Beiträge von Kyriakos

    Serenus nahm es an.


    Von Zufriedenheit erfüllt sank Kyriakos den Fersensitz, eine bequeme und vertraute Ruhehaltung, wenn keine Möbel zur Verfügung standen. Das Herz legte er zurück in die offene Bauchhöhle des Hirschen. Dieses Stück Wild gehörte Serenus. Kyriakos hätte das Tier nicht befördern und verwerten können und so hatte er nur den wichtigsten Bissen von allen mit Serenus teilen wollen. Der Rest mochte seinem Jagdgefährten schmecken.


    Seinem Jagd...gefährten. Gedanklich wiederholte Kyriakos das Wort, während er das Gesicht des Serenus betrachtete. Sie kannten einander kaum und doch war da eine Tiefe wie von einem Vertrauten. Blaue Augen erstrahlten in einem Gesicht, dessen Narben und erste Falten nicht darüber hinwegtäuschen konnten, wie schön es war. Wie alt mochte Serenus sein? Mitte dreißig? Kyriakos registrierte, dass ihn dies interessierte und so manch anderes auch. Wenngleich es in Sparta üblich war, zusätzlich zur Frau einen männlichen Gefährten zu lieben, so hatte Kyriakos in den letzten Jahren freilich anderes im Sinne gehabt. Nun merkte er erstmals, dass er einen Mann zu dem Seinen machen wollte. Serenus der Lichtsatyr, der Marsyas dazu gebracht hatte, die Maske abzulegen während des großartigen Bacchanals. Es war illusorisch, Kyriakos besaß nicht einmal eine feste Unterkunft, von seinem ehrlosen Gewerbe ganz zu schweigen, Serenus war wohlhabend und entstammte sicher den höheren Schichten der römischen Gesellschaft. Und doch wollte Kyriakos ihn.


    Serenus hatte das Herz ergriffen, ohne zu ahnen, wofür es stand.


    Als hätte er die Fantasie des Kyriakos nun doch erraten, legte Serenus ihm seinen Mantel um die Schultern, um ihn sogleich innig zu küssen. Eine Woge heißer Leidenschaft brandete über denJäger hinweg und die Frage, warum Serenus ihm den Mantel umlegte, kam nicht auf. Ein heißer Kuss wollte erwidert werden, ein flammender Leib harrte höchster Lust. Und da sprach Serenus noch vom Opfer an seine Jagdgöttin. Nichts hätte Kyriakos in jenem Moment gleichgültiger sein können als der Zorn einer Unsterblichen. Der Schlamm verteilte sich auf den edlen Kleidern seines Gespielen, auf seiner Haut, überall, als Kyriakos sich gierig an ihn drängte, ihn an sich zog, ihn küsste und mit dem Knie zwischen seine Beine drängte, um ihm die Schenkel auseinander zu drücken.


    Diesmal war Kyriakos es, der erobern wollte.

    Kyriakos erreichte wenig später die Stelle, an welcher sein Jagdgefährte dem weißen Hirsch das Leben genommen hatte.


    »Ein vortreffliches Gemeinschaftswerk. Und sieh, die Augen des Hirschen sind geschlossen, er hat sein Schicksal akzeptiert.«


    Im Grase lag der Dolch, mit dem das Werk vollendet worden war, das Kyriakos begonnen hatte. Er griff danach und trennte dem Tier routiniert den Bauchraum auf und trennte dabei auch die Genitalien heraus. Beherzt griff er ins heiße Rot. Die Eingeweide mussten heraus, sonst wurde das Fleisch in weniger als einer Stunde ungenießbar. Bald lag ein dampfender, verschlungener Haufen an Gedärm im Gras. Hohl klaffte der noch warme Leib.


    Kyriakos, eben noch enthusiastisch, wurde ruhig, als er sich an den folgenden Handgriff machte. Die Routine wich der Achtsamkeit und er griff ein weiteres Mal ins Innere des Tieres. Er hob das tropfende Herz an seinen Mund und biss ein Stück heraus. Während er das warme Muskelfleisch im Mundraum verwahrte, überreichte er Serenus das Herz mit beiden Händen, die zarte Spitze unangetastet in seine Richtung zeigend, eigens für ihn reserviert. Über die Gabe hinweg sah Kyriakos ihm tief in die Augen, ein rot umrandetes Lächeln auf den Lippen.


