In den Albaner Bergen – Jäger und Gejagte

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    Wir kamen gut voran, auch wenn ich zwischenzeitlich natürlich das Tempo wieder drosselte, um meine Rösser nicht zuschanden zu fahren. Vor Castrimoenium bogen wir wieder auf die Hauptstraße ab, gewannen von dort noch deutlich vor Mittag den ersten Blick auf den lieblichen Albaner See. Die Gegend hier war ja das klassische Ausflugsgebiet für Städter die mal genug von unserem Moloch hatten, und geprägt von einer Mischung der kargen alten Behausungen, der vielen luxuriösen Sommerhäuser und Lustvillen, und der zahlreichen Touristenunterkünfte und überteuerten Gaststätten, die um diese Jahreszeit aber fast ausgestorben waren.
    Als wir weiterfuhren, wurde es rasch wieder urtümlicher. Majestätisch erstreckten sich die dunkel bewaldeten, dazwischen von buntem Herbstlaub getupften Flanken des Mons Albanus.
    Vorüber ging an der Auffahrt zu dem Landgut meines Onkels Meridius (es war derzeit vermietet, da er in Hispania weilte, doch die dazugehörigen Jagdgründe standen uns noch immer zur Verfügung). Auch an der prachtvollen Palmenallee, die zu Großtante Drusillas Anwesen führte, fuhr ich vorbei, schlug aber kurz darauf einen Schleichweg ein, der recht steil gen Seeufer führte.


    Dort stand an einem Bach, etwas oberhalb von dessen Mündung in den Albaner See, eine alte Ölmühle. Sie war schon lange außer Betrieb. Die Mahlsteine lagen flach auf dem Gras vor dem Gebäude und dienten als Tische. Großtante Drusilla hatte die Mühle als eines ihrer Gästehäuser ausbauen lassen, mit allem Komfort, doch - wie es derzeit als "bukolischer Schick" galt - das rustikale Äußere beibehalten. Sie lag abgeschieden, durch einen Hügelrücken von der Villa getrennt und von dort auch nicht sichtbar. Unterhalb, am Seeufer, war ein kleiner Steg mit einem Kahn. Kurz, es war ein ungeheuer lauschiger Ort, an dem ich mich schon häufiger einquartiert hatte.
    "Da sind wir!"
    Ich streckte meine durchgeschüttelten Glieder. Mit Hilfe meiner Custodes spannte ich die Pferde aus, schleppte das in einer Decke verschnürte Waffenbündel zu einem der Mühlstein-Tische und öffnete es, worauf sich das ganze Sammelsurium, das ich an Jagdwaffen in unserem Armamentarium gefunden hatte, über den Tisch ausbreitete: Jagdbögen, Pfeile, Kurzspeere, Wurfspeere, Sauspieße (ich hatte einfach mal alles eingepackt), Jagddolche, Schlingen, Fangnetze etc.
    "Ich bringe nur noch rasch die Pferde in den Stall, und besorge uns frische. Such dir schon mal was aus..." forderte ich Mar...Kyriakos von Sparta mit Geste auf den Waffenhaufen auf, dann auf den Berg weisend: "Es gibt Rotwild hier, und Wildschweine natürlich, Bergziegen und Rebhühner..."
    Allzu viel hatten wir unterwegs nicht gesprochen. Er machte mich nämlich noch immer schrecklich nervös und nach ein paar Bemerkungen über unsere Heimatländer, die Landschaft, durch die wir fuhren, und nachdem ich ihm eine Weile von meinen Bigapferden erzählte hatte (Quintus, wagemutig aber mit Todesangst vor Gänsen, und enorm verfressen, und Sextus, ein Schlammliebhaber, enorm ausdauernd, ja und dann noch meine reinrassigen Kyrenäerinnen) und von ihren denkwürdigen Vorfahren, hatte mich das ungute Gefühl beschlichen, dass ich gerade prahlte, und dass das auf einen solch asketisch auftretenden Menschen vielleicht keinen so guten Eindruck machte.


    Akadios holte sich Angelzeug aus der Mühle und verzog sich auf den Steg. Pelias begleitete mich, wir führten die Pferde über einen Pfad zu Großtante Drusillas Stallungen, wo wir sie unterbrachten und uns zwei frisch ausgeruhte trittsichere Jagdpferde ausliehen. Pelias meinte, er wolle auch eines, um uns zu begleiten, doch ich erklärte ihm, dass es in den Albaner Bergen schon seit einer Ewigkeit keine Räuberbanden mehr gab, außerdem war ich selbst ja nun auch nicht ganz un-wehrhaft. Anstandshalber schaute ich auch noch kurz bei Großtante Drusilla vorbei, die mich herzte, ermahnte ("Faustillus, du bist un-ver-besserlich!") und zur Cena einlud (was ich aber liebenswürdig abschlagen konnte.) Dafür erhielt ich einen gigantischen Picknickkorb von ihr mit auf den Weg, inklusive selbstgebackenen Vor-Saturnalienleckereien. So ausgerüstet kehrte ich mit den frischen Pferden zur Mühle zurück.
    "Verzeih, es hat doch etwas länger gedauert. Wollen wir?"

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  • An dem Rätsel um den wahren Namen des Serenus würde Kyriakos noch lange zu knabbern haben. Der Lohn war verlockend. Er würde nachdenken, forschen, fragen. Und eines Tages die Antwort finden. Mit dem Anfang eines Gedichts hatte Serenus hernach den Namen des Kyriakos verglichen. Der blickte in die Ferne bei diesen Worten, das Kompliment gedanklich hin und her wälzend wie ein Geschenk, das man genau betrachtet und untersucht. Dann schaute wieder zu Serenus. Nach einigem Nachdenken war er zu dem Schluss gekommen, dass dieser recht hatte.


    »Das Herz aller guten Gedichte schlägt voller Dunkelheit. Wer lange durch die Nacht gewandert ist, dem sickert sie durch Fleisch und Blut, bis er selbst ein Teil von ihr ist. Und doch werden alle Geschöpfe der Finsternis vom Licht der Sonne angezogen, bis sie ihre Flügel versengt. Doch für uns, Serenus, gelten diese Gesetze nicht. Denn als wir beide uns kennenlernten, waren wir unsterblich.«


    Die Straße unter den ratternden Rädern veränderte sich. Kreisrund lag mit einem Mal der See vor ihnen, die Oberfläche so glatt, dass sich die Sonne und die Wolken darin spiegelten, als sei dies ein auf Erden gefangenes Stück Himmel.


