Beiträge von Galeo Seius Ravilla

    Nicht nur Unzufriedenheit - auch Zufriedenheit vermochte das Gefüge der Macht zu kippen.


    Ravilla dachte daran, wie einst die Truppen das Bildnis des Seianus neben dem des Kaisers in ihren Feldlagern verehrt, ja, sich auf dessen Antlitz vereidigt hatten. Seianus selbst hatte dies nie angewiesen, die Ehrerbietung war der tiefen Überzeugung der Soldaten entsprungen. Zweifelsohne war in der Beliebtheit des Seianus, die er sich aus eigener Kraft erarbeitet hatte, der Hauptgrund für seinen Sturz zu sehen und nicht in den Dingen, die man ihm angedichtet hatte. Seianus war zu gut gewesen, als das man ihn hätte dulden können. Und doch saß sein Nachfahre heute hier. Ravilla resümmierte einmal mehr, welch komplexes und fragiles Gebilde der römische Staatsapparat war. Wie ein Tänzer auf dem Drahtseil würde er sein müssen, um auf dem Cursus Honorum die Balance zu halten zwischen eigenen Ambitionen, den Erwartungen des Senats und dem Befehl des Kaisers.


    Ravillas Herz brannte vor Ehrgeiz, dem Namen Seius gerecht zu werden und Rom einmal mehr den Stempel seiner Familie aufzudrücken.

    "Die Leistungen unserer Vorväter können nicht genug gelobt werden! Jedoch ist eine Gesellschaft kein statisches Konstrukt, sondern ein beständiges Auf und Ab, ein Kreisen und Walken unterschiedlichster Kräfte. Probleme werden gelöst, neue Probleme entstehen, alte Sorgen, die einstmals gelöst waren, kehren zurück. Feinde erheben sich an den Grenzen, werden niedergeschlagen, Bündnisse entstehen und zerfallen. Stabilität ist stets relativ, Optimierungen waren zu allen Zeiten notwendig. Und wie gut wir uns auch schlagen werden, auch in Zukunft wird es Probleme geben, die gelöst werden wollen."


    Er hob einen Finger.


    "Der Plebs ist keine realistische Lösungsfindung zuzumuten. Mir geht es bei der Befragung in jenem Umfeld um eine Schwerpunktsetzung für die Eindämmung der Kriminalität. Klagt der Pöbel vor allem über fehlendes Essen, über mangelnde Hygiene, über Feuer? Hat er Angst vor Seuchen oder vor marodierenden Kriminellen? Was ist es, das die Menschen zuvorderst in die Kriminalität treibt? Je nach Häufigkeit der Klage wissen wir, wo wir zuerst ansetzen müssen, wollen wir das in der Unterschicht florierende Verbrechen eindämmen. Die Lösungen indes müssen freilich von kompetenteren Köpfen erarbeitet werden."

    Auch Ravilla hatte bei seinen Recherchen im Vorfeld jene Appendices übersehen.


    Der Stilus von Anaxis flog über die mitgebrachten Wachstafeln in dem Versuch, möglichst viele Informationen des Cursus zu verschriftlichen. Primär handelte es sich im Falle von Anaxis ihm nicht um einen Scriba, sondern um einen Leibsklaven, doch unter all seinem unfreien Besitz war dieses Individuum Ravilla das Angenehmste. Der Perser fügte sich so harmonisch in das Leben seines Herrn wie ein Kunstwerk in einen Marmorsaal. So neigte Ravilla dazu, ihm jede nur denkbare Aufgabe aufzubürden, anstatt ihm eine freie Minute zu gönnen, was sich im heutigen Fall im grauenvollen Schriftbild und unsachgemäßer Schwerpunktlegung der Notizen widerspiegelte, wie Ravilla feststellen musste, als er einen Blick auf die Notizen warf.


    Missbilligend verzog er die Brauen. "Bitte ergänze, dass der Titel des Augustus kein Amt sei, sondern eine Akkumulation an Kompetenzen, setze einen Verweis auf die Lex Aquilia de Imperio in den Appendices des Codex Universalis."