    »Für dich.«

    Der Anblick stoppte die Hand des Jägers, welche den Speer führte. Vieles lag im Bereich des Möglichen in seiner gottlosen Welt. Wahrscheinlichkeiten definierten sein Schicksal, Entscheidungen machten es beeinflussbar. Doch die Kreatur, die mit dem Huf im Unterholz nach Nahrung kratzte, ließ ihn sich erinnern, warum er einstmals an Göttliches geglaubt hatte.


    Der weiße Hirsch hob das Haupt, das verzweigte Geweih zeichnete sich gegen die Sonne ab. Der König dieses Waldes trug eine Krone aus Knochen und Licht. Kurzzeitig überlegte Kyriakos, ob er sich zurückziehen und dem edlen Tier das Leben schenken sollte, von Ehrfurcht ergriffen im Angesicht von so viel Stolz und Schönheit. Doch dann würde ein anderer es an seiner Stelle erbeuten und die Krone nach Hause tragen. Und war er nicht hier, um dem Serenus zu beweisen, welch Jäger Kyriakos von Sparta war? Nicht das Herz war es, das den Mensch zum Manne machte, sondern Entschlossenheit, die nicht wankte, Tatkraft, die über alle Empfindungen erhaben stand. Warum sollte er dem Hirsch seiner Schönheit wegen das Leben schenken? Tot würde er nützlicher sein, den ausgestopften Kopf an der Wand, das Herz auf dem Teller, das Fell eine Decke, auf die Kyriakos Serenus betten würde, um ihn zur Feier des Sieges zu lieben. Der Gedanke wischte alles Zaudern hinfort.


    Kyriakos musste die Beine stärker heben beim Schleichen, denn seine Füße hingen schlaff hinab, sobald sie die Bodenhaftung verloren und schlurften wie leblos durchs Laub. Kyriakos war die Jagd gewohnt, doch nicht mehr, seit er mit der Verkrüppelung leben musste. So hakte ein Fuß geräuschvoll in eine Bromberschlaufe und der Hirsch hob witternden den Kopf. Riechen konnte er den Jäger nicht, dafür hatte Kyriakos gesorgt. Doch zu zeitig hatte das Tier dennoch den lahmen Jäger bemerkt. So blieb Kyriakos nur die Wahl, den Hirschen ziehen zu lassen oder sofort den Angriff zu wagen. Das Blut erhitzt von dem Gedanken an Serenus schleuderte er den Speer mit aller Kraft und der schwarze Todesbote schoss auf den weißen Pelz zu. Lautlos drang er durch den Leib des Tiers. Auf die Hinterbeine stieg der Hirsch mit geweiteten Augen, sein Schrei klang fast menschlich und der Speer rutschte zur anderen Seite wieder heraus.


    Doch war Kyriakos zu weit entfernt gewesen und die Wunde nicht sofort tödlich. Der Jäger trat aus den Bäumen. Kyriakos zeigte die Zähne und stieß ein Brüllen aus. Das Tier mobilisierte all seine Kräfte und mit einem Satz - verschwand es. Kyriakos hob den verlorenen Speer auf und war zufrieden. Er hatte sich so gezeigt, dass die entgegengesetzte Richtung den Hirsch zu Serenus treiben würde, der durch den Ruf hoffentlich alarmiert worden war, sich bereitzuhalten. Und in die Richtung des Serenus stürzte der Hirsch, eine Blutspur, abgeknickte Zweige und frische Hufabdrücke hinterlassend, die für den geübten Jäger gut lesbar waren.


    Die Jagdwaffe in der Hand machte Kyriakos sich an die langsame Verfolgung des waidwunden Hirschs, um ihm die Krone des Waldes zu rauben und sie Serenus zu überreichen - sofern dieser sie nicht schon selbst an sich genommen hatte.

    An dem Rätsel um den wahren Namen des Serenus würde Kyriakos noch lange zu knabbern haben. Der Lohn war verlockend. Er würde nachdenken, forschen, fragen. Und eines Tages die Antwort finden. Mit dem Anfang eines Gedichts hatte Serenus hernach den Namen des Kyriakos verglichen. Der blickte in die Ferne bei diesen Worten, das Kompliment gedanklich hin und her wälzend wie ein Geschenk, das man genau betrachtet und untersucht. Dann schaute wieder zu Serenus. Nach einigem Nachdenken war er zu dem Schluss gekommen, dass dieser recht hatte.


