Beiträge von Iullus Seius Iunianus Fango

    Fango hielt den Bogen leicht diagonal vor sich, nockte den Pfeil ein und hob die Waffe in Schussposition. Er zog die Sehne gegen den enormen Widerstand der Wurfarme bis zum Anschlag aus, sodass sich seine Hand unter dem Ohr befand, starrte auf das Ziel, ohne dabei die Pfeilspitze anzusehen und ließ die Sehne los. All das geschah in einer fließenden Bewegung. Ein heftiger Ruck ging durch den Bogen und durch Fango, doch er verriss nicht, weil er das kannte und darauf vorbereitet gewesen war. Die Sehne peitschte gegen seinen Arm, der heute keinen gesonderten Schutz erhalten hatte, die Federn am Pfeilschaft schnitten im Vorbeisausen seinen Zeigefinger blutig. Fast zeitgleich schlug der Pfeil bereits mit einem dumpfen Knall in das Rot ein.


    Fango drückte Tisander den Bogen in die Hand und wich ein paar Schritte zurück. Er sagte nichts, denn Konzentration war das A und O. Der teuerste Bogen und die beste Technik nützten nichts, wenn der Geist nicht fokussiert war. Dass dies auch auf andere Waffen zutraf, hatte Fango gestern beim Speerwerfen gelernt.

    Das hörte sich ja wundervoll an! Fango schaute von Pferd zu Pferd und versuchte, zu erspüren, welches seins sein könnte. Ein Rappe hatte es ihm besonders angetan, den er nun streichelte.


    "Klar, ist das ein Hahn, er kann krähen. Nein, ich habe niemanden gefragt, nur allen eingeschärft, dass dieser Hahn Privateigentum ist und nicht geschlachtet werden darf! Er stört doch niemanden, schau, wie lieb er ist und die paar Körner, und das bisschen Gemüse für ihn kann ich notfalls auch selber beisteuern."


    Er verschwand und ließ Tisander mit dem Hahn in den Händen zurück. Wenig später kehrte Fango mit rotem Gesicht zurück. Er schloss hinter sich die Tür.


    "Zisimos ist so ein Arschloch", plärrte er. "Hat gesagt, ich soll mir das Kleinste nehmen!" Und den edlen Schwarzen hatte der haarige Barbar für sich selbst reserviert.


    So stapfte Fango durch das Stroh nach ganz hinten zu einem kleinen, struppigen Schecken, dem die Mähne wie eine wirre Frisur vom Kopf ab stand und der obendrein nach außen zu schielen schien. Kein Wunder, dass niemand sich dieses Pferd ausgewählt hatte. Als Fango den kleinen Schecken begrüßen wollte, flehmte er ihn an. Fango, der das Verhalten nicht zu deuten wusste, wich entsetzt zurück, weil er meinte, das Tier würde die Zähne fletschen.


    "Es hasst mich! Tissi, hilf mir, du musst ihm den ganzen Kram anlegen. Ich pack es dann fest am Zügel, damit es mich nicht beißen kann, und führe es nach draußen." Er selber nahm den Hahn an sich, um anzuzeigen, dass er sowieso gerade keine Hand freihatte, um Sattel und Zaumzeug anzulegen. Das hatte er noch nie gemacht oder gezeigt bekommen. "Welches ist dein Pferd?"

    Fango, wie fast immer mit blendender Laune gesegnet, ließ das vertraute Gebrüll über sich ergehen. Ein kalter Nieselregen ging sacht auf die Tirones nieder. Lautlos begann der feine Regenschleier, ihre Kleidung zu durchweichen, doch bis es so weit war, würden noch einige Stunden vergehen. Nässe störte beim Üben nicht, lange man sich bewegte und wusste, dass einen hinterher die heißen Thermen und trockene Wechselkleidung erwarteten (Fango ließ die kalten Becken bei solchem Wetter immer aus, ungeachtete dessen, was irgendein toter Medicus empfahl).


    Besonders faszinierten ihn die beiden germanisch wirkenden Hilfsausbilder. Was brachte einen dazu, die Leute auszubilden, welche die Feinde ihrer Vorväter gewesen oder vielleicht noch heute die Feinde ihres Stammes waren? Fango hatte bislang keinen der beiden irgendwo abfangen können, um ihnen diese Frage zu stellen.


    Zufrieden mit sich und der Welt stand Fango also wieder genau am gleichen Platz wie gestern, schließlich war ihnen gesagt worden, sich ihre Nebenmänner zu merken, und harrte der Dinge, die da heute kommen mochten.