    Er nahm sich vor, für derlei Aufgaben künftig auf spezialisierteres Personal zurückzugreifen. Anaxis könnte sich zu dekorativen Zwecken im Hintergrund halten und sich ganz auf die Faltenlegung seiner Toga konzentrieren, die beständig korrigiert werden musste.

    Verehrter Aedilis Curulis Flavius Gracchus Minor,


    bitte wirf bei Gelegenheit einen Blick in unsere private Konversation. Mich deucht, du habest mein letztes Antwortschreiben womöglich übersehen. :)


    Mit vorzüglicher Hochachtung

    Ravilla

    Als Tiro fori des jüngeren Flavius Gracchus ward auch Ravilla die Ehre und das Vergnügen zuteil, an der heutigen Cena zu partizipieren. Wenngleich er inhaltlich kaum mehr als Nichts würde beitragen können, so nahm er doch gern die Gelegenheit war, sich lernend an der folgenden Diskussion zu erfreuen. Sie passte insbesondere dahingehend gut in seine Planung, da er zum theoretischen Cursus des römischen Rechts und der exekutiven Arbeit des Aedils nun auch erstmalig die Judikative bei der Arbeit respektive Vorarbeit erleben durfte. So harrte er gespannt der Worte, die da reichlich sprudeln mochten, während er das wohlige Gefühl seines vollen Magens mit einigen Schlucken süßem, gut gewürztem Weißwein perfektionierte.

    Ravilla zeigte sich erfreut ob des Umstands, dass seine Gedanken bei Flavius Gracchus Minor nicht auf pauschale Ablehnung stießen. Mit einem entsprechenden Verlauf des Gesprächs hätte er durchaus rechnen müssen. Indes lehrte ihn diese Situation, seinerseits nicht in zu engen Bahnen zu denken, wenn er von bestimmten Reaktionen seines Gegenübers ausging, sondern den Geist offenzuhalten.


    "An erster Stelle stünde eine Analyse. Ich würde eine Befragung in den Elendsvierteln durchführen lassen, denn in diesen liegen die schwelenden Unruheherde, in denen sich die Unzufriedenheit explosiv zu entladen neigt. Möglichst viele Menschen, welche die Innensicht kennen, sollten im Zuge dessen zu Wort kommen dürfen.


    Der zweite Schritt wäre die Auswertung. Anhand der Ergebnisse könnte man in Zusammenarbeit mit der Finanzabteilung ein Konzept erarbeiten, welches die ermittelten Probleme sehr zielgerichtet angeht. Minimale Ausgaben bei maximaler Effizienz wären das Ziel, bildhaft vergleichbar mit einer Tröpfchenbewässerung in wasserarmen Gebieten.


    Bei solchen Betrachtungen ist, wenn es dereinst nach mir gehen darf, Nachhaltigkeit oberste Maxime. Ein bloßes Bereitstellen von Geldern oder Gütern für die Armen hätte den gleichen Effekt wie eine Erhöhung militärischer Präsenz: Es würde die Symptome zwar recht zuverlässig bekämpfen, jedoch die eigentlichen Probleme nicht lösen und einen dauerhaften Kostenfaktor bilden. Also müssen wir die Ursachen der Armut ermitteln und beheben. Langfristig sollen diese Ausgaben keine Verluste sein, sondern eine Investition in die Zukunft des Imperiums."

    "Ich habe eine Frage", meldete sich Ravilla zu Wort. "Unser verehrter Kaiser wurde zuvörderst als Appellationsinstanz definiert. Was ist darunter zu verstehen? Welche Bevollmächtigungen und Befugnisse im Verhältnis zum Senat besitzt unser Kaiser im Einzelnen? Die Frage mag trivial anmuten, doch im modernen Prinzipat genießt der Kaiser nach meiner Kenntnislage keine Allmacht und die sich aus dem Wechselspiel ergebenden Möglichkeiten sind breit gefächert."


    Sim-Off:

    Ich beziehe mich auf die gähnende Leere im Codex Universalis, dessen Inhalte zur kaiserlichen Familie anscheinend dereinst gestrichen wurden. Vielleicht findet sich in dieser Runde jemand, der mit den damaligen SimON-Ereignissen vertraut ist und die heutige, wohl veränderte Lage SimON zu erörtern vermag?

