Als Terpander Kyriakos‘ Füße erwähnte, wusste Hairan sofort, von wem er sprach.
Aber er hatte nicht vor, diese Information jetzt schon zu nutzen. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, Nymphis als Sohn anzunehmen; es war in seinem Interesse, dass der Knabe als ingenuus, freigeboren, galt, doch sobald die Papiere vorliegen würden, war Kyriakos überflüssig.
Auch wenn der alte Grieche beteuerte, er hätte aus Liebe gehandelt – Kyriakos hatte da was anderes erzählt. Der Lupo würde seinen ehemaligen erastes töten, wenn er konnte; am besten war es, beide aufeinander zu hetzen, damit sie sich gegenseitig umbrächten.
Nur einen Sieger würde es in der Tragödie geben: Hairan Karena, der den letzten Willen seines sterbenden Freundes erfüllen würde, dessen Sohn zu adoptieren – für was hatte man einen Notar bei der Hand?
Das waren angenehme Gedanken für den Parther, denen er aber nicht zu lange nachhing, denn das Ritual brauchte seine Konzentration:
„Sohn der Chaidó, die cthonischen Götter haben dich erhört: Sie öffnen das Tor und gestatten den Bewohnern der Abgründe an die Oberfläche zu steigen. O kommt herbei, ihr Schatten, vom Blut der Schlange zu trinken, um Ohren zu bekommen, die hören und Stimmen, die reden!“
Hairan senkte seine Stimme nun:
„Zuerst kommen die Unbegrabenen, die niemals Geborenen, die Neugeborenen, die den Styx nicht überqueren können, weil Charon sie zurück weist! Dann die Schar der gewöhnlichen umbrae. Erst ganz zum Schluss werden die Großen, die Helden aus dem Elysium, zum Altar gezwungen!“
Plötzlich zischte der Parther selbst wie eine Schlange, sprang vor und bewegte die Fackel:
„Zurück mit euch, Totenheer, wenn ich euch nicht züchtigen soll! Gebt Raum den umbrae des Mannes, der hier steht! Nur die imagines des Sohnes der Chaidó – trinkt!“
Venite! - Advenerunt
Seine Stimme schien wiederzuhallen, verzerrte sich, als stände er einmal ganz nahe oder in weiter Ferne.
Ein Rascheln wie von fahlem Herbstlaub erhob sich, unendlich pfeffriger Geruch von Moder und dem Schwefel in der Räucherschale.
Mittlerweile erfüllte die ekle Mischung, die der Magus auf dem Altar verkokelte, den Raum, und der Kadaver der Schlange verbrannte.
Etwas flirrte und bewegte sich in den Ecken der Halle; weder Terpander noch Tiberios wussten, dass es eine Vorrichtung mit Spiegeln gab, die diese Effekte unterstrich.
„Für die Tatsache, dass du nie unrecht getan hast, sind es viele imagines, die dich heimsuchen.“, sprach Hairan fast höhnisch, denn er glaubte, die Wahrheit zu kennen.
Venite! - Advenerunt
Doch dann stoppte das Flirren plötzlich.
Buchstäbliche Totenstille herrschte,
und die Fackel des Magus erlosch. ....
Und dann ertönte Hairans Stimme aus der Dunkelheit, als wäre er selbst überrascht von dem, was er sah:
„Die Toten sind stehen geblieben.
Hinter ihnen warten noch die, die verzweifelt vom Lebenssaft kosten wollen.
So viele Schatten, dass das Blut der Schlange nicht reicht, Sohn der Chaidó.
Dein Blut oder das des Weibes ist vonnöten, wenn der Zug weiter gehen soll.
Gib ihnen zu trinken, rasch! Noch hälst du das Opfermesser in deiner Hand!“