    »Das Herz aller guten Gedichte schlägt voller Dunkelheit. Wer lange durch die Nacht gewandert ist, dem sickert sie durch Fleisch und Blut, bis er selbst ein Teil von ihr ist. Und doch werden alle Geschöpfe der Finsternis vom Licht der Sonne angezogen, bis sie ihre Flügel versengt. Doch für uns, Serenus, gelten diese Gesetze nicht. Denn als wir beide uns kennenlernten, waren wir unsterblich.«


    Die Straße unter den ratternden Rädern veränderte sich. Kreisrund lag mit einem Mal der See vor ihnen, die Oberfläche so glatt, dass sich die Sonne und die Wolken darin spiegelten, als sei dies ein auf Erden gefangenes Stück Himmel.


    »Siehst du, Serenus ... die Sonne ist greifbar für uns.«


    Der Weg führte sie vorbei an nobel einem nobel aussehenden Viertel und durch beinahe romantisch verfallene alte Mauern, ehe die Natur sie erneut umfing. Über allem aber thronte ein einzelner Berg, dessen Name Kyriakos nicht kannte.


    »Der Olympos von Roma«, schlussfolgerte er. »Es gibt viele Berge dieses Namens, doch den echten Olympos hat noch keiner gefunden.«


    Am Ende der Fahrt erwartete sie ein kleines Elysion, eine Insel der Glückseligen, nicht umgeben vom Wasser, aber am Ufer. Eine Mühle, wie es schien. Schön hatte Serenus es hier ...


    Als die Custodes näher kamen, um sich um die Pferde und das Gepäck zu kümmern, trat Kyriakos zur Seite. Die Zeit, als er selbst noch bedient worden war und seinen Abstieg zum Niedersten, spürte er als einen Stich inmitten des wunderbaren Morgens. Serenus hatte keine Ahnung, welch Kreatur aus dem einstigen Kyriakos von Sparta geworden war. Reichtum benötigte Kyriakos nicht, doch etwas mehr Würde im Leben wäre wünschenswert. Er trat an die Waffen und ergriff, ohne nachzudenken, einen Speer. Wie lange hatte er diese Waffe nicht mehr geführt? Seine Finger schlossen sich um den Schaft. Er ging etwas abseits, wog ihn in der Hand. Eine Wiese in sicherer Entfernung diente als Übungsfeld, um ein Gefühl für die Waffe zu bekommen, da sie eine etwas andere Länge und ein anderes Gewicht aufwies als jene, mit der er früher gejagt hatte. Bis Serenus vollbepackt zurückkehrte, war Kyriakos auf den Jagdspeer eingestimmt.


    Es verlockte, ihn mit einem Kuss zu begrüßen ... das Licht für den Nachtfalter. Doch kein zweites Mal würde Kyriakos ihn so bloßstellen, wie er es versehentlich vor der Fahrt getan hatte. Ihm keinen Anlass geben, zu bereuen, dass sie sich heute getroffen hatten. Serenus sollte glücklich sein am Ende dieses Tages.


    Zu Pferde ging der Ritt hernach hinaus ins Revier. Das erste Mal seit Jahren saß Kyriakos auf dem Rücken eines Rosses, doch er hatte das Reiten nicht verlernt. So brachten sie eine gute Entfernung zum Anwesen hinter sich. Als sie an einem Wildwechsel vorbeikamen, stieg Kyriakos vom Pferd, um die Spuren zu untersuchen. Was er sah, stimmte ihn zufrieden. Er band das Tier locker an und es senkte den edlen Kopf, um zu äsen. Kyriakos aber legte die Kleidung ab. Mit den Händen griff er in die feuchte Erde, dort wo die Hufen von Hirsch und Reh ihre Spuren gegraben hatten, um sich damit einzureiben.


    »Die Nase des Wildes ist fein«, erklärte er sein Tun, da er nicht sicher war, ob Serenus sein Verhalten zu deuten wusste. Kyriakos wollte um jeden Preis Beute machen, weil Serenus dabei war. Er sollte wissen, dass er keinen Taugenichts an seiner Seite hatte, sondern einen Jagdgefährten, der diese Bezeichnung verdiente. »Das Wild riecht den Menschen als das Raubtier, das er ist. Meine Kleidung bleibt darum hier, denn sie riecht nach Mensch, und ich hülle mich in den Geruch des Waldes.«


    Es gab Jagdtechniken, da war dies nicht so wichtig, doch Kyriakos musste mit seinem Speer sehr nah an das Wild herankommen. Am Ende war sein ganzer Leib von einer schmierigen Schicht brauner Erde bedeckt, genau wie sein Haar. Ein reizvoller Anblick sah anders aus, doch Kyriakos genoss die Kälte der Erde auf seiner Haut. Er, der sonst in größtmöglicher Perfektion sein Aussehen gestaltete, um sich selbst zum Markte zu tragen, spürte das alte Ich unter der Erde erwachen.