    »Siehst du, Serenus ... die Sonne ist greifbar für uns.«


    Der Weg führte sie vorbei an nobel einem nobel aussehenden Viertel und durch beinahe romantisch verfallene alte Mauern, ehe die Natur sie erneut umfing. Über allem aber thronte ein einzelner Berg, dessen Name Kyriakos nicht kannte.


    »Der Olympos von Roma«, schlussfolgerte er. »Es gibt viele Berge dieses Namens, doch den echten Olympos hat noch keiner gefunden.«


    Am Ende der Fahrt erwartete sie ein kleines Elysion, eine Insel der Glückseligen, nicht umgeben vom Wasser, aber am Ufer. Eine Mühle, wie es schien. Schön hatte Serenus es hier ...


    Als die Custodes näher kamen, um sich um die Pferde und das Gepäck zu kümmern, trat Kyriakos zur Seite. Die Zeit, als er selbst noch bedient worden war und seinen Abstieg zum Niedersten, spürte er als einen Stich inmitten des wunderbaren Morgens. Serenus hatte keine Ahnung, welch Kreatur aus dem einstigen Kyriakos von Sparta geworden war. Reichtum benötigte Kyriakos nicht, doch etwas mehr Würde im Leben wäre wünschenswert. Er trat an die Waffen und ergriff, ohne nachzudenken, einen Speer. Wie lange hatte er diese Waffe nicht mehr geführt? Seine Finger schlossen sich um den Schaft. Er ging etwas abseits, wog ihn in der Hand. Eine Wiese in sicherer Entfernung diente als Übungsfeld, um ein Gefühl für die Waffe zu bekommen, da sie eine etwas andere Länge und ein anderes Gewicht aufwies als jene, mit der er früher gejagt hatte. Bis Serenus vollbepackt zurückkehrte, war Kyriakos auf den Jagdspeer eingestimmt.


    Es verlockte, ihn mit einem Kuss zu begrüßen ... das Licht für den Nachtfalter. Doch kein zweites Mal würde Kyriakos ihn so bloßstellen, wie er es versehentlich vor der Fahrt getan hatte. Ihm keinen Anlass geben, zu bereuen, dass sie sich heute getroffen hatten. Serenus sollte glücklich sein am Ende dieses Tages.


    Zu Pferde ging der Ritt hernach hinaus ins Revier. Das erste Mal seit Jahren saß Kyriakos auf dem Rücken eines Rosses, doch er hatte das Reiten nicht verlernt. So brachten sie eine gute Entfernung zum Anwesen hinter sich. Als sie an einem Wildwechsel vorbeikamen, stieg Kyriakos vom Pferd, um die Spuren zu untersuchen. Was er sah, stimmte ihn zufrieden. Er band das Tier locker an und es senkte den edlen Kopf, um zu äsen. Kyriakos aber legte die Kleidung ab. Mit den Händen griff er in die feuchte Erde, dort wo die Hufen von Hirsch und Reh ihre Spuren gegraben hatten, um sich damit einzureiben.


    »Die Nase des Wildes ist fein«, erklärte er sein Tun, da er nicht sicher war, ob Serenus sein Verhalten zu deuten wusste. Kyriakos wollte um jeden Preis Beute machen, weil Serenus dabei war. Er sollte wissen, dass er keinen Taugenichts an seiner Seite hatte, sondern einen Jagdgefährten, der diese Bezeichnung verdiente. »Das Wild riecht den Menschen als das Raubtier, das er ist. Meine Kleidung bleibt darum hier, denn sie riecht nach Mensch, und ich hülle mich in den Geruch des Waldes.«


    Es gab Jagdtechniken, da war dies nicht so wichtig, doch Kyriakos musste mit seinem Speer sehr nah an das Wild herankommen. Am Ende war sein ganzer Leib von einer schmierigen Schicht brauner Erde bedeckt, genau wie sein Haar. Ein reizvoller Anblick sah anders aus, doch Kyriakos genoss die Kälte der Erde auf seiner Haut. Er, der sonst in größtmöglicher Perfektion sein Aussehen gestaltete, um sich selbst zum Markte zu tragen, spürte das alte Ich unter der Erde erwachen.


    »Der Wind weht von Süden. Ich werde mich im Bogen mit dem Wind bewegen, hangaufwärts, und dir das Wild zutreiben. So kann es dich nicht riechen und du bleibst, wie du bist, wenn dies dein Wunsch ist. Es ist nicht notwendig, dass du dich besudelst. Wir werden so oder so Beute schlagen.«


    Kein Rascheln und kein Knacken ertönte, als Kyriakos geschmeidig ins Unterholz glitt.

  • Die Muskeln arbeiteten unter dem schwarzbraunen Fell, als mich mein Jagdpferd leichtfüßig über die Wege und Pfade an den Flanken des Albanus Mons trug. Den Olympos von Roma hatte Kyriakos ihn getauft.
    "Es ist wahr, Iuppiter Latiaris hat dort oben seine Heimstatt." meinte ich, zum stumpfen Gipfel emporweisend, der sich grün gegen den blassblauen Himmel abzeichnete. Der altehrwürdige Iuppitertempel dort oben war aber fern zwischen den Bäumen verborgen, und nur an einer Spur aufsteigenden Rauches zu erahnen. "Wenn sich ein Wild bis aufs Tempelgelände flüchtet wird es sakrosankt... meinem Onkel ist auf diese Weise mal ein prächtiger Hirsch durch die Lappen gegangen."
    Die Zweige einer knorrigen Korkeiche streiften meine Schulter. Wir ritten durch einen Hohlweg, dann über eine steile Wiese voll verblühtem Lavendel, der unter den Hufen knisterte... Ich genoss den elastischen Schwung der Tritte meines Pferdes, die angenehme frische Luft, all die verschiedenen Töne von Grün...
    Aber vor allem konnte ich die Augen kaum von meinem Jagdgefährten lösen. Ja, ich musste mich wirklich zusammenreißen, um ihn nicht pausenlos anzugaffen wie ein Stultissimus.... aber er war einfach zu vollendet! Was soll man als ästhetisch empfänglicher Mensch denn machen, angesichts solch atemberaubenden Schönheit??!! Außer zu staunen, und dankbar zu sein, dass es so etwas Schönes überhaupt gab. Ach, ich hätte ihn stundenlang einfach nur ansehen können, und die Linie seines Kinnes bewundern, die geschmeidige Art, in der er zu Pferde saß, und den jägerischen Glanz in seinen Augen...
    Dabei war mir, zuvor bei der Mühle, nicht entgangen, dass er hinkte. Doch es war, als würde dieser eine Makel lediglich den Kontrapunkt bilden, um alles andere um so betörender erstrahlen zu lassen...