    Vorsichtig drückte Fango die Klinke und schob die Tür auf. Eine Wolke aus Wärme und süßem Pferdegeruch quoll ihnen entgegen. Fliegen gab es keine um die Jahreszeit. Fango ließ Tisander eintreten und schloss hinter ihnen die Tür. An der hinteren Wand hing, unter der Decke befestigt, ein mit Stroh gefüllter Weidenkorb in etwa zwei Metern Höhe herunter. Ansonsten war dieser erhöhte Schlafplatz leer. Dafür saß der schwarze Hahn auf einem warmen Pferderücken eingekuschelt. Weil er kaum Kamm oder Hautlappen besaß und einen gekrümmten Schnabel hatte, wirkte er raubvogelhaft. Er schaute sie beide mit einem gelben Auge an. Fango hob ihn auf, indem er unter ihn fasste, wobei sich herausstellte, dass das Tier sehr lange und kräftige Beine hatte, die schon fast etwas Menschliches an sich hatten. Er drückte Tisander das Tier vorsichtig in die Arme.


    "Fühl mal, wie schwer der ist! Seine Eltern hatte uns mein Onkel Ravilla aus Cappadocia mitgebracht. Er könnte dir ganz genau erklären, welche lange Reise die Vorfahren dieser Tiere auf der Seidenstraße hinter sich bringen mussten, ehe sie irgendwann in Cappa auf dem Markt landeten. Diese Hähne werden für Hahnenkämpfe eingesetzt, aber darum hat Onkel Ravilla sie nicht gekauft und gezüchtet, sondern weil sie sich im Gegensatz zu normalen Hühnern gut gegen viele Raubvögel zur Wehr setzen können. Dieser Hahn hier ist einer der Zuchthähne und nicht für den Kochtopf bestimmt. Und er ist ein Glücksbringer, deswegen habe ich ihn mitgenommen. Er kann hier im Stall Hafer picken und Wasser trinken, auch am Grünzeug für die Pferde bedient er sich gern."


    Während Tisander den Hahn halten musste, schaute Fango sich die Pferde ihres Contuberniums an.


    "Sind die schon zugeteilt oder kann ich mir eins aussuchen?"

    Fango ließ sich zu einem verstohlenen Lächeln hinreißen.


    "Hast recht, Tissi. Es hat mich geärgert, dass du schon wieder besser warst. Zur Strafe habe ich nicht mehr getroffen. Das war mir eine Lehre. Neid ist kein guter Berater."


    Nachdem sie die Speere abgegeben hatten, stellten sie sich in Zweierreihen auf. Fango und Tisander standen nebeneinander, was sich harmonisch anfühlte, wie eine Versöhnung, obwohl es gar keinen Streit gegeben hatte. Sie würden eine gute Truppe werden. Nach dem Kommando von Ocella traten sie gemeinsam ab und es war Zeit, den Tag ausklingen zu lassen.

    << RE: Officium der Verwaltung


    Fango platzte so unvermittelt in die Stube, dass Alwin zusammenzuckte. "Tissi", krähte Fango und wedelte mit seinem Brief. "Kannst du mit mir reiten üben? Ich muss in ein paar Tagen sattelfest sein!"


    Alwin stöhnte verärgert. Er saß am Tisch und hatte einen Brief an seine Familie schreiben wollen, nun war ihm die Feder abgebrochen und hatte einen schwarzen Klecks auf dem Papyrus fabriziert. Mit einem Lappen versuchte er, den Schaden zu begrenzen.

    Zisimos war längst ausgeschieden - er hatte alle drei Speere beim ersten Versuch im Strohmann versenkt. Nachdem er seinen Schock darüber verwunden hatte, traf Alwin auch recht passabel. Tisander machte eine sehr gute Figur, so dass Fango große Augen bekam. So, wie er Tisander zu kennen glaubte, traf dieser aus purer Gehässigkeit, weil er Fango seinen kleinen Erfolg nicht gönnte. Fango wiederum war nicht bereit, das auf sich sitzen zu lassen und gab sich alle Mühe. Jedoch genügte sein Ehrgeiz nicht. Einige Versuche brauchte er, um alle drei Speere zu versenken. Mit verkniffenem Gesicht zog er den Speer nach dem letzten Wurf aus dem festgepressten Stroh.