    »Der Wind weht von Süden. Ich werde mich im Bogen mit dem Wind bewegen, hangaufwärts, und dir das Wild zutreiben. So kann es dich nicht riechen und du bleibst, wie du bist, wenn dies dein Wunsch ist. Es ist nicht notwendig, dass du dich besudelst. Wir werden so oder so Beute schlagen.«


    Kein Rascheln und kein Knacken ertönte, als Kyriakos geschmeidig ins Unterholz glitt.

    Als er der erschrockenen Reaktion seines Gespielen gewahr wurde, erschrak auch Kyriakos. Er hatte nicht bedacht, dass man ihn heute nicht wie sonst bestellt hatte, sondern dass dies ein echtes Treffen war. Und dies nicht in Hellas, sondern in Roma. Fast hätte er es ruiniert, den Serenus bloßgestellt und auf ewig verjagt. So tat Kyriakos, als würde er ihm nur die Kleider zurechtzupfen, um anzuzeigen, dass er verstanden hatte, wenngleich es ihm ein wenig leidtat. Als die Finger des Serenus kurz sein Gesicht berührten, drückte ihnen die heiße Wange entgegen. Mehr durfte er nicht tun doch sein Blick zeigte, wie angenehm es ihm war.


    »Mein Name ist Kyriakos. Und ja, ich stamme aus Sparta.«


    Zu lügen ob seines Namens, darin sah er keinen Grund.


    »Hispania also ... man sagt, die Sonne schiene dort wärmer als anderswo, dass ihre Strahlen die Haut durchdringen und das Darunterliegende wärmen. Menschen, deren Gemüt von dunklen Wolken verhangen ist, wird empfohlen, sich dort niederzulassen für eine gewisse Zeit oder auch für immer. Jene, die dort geboren sind aber tragen die Sonne mit sich hinüber in andere Länder, gleich wie dunkel und kalt es dort sein mag. Ein Stück Hispania ist mit ihnen immer vor Ort.«


    Und die positive Wirkung des Lichtsatyrn war nicht zu leugnen gewesen. Auch ohne die Maske hatte Serenus nichts von seinem Zauber verloren. Kyriakos griff nach dem Rand des ... Streitwagens. So waren seine Hände unter Kontrolle und fassten nicht in einem unbedachten Moment in eine Richtung, die nicht gut war unter den Augen der Öffentlichkeit, und sei diese noch so klein. Er war zu lange in seinem Gewerbe tätig gewesen, das Gefühl dafür, was angemessen war bei einem gewöhnlichen Treffen, hatte er verloren. Er überlegte, wann er sich das letzte Mal mit jemandem aus dem Grund getroffen hatte, dass er denjenigen mochte. Auch für Velia war er nur ein Kunde von vielen gewesen, ganz gleich, was er gefühlt hatte. Ihm wurde der traurige Umstand bewusst, dass er sich noch nie mit jemandem aus gegenseitiger Zuneigung getroffen hatte. Noch nie, in seinem ganzen Leben. Jedes Treffen hatte einen Zweck verfolgt. Mit Ausnahme des heutigen.


    Die Steine unter den Wagenrädern ließen das Gefährt vibrieren und immer wieder leicht erbeben. Die Schimmel schritten ruhig und gleichmäßig aus. Kyriakos wusste wenig von Pferden, doch sie machten auf ihn den Eindruck, sie seien gut ausgebildet und Serenus routiniert darin, sie zu lenken.


    »Verrätst du mir auch deinen Namen unter dem Licht des Tages?«


    Kyriakos blickte dabei in die Ferne vor ihnen. Ein Nein fürchtete er nicht ... aber eine Lüge. Und doch hatte er auf die Wahrheit keinen Anspruch. Sie war ein Geschenk, wenn Serenus sie ihm zuteil werden ließe, nichts weniger als das, denn Serenus riskierte Einiges allein deshalb, weil er sich bei Tag und unmaskiert mit ihm traf. Nicht in einer dunklen Gasse, sondern in einem auffälligen Gefährt und einer Aufmachung, die dazu geeignet war, alle Blicke auf sich zu ziehen, nicht nur die des Kyriakos.

    Dass es etwas Vergleichbares in Rom gab, habe ich nicht gewusst. Interessant.


    Zitat

    Ein Freudenhaus in Rom brennt ab, von Beitrag zu Beitrag wird es schlimmer, die Leute haben Spaß


    So hatte es wenigstens etwas Gutes. ;)

    Kyriakos war nicht gesunken. Der Sohn Spartas war besiegt worden, doch ihm war lieber, wenn Tiberios annahm, es wäre sein eigenes Verschulden, dass er nun an diesem Ort seinem ehrlosen Gewerbe nachging. Besser, er hielt ihn für einen Taugenichts, als für einen Verlierer.