    Meine Gedanken waren also alles andere als aufs Waidmannswerk gerichtet, und ich wäre glatt an dem Wildwechsel vorbeigeritten, wenn Kyriakos ihn nicht bemerkt hatte. Es verschlug mir den Atem, als er sich kurzerhand auszog... und alles, was ich aus schummrigem Feuerschein in herrlichster Erinnerung hatte, völlig unbefangen im hellen Licht des Tage zeigte.
    Ich schluckte trocken und nickte stumm, und verbiss mir die Frage: Ist dir denn nicht kalt? Ich hatte die Geschichten vom spartanischen eisenhart-abgehärtet-Sein immer für Überbleibsel der Sage gehalten, und war völlig fasziniert, hier Zeuge davon zu werden, dass es so was anscheinend auch heute noch gab. (Eine ähnliche Taktik hatte ich einmal bei einem nabataeischen Jäger gesehen, als wir wilde Kamele für Sospitos eingefangen hatten, aber der hatte zumindest ein bisschen was anbehalten.)

    In seiner erdigen Tarnung, mit dem Speer in der Hand, da erschien mir der rätselhafte Grieche mehr denn je wie ein archaisches Wesen, ein Waldsatyr, Gefolgsmann uralter Berggötter, des schreckenerregenden Pan, des rasenden Dionysos, aus einer Zeit bevor diese ihr schroffes Antlitz in menschenfreundliche Masken gehüllt hatten.
    "Gute Jagd, Erdgeborener." wünschte ich ihm mit einem schiefen Lächeln. Dann war er im Dickicht verschwunden.


    Ich band mein Pferd neben dem seinen an, schnallte mir den Köcher um die Hüften und legte einen Pfeil locker auf die Sehne bereit. Leise pirschte ich mich dann so etwa entlang der Höhenlinie in den Wald, der hier mal lichter war, mit alten Pinien, die einen intensiven Harzduft verströmten, mal durchwuchert von dornigem Gestrüpp, das ich geduckt umging. Nach einiger Zeit vernahm ich ein Rascheln und Brechen von Zweigen, das mich innehalten ließ. Hastig hob ich den Bogen und spannte ihn, als ich zwischen den Bäumen ein Reh in hohen eleganten Sprüngen auftauchen sah. Doch bevor mir ein vernünftiger Schuss möglich war, war es, so schnell wie es aufgetaucht war, auch schon wieder davon geschnellt...

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  • Am Rande einer Schonung, über die sich Wildwechsel zogen, bezog ich Position. Ich lehnte mich gegen einen Lavabrocken, dessen verwittertes Gestein von Flechten überzogen war, und spähte nach Beute. Eine herbstliche Böe rauschte durch die Wipfel.
    Kyriakos... Der Name trug eine Melodie in sich. Im Geiste sprach ich ihn andächtig vor mich hin: Kyriakos von Spartha... Und wie einem vernarrten Adoleszenten schoss es mir durch den Kopf, dass mein eigener Name... Serapio, nicht Serenus.... vom Klangbild her gut dazu passte.

    Es war Ewigkeiten her, dass mir zuletzt die Muse Erato einen Besuch abgestattet hatte... der Dichtkunst zu frönen war ja auch eines Soldaten mehr als unangemessen, doch da im Albaner Bergwald, weit weg von Roms festgefügten Mauern und im Bann des schönen Spartaners, der da irgendwo hangaufwärts auf der Pirsch entschwunden war, den anbetungswürdigen Leib nur mit einer Handvoll Erde bekleidet, da formten sich mit einem Mal in meinem Kopf Worte zu Fragmenten von Versen...

    Flügelschlag drang an mein Ohr, zwei Krähen flogen auf, bergab von mir. Ich suchte das Dickicht mit meinem Blick zu durchdringen, nahm im Gebüsch eine größere dunklere Schattierung wahr, und belauerte die Kreatur mit gespanntem Bogen. Doch was da heraustrat war keine Gams, kein Hirsch, sondern mein Custos.


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    Pelias


    Er hob die Hände, als ob er kapitulierte, und ich ließ die Waffe sinken.
    "Was tust du hier? Du vertreibst uns das Wild." fragte ich indigniert, die Stimme gedämpft.
    "Naja. Patron. Ich sag mal so. Ein Leibwächter der nicht an deiner Seite ist, macht etwa so viel Sinn wie ein Harnisch, den man nicht trägt."
    "Bona Dea." Pelias war immer so übermotiviert. "Ich bin doch kein Lämmchen. Du hast frei Pelias, mach was schönes, geh fischen mit Arkadios oder... Pilze sammeln oder besichtige Drusillas Gemüsegärten – sie hat Glashäuser in denen sie ganzjährig Salat zieht..." Pelias hatte ausgefallene Interessen.
    "Patron, du kennst den doch gar nicht. Denk mal an deine letzte Jagdpartie. Du hast uns nicht mitgenommen, und bist grün und blau gewürgt nach Hause gekommen."
    Diese schwatzhaften Liberti! An meine letzte Jagdpartie zu denken, ließ zudem so ein unschönes schlechtes Gewissen in mir aufkeimen. Unleidlich schickte ich Pelias fort.
    "Ich benötige dich hier nicht. Wegtreten, das ist ein Befehl."
    Kühl wandte er sich zum Gehen. Da fiel mir noch was ein.
    "Warte... hast du zufällig was zu schreiben dabei?"
    "Eigentlich nur etwas zu lesen."
    "Ich brauche dringend etwas, um mir Notizen zu machen."
    Widerstrebend grub er aus seiner Gürteltasche eine Papyrusrolle aus, und einen Kohlestift. Es war ein Teil von De rerum natura. Den Rand hatte er mit einigen Anmerkungen versehen.
    "Danke dir. Du bekommst ein nagelneues Exemplar sobald wir wieder in der Stadt sind. Auf Velum!"
    "Mhmh." brummte Pelias und verschwand, hangabwärts zwischen den Pinien.
    Endlich hatte ich etwas, auf dem ich meine Gedankenfetzen festhalten konnte.