    Den erschütterten Blick des Soldaten brachte Fango nicht in Verbindung mit seiner Äußerung, sondern meinte, dass dieser besorgt sei, so dass er ihn gleich noch ein Stückchen netter fand. Er rollte den Brief wieder zusammen, während er gedanklich schon die Zeiteinheiten der künftigen Tage hin und her schubste, um die Lücken möglichst effizient zu nutzen. Vielleicht sollte er auch Geschenke für die Sippschaft mitbringen ... irgendwas Germanisches.


    "Jawohl", sprach er und salutierte, ehe er abtrat, um auf direktem Wege Tisander aufzusuchen.


    RE: Ausbildungsturma Ala II Numidia >>

    Zum Glück hatten sie Tisander, sonst wäre die allgemeine Laune noch versehentlich gut geworden. Fango musste über seinen gedanklichen Witz schmunzeln und schleuderte seinen Speer. Unter Konzentrationsproblemen bei Ablenkung hatte der kleine Mann noch nie gelitten. Und so traf er tatsächlich die Strohpuppe!


    "Hast du das gesehen?", quiekte er mit vor Begeisterung unmännlicher Stimme. "Der wäre tot gewesen!"


    Am liebsten hätte er gleich noch mal geworfen, aber er musste seine Waffe einsammeln und sich erneut hinten anstellen. Fango war kein Angeber, aber dass er eine Waffe gefunden hatte, der seine geringe Körpergröße egal war und mit der er sich sofort wohlfühlte, hatte ihm einen gewaltigen Motivationsschub verpasst.

    Das war absolut logisch! Mit Speeren konnte man wütende Gegner auch mit kurzen Armen, wie Fango sie hatte, auf Abstand halten. Es war völlig schnurz, wie klein er war mit solch einer Waffe! Bei dieser Erkenntnis schwoll sein Ego dermaßen, dass es schier aus ihm herausquoll. Er nahm mit festem Griff seine Hasta velitaris und stellte sich in der Reihe auf, wobei es ein kurzes Durcheinander der Tirones gab. Wo war überhaupt Tissi schon wieder?! Fango wechselte noch mal seinen Platz, um hinter Tisander stehen zu können, damit dieser nicht vereinsamte.


    Gerade warf Zisimos mit einer Leichtigkeit seinen Speer, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht, traf genau die Mitte des Strohmanns, zog seelenruhig die Waffe wieder heraus und dackelte davon. Alwin war davon dermaßen verstört, dass er komplett am Ziel vorbeischoss. Sein Speer landete sonstwo.


    "Du bist gleich dran, Tissi", flüsterte Fango, während Alwin zerknirscht seine Waffe aufsammelte. Er selber war dermaßen aufgeregt, dass es ihm schwerfiel, stehenzubleiben und er herumhibbelte.

    Die Aussicht auf zusätzliche Übungseinheiten schreckte ihn nicht im Mindesten. Er würde sich etwas einfallen lassen, um Tisander und Alwin dafür zu entlohnen, dass sie mit ihm trainierten, dann würde das schon werden.


    "Das ist total nett, vielen Dank", sprach er erquickt. "Ich werde reiten üben, bis mir der Arsch glüht! Tissi kann reiten und Alwin ebenfalls, sie werden es mir beibringen jeden Tag nach der Ausbildung, bis ich es kann."


    Fango machte sich nichts aus den üblichen Freizeitvergnügungen, denen viele der Kameraden nachgingen. Weder zog es ihn nach Mogontiacum zum wilden Nachtleben, noch hieß er es gut, wenn jemand Alkohol in die Castra schmuggelte und sich alle kollektiv betranken, nur um am nächsten Tag verkatert zu sein. Wenn andere ihrer Freizeit frönten, lag Fango mit seinen Papyri und Schreibzeug bei Lampenlicht (er besaß eine Hängelampe) in seinem Bett. Das lag vielleicht auch daran, dass er keine Freunde hatte, wobei die Kausalität auch umgekehrt sein könnte.

    Fango trat einen Schritt vor. Tisander hätte vermutlich einen weiteren Wutanfall erlitten, wenn er wüsste, dass Fango es von den Haussklaven kannte, dass man immer den Höhergestellten zuerst nannte und erst danach sich selbst. Verärgerte Sklaven "vergaßen" dies manchmal, um zu sticheln.


    "Vexillarius Matinus Ocella, Iunianus Fango, Tiro der Ausbildungsturma I Alae II Numidiae", machte Fango also Meldung, wobei er zwischen den Namen eine kurze Pause ließ.


    Die zweite Frage war schon kniffliger. Was machte man mit einem hochmotivierten, körperlich überlegenen Feind?