    »Ich hatte meine Gründe, die du nicht kennst. Das Helotenmädchen hat einen groben Fehler begangen, nicht nur gegenüber dir. Nicht jeder ist dazu geboren, für Tritte Dankbarkeit zu zeigen.« Er spielte darauf an, dass sie nach seinem Schritt getreten hatte. »Meine Lupos sind hübsche Trottel, doch sie sind bar jeder Schuld. Ob Eireann irgendwelche Informationen über dich verbreitet hat, ist mir nicht bekannt. Doch ich kann es mir gut vorstellen. Sie trägt nichts Gutes in sich und ihr Herz ist wie ein verkohltes Stück Holz: kalt, hässlich und ohne Leben. Sieh zu, dass deines nicht auch so wird. Sonst endest du eines Tages genau wie sie.«


    Als Tiberios gehen wollte, hinderte Kyriakos ihn nicht. Er zog die kreisrunde Klinge aus der Wand und begab sich zu Velias Grab, um sorgfältig die Steine wieder zu richten, die der Unhold durcheinandergebracht hatte.

    Was für ein schöner Mann, dachte Kyriakos, als er Serenus nun im Lichte sah. Das war er schon im Feuerschein des Bacchanals gewesen, doch die Sonne offenbarte seine Gestalt in einer Detailfreude, die dem Auge mannigfache Freude schenkte. Kyriakos lächelte sonst nie, doch bei der freundlichen Begrüßung zogen seine Mundwinkel sich von allein ein Stück auseinander.


    »Die Freude ist ganz meinerseits, Serenus«, sprach er. »Was für eine Augenweide du bist. Du kannst an Kleidern tragen, was du möchtest, es steht dir immer. Selbst in Lumpen würdest du noch eine stattliche Figur machen.«


    Doch es war nicht sein Äußeres allein, das Kyriakos anzog. Es war die Verheißung nach Frohsinn, nach Glück, nach einer unbeschwerten Zeit, die er sonst nicht erlebte. Mit wem auch? Wie und wo? Sein Sohn zog die Gegenwart des fast blinden und schwerhörigen Pythons der seines Vaters vor, die übrige Familie weilte in großer Ferne und Freunde besaß Kyriakos keine. Kyriakos griff nach der dargebotenen Rechten, um sich hinauf in den Wagen helfen zu lassen. Als er sicher stand, legte er einen Arm um die elegante Gestalt des Serenus, weil er ihn gern spüren wollte. Die andere Hand jedoch hielt sich am Rand des Wagens fest, damit er nicht hinausfiel, falls dieser plötzlich anzog.


    »Die Männer der Heiligen Schar stammten aus Theben. Bei Leuktra haben sie uns übel mitgespielt. Danach war nichts mehr, wie es einst war. Aber man muss ihre Kampfkraft anerkennen. Man sagt, es war die Liebe zu ihren Gefährten, die ihnen die Macht verlieh, selbst das als unbesiegbar geltende Heer von Sparta zu besiegen.« Er sah ihm tief in die Augen. »Aber woher stammst du? Bist du in der Urbs Aeterna geboren?«


    Woher er diesen ... Streitwagen hatte, wagte Kyriakos noch nicht zu fragen. Erst musste er die Nervosität herunterschlucken, die sich seiner bemächtigt hatte, eine innere Unruhe, die ihm die Röte ins Gesicht steigen ließ, so wie am Horizont das Rot immer weiter über den Morgenhimmel kroch.

    Zitat

    Pullus


    Cassivellaunus


    »Ich bin nicht müde, Herr«, sprach Cassivellaunus, während er kaum noch die Augen offen halten konnte und ihm der Kopf auf die Brust zu sinken drohte. »Was darf ich für dich tun?«


    Er ging davon aus, dass Pullus sich nach seinem Befinden erkundigte, weil er noch einen Auftrag für ihn hatte, den er sorgfältig erledigt wissen wollte.