    Selbstvergessen setzte ich mich auf den Lavabrocken, legte die Waffen neben mir ab, und kritzelte mit dem Kohlestift auf der Rückseite der Schriftrolle hastig Worte und Zeilen. Das Jagen hatte ich, ehrlich gesagt, in dem Moment fast vergessen, so lebhaft quollen mir die Verse aufs Papyrus.
    An einen Satyr...

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    Klient - Decima Lucilla

  • An einen Satyr


    In des Kordax' Hitze hielt ich Dich umschlungen,
    Trotzten wir der Erde Schwere, aufgepeitscht,
    Lachend haben wir dem Python uns entrungen,
    Von Mänadensang umströmt, so weltlos leicht.


    Als Du Deine Maske abgenommen,
    Wehte mich Dein nächtlich hehres Rätsel an.
    Rauschbeseligt ahnt' ich nur verschwommen,
    Wie Dein Pantherblick zog mich in Bann.


    Nur ein stummer Triton kann bekunden,
    Wie wir loderten, in lavaheißer Gier,
    Wie wir endlich ineinander uns gefunden.
    Doch Erfüllung barg nur neue Sehnsucht mir.


    Und so lege ich den Pfeil auf, spann die Sehne,
    Maske unter Maske zeigt Dein Angesicht,
    Und ich harre fiebernd eines Risses, und ich wähne...
    Was da nagt an Deiner Seele, bar von Tageslicht?


    Herbstwind in Albanus' Hain und Blätterfallen,
    Raunt von alter Sage, Kriegsmann, Speer-bewehrt,
    Tönt von Sparthas ferner Gipfel Widerhallen,
    Scharlachrot umglänzt, in Schmerz versehrt.


    Und Du sagst: Wir sprengen alle Bande,
    Dass unsterblich wir Satyren Ebenbild!
    Jäger war ich, doch zu meiner Schande,
    Bin vor Dir, Kyriakos, ich nurmehr... - Wild.


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  • Der Anblick stoppte die Hand des Jägers, welche den Speer führte. Vieles lag im Bereich des Möglichen in seiner gottlosen Welt. Wahrscheinlichkeiten definierten sein Schicksal, Entscheidungen machten es beeinflussbar. Doch die Kreatur, die mit dem Huf im Unterholz nach Nahrung kratzte, ließ ihn sich erinnern, warum er einstmals an Göttliches geglaubt hatte.


    Der weiße Hirsch hob das Haupt, das verzweigte Geweih zeichnete sich gegen die Sonne ab. Der König dieses Waldes trug eine Krone aus Knochen und Licht. Kurzzeitig überlegte Kyriakos, ob er sich zurückziehen und dem edlen Tier das Leben schenken sollte, von Ehrfurcht ergriffen im Angesicht von so viel Stolz und Schönheit. Doch dann würde ein anderer es an seiner Stelle erbeuten und die Krone nach Hause tragen. Und war er nicht hier, um dem Serenus zu beweisen, welch Jäger Kyriakos von Sparta war? Nicht das Herz war es, das den Mensch zum Manne machte, sondern Entschlossenheit, die nicht wankte, Tatkraft, die über alle Empfindungen erhaben stand. Warum sollte er dem Hirsch seiner Schönheit wegen das Leben schenken? Tot würde er nützlicher sein, den ausgestopften Kopf an der Wand, das Herz auf dem Teller, das Fell eine Decke, auf die Kyriakos Serenus betten würde, um ihn zur Feier des Sieges zu lieben. Der Gedanke wischte alles Zaudern hinfort.


    Kyriakos musste die Beine stärker heben beim Schleichen, denn seine Füße hingen schlaff hinab, sobald sie die Bodenhaftung verloren und schlurften wie leblos durchs Laub. Kyriakos war die Jagd gewohnt, doch nicht mehr, seit er mit der Verkrüppelung leben musste. So hakte ein Fuß geräuschvoll in eine Bromberschlaufe und der Hirsch hob witternden den Kopf. Riechen konnte er den Jäger nicht, dafür hatte Kyriakos gesorgt. Doch zu zeitig hatte das Tier dennoch den lahmen Jäger bemerkt. So blieb Kyriakos nur die Wahl, den Hirschen ziehen zu lassen oder sofort den Angriff zu wagen. Das Blut erhitzt von dem Gedanken an Serenus schleuderte er den Speer mit aller Kraft und der schwarze Todesbote schoss auf den weißen Pelz zu. Lautlos drang er durch den Leib des Tiers. Auf die Hinterbeine stieg der Hirsch mit geweiteten Augen, sein Schrei klang fast menschlich und der Speer rutschte zur anderen Seite wieder heraus.


    Doch war Kyriakos zu weit entfernt gewesen und die Wunde nicht sofort tödlich. Der Jäger trat aus den Bäumen. Kyriakos zeigte die Zähne und stieß ein Brüllen aus. Das Tier mobilisierte all seine Kräfte und mit einem Satz - verschwand es. Kyriakos hob den verlorenen Speer auf und war zufrieden. Er hatte sich so gezeigt, dass die entgegengesetzte Richtung den Hirsch zu Serenus treiben würde, der durch den Ruf hoffentlich alarmiert worden war, sich bereitzuhalten. Und in die Richtung des Serenus stürzte der Hirsch, eine Blutspur, abgeknickte Zweige und frische Hufabdrücke hinterlassend, die für den geübten Jäger gut lesbar waren.


    Die Jagdwaffe in der Hand machte Kyriakos sich an die langsame Verfolgung des waidwunden Hirschs, um ihm die Krone des Waldes zu rauben und sie Serenus zu überreichen - sofern dieser sie nicht schon selbst an sich genommen hatte.

  • Mit einem Mal: Schreie, und etwas Großes brach krachend durchs Geäst.