    Ravilla gestattete sich ein freundliches, aber leises Lachen. Er schüttelte den Kopf.


    "Augenscheinlich muss ich noch feilen an der Kunst, verwertbare Informationen in das Gewand schöner Worte zu kleiden. Freilich meinte ich nicht, dass ich jene Ziele anstreben möchte anstelle des Weges der Politik, sondern gerade, indem ich diesen beschreite! Ich darf meine Äußerung präzisieren: Ich gedenke, den Weg der Politik zu beschreiten, um konkrete und gute Ziele zu verwirklichen."


    Die Interpretation, welche sich für zuvörderst sein Gegenüber ergeben hatte, wäre einer Dreistigkeit entsprungen, welche Ravilla sich bei aller Extravaganz nicht absichtlich schuldig machen würde. Bei aller Freundlichkeit, die Flavius Gracchus Minor ihm entgegenbrachte, war er dennoch Ravillas Vorgesetzter.


    "Meine Ziele sind, wie andernorts bereits erwähnt, noch nicht klar definiert. Sie ergeben sich aus dem politischen Gefüge, welches ich dereinst betreten werde. Vielleicht ist es daher eher angeraten, von Wünschen zu sprechen, von Träumen und Visionen, deren Machbarkeit noch zu überprüfen ist, wenn es an der Zeit dafür ist.


    Aktuell blicken wir auf einen starken Senat, der mit einem konservativ-gemäßigten Kaiser für das Wohl des Imperiums sorgt. Es geht uns so gut wie nie. Da die politische und wirtschaftliche Lage im Reich stabil erscheint, wäre mir die Verbesserung des Wohlstands der breiten Masse ein Anliegen. Freilich ist es keine bloße Menschenliebe, welche mich auf diesen Gedanken bringt. Vielmehr sehe ich diese Dinge aus einer pragmatischen Perspektive: Wohlstand bedingt stärkeres Wirtschaftswachstum, höhere Steuereinnahmen, ein stärkeres Militär und so weiter. Von breitgefächertem Wohlstand profitieren am Ende alle.


    Rom steht seiner relativen inneren und äußeren Sicherheit aktuell vor einem Kriminalitätsproblem, dem, meinen Informationen nach, mit einem verstärkten Aufgebot regulierender Exekutivkräfte entgegengewirkt werden soll. Dem ist nichts entgegenzusetzen, solche Schritte erachte ich als absolut notwendig, um den Schaden einzudämmen. Doch ein zweites, nachhaltigeres Standbein zur Eindämmung der Kriminalität wäre die Verbesserung der Situation für die unteren Schichten! Der Einsatz von Urbaniciani und Cohortes Vigilum kostet Steuergelder, die auch andernorts eingesetzt werden könnten. Um diese Ausgaben langfristig zu reduzieren, ist zuzüglich zur Bekämpfung des Verbrechens auch ein Vorbeugen erforderlich. Und daran mangelt es noch.


    Mit diesem Anliegen mag man sich im Senat, dessen Mitglieder aus der gehobenen Klasse stammen, wenig Freunde machen, weshalb du der Erste bist, demgegenüber ich diese Idee zu erwähnen wage."

    Ravillas Geist kreiste um die Formulierung der Appellationsinstanz. Das Wort schien sich vom Appell abzuleiten, ergab indes mit der ihm bekannten Bedeutung im Sinne einer Mahnung keine zufriedenstellende Interpretation. Ravilla hatte sich auf den Cursus vorbereitet, jedoch war er kein ausgelernter Jurist und derartige Details nicht mit seinem laienhaften Verständnis herzuleiten. Saturninus mochte im Vorteil sein aufgrund seiner beruflichen Vorbildung. Ravilla gab Anaxis ein Zeichen, die Anmerkung von Saturninus zu notieren, sofern er es noch nicht getan hatte, so dass Ravilla zu Hause nachschlagen konnte, falls Valerius Flaccus den Sachverhalt nicht aufzuklären gedachte.


    Einstweilen lauschte er dem Dialog, welcher zwischen Florus Minor und Purgitius Lurco entstanden war. Seine Kopfschmerzen zwangen ihn noch immer zur Zurückhaltung, doch mit den Notizen seines Sklaven würde er notfalls die verpassten Dinge nacharbeiten können.