    »Dass es jemand auf dich abgesehen haben könnte, ist nachvollziehbar. Du hast kein Talent dafür, dir Freunde zu machen.« Kyriakos hatte Tiberios bisher wie ein lästig pieksendes Insekt erlebt, das er am liebsten zerquetschen würde. Er war nicht nur frech und anmaßend, sondern hatte sich auch noch als Grabschänder entpuppt. »Die Furier werden keinen Grund haben, mir eine Rechnung zu stellen, Helotenbrut. Sie werden deinen Kadaver nicht finden, wenn ich das nicht möchte.«


    Dennoch senkte er die zweite Wurfklinge ein Stück. Kyriakos mochte zu Schrecklichem fähig sein, doch er war niemand, der grundlos Blut vergoss. Tiberios gab ihm zwar Anlass, ihn zu verabscheuen, doch um ihn wirklich töten zu wollen, genügte bloße Antipathie nicht.


    »Eireann war erneut hier, Tiberios. Nicon berichtete mir davon, dass sie hinter jedem Stein nachschaute, ob sie mich finden würde. Sie rief meinen Namen wie ein trauriger Geist, voll Sehnsucht nach mir und dem, was ich ihr geben könnte. Krank vor unerfüllter Liebe, sich nach meinem Leib verzehrend in Gram, hüllte sie ihr Gesicht wie eine Witwe, um ihre Tränen vor der Welt zu verbergen.«


    Dass Nicon anschließend zusammen mit Eireann im Carcer der Urbaner inhaftiert worden war, verschwieg er und diese niederträchtige Tat verschaffte ihm ein Gefühl tiefer Befriedigung.

    << Die Nacht, die man in einem Rausch verbracht... - oder: der Tanz der Satyren


    Kyriakos hatte dem heutigen Datum mit brennendem Herzen entgegengefiebert. Das kalte schwarze Tuch der Nacht lag noch auf der Urbs Aeterna, als er aufstand und sich auf den Weg machte. Nymphis blieb bei Python in der Taberna Apicia. Die beiden schliefen noch, während Evenor und Nicon gerade erst herein torkelten, nach Alkohol und Körperflüssigkeiten stinkend. Er traf sie auf dem Gang. Sie fielen ein Zimmer weiter in die Betten und rührten sich nicht mehr. Castor und Pollux blieben verschwunden, genau wie Satibarzanes. Nach der Mordserie in er Subura glaubte Kyriakos nicht mehr daran, sie jemals wieder lebend zu sehen. Umso verheißungsvoller schien in solch dunklen Zeiten die Aussicht, das Glück aus der Nacht des Bacchanals noch einmal zu spüren. Seine Schritte führten ihn quälend langsam durch Rom.


    Serenus, obgleich er ihn erst einmal gesehen hatte, war für ihn gleichsam ein Licht und eine beginnende Sucht. Kyriakos wollte ihn und der Gedanke, dass Serenus gelogen haben könnte und nie am Wegschrein zu erscheinen gedachte, erschien unerträglich. Anstatt still im Bett zu liegen, hatte Kyriakos sich darum viel zu zeitig auf den Weg gemacht, wobei er großzügige Umwege in Kauf nahm, um eine Beschmutzung seiner Füße im Unrat der Stadt zu umgehen. Kyriakos trug kein Schuhwerk. Am Leib hatte er nur ein einziges Kleidungsstück, seinen alten und entsprechend zerlumpten, aber gewaschenen phoinikis. Erstmals seit er Sparta verlassen hatte, trug er ihn heute wieder. Ein Gürtel mit einem Schnitzmesser als Jagdwaffe in der Scheide hielt den Mantel um die Taille zusammen.


    Und als dann die Sonne aufging und Serenus mit den ersten Strahlen pünktlich erschien, tatsächlich und leibhaftig, auf einem ... auf einem Streitwagen?! ... da stand Kyriakos einfach nur da und starrte fassungslos auf das Bild, was sich ihm bot. Der Kontrast zwischen den beiden Männern könnte nicht größer sein. Der eine in hochwertiger Kleidung mit herrlichen Pferden im Gespann - der andere barfuß und in einen Stofffetzen gewickelt. Hätte Kyriakos das gewusst, dann hätte er vielleicht doch ... nein. Dieser Mantel musste heute getragen werden.


    Mit einem verhaltenen Lächeln hob Kyriakos die Hand zu Gruß, halb damit rechnend, dass Serenus angewidert weiterfuhr.

    Kyriakos dachte jeden Tag an Serenus und ihre gemeinsame Zeit auf dem Bacchanal. So viel Unbeschwertheit, so viel ... Gutes. Kyriakos, dessen Leben einer Scherbenlandschaft glich, brauchte den Gedanken an etwas Glück nach dieser Nacht mehr denn je. Bei so viel Pech fragte Kyriakos sich, ob die Götter vielleicht doch existierten und ihre Freude daran fanden, ihn zu quälen. Kaum fiel ein Lichtstrahl in sein Leben in Gestalt des Serenus, schlugen sie an anderer Stelle sein Glück entzwei. Der Mord an Velia wurde blutig gerächt, doch der Schmerz in seinem Herzen blieb.