    Papyrus und Stift fielen unbeachtet ins Moos, als ich, aus fernen Sphären zurück ins Jetzt gerissen, eilig nach dem Bogen griff, den Pfeil aufnockte, den Bogen spannte, visierte. Auf die Lichtung taumelte... kaum traute ich meinen Augen... ein weißer Hirsch, ganz nah, ein Wesen wie im Märchen, mit majestätischem Geweih. Seine bebende Flanke war blutüberströmt und rötlicher Speichel tropfte von seinen Lefzen, er schwankte, schien dem Tode nah. Doch eine abergläubische Scheu lähmte mir die Hand. - Man tötete keinen weißen Hirsch!! Sie waren Götterboten. Mein iberischer Großvater hatte mir das gesagt, einmal, als wir zusammen in der Sierra Kaninchenschlingen gelegt hatten, und von einem Jäger aus seinem Tal hatte er mir erzählt, der... mein Großvater war damals selbst noch jung gewesen... einen weißen Hirsch erlegt hatte und binnen Jahresfrist gestorben war... -
    Über die Länge des Pfeiles hinweg sah ich das schwerverletzte Wesen vor mir zurückschrecken, die Augen weit aufgerissen, in Todespein schwach strauchelnd, es dauerte mich zutiefst. Da schoss ich eben doch. Der Pfeil drang tief in die Brust, und mit einem Röcheln brach das Tier zusammen, die Läufe zuckten noch. Ich biss mir auf die Lippen, trat dicht heran, und stieß ihm den langen Jagddolch hinter das linke Schulterblatt, in die Tiefe. Durch die Klinge fortgeleitet, spürte ich die letzten Wellen von Lebenskraft abebben und versiegen.
    "Herrin Diana vergib mir... uns..." flüsterte ich blass, zog den Dolch hervor und wischte ihn am Gras ab. Die Augen des Tieres waren gebrochen. Unwillkürlich streckte ich die Hand aus, fuhr erst über das eine, dann das andere, und schloss dem Hirsch, als wäre er ein Mensch, die Augen.

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  • Kyriakos erreichte wenig später die Stelle, an welcher sein Jagdgefährte dem weißen Hirsch das Leben genommen hatte.


    »Ein vortreffliches Gemeinschaftswerk. Und sieh, die Augen des Hirschen sind geschlossen, er hat sein Schicksal akzeptiert.«


    Im Grase lag der Dolch, mit dem das Werk vollendet worden war, das Kyriakos begonnen hatte. Er griff danach und trennte dem Tier routiniert den Bauchraum auf und trennte dabei auch die Genitalien heraus. Beherzt griff er ins heiße Rot. Die Eingeweide mussten heraus, sonst wurde das Fleisch in weniger als einer Stunde ungenießbar. Bald lag ein dampfender, verschlungener Haufen an Gedärm im Gras. Hohl klaffte der noch warme Leib.


    Kyriakos, eben noch enthusiastisch, wurde ruhig, als er sich an den folgenden Handgriff machte. Die Routine wich der Achtsamkeit und er griff ein weiteres Mal ins Innere des Tieres. Er hob das tropfende Herz an seinen Mund und biss ein Stück heraus. Während er das warme Muskelfleisch im Mundraum verwahrte, überreichte er Serenus das Herz mit beiden Händen, die zarte Spitze unangetastet in seine Richtung zeigend, eigens für ihn reserviert. Über die Gabe hinweg sah Kyriakos ihm tief in die Augen, ein rot umrandetes Lächeln auf den Lippen.


    »Für dich.«

  • Unter der Hülle war nichts göttliches. Aus glitschigen Eingeweiden bestand das Innere des edlen Hirsches, genauso wie bei jedem anderen Wild, bei jedem anderen Lebewesen. Auch der gewaltigste Kataphrakt, der mächtigste Kaiser... oder ich selbst oder sogar Kyriakos in all seiner wahrhaften Schönheit... wenn man uns aufschnitt waren wir alle nur stinkendes Gekröse.
    nobis cum semel occidit breuis lux / nox est perpetua una dormienda

    ~wenn einmal das kurze Licht erlischt, / muss eine einzige ewige Nacht von uns geschlafen werden
    dachte ich mit Catullus und betrachtete gebannt, fasziniert und abgestoßen zugleich, was mein Jagdgefährte da mit dem Herz anstellte. Gewiss war das ein spartanischer Brauch... sehr archaisch-exotisch dünkte mich das, und ließ mich zögern, als er mir das Organ entgegenhielt, welches ich leicht angebraten mit Zwiebeln und Kräutern deutlich appetitlicher gefunden hätte... und dann der Frevel... - Ich schluckte nervös, sah in die Tiefe seiner Augen und fand mich bezwungen von der Wucht seiner Gabe. Eine Sehnsucht nach dem Ungefähren und Entgrenzten ergriff mich, ich wollte mich auflösen in der Verheißung seines Raubtierlächelns...

    Meine Hände schlossen sich um die seinen, wie um eine Schale. Ich näherte meinen Mund der rotglänzenden Spitze des Herzens, sah Kyriakos an, als ich die Lippen darum schloss, dann die Zähne in das feste Muskelfleisch schlug. Einen blutig tropfenden faserigen Bissen nahm ich davon, kaute und schluckte, wischte mir mit dem Handrücken über den Mund.


    Ein kühler Windstoß ging über die Schonung. Ohne meinen Blick von seinem zu wenden, löste ich die Lacerna, die ich über meiner Jagdtunika trug, waldgrün, zünftig bestickt und seidenweich gefüttert, und legte sie ihm um die Schultern. Meine Hand verharrte in seinem Nacken, wühlte sich in sein Haar, überbrückte die Distanz, die bei dieser Tages-Begegnung, ganz anders als bei der nächtlichen, bis jetzt zwischen uns geherrscht hatte. Ich küsste seinen blutigen Mund, drängend und aufgepeischt zog ich Kyriakos an mich und presste mich an ihn, wobei es mich keinen Deut scherte, dass er voll Erde war, und Schlamm. Nichts konnte verlockender sein als er in diesem Augenblick.
    "Du bist ein großer Jäger, Kyriakos." murmelte ich, atemlos zwischen den Küssen, "Das ist die stolzeste Beute, die ich je gesehen habe. Wir... sollten aber doch der Diana von Nemi ein Sühneopfer bringen, am besten gleich morgen."
    Es war nicht weit bis zum Nemisee, und ich hatte irgendwann mal gehört, die dortige Diana sei ganz besonders Schutzherrin der Hirsche.

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  • Serenus nahm es an.


    Von Zufriedenheit erfüllt sank Kyriakos den Fersensitz, eine bequeme und vertraute Ruhehaltung, wenn keine Möbel zur Verfügung standen. Das Herz legte er zurück in die offene Bauchhöhle des Hirschen. Dieses Stück Wild gehörte Serenus. Kyriakos hätte das Tier nicht befördern und verwerten können und so hatte er nur den wichtigsten Bissen von allen mit Serenus teilen wollen. Der Rest mochte seinem Jagdgefährten schmecken.


