Angekommen in der Stadt, die ihr stets fremd war. Eine Stadt, die ihr Vater immer als Abgrund beschrieben hatte. Stella hatte nie verstanden, was ihr Vater an dieser Stadt fand, wenn er doch wenig Gutes berichten konnte und letztlich blieb ihr Rom bis heute ein Rätsel. Ein Rätsel, was sie gerne lösen würde aber sich zurückhielt, da manche Rätsel auch lieber ihre Geheimnisse behalten sollten. Ihr Vater war schließlich über diese Geheimnisse gestolpert, hatte sicherlich auch Geheimnisse zu diesem großen Rätsel hinzugefügt, um letztlich vom Abgrund verschluckt zu werden. Er kehrte niemals zurück. Diese Leere konnte sie bis heute nicht füllen. Erklärungen waren stets verhallt, Wünsche tonlos verklungen und jedes Schlaflied brachte keinen Schlaf. Stella war durch die letzten Getreuen versteckt worden, vor Jahren, bevor ihr Vater verschwand. Sie hatte es nie verstanden und bis zu diesem Tage war dort keine Antwort. Es wirkte merkwürdig entrückt, durch diese Stadt zu irren, die höchstwahrscheinlich ihren Vater getötet hatte. Aber nein, es war nicht die Stadt, da war sich Stella inzwischen sicher, nachdem sie durch die Straßen gewandert war.
Es waren Menschen, die wahrscheinlich immer noch ihrem Tagwerk nachgingen. Sie wollte eine Antwort, warum ihr Vater verschwinden musste aber im Herzen wusste sie es längst, dass die Aufgabe, die ihn verbittert gemacht hatte, verantwortlich war. Einzig die Sehnsucht blieb, herauszufinden, was damals in dieser unheiligen Nacht geschah, als ihr Papa aufgebrochen war und sie und ihre Mutter zurückgelassen hatte, damals beinahe eine Frau aber noch ein Kind, heranwachsend aber noch nicht erwachsen und nun als Frau war diese Frage so groß, dass sie eine Antwort brauchte, um ihr zerissenes Leben irgendwie zu retten. Ihr Herz war gebrochen, zusammengehalten von der Erinnerung an eine Familie, die sich stets heimgesucht sah. Es war an der Zeit, dass Versteck zu verlassen, auch wenn es sicherlich Gefahr für sie bedeuten konnte. Stella fühlte diese schwere Last auf sich, als sie sich durch die Menge an Menschen bewegte. Die letzten Getreuen, bevor auch sie aufgebrochen waren, hatten sie einst gewarnt, als sie unter Tränen auf das verlassene Landgut gebracht wurde. Eine Warnung vor dunklen Mächten, die alles vernichten wollten, was ihr Vater geschaffen hatte. Und sie wollten auch sie holen, um alles auszulöschen, was ihr Vater liebte.
Diese Angst kroch in ihre Augen, die umher huschten, eine Gefahr vermutend.
Stella wusste, dass nicht alles verloren war aber vieles. Es lag Hoffnung darin, die Wahrheit herauszufinden, auch wenn es ihr eigenes Ende bedeuten konnte. Leider musste sie mit der Suche in Rom beginnen. Die letzten Jahre auf dem Landgut, mit nur wenigen Angestellten und Sklaven, waren für lehrreich gewesen. Stolz konnte sie sich nicht mehr leisten, da sie oft mit anpacken musste. Wo andere Töchter aus einem großen Haus Kleider und Schmucken erleben konnte, sich nicht sorgen brauchten, musste Stella im Dreck der Erde wühlen, Äcker bearbeiten und Mist schaufeln, da es schlicht an allem fehlte. Sie erinnerte sich nicht einmal daran, wie parfürmiertes Rosenöl roch, oder wie sich Gold auf der Haut anfühlte, denn alles, was sie noch kannte, war Arbeit. Viel Arbeit, die sie inzwischen wertschätzte, da sie ablenkte. Ihr wurde erlaubt, ein Leben zu leben, welches fern der Grausamkeit lag, welche ihr Vater stets von ihr fernhalten wollte. Zu ihrem Glück blieb sie nicht lange allein, denn ihre Mutter war einst nachgekommen, gebracht von den selben Getreuen, um mit ihr auf dem Landgut zu leben, welches versteckt gelegen, ein neues Zuhause wurde. Zwischenzeitlich war auch ihre Mutter verstorben, so dass Stella allen Mut zusammen genommen hatte, um der Frage nachzugehen, was damals geschehen war. Es schmerzte daran zu denken, dass nun auch ihre Mutter im Elysium war. Dort, wo sie selbst noch nicht war. Inzwischen Waise wollte sie sich nicht mehr verstecken, konnte es auch nicht mehr, da sie eine Nachricht erreicht hatte, dass ihr Vater ihr etwas in Rom hinterlassen hatte. Stella trug den Brief und wenige Sesterzen bei sich, war mit einem Viehwagen nach Rom gereist, um den Instruktionen zu folgen. Es würde sie ihrer Antwort näher bringen. Oder zumindest war es etwas, was ihr Vater möglicherweise hinterlassen hatte. Etwas aus der Vergangenheit, dem sie sich verpflichtet fühlte.
In einfacher Kleidung, mit Dreck unter den Fingernägeln, fand sie die Taberna, die im Brief erwähnt wurde. Hier sollte sich eine Person befinden, die ihr weiterhelfen konnte. Ein alter Vertrauter sollte sich an diesem Ort befinden aber sie wusste nicht, wie sie ihn erkennen sollte. Stella erinnerte sich daran, was ihr Vater ihr beigebracht hatte. Sie hatte Fähigkeiten erworben, nicht nur durch harte Arbeit, die sie von anderen Frauen unterschieden. Die Arbeit ihres Vaters hatte ihn vorsichtig gemacht und so hatte er auch seine Tochter unterrichtet, damit sie selbst nicht unmittelbar in Gefahr geriet und sich selbst durchschlagen konnte. Seine Vorsicht war sicherlich begründet gewesen, wie sein Verschwinden bewiesen hatte. Ihre Talente und Fähigkeiten hatten ihr oft geholfen, gefährlichen Situationen zu entkommen und unentdeckt zu bleiben. Vielleicht war es auch die Gabe ihrer Mutter, die sie geerbt hatte.
"Ey," jappste sie, als sie unsanft angerempelt wurde, während sie sich in der Taberna umschaute. "Pass' doch auf!" Stella konnte herausragend schimpfen. Ein paar wütende Flüche später, stand sie dort, blickte sich um, die Instruktionen des Briefes im Kopf rezitierend. Es musste einen Hinweis geben. Schließlich blickte sie neben sich und entdeckte dort eine sehr kleine Person, die nicht ganz ins Bild passte. Ein ungewohnter Anblick. Neugierig legte Stella ihren Kopf schief, so dass ihr zerzaustes Haar gut sichtbar wurde, da sich eine verfettete Haarsträhne verschob. Ja, Stella machte wahrlich einen Eindruck, dass sie frisch vom Bauernhof kam. Stella streckte ihren linken Zeigefinger aus, um die kleine Person anzustupsen, da sie befürchtete erneut zu fantasieren und wieder Bilder zu sehen. Ihr Finger berührte die Frau an der Schulter und erbrachte den Beweis, dass diese echt war. "Verzeihung," sagte Stella mit einem breiten Grinsen, um sich dahinter zu verstecken.