    Kyriakos´ Wunsch, Serenus zu treffen, anstatt sich in Trauer zu vergraben, war seine Art, dem Schicksal und den Göttern die Stirn zu bieten. Doch er fürchtete, dass die grausamen Mächte ihm zum Hohn bald den Blick auf den Lichtsatyrn richten könnten, um ihr sadistisches Werk an ihm fortzusetzen. Und letztlich war das der Grund, warum Kyriakos einen Tag vorher zögerte.


    Stunden verbrachte er grübelnd in den Thermen damit, sich jedes überzählige Haar aus dem Leib zupfen zu lassen, denn bei Tageslicht sah man die schwarzen Stoppeln deutlicher als im Schutz der Dunkelheit. Ein Barbier schnitt seine wilden Locken in eine zivilisiertere Frisur und knetete sie mit Öl, Honig und Harz von Hand sanft in Form. Kyriakos wollte Serenus gefallen. So gern wollte er ihn wieder sehen ... doch was, wenn er ihn durch seine bloße Anwesenheit mit Unglück strafte?


    Angst, und sei sie noch so selbstlos, war kein guter Ratgeber. So war es ihm gelehrt worden und so führte er sein Leben. Am Ende überwog die Sehnsucht. Weder konnte noch wollte Kyriakos auf das Treffen verzichten.


    Und so nahm das Schicksal seinen Lauf.


    Via Labicana – am Wegschrein neben dem Aquädukt – bei Sonnenaufgang >>

    Cassivellaunus


    Der verletzte Sklave half Pullus nach Kräften, alles Brauchbare aus dem Blinden Esel in den Lallenden Löwen zu schleppen. Die Angst und die Schmerzen hatten ihn sehr erschöpft und jetzt, wo er sich langsam beruhigte, merkte er, wie elend ihm zumute war. Was die Zukunft für ihn bereithalten würde, wusste er nicht, denn wenngleich ihm Hilfe versprochen worden war, so lag die letzte Entscheidungsgewalt in ganz anderen Händen als jenen, die ihm großmütig sein Leben geschenkt hatten.

    Cassivellaunus


    Cassivellaunus hatte gerade noch etwas sagen wollen, doch offenbar zu lange damit gezögert. So verwunderte es nicht, dass der Soldat nicht länger warten mochte und den Befehl zum Abmarsch gab. Der Einohrige half nach Kräften beim Tragen.


    »Danke, Herr«, wisperte er noch einmal, auch wenn er es schon tausend Mal gesagt hatte. Dass er noch lebte, war keine Selbstverständlichkeit. »Ich werde deine Worte beherzigen und die Gnade nicht vergessen, die mir unverdient zuteil wurde.«


    Zumindest hatten Lurco und Pullus ihn begnadigt. Was Scato oder Terpander mit ihm anstellen mochten, wussten die Götter allein.

    Spöttisch ließ Kyriakos sein Augenmerk einen Moment auf dem Steinchen in der Hand von Tiberios ruhen, ehe er ihm in die Augen sah. Der Blick von Kyriakos fraß sich wie Säure in Tiberios´ Pupillen. Dann richtete er sich gerade auf und lächelte.


    »Chaire, Helotensohn. Warum suchst du die Gesellschaft der Toten? Sehnsucht?«


    Noch bevor er den Satz beendet hatte, ging ein kraftvoller Schwung durch den Leib von Kyriakos. Etwas raste schneller durch die Luft, als man schauen konnte. Tiberios hörte neben seinem Kopf einen Knall, Gesteinssplitter schossen in sein Gesicht. Eine der drei kreisförmigen Wurfklingen steckte eine handbreit tief zwischen zwei Steinen im Mörel und hatte die Ecken absplittern lassen. Sie wieder rauszuziehen würde ein Kraftakt werden. Ohne Werkzeug ging da vermutlich nichts. Was für wunderbare Waffen.


    »Nicht getroffen«, stellte Kyriakos fest und leckte sich das Blut von der Hand. Er konnte hervorragend Diskus werfen - dies gehörte zur Grundausbildung in Sparta. Allerdings waren die Wurfobjekte in der Regel stumpf »Zwei Versuche habe ich noch. Also, was willst du hier? Abgesehen davon, mir eine Straftat unterzuschieben? Sehe ich vielleicht aus wie ein Mörder?«


    Kyriakos lachte leise, während er die zweite Wurfklinge bereitmachte, für den Fall, dass ihm die Antwort nicht gefiel.