    Seinem Jagd...gefährten. Gedanklich wiederholte Kyriakos das Wort, während er das Gesicht des Serenus betrachtete. Sie kannten einander kaum und doch war da eine Tiefe wie von einem Vertrauten. Blaue Augen erstrahlten in einem Gesicht, dessen Narben und erste Falten nicht darüber hinwegtäuschen konnten, wie schön es war. Wie alt mochte Serenus sein? Mitte dreißig? Kyriakos registrierte, dass ihn dies interessierte und so manch anderes auch. Wenngleich es in Sparta üblich war, zusätzlich zur Frau einen männlichen Gefährten zu lieben, so hatte Kyriakos in den letzten Jahren freilich anderes im Sinne gehabt. Nun merkte er erstmals, dass er einen Mann zu dem Seinen machen wollte. Serenus der Lichtsatyr, der Marsyas dazu gebracht hatte, die Maske abzulegen während des großartigen Bacchanals. Es war illusorisch, Kyriakos besaß nicht einmal eine feste Unterkunft, von seinem ehrlosen Gewerbe ganz zu schweigen, Serenus war wohlhabend und entstammte sicher den höheren Schichten der römischen Gesellschaft. Und doch wollte Kyriakos ihn.


    Serenus hatte das Herz ergriffen, ohne zu ahnen, wofür es stand.


    Als hätte er die Fantasie des Kyriakos nun doch erraten, legte Serenus ihm seinen Mantel um die Schultern, um ihn sogleich innig zu küssen. Eine Woge heißer Leidenschaft brandete über denJäger hinweg und die Frage, warum Serenus ihm den Mantel umlegte, kam nicht auf. Ein heißer Kuss wollte erwidert werden, ein flammender Leib harrte höchster Lust. Und da sprach Serenus noch vom Opfer an seine Jagdgöttin. Nichts hätte Kyriakos in jenem Moment gleichgültiger sein können als der Zorn einer Unsterblichen. Der Schlamm verteilte sich auf den edlen Kleidern seines Gespielen, auf seiner Haut, überall, als Kyriakos sich gierig an ihn drängte, ihn an sich zog, ihn küsste und mit dem Knie zwischen seine Beine drängte, um ihm die Schenkel auseinander zu drücken.


    Diesmal war Kyriakos es, der erobern wollte.

  • Schwungvoll landeten wir beide im Moos, dreckverschmiert, die Schenkel verschränkt, und nicht nur mein lyrisches Ich sehnte sich danach, sich ihm hinzugeben... Ich brannte danach, sein zu sein, mit jeder Faser meines Leibes. Und doch war ich nie, selbst jetzt nicht, in meinem Kopf ganz frei von den Dogmen, obgleich ich sie schon so oft gebrochen hatte, den Dogmen die da besagten: ein Mann sein, ein wahrer Römer sein, das heißt dominieren, besiegen, unterwerfen. Hingabe hingegen, frei geschenkt, war schändlich... ganz besonders gegenüber einem Jüngeren, der nicht einmal Römer war... verboten schmachvoll... ein Tribun der Garde, der sich flachlegen ließe von einem schwarzlockigen Griechen, das ging gar nicht... es war der Gipfel der Verworfenheit... und darum um so verlockender.
    Heftig stemmte ich mich gegen Kyriakos' starken Griff, maß meine Kräfte und mein Geschick mit den seinen, nur halb spielerisch, wand mich über ihn, zog ihm mit einem Kniff den Ellbogen weg und drückte seinen erdigen Leib rücklings zu Boden, ließ ihn spüren wie unendlich heiß er mich machte. Der Geschmack des Blutes auf seiner Zunge, die ich mit der meinen verschlang, verschwitzte Haut unter meinen Lippen, das Spiel seiner Muskeln, sein wunderbar gestählter Leib, sein Geruch vermischt mit dem von Moos und feuchtem Laub, und seine herrliche Härte, die sich verheißungsvoll gegen meinen Schenkel aufbäumte... wir waren nur noch Satyren, Waldwesen jenseits allen dürfens und denkens, und ich kämpfte diesen Ringkampf nur mehr halbherzig, und dann noch weniger als halbherzig...
    "Was machst du nur mit mir..." seufzte ich, und ließ mich zuletzt, lustvoll kapitulierend, eben doch ganz erobern von ihm.
    Über uns rauschten die Wipfel der Bäume, Zweige zeichneten sich wie Scherenschnitt gegen den hohen Himmel ab, an dem Wolkenfetzen trieben, so dass die Lichtung mal im Sonnenschein, mal in Schatten getaucht lag.

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  • »Was ich mit dir mache?«


    Kyriakos fragte dies zwischen heißen Küssen, die nach Blut und Erde schmeckten. Er saugte hart an Serenus´ Lippen, biss ihm sanft in die Zungenspitze und drängte immer näher. Erneut waren sie Licht und Schatten, waren sie Tag und Nacht, wurden Erde und Abgrund, Traum und Leidenschaft. Mit jedem Stoß schob er Serenus ein Stück durch den Schlamm, ehe er ihn mit kraftvollen Händen an den Schultern zurückzog.


    »Was ich mit dir mache ... ich liebe dich.«


    Der Akt war für Kyriakos eine Befreiung von alten Fesseln. Sein Leben lang hatte er mit seinem Körper bezahlt. Den verfluchten Lysander, dessen widerwärtigen Spielgefährten Cassander und ungezählte Freier. Und selbst Velia, die er geliebt hatte, hatte seinen Körper als eine Ware betrachtet, ihn als Kunden, der hatte bare Münze geben müssen, um sie zu berühren. Nun aber war alles anders. Kyriakos fühlte sich frei, dies war kein Geschäft, dies war wahrhaftig, er wollte es, Serenus wollte es und sie beide gehörten zusammen. Marsyas stieg aus den roten Fluten und eine neue Haut ward ihm gewachsen.