    "Durch taktisch kluges Vorgehen muss man ihre Körperkraft bedeutungslos machen", mutmaßte Fango. Zumindest hatte er selbst es mit zwei großen Brüdern sein Leben lang so gehandhabt. "Und man muss sie demoralisieren."


    Im Demoralisieren war er besonders gut. Die Bissnarbe an seinem Hintern war Ausdruck von Scatos maßlosem Frust in Anbetracht der Ätzpocke, zu der Fango mutieren konnte, und gegen die er sich nicht anders zu helfen gewusst hatte, als ihm mit aller Kraft in den Arsch zu beißen. Die wahre Kunst wäre gewesen, sich im Anschluss nach der Aktion nicht erwischen zu lassen und Scato mit seiner hilflosen Wut sich selbst zu überlassen, damit er sich innerlich zerfraß.


    Ob man das auf einen weitaus größeren Konflikt übertragen konnte, stand natürlich auf einem anderen Blatt, doch Fango erschien ein entsprechendes Vorgehen logisch. Er schaute aufmerksam, gespannt darauf, ob sein Ansatz richtig war und falls nicht, wie man stattdessen vorging.

    All das hatte Fango schon gehört ... aber er war sich nicht im Klaren gewesen, wie Ernst es damit war und dass selbst die Tirones offenbar einen wichtigen Beitrag zu den bevorstehenden Germanenangriffen beisteuern sollten. Er schaute auf das Papyrus unter den Händen des Soldaten. Dann nickte er.


    "Ja, davon habe ich gehört. Du weißt nicht zufällig, ob man die Adoption einfach per Brief machen kann? Oder wenn ich einen Vertreter von mir schicke mit einer Vollmacht? Sonst wird die Adoption eben warten müssen, bis Onkel Stilo irgendwann mal wieder lang genug Urlaub bekommt, um nach Roma reisen zu können und ich zeitgleich auch. Davon geht schließlich das Imperium nicht unter."


    Wenn alle Verteidiger wegen jeder Lappalie Urlaub nehmen wollten, hingegen vielleicht schon. Fango hatte nicht vor, noch mehr Extrawürste herauszuschinden. Es war ärgerlich genug, dass er wegen seiner Winzigkeit so viele nötig hatte, da musste er nicht auch noch welche wegen seiner Familienangelegenheiten obendrauf packen.

    Das Scheißeschippen hatte Fango glatt vergessen ... Tisander war klammheimlich aufgestanden und hatte die Arbeit allein erledigt. Zwar meckerte er pro forma, aber Fango erkannte, dass die Geste freundlich gemeint gewesen war und schmunzelte dem Rohrspatz kaum merklich zu. Die Erklärungen von Ocella halfen Fango, sich in seiner neuen Umgebung zu orientieren. Welcher Einheit er genau angehörte, hatte er bis soeben nicht gewusst und auch nicht, wie der Offizier anzusprechen war oder was er sich unter Duplicarii vorstellen musste.


    Dass sich der Vexillarius nach seiner kurzen Rüge des plappernden Tisander vor Fango aufbaute, machte diesem kurzzeitig Sorgen. Fango musste zu seinem Ausbilder aufschauen, wobei er sich nicht sonderlich wohl fühlte. Fango wagte nicht, auch nach Thorwald und Hanko zu schauen, die er den Namen nach für Germanen hielt, um ihre Körpergröße mit der von Ocella zu vergleichen, sondern schaute nur diesen an. Er geriet ins Grübeln darüber, wie dem Problem seiner geringen Körpergröße künftig zu begegnen sei, wenn die Germanen alles solche Hünen waren, wie der Vexillarius behauptete.


    Und dann hatte man Fango auch noch wohlmeinend ein kurzes Schwert statt einer Spatha gegeben, damit er überhaupt vernünftig ziehen konnte, so war seine Reichweite noch geringer als ohnehin schon. Nein, er musste schnellstmöglich lernen, mit der Spatha zu hantieren. Sie hatten es gut gemeint, aber so ging das nicht, das musste er Ocella sagen!


    Mit seiner vergeistigten Art, die Welt zu erklären, rief Fango sich ins Gedächtnis, dass er die Mindestgröße beinahe hatte und es somit andere Soldaten gab, die nur einen Fingerbreit größer waren als er und trotzdem ihr Soll erfüllten. Wären sie nutzlos, hätte man das Mindestmaß höher angesetzt. Also war alles eine Frage des Willens, der Übung und der richtigen Technik. Er würde auch mit Zisimos trainieren, um ein Gefühl für die Schrecklichkeit ihrer Feinde zu bekommen, der war ebenfalls ziemlich groß und ehrfurchtgebietend, ohne dass er einen Ton zu viel sagte. Vielleicht sollte er auch mit den germanischen Kameraden da vorn üben, um sich abzustumpfen, oder mit germanischen Tirones, falls es in der Ausbildungsturma welche gab. Alwin klang auch ziemlich germanisch dem Namen nach, sah allerdings zivilisierter aus als so mancher Römer ... wenn er an die feinen Seidenpantöffelchen dachte, die der in der Stube trug ...