    << Zeugenaussage zum Leichenfund im Nest der Krähe (noch nicht ausgespielt)


    Noch langsamer als sonst trottete Kyriakos nach Hause in die Trümmer zurück. Der Kampf war heftig gewesen und auf merkwürdige Weise erfüllend. Lurco hatte es auch gespürt, sie beide waren von gleichem Geist. Sympathischer Mann, dieser Römer. Den Urbaner hatte es übel erwischt, doch er war in guten Händen. Auch Kyriakos sah furchtbar aus. Am meisten ärgerte er sich über das abgesäbelte Stück Kopfhaut, wo nie wieder Haare wachsen würden. Er musste in den Spiegel sehen, um das Ausmaß der Entstellung abschätzen zu können. Dann würde er schlafen, die Thermen konnten warten. In der Hand hielt er noch immer die kreisrunden und rasiermesserscharfen Flugklingen, mit denen er zu üben gedachte.


    Als er ankam, rieb er sich gerade das Blut aus den Augen und blinzelte. Er sah ein zweites Mal hin. Was um alles in der Welt...?! Die Heloten-Ratte aus der Castra schändete Velias Grab! Der Schatten von Kyriakos kroch finster den Rücken von Tiberios hinauf, als er sich lautlos von hinten näherte. Als sein Schatten den seines Opfers überragte, schien der Schatten des Sklaven, den dieser vor sich sah, mit einem Mal zu wachsen und breiter zu werden.


    Sim-Off:

    Das wüsstest du gern. 8)

    Mit einem Streitwagen? Eine solch exzentrische Idee hatte Kyriakos nicht erwartet. Dabei passte sie zu dem lebhaften Mann an seiner Seite. Ein Streitwagen, was für ein Gedanke. Andererseits, wenn das Gelände es hergab, sicher eine pulstreibende Angelegenheit. Die donnernden Pferdehufe, die den Sand aufspritzen ließen, das Meile um Meile gehetzte Wild mit aufgerissenen schwarzen Augen, die im Tod brachen, wenn die Erschöpfung ihren Tribut forderte und Pfeil und Speer das Herz erreichten ... Ob Serenus einen Streitwagen besaß oder jemanden kannte, der seinen verleihen würde? Kyriakos war gespannt, in welchem Aufzug Serenus sich tatsächlich zu präsentieren gedachte. Beide würden sehen, wie der andere sich für den gemeinsamen Jagdausflug wappnete.


    Noch während Kyriakos im Geiste den Fahrtwind an seinen Locken reißen spürte und den staubigen Sand zu riechen glaubte, folgte ein Kuss, der ihn aus seinem Traum riss. Er spürte, dass dies der Abschied war, noch bevor Serenus es sagte, denn der letzte Kuss schmeckte stets besonders süß und besonders bitter, wie überreife Trauben im Spätherbst, kurz bevor der Frost hereinbrach. Kyriakos schloss die Augen, um ihn ganz zu kosten mit all seiner Annehmlichkeit und all seiner Wehmut, streckte Serenus seine spielende Zunge entgegen, denn die Lippen genügten ihm nicht.


    Dann war es vorbei.


    Serenus, plötzlich weit fort, legte die Maske an und nahm Abschied. Er nahm sich die Zeit für einen letzten Blick und einen Gruß. Kyriakos griff nach der Eisenmaske des Marsyas, die mehr an den im Labyrinth gefangenen Minotauren als an einen Satyrn erinnerte, und verbarg ebenfalls sein Gesicht.


    »Wir werden sehen, ob du mich entführen kannst. Du bist stark, schnell und vor allem schlau. Ich werde es dir nicht leicht machen. Wenn es dir gelingt, bin ich dein. Wenn nicht ... brauchst du wohl einen weiteren Versuch. Vale bene, mein Sonnentänzer.«


    Während Serenus stand, blieb er sitzen, um seinem Gespielen die Gelegenheit zu geben, zu gehen, ohne fürchten zu müssen, dass Kyriakos ihm folgte. So geschwind, wie der andere Satyr sich bewegte, hätte er es ohnehin nicht gekonnt. Ihm blieb nur zu hoffen, dass Serenus sich trotz des nächtlichen Rausches an sein Wort erinnern würde und sie sich erneut begegneten - diesmal nicht zur abendlichen Stunde, sondern zu Sonennaufgang, fünf Tage vor den Kalenden des Oktober.