  • Natürlich hätte ich mich schämen sollen. Aus mannigfaltigen Gründen.
    Primum: Manius zu hintergehen war nicht die feine Art.
    Secundum: Mich mit meinem Gespielen im Dreck zu wälzen wie die Wollschweine noch weniger.
    Tertium: Und ich setzte ja nicht nur leichtfertig meinem Ruf aufs Spiel sondern damit auch den meiner Gens und, noch viel ruchloser, den der Garde...
    In Grund und Boden hätte ich mich schämen müssen. Doch seltsam, ich hatte all dies wohl vergessen, denn von Scham war da keine Spur! Das Glück ließ keinen Raum dafür, ich schwebte noch immer wie auf Wolken, wohlig durchglüht vom Nachklang der Lust, als wir uns irgendwann wieder voneinander lösten, unsere verdreckten Gliedmaßen in mein und dein sortierten, uns aufrappelten... Selig grinsend erhaschte ich noch einen Kuss, einen weichen, und dachte dabei wie irsinnig schön es doch wäre, wenn Kyriakos' Worte wirklich wörtlich zu verstehen wären. Dabei war mir schon klar, dass sie lediglich die poetische Version von 'ich liebe es, dich flachzulegen' waren... aber man wird doch noch träumen dürfen!!


    Ich lachte über den skurrilen Anblick den wir boten, klopfte vergeblich an meiner Tunika herum, pflückte Kyriakos übermütig ein welkes Blatt und ein Stückchen Rinde aus den Haaren... Mit etwas Wasser aus meiner Feldflasche säuberte ich mir notdürftig Hände und Gesicht, reichte die Flasche dann an ihn weiter. Darauf machte ich mich auf und holte mein Jagdpferd herbei, führte es an Zügel durch den Wald bis zu unserer Beute. Nicht mal der Frevel vermochte mich gerade groß zu beunruhigen. Gemeinsam luden wir den schweren Körper des erlegten Hirsches auf, schnürten ihn über den Pferderücken fest. Mit Bedacht hatte ich dafür mein Pferd ausgewählt, denn es war ein gutes Stück Weges den Berg hinab bis zurück zur Mühle, und Kyriakos ja offensichtlich nicht gut zu Fuß. (Wobei ich den stolzen Spartaner selbstverständlich nicht durch explizite Rücksichtnahme kränken wollte.) Was wohl der Grund für sein Hinken war? Eine Kriegsverletzung? Ein Unfall? Oder etwa Folter? - Ich fragte ihn nicht danach, ebensowenig wie ich die vielen Fragen stellte, die mir sonst noch durch den Kopf schwirrten.
    Und, was machst du sonst so, wenn du dir nicht gerade die Nächte auf Bacchanalien um die Ohren schlägst?
    Was führt dich nach Rom?
    Was bedeutete das Jagdritual?
    Bist du eigentlich liiert?
    Darf ich dich mal zur Cena einladen?
    Oder kurz – wer bist du, o du betörender Nachtsatyr, wenn es hell wird?

    Jeder dieser Fragen hätte ihm das Recht zur einer Gegenfrage gegeben, die ich nur auf die Gefahr hin, mich übel zu kompromittieren, hätte beantworten können. Eine leise Wehmut überkam mich darüber, und während wir mit unserer imposanten Jagdbeute zu unserer Unterkunft zurückkehrten, dachte ich bei mir, dass es wie in der Sage um Amor und Psyche war... nur, dass ich keine Öllampe zur Hand zu nehmen gedachte.


    Nach einem eisigen – will sagen erfrischenden – Bad im See machten wir uns daran, dem Hirsch das prachtvolle Fell abzuziehen, spannten es auf und säuberten es. Den Körper hängten wir an den Hinterläufen in die kühle Mahlkammer.

    Des abends saßen wir bei einem rustikalen aber köstlichen Mahl von gebratenem Hirschherz und -leber vor der Mühle, an einer Feuerstelle, in der die Flammen tanzten. Ich hatte eine Amphore echten Massiker aus Rom mitgebracht, und kredenzte Kyriakos nun den edlen Tropfen. Doch auch wenn der Wein viel hochwertiger war als der, den wir auf dem Fest getrunken hatten, so hatte er doch nicht ganz dessen Sonnen-Zauber, und in den herrlichen Augenblick sickerte immer mehr die Wehmut, ihn nicht – den Augenblick ebensowenig wie den herrlichen Griechen – festhalten zu können. Aus dieser Nostalgie heraus legte ich den Arm um Kyriakos, fest, wie um einen Geliebten... und sagte ihm verträumt:
    "Du bist wie ein Komet am Nachthimmel."
    Dabei war ich wachsam, stets bereit meinen Arm wieder zurückzuziehen, oder die Umarmung schnell in eine unverfängliche Geste zu verwandeln, falls es auch nur ein leises Anzeichen gäbe, dass er das alles zu albern sentimental fände.

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  • Feuer und Wein entflammten ihre Gesichter, ließen die Wangen und Herzen erglühen. Kyriakos gab Serenus keinen Anlass anzunehmen, er solle Distanz zwischen ihnen herstellen. Er lehnte sich, trunken vom Wein in die Umarmung. Serenus wurde mit Zärtlichkeiten bedacht, geküsst und liebkost. In einer gewissen Regelmäßigkeit griff Kyriakos ihm in den noch feuchten Haarschopf, denn dort konnte er fest zupacken, ohne Schmerzen zu verursachen, so fest, wie es ihm in der Seele brannte, diesen Mann zu halten und dann küsste er ihn.


    »Kometen verglühen. Man sagt, sie erschlagen Menschen und Vieh und am Ende bleiben sie als kalter, ausgebrannter Stein zurück, der vergessen in der Wildnis liegt. Ob das stimmt, vermag ich dir nicht zu sagen. Doch manche behaupten, man könnte sie sammeln, die vom Himmel gefallenen Sterne. Was wir heute trinken ist der Wein - unser Wein - nicht wahr? Ich muss es raten, doch ich ahne. Und ich weiß: Dies ist ein guter Abend, Serenus.«


    Der Abend, an welchem es besiegelt wurde. Und die Sehnsucht in Kyriakos, diesen Mann, den er rechtmäßig zu dem Seinen gemacht hatte, nicht wieder gehen zu lassen, rauschte mit jedem Herzschlag durch seine Adern. Heiß war sein Blut, so heiß wie die Küsse von Serenus.