    ... all das ging Fango durch den Kopf, bis Ocella sich von ihm abwandte und weiterging. Er hörte, wie Alwin neben ihm erleichtert ausatmete und Tisander erneut das Wort ergriff.

    "Salve", grüßte Fango nach dem Eintreten und rollte sogleich den Brief aus, den er erhalten hatte, um ihn dem Mann richtig herum hinüberzuschieben. "Das Untere ist wichtig." Er tippte auf den entsprechenden Absatz.


    Roma, ANTE DIEM XII KAL DEC DCCCLXX A.U.C.


    (20.11.2020/117 n.Chr.)


    Ad

    Iullus Iunianus Fango

    Ausbildungsturma

    Castra Alae II Numidiae

    Mogontiacum



    Betreff: Familienbande



    Mein lieber Neffe,


    ich weile momentan in Roma bei deinem Bruder in der Casa Leonis. Ja, du hast richtig gelesen: Ein Atriumhaus bewohnt Scato nun mit einem Kameraden namens Purgitius Lurco und drei Sklaven. Einer ist euer alter Lehrer Terpander, der andere dein entlaufener Cassivellaunus, dem ich persönlich die Hammelbeine langgezogen hätte, doch sie haben ihm stattdessen ein Ohr abgeschnitten. Scato und Lurco bewohnen dieses riesige Anwesen für sich allein, betreiben eine Taberna und vermieten einige der Räume. Man kann sich hier wohlfühlen und für die noch fehlenden Tauben habe ich gesorgt.


    Doch all das ist nicht der Grund, warum ich dir schreibe.


    Ihr seid nun Waisen und in eurer Gens praktisch allein. Meiner Ansicht nach seid ihr dafür zu jung und ein wenig mehr Familie hat noch niemandem geschadet. Ich möchte euch darum anbieten, der Vater zu sein, den ihr nicht mehr habt. Ich möchte euch adoptieren.


    Wenn du dies möchtest, komme bitte nach Roma, so lange ich hier noch weile, damit wir dies in die Wege leiten können.


    Virtute et fidelitate.


    Dein Onkel

    SISENNA SEIUS STILO


    "Mein Onkel will meinen Bruder und mich adoptieren", fasste er den Inhalt zusammen. "Dann wäre ich das Iunianus im Namen los."


    Wenngleich er seine Mutter sehr geliebt hatte, war ihm die Abstammung von einer ehemaligen Sklavin unangenehm. Eine Aufwertung des Namens konnte auch seiner Karriere nur förderlich sein. So weit die offiziellen Gründe. Dass Fango den Onkel Stilo mit den Muckis mochte und eines Tages viel lieber zu ihm und dem Anwesen nach Kappadokien heimkehren würde als zum verwaisten Haus in Mantua, war dabei für einen geselligen Menschen wie Fango noch wichtiger, aber wohl weniger dazu geeignet, als Grund vorgeführt zu werden.


    "Ich müsste für die Adoption allerdings nach Roma reisen ..."

    Fango starrte aus geröteten Augen nach vorn. Das Nervenbündel Tisander hatte ihn um den Schlaf gebracht und ihm tat vom wiederholten Aufsitzen auf die Pferdeattrappe der Unterboden weh, was die Nacht beides wenig erholsam gemacht hatte. Mit einem körperlich anstrengenden Tagewerk war das keine angenehme Kombination. Hoffentlich war Tisander wenigstens ebenfalls müde, wenn er schon Stress machte, aber vermutlich hatte der geschlafen wie ein Stein. So war das immer. Fango schaute kurz, ob er seinen Kumpel schon irgendwo in der Reihe sah, ehe er wieder nach vorn blickte.


    Das da vorn war also der von Alwin gefürchtete Ocella. Alwin war wohl aus gutem Grund als erster hier gewesen - noch vor Zisimos, der sonst immer der Schnellste war. Fango runzelte mehrmals blinzelnd die Stirn, um das Gebrüll in seinem übermüdeten Gehirn schneller zu verarbeiten.