    Zum Auftakt des Wagenrennens drehten die Gespannte eine Ehrenrunde, im stetigen Geleit von Musikanten und Tänzern. So hatte jeder Zuschauer Gelegenheit, sich von den heute antretenden Aurigae und Pferden ein Bild zu machen. Sechs Factiones gab es, vier nahmen zum heutigen Rennen teil. Da eine jede Factio zwei ihrer Lenker ins Rennen schickte, starteten ganze acht Gespanne, was auf ein spannendes Rennen hoffen ließ. Auf den Zuschauerrängen kündete Beifall von der Freude, ihre Favoriten in Aktion zu sehen. Währenddessen verlasen Herolde die Informationen zu den Fahrern, die heute antraten.


    Praesina


    Die Factio Praesina blickte auf Zeiten des Ruhmes zurück, in denen ihre Lenker für Spitzenplatzierungen gesorgt hatten. Nun befand sich der Rennstall in einem Prozess der Erneuerung. So verwunderte es nicht, dass neben einem erfahrenen Fahrer auch ein Nachwuchstalent heute starten durfte.


    Braecus war seit Anbeginn ein Fahrer des grünen Rennstalls. Die Anhänger der Praesina schätzten ihn für seine Umsicht. Vier Schimmel lenkte er, von denen jenes rechts außen ein wenig herausstach. Das ursprünglich dort laufende Tier war nach einem Sturz ausgefallen und Braecus hatte ein wenig mit dieser Konstellation zu kämpfen. Offensichtlich mangelte es dem Gespann mit dem neuen Pferd nun ein wenig an Harmonie.


    Vier Braune zogen den zweiten grünen Wagen. Die wundervoll harmonierenden Tiere waren vielleicht die einzige Sicherheit bei dieser Kombination. Der Fahrer Synnesis erfüllte als südländischer Typ alle Klischees in vortrefflicher Weise. Im Gegensatz zu seinem Mitstreiter verhielt er sich temperamentvoll und bisweilen unberechenbar. Sein teurer Einkauf hatte sich nur temporär ausgezahlt, mal überzeugte er durch sehr gute Rennen, mal versagte er völlig. Aufgrund seiner risikoreichen Fahrweise war schwer abzuschätzen, wie es für ihn jeweils laufen würde.



    Albata*


    Gewandet in Schwarz und Weiß boten die Gespanne des weißen Rennstalls heute die auffälligste Erscheinung unter den Aurigae.


    Lusorix trug schwarze Kleidung, um den Arm eine weiße Binde geschlungen. Dafür war sein Wagen komplett weiß gestrichen und seine Pferde waren annähernd perfekte Schimmel.


    Athenodorus trug komplett weiße Kleidung und auch sein Wagen leuchtete wie Schnee. Seine Pferde jedoch waren so schwarz, wie es nur möglich war. Die beiden Fahrer waren durch die konträre Gestaltung auch auf die Distanz gut zu unterscheiden, was den Anhängern des weißen Rennstalls Gelegenheit gab, stets den korrekten Namen zu bejubeln, was sie auch lautstark taten.



    Aurata


    Die Factio Aurata warb mit den Tugenden Disziplin, Eifer und Wille. So verwunderte es wenig, dass sie sich insbesondere beim Mann der Straße großer Beliebtheit erfreute. Kampf und Leidenschaft statt Protz und Pomp versprach man sich von den Goldenen - es würde sich zeigen, ob sie diesem Anspruch heute gerecht werden konnten.


    Sotion galt mit seinen siebenundzwanzig Jahren als der erfahrenste Auriga des goldenen Rennstalls. Er zeichnete sich durch eine kompromisslose Fahrweise aus und scheute kein Risiko.


    Tanco indes mit seinen zwanzig Jahren hatte einen der alten Fahrer abgehängt und galt nun als neue Hoffnung der Factio Aurata. Wenngleich er noch im Schatten seines erfahrenen und beliebten Mitstreiters stand, hofften die Anhänger der Goldenen in Zukunft auf Großes von ihm.