    »Ich wünsche mir, dich so bald wie möglich wiederzusehen, Serenus. Wo? Es ist mir gleich. Ich gehe mit dir durch das Labyrinth des Minotauren, dessen Maske ich einst trug, schiebe die Wände beiseite und reiße sie ein, vertreibe die Jungfrauen, erschlage Theseus und finde für uns einen Weg hinaus.«

  • So gesehen kein guter Vergleich. Und doch war Kyriakos mir wie eine Flammenspur in der Schwärze, und doch war mir, als könne er mit einer Wucht, die nicht in Worte zu fassen war, in meine Welt einschlagen. 'Tausend Küsse', die nach Wein schmeckten, 'darauf hundert, und noch tausend mehr', sein fester Griff in meinem Haar, meine Hand auf seinem gestählten Schenkel, Worte voll herrlichen Überschwanges... wann hatte ich mich zuletzt so frei gefühlt, unbeschwert... und jung...
    "Mhm... jederzeit.... wo du willst..." schmachtete ich, lachte heiter über das verdrehte Bild, das er malte - "Oh ja, die Jungfrauen sind besonders gefährlich."
    Ich war schon schwer in Versuchung alle Karten offen auf den Tisch zu legen, wie ich hieß, wer ich war und so weiter. Doch irgendwo in meinem Hinterkopf fristete eben doch, außer dem Wissen um das Risiko, auch noch die ein oder andere bittere uralte Erinnerung ihr Dasein, daran wie schnell alle weinseligen Schwüre und alle nächtlich großen Worte sich im Morgenlicht ins Nichts zu verflüchtigen vermochten.
    "Nie wieder verliebe ich mich in eine Orgienbekanntschaft" hatte ich mir mehr als einmal in meinem Leben geschworen und jetzt.... jetzt gerade... ließ ich mir hier komplett den Kopf verdrehen. Ich atmete tief durch, senkte den Blick. Im Feuer vor uns barst knackend ein Scheit. Als ich Holz nachlegte, stob ein Funkenregen auf.


    "Das Labyrinth ist nicht ohne. Es ist voll Larven und Lemuren und giftiger Skorpione..." Ich griff nach seiner Hand, führte sie an die Lippen, küsste innig die Wölbung der Innenfläche, das Netz verästelter Linien.

    "Aber mit dir zusammen, Kyriakos... Wir werden uns schon hindurch kämpfen. Ich sage dir wo der Eingang ist: kennst du die Caupona zum Grünen Genius in Trans Tiberim? Über den Türsteher dort – er ist unverwechselbar, ein Hüne voll Sommersprossen – kannst du mir eine Nachricht zukommen lassen."
    Aufblickend trank ich mit den Augen sein Gesicht, vom Feuerschein aus der Dunkelheit gemeißelt.
    "Wie aber kann ich dich erreichen?"

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  • »Du erreichst mich auf gleichem Wege, wie ich dich erreichen kann. Der Türsteher mit den Sommersprossen soll unser wechselseitiger Bote sein. Über ein paar Asse mehr wird er sich freuen und über die Abwechslung, so gehe ich nicht davon aus, dass es ihn stören wird, unsere Nachrichten zu übermitteln.«


    Einmal mehr ließ Kyriakos die Hand um den markanten Kiefer seines Gespielen gleiten, griff zu, um ihn auf den Mund zu küssen und nach hinten zu drücken. Beide fielen sie auf den Grund, Kyriakos wälzte sich auf ihn. Noch einmal wollte er Serenus lieben, bevor ihre Wege sich trennten, wollte ihm eine Erinnerung mit auf den Weg geben, die er so schnell nicht vergaß. Das Vorhaben nahm die restliche Nacht in Anspruch. Der Schein des Feuers schälte ihre ineinander verschlungenen Körper aus der Dunkelheit, die sich mal schneller, mal langsamer wiegten, mal zärtlich, mal voll Leidenschaft. Das Knistern verband sich mit ihrem keuchenden Atem zu einer heißen Melodie. Erneut vermählten sich Licht und Dunkelheit in herrlichem Rausch.


    Die Dämmerung vernichtete die Romantik, als sie die schützende Decke der Dunkelheit von ihnen zog. Unwillig hob Kyriakos den Kopf, blinzelte träge in Richtung der Baumwipfel, hinter denen der Himmel aufhellte. Der Aufgang der Sonne war der Untergang der Nacht. Erneut endete ein Traum. Der beginnende Tag verdarb ihre Zweisamkeit und nahm Kyriakos das kurze Glück. Ein diesiges Rosa verwässerte die Farben des Waldes zu einem Matsch. Kein rotes Glühen in der Schwärze mehr, nur ein gräulicher, blasser Ton über allem. Was für ein hässlicher Morgen.


    Müde schlang er sich in seinen roten, abgetragenen Mantel und auch Serenus hüllte seinen herrlichen Körper in zu viel Stoff. Nach der Jagd und der durchliebten Nacht waren die beiden Jäger bleich und erschöpft. Auf der Heimfahrt ließ Serenus es sich nicht nehmen, noch den Tempel von Nemi zu besuchen und ein Opfer an Diana zu bringen, um für den Frevel zu sühnen, denn sie mit dem Erlegen des weißen Hirschs seiner Ansicht nach begangen hatten. Kyriakos verweigerte den Dienst an der Göttin mit dem Vorwand, draußen auf ihre Beute achtgeben zu wollen, wenngleich die Schar der Sklaven ebenso zu diesem Zwecke zur Verfügung stand. Zum Dienst an den Göttern würde er sich nicht hergeben, wenn er es nicht musste. Gäbe es Diana tatsächlich oder würde sie sich für ihren weißen Hirsch interessieren, so hätte sie das Tier ihnen nicht vor den Speer getrieben. Doch der Hirsch war so tot wie jeder andere Hirsch und Serenus und Kyriakos hatten sich sein Herz schmecken lassen. Wenn das nicht Beweis war für die Richtigkeit der Jagd, dann gab es keinen. Kyriakos leckte sich ein wenig die Lippen bei der Erinnerung, wie sie beide nacheinander von dem noch körperwarmen Herzmuskel abgebissen hatten.


    Im Streitwagen fuhren sie hernach in Richtung Roma. Und dann ... hielten sie. Das Klappern der Pferdehufe verstummte. Hier war der Wegschrein, an dem sie sich getroffen hatten. Der Abschied nahte. Hatte Kyriakos zuvor noch Unwillen verspürt, so war das jetzige Gefühl kaum zu beschreiben, als er von dem Wagen stieg. Zu kurz verlief der Abschied. Viel zu kurz.


    Als der Streitwagen mit Serenus aus seiner Sicht verschwand, blieb Kyriakos allein am Wegeschrein zurück. Er gab sich keine Zeit zu trauern. Einsam hinkte er in Richtung Stadttor.



    ~~~ finis ~~~

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