Stella versteckte sich in den Schatten der Menge. Die Menge zum eigenen Vorteil zu nutzen, war ein Talent, welches erlernt werden konnte, wie jedes andere gängige Talent. Einige brauchten mehr Übung aber Stella war ein Naturtalent, sich in der Menge zu verstecken. Unauffällig näherte sich die Tiberia dem Sklavenmarkt, den sie eigentlich verabscheute. Menschen in Ketten waren nicht etwas, was sie gerne ansah oder unterstützen wollte. Doch war das Imperium, auch das ihres Vaters, auf den Rücken der Sklaven errichtet worden, welche auch hier angeboten wurden. Die römische Landwirtschaft oder auch die Produktion in den fabricae war ohne Sklaven undenkbar, da die Anforderungen an große Zahl und ständige Verfügbarkeit, die ständige Verfügbarkeit von Sklaven in großer Zahl notwendig machte. Stella war nicht dumm und verstand sehr wohl die Zusammenhänge aber dennoch mochte sie diese Zusammenhänge nicht. Es fehlte ihr an patrizischem Standesbewusstsein, welches sich nie ganz aussprägen konnte. Nicht seit jenem grausamen Sommer. Es war wieder diese Melodie, die sie führte. Dieser seltsame Gesang ohne Ton, der einem Gefühl gleich, Wege bereitete. Stella wusste einfach, wann sie an einem Ort zu sein hatte und war dann dort. Es fühlte sich fast, wie eine göttliche Fügung an, denn hier war dieses Gefühl wieder sehr stark, richtig zu sein. Es war eine Intuition. Dieser Ort war dunkel, und seine Farben erstrahlten nicht, dennoch war diese Melodie hier. Viele Seelen litten hier. Und doch war hier etwas, was Stella von ihrem eigentlichen Ziel entfernt hatte. Es hatte sie fast mitgerissen und entführt. Diese Melodie lenkte sie, denn Stella war längst verloren. Abrupt blieb die Tiberia stehen, als die Melodie verendete und blickte aus der Menge heraus, auf die knappe Bühne des Sklavenhändler Titus Tranquillus. Sie kannte ihn nicht. Doch konnte sie das große Schild mit der Bezeichung des Standes erkennen. Wie sehr die Römer doch ihre Ordnung liebten und alles mit Namen versahen. Stella amüsierte sich darüber, dass ein Mann damit hausierte, Sklaven zu verkaufen. In ihrer Perspektive war dies doch eher ein Geschäft, was man tat aber nicht groß breit trat. Doch Rom belehrte sie eines besseren. Sklaverei war ein großes Geschäft und scheinbar ehrbar. In ihrem Dorf war der Sklavenhändler immer sehr verschroben gewesen, hatte sich eher versteckt und die Sklaven schlicht beim Einsatzort abgegeben. Doch hier gab es viele Sklavenhändler mit unterschiedlich großen Ständen und Bühnen. Es überforderte Stella ein wenig, denn dies so zu sehen, ließ etwas in ihr zerbrechen. Das Leid dieser Seelen schlug direkt auf sie über. Sie sah förmlich die einzelnen Geschichten dieser Menschen, die hier in Ketten lungerten und auf ein neues Schicksal warteten. Und doch konnte Stella nichts tun. Nicht heute und wahrscheinlich auch nie an einem anderen Tag.
Auch ihr Vater hatte Sklaverei unterstützt, sogar öffentlich Feinde versklavt oder andere ehemalig freie Menschen zu diesem Schicksal verdammt, nur um einem Gesetz zu dienen oder diente er am Ende sich selbst? Stella stellte diese Fragen nicht laut, wollte sie aber dem Sklavenhändler entgegen werfen. Sie drängte sich vor und blickte dabei eine fremde Sklavin an, die ausgeliefert war aber sich in ihr Schicksal zu fügen schien. Diese Sklavin strahlte eine merkwürdige Ruhe innerhalb der Unruhe um sie herum aus. Der ruhige Glanz in ihren Augen faszinierte Stella. Wortlos verharrte Stella, in ihrer einfachen Tunika aber gemachtem Zopf, vor der Bühne. Sie musste sehen, wie dieses Geschäft ablief, um ihre Abscheu zu verstehen. Stella blinzelte hektisch aber konnte nicht aus ihrer Haut, denn dieser Ort tat ihr weh. Diese Normalität des Leides. Stella war zu feinfühlig, zu aufrichtig ihrem Herzen gegenüber, dass sie es nicht lange ertragen konnte. Doch musste sie es ertragen. Rom war auch Sklaverei. Einige Sklaven hatten es gut und viele nicht. Was hatte diese Sklavin unmittelbar vor ihr zu dieser Ruhe gebracht? Warum fügte sie sich in ihr Schicksal? Hatte sie ihre Menschlichkeit einfach aufgegeben? Interessiert beäugte die Tiberia jenes Geschöpf, nicht viel Geld bei sich habend aber einen anderen Schatz tragend, den sie heimlich aus einem Versteck ihres Vaters gerettet hatte. Die Briefe lotsten sie tatsächlich zu geheimen Orten in Rom, wo ihr Vater allerhand Nützlichkeiten versteckt hatte, um im Zweifel sich selbst oder seine Familie retten zu können. Die Vorsorge ihres Vater erwies sich immer als klug und Stella kam nicht umhin, dies zu bewundern, obwohl sie bereits ahnte, wenn so etwas notwendig geworden war, dass das Leben ihres Vater nicht das gute Leben war, welches er immer darstellen wollte. Viele hielten ihn für einen skrupellosen und heimtückischen Mann, der einzig und allein dem Befehl diente und somit alles tat, was notwendig war. Stella wollte dies nicht glauben aber die entdeckten Geheimnisse zeichneten inzwischen ein kompliziertes Bild. Ja, er war Henker, Meuchelmörder aber auch Ermittler, besorgter Römer und liebevoller Vater. Die Bilder passten nicht zusammen und mit jedem Versteck, welches Stella fand, wurden die Fragen nur noch größer. Wer war ihr Vater wirklich? Stella presste den Lederbeutel fest an sich, damit niemand diesen Fund entwendete, der für sie einen großen Gewinn darstellte.
Ein Römer gehobenen Alters, wohl Senator, schickte sich an, einen Begleiter vorzuschicken. Dieser begann sich mit dem Sklavenhändler zu unterhalten und bot für die arme Seele auf der Bühne. Jetzt verstand Stella erst. Diese Sklavin auf der Bühne konnte kämpfen. Sie konnte töten und dieser Römer ließ wirklich fragen, ob sie bereits getötet hatte. Nein. Das war nicht richtig. Niemand sollte zum Kampf gezwungen werden. Niemand sollte, ohne Not und Notwendigkeit, kämpfen und töten müssen. Es erschien Stella fast als göttliche Aufgabe, diese Sklavin vor einem erneuten Schicksal als Kämpferin zu retten. Egal, was es kosten sollte. Stella, selbst beeinträchtigt durch ihre eigenen Erfahrungen, fühlte sich seltsam beauftragt und berufen. Auch weil sie darum fürchtete, dass die merkwürdige Ruhe der Sklavin auf einen großen Schmerz hindeutete. Einen Schmerz, den dieser Römer mit Sicherheit nicht sah. Er sah nur eine Waffe und Gegenstand. Stella hingegen sah eine Person, die ihr durch Pluto offenbart worden war. Pluto hatte sie an diesen Ort geführt, mit dieser ewigen Melodie, die alle Dinge umgab. Stella war sich inzwischen recht sicher, dass es Pluto war, denn wenn sie gekämpft und mutmaßlich getötet hatte, wäre Pluto ihr Schatten. Stella hatte um Hilfe bei Pluto ersucht und jetzt stand diese Sklavin dort. Vielleicht war genau diese Sklavin die Hilfe, die sie brauchte, um die letzten Geheimnisse ihres Vaters zu lüften und ihr Haus wieder herzustellen. Schnell öffnete sie die Beutellasche einen Spalt, griff hinein und zog einen rudimentär geschliffenen Stein hervor. Davon hatte sie noch mehr. Sie mussten wertvoll sein, denn ihr Vater hatte sie in gewisser Zahl versteckt. "Ich biete den Wert dieses Steins,"* meinte Stella und streckte sich mühsam zum Sklavenhändler hoch, um ihm diesen Stein zu reichen. Es handelte sich nach Stellas begrenztem Wissen um einen Rubin aus dem Osten des Reiches. Es war einen Versuch wert und wenn Pluto ihr wirklich diese Sklavin als Dienerin geschickt hatte, dann würde ihre Handlung zum Erfolg führen. Auf jeden Fall wäre ein Edelstein mehr wert als 55 Sesterzen.
Sim-Off:*Sobald das Erbe von Stella eingetroffen ist, wird die Bezahlung selbstverständlich nach entrichtet.