    Russata


    Der rote Rennstall hatte einst zahlreiche Siege hervorgebracht. Mit ihren roten Wagen, roten Tuniken und je vier feurigen Füchsen boten die beiden Aurigae der Factio Russata einen eindrucksvollen Anblick.


    Proteneas war mit seinen dreißig Jahren nicht mehr der Jüngste, punktete jedoch durch seine Erfahrung. Er hatte seine Pferde schon durch alle Höhen und Tiefen gelenkt und den härtesten Gegnern die Stirn geboten.


    Tamos mit seinen neunzehn Sommern und Wintern war der jüngste Hoffnungsträger der Factio Praesina. Es würde sich erweisen, ob Alter und Erfahrung oder das Feuer der Jugend heute besser abschnitten.


    _______________________________________________


    Erfahrungswerte der Aurigae zum Start:


    Braecus 10

    Synnesis 11

    Lusorix 9

    Athenodorus 5

    Sotion 10

    Tanco 9

    Proteneas 12

    Tamos 4


    Sim-Off:

    *Im Sinne der Lesbarkeit habe ich für die Albata der grauen Schriftfarbe anstelle der weißen den Vorzug gegeben.

    Ein wenig pikiert schaute Ravilla, als Quintus Flavius Dexter den Raum betrat, der augenscheinlich meinte, diese Lokalität sei seine Bühne. Da der gepeinigte Seius am heutigen Tage nur ein Schatten seiner sonstigen Pracht war, verschob sich das Gefüge der Aufmerksamkeit in einer für Ravilla ungünstigen Weise.


    "Zum einen kennen wir diverse Codices, die universellen - den namentlichen Codex Universalis - und auch die speziellen, wie den Codex Iuridicalis, welcher das Strafrecht definiert", antwortete Ravilla nun auf die Frage ihres Dozenten, den dargereichten Trunk schwenkend. "Auch der Codex Militaris ist in diesem Zusammenhang freilich zu erwähnen. Ergänzt werden diese durch regionale Gesetze, so kann die Rechtslage in Poleis bisweilen abweichen. Hinzu kommt das überlieferte Recht, zuvorderst gilt beispielhaft das Zwölftafelgesetz als wohl bekannteste Verschriftlichung überlieferten Rechtsgutes."


    Anaxis indes hatte einen Krug Weißwein gefunden und mischte seinem Herrn ein Getränk nach dessen bevorzugtem Mischungsverhältnis. Ein üppiger Löffel Honig rundete die Mixtur ab, da Ravilla meinte, das Bienengold würde die Pein solcher Tage zu lindern helfen.

    Bereits zum zweiten Mal wurde Ravilla diesjährlich die Ehre zuteil, als Opferhelfer fungieren zu dürfen, recht überraschend am heutigen Tag, doch keineswegs unerwünscht, so dass er nur hoffte, keinen Fehler zu begehen. Noch nicht lange war es er, da hatte er für den Senator Annaeus Florus Minor bei dessen Zeremonie im Rahmen der Equirria am Templum Martis Ultoris als Opferhelfer zur Seite stehen dürfen. Im Gegensatz zu jenem Tage bedeckte heute kein Zipfel einer Toga Ravillas Haupt, denn der Lorberkranz ersetzte diese Form der Kopfbedeckung im Graecus ritus zur Gänze.


    Mit den Worten favete linguis versiegelte ein Herold die Münder aller Anwesenden.


    Mehr noch als beim Ritus für Mars spürte Ravilla heute die Präsenz der Unsterblichen, welche die Menschen auf all ihren Wegen unsichtbar begleiteten. Die Mutter lud ein, sich vertrauensvoll in ihre Arme sinken zu lassen, sich ihr mit Haut und Haar hinzugeben oder gleichsam mit Fleisch und Leben, wie es die Galli praktizierten, welchen indes nicht vergönnt war, Bestandteil der jetzigen Zeremonie zu sein. Kybele war keine sanfte Mutter, sie schmeckte gern Feindesblut auf ihren Lippen und in der Heimat wurden nach wie vor Opfergaben dargebracht, welche nicht das Wohlwollen der römischen Schirmherrschaft erweckt hätten. Wie Mars zog sie an der Seite ihrer Söhne in den Krieg - als Ma und Bellona, als Duellona oder Kybele - eine Löwin unter den Göttinnen. Und so war es nur korrekt, dass jene Tiere ihren Wagen zogen.


    Ravillas Hände umschlossen die flache Schale, die man ihm gereicht hatte, und die er nun seinerseits an Flavius Gracchus Minor übergab, um sie im Anschluss mit dem Wein zu befüllen, so dass das Opfertier geweiht werden konnte.

    Ravilla indes, noch ergriffen von der Prozession, die an seinem Herz gerührt hatte, trug gemessenen Schrittes die Lorbeerkrone zu seinem Magistraten hervor. Ihn selbst krönte der Lorbeer bereits, doch die grüne Krone dem Aedilis Curulis aufsetzen zu dürfen, war eine Ehre, der er sich bewusst ward. Der Glanz in Ravillas Augen verriet die Rührung, als huldvoll er die Krone hob und sacht sie auf das Haupt des kleinen Mannes senkte. Vorsichtig drückte und drehte er sie ein wenig, bis sie gerade und sicher auf dem Haupte saß. Langsam nahm die Hände er beiseite, den Blick noch auf Flavius Gracchus Minor gerichtet, ehe er, alles zu seiner Zufriedenheit findend, sich abwandte und dem Aedil erneut die ihm zustehende Bühne überließ.


    Als Ravillas Sklave meinte, dass niemand hinsah, tupfte er vorsichtig die Augen seines Herrn trocken, um die schwarze Umrandung der Lider zu retten, was gerade noch einmal gelang.

    Ravilla ging rasch einige Wachstafeln durch, fand eine mit entsprechenden Notizen und machte sich an eine Kopie mit einigen zusätzlichen Hinweisen, die er für nützlich erachtete. Da er Lurco gut kannte, lächelte er ihm zu, als er ihm die Tabula überreichte. "Bitte sehr. Sei so gut und grüß meinen Neffen, wenn du ihn siehst", erlaubte er sich eine Bitte zu äußern. "Wir sehen uns spätestens bei den Ludi Megalensis."



    Ablauf der Megalesia


    1) festliche Prozession vom Tempel der Göttin auf dem Palatin [Link]


    Reihenfolge der Teilnehmer:

    • Korybanten (junge Tänzer -> tragen Bronze-Schilde und Schwerter)
    • Aurigae
    • junge Frauen, welche Blütenblätter streuen
    • Galloi (ekstatisch, bisweilen in Trance)
    • Wagen mit thronender Statue der Göttin, gezogen von zwei Löwen
    • Wagen des Aedilis Curulis Manius Flavius Gracchus Minor
    • Opfertiere und Begleiter
    • Nachhut Cohortes Urbanae


    2) Wagenrennen im Circus Maximus [Link]

    • Ehrenrunde der Prozession
    • Platzierung der Statue der Magna Mater
    • Wagenrennen


    3) Aufführung im Theatrum Pompeium [Link]

    "Danke", hauchte Ravilla schwach wie ein Totengeist, als Saturninus ihm den Becher reichte, die gute Seele. "Man kann die mathematischen und die naturwissenschaftlichen Gesetze als eine weitere Form in den Raum werfen, ebenso wie jene der Linguistik oder vergleichbarer Disziplinen mit tendenziell wenig strittigen Regularien, doch ich glaube kaum, dass sie an dieser Stelle von Relevanz sind. Oft hält man Gesetze für unumstößlich, doch lehrt uns die Erfahrung, dass auch sie dem Wandel der Zeiten unterworfen sind. Noch wandelbarer sind Regeln, welche einen weniger offiziellen Charakter haben."


    Matt öffnete er die Augen und wurde des Annaeus Florus gewahr, des Mannes, der mit Saturninus wetteiferte, wer von ihnen weniger Humor besaß. Hatte er schon zuvor an jenem Platze gesessen? Ravilla mochte fast meinen, der Mann hätte sich soeben manifestiert.


    "Anaxis, Wein."


    Sein Sklave suchte auf dem Tisch mit den Erfrischungen nach Weißwein, um mit diesem das Wasserglas aufzufüllen, da er wusste, dass sein Herr den