistand fremd und als Feind bedroht.


    Zur Unehr' seiner Ahnen, sein schön Gesicht entstellt,

    Dem aller Schimpf und Schande und Schlechtigkeit gesellt.

    Lasst ihn das Land durchstreichen! Man höhnt ihn ins Gesicht,

    Er findet nirgends Achtung, nicht Rücksicht, Mitleid nicht."


    Mal sehen, ob Tacitus diesen Dichter erraten konnte, den sein Platon wortreich gelobt hatte.

    Tablinium

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    Das Tablinum öffnete sich oft mit seiner gesamten Vorderseite zum Atrium und konnte bei Bedarf durch Vorhänge oder Holztüren abgeschirmt werden. Die Rückwand des Tablinums war mit großen Fenstern versehen, so dass eine beeindruckende Blickachse vom Eingang des Hauses, durch das Atrium und das Tablinum bis in den Garten entstand. Hier empfing früher nicht nur der Pater familias seine Klienten, sondern es wurde allgemein als reich mit Wandmalereien ausgestatteter Repräsentationsraum genutzt. Wie bei allen vornehmen Familien befanden sich hier die Büsten der Vorfahren. Kurz - man konnte effektiv damit protzen.


    * * *


    Hier wurde nun Sisenna Seius Stilo deponiert, bis entschieden war, wie mit dem unangekündigten Gast zu verfahren sei. Alles kam durcheinander, weil dieser Gast es nicht für nötig gehalten hatte, den Gesetzen der Höflichkeit zu folgen. In der Küche rotierten die Sklaven. Vielleicht sah man Terpander den Stress an, als er Iunius Tacitus aufsuchte.


    "Dominus, dein Gast ist soeben an der Porta erschienen. Ich habe ihn erstmal ins Tablinium gesetzt. Wo darf ich decken lassen und welchen Wein servieren? Tablinium, Peristyl oder Garten? Andere Wünsche?" Da Seius Stilo, was den Geschmack von gutem Wein betraf, praktisch taubblind war, könnte Terpander auch den Billigsten nehmen, aber das konnte er so nicht sagen. Die Iunier waren ja nicht arm und am Wein zu geizen nicht notwendig, aber der teuerste wäre schlichtweg Verschwendung an diesem Gast, fand er.

    Beim Eintreten schien man in einen warmen Schleier einzutauchen. Der Raum war sehr gut beheizt, damit der Badende nicht fror, wenn er im Anschluss aus dem warmen Wasser stieg.Schnelle, effiziente Reinigung, keine Massage, keine Rasur, keine Fußpflege, kein gar nichts. Nur eine Reinigung. Obwohl die Oberfläche des kleinen Beckens einladend dampfte und allerlei olfaktorische Herrlichkeiten auf einem Tablett in kunstvollen Flaschen bereitstanden. Na ja, für irgendeines der Öle würde er sich schon erwärmen können, auch wenn er keine Massage wünschte, und sei es das duftfreie Olivenöl ohne alles. Uneingeölt konnte man schließlich nicht vor die Haustür gehen. Terpander wartete, bis Tacitus sich auffordernd hinstellte, um ihm schnell und effizient beim Auskleiden zu helfen.


    "Hattest du in deiner alten Heimat auch ein privates Balneum oder hast du die öffentlichen Bäder besucht?", plauderte Terpander ein wenig.


    Nicht einmal eine Rasur, kein Nichts ... irgendwie verstörte ihn die Anspruchslosigkeit. Er war es gewohnt, stundenlang Körper zu kneten und konnte seinerseits stundenlang stillliegen und sich verwöhnen lassen, und dieser Herr wollte einfach gar nichts. "Wünschst du vielleicht Musik während des Bades?" Terpander konnte sich die Antwort denken, doch er musste das einfach fragen.

    "Was den Fluss der Gedanken angeht, hoffe ich, dass er breit ist und viel Spielraum ist, sollte dem wirklich so sein, wie Platon es vermutet. Das Leben wie ein Theaterstück abspielen zu lassen, ohne Einfluss nehmen zu können, erschiene mir ansonsten trist."


    Das Leben eines Sklaven eben, doch bislang hatte Terpander reichlich Freiheiten genossen, da er die meisten Arbeiten delegiert. Mal sehen, wie Tacitus das handzuhaben gedachte, ob er die Zügel enger schnallen würde oder Terpander sein eigenwilliges Dasein beließ.


    "Eine standesgemäße Ehefrau mit allen von dir gewünschten Eigenschaften wirst du hier in Rom zu finden vermögen. Du bist ein gebildeter und ansehnlicher Mann aus gutem Hause. Ein Vater, der da Nein sagt, wäre ein Tor. Kinder sind die Zierde einer jeden Ehe, deren ursprünglichster Zweck, doch leider ist das ein Punkt, den die meisten Iunier in letzter Zeit umschiffen. Ich bin froh, dass du nicht vorhast, die Gens aussterben zu lassen."


    Kinder waren die Seele des Volkes. Er selbst mochte sie. Terpander verbot sich die Erinnerung an den Taygetos, dessen Eiskrone wie kein anderes Wahrzeichen dafür stand, was seine eigene Heimat ausmachte, und daran, was dort auch unter römischer Herrschaft noch immer geschah. Doch hier in Rom war es anders.


    "Wenn du mich dann bitte ins Balneum begleiten möchtest ... Malachi hat alles für das Bad vorbereitet."

    Die Tür ging gleich vollständig auf. Anhand der Schritte hatte Terpander schon gehört, wer da nahte. Eine kurze Verneigung war die Folge. "Dominus Seius Stilo, wie erfreulich."


    Von wegen, keinen Finger hatte irgendjemand gerührt, um den Kerl zu empfangen - wie auch, wenn er sich nicht ankündigte, bevor er hier aufschlug! Malachi, der mitgehört hatte, eilte in die Küche, wo sofort ein hektisches Treiben begann. Dann in den Hortus, wo das Gleiche geschah. Alle Sklaven stellten sich auf den Betrieb Adventor ante portas um. Terpander seinerseits führte den Gast zunächst ins Tablinium und eilte dann los, um den Hausherrn zu informieren. Ob dieser ihn dann ins Triclinium einladen würde, wo man gemütlich auf den Liegesofas plaudern konnte, in die Exedra mit Gartenblick oder sonstwohin, war dann die Sache von Iunius Tacitus.

    "Oh, Seius Stilo kann dir zu allem möglichen Rat geben, besonders, wenn du nicht mit dem Wein geizt. Er weiß viel. Prätorianer eben. Und sicher hat er auch guten Rat für dich, wem du dich als Patron empfehlen könntest."


    Terpander legte die Tunika beiseite, so dass er sie anschließend ins Bad tragen konnte, ehe er die übrigen Sachen weiter einräumte, während Iunius Tacitus sprach. Am Ende fragte Terpander:


    "Wenn alles fließt, weil der göttliche logos am Ende jede Ursache und jede Wirkung bedingt, bleibt dann noch Raum für freie Entscheidungen? Oder sind auch unsere Gedanken nur eine Folge dieses Flusses?" Eine deprimierende Vorstellung, fand er.


    "Da du vorhin fragtest: Keiner der mir bekannten Iunier ist verheiratet oder hat Kinder. Nicht einmal Iunia Proxima, die wie so viele andere im besten Heiratsalter ist. Was daran liegt, dass die Iunier oft andere Prioritäten setzen als Familiengründung. Manche wehren sich sogar mit Händen und Füßen dagegen, als sei die Ehe eine Bedrohung. Viele iunische Männer ziehen die Gegenwart ihrer Kameraden jener der Familie vor und die Feuer eines Militärlagers dem heimischen Herd. Andere ruft die Ferne und sie sehnen sich mehr nach exotischen Ländern als nach dem Heimathafen. Darf ich fragen, welche Vorstellungen du von deinem künftigen Privatleben hast, dominus?"


    Jetzt war er ja gespannt, ob Tacitus tatsächlich die einzige lebende Ausnahme sein würde, die sich nach Ehe und Sesshaftigkeit sehnte.


    Malachi steckte kurz den Kopf durch die Tür und vermeldete, dass das Bad fertig sei. Terpander fuhr herum. "Nach dem Bad Brot mit Olivenöl für den Herrn, dazu Posca", kommandierte er und schickte den Mann wieder davon. Nicht gemeckert war genug des Lobes. Er verstaute die letzten Sachen von Iunius Tacitus, nahm die Tunika, dann richtete er sich wieder auf.


    "Entnehme ich deinen Worten richtig, dass du deine Gedanken schnell und effektiv zu sammeln pflegst, anstatt lange im Wasser zu liegen? Du möchtest, dass man dich möglichst schnell und effizient reinigt? Keine Massage nach der langen Reise, keine Rasur oder Fußpflege, keinerlei Schnickschnack, nur eine Reinigung und sonst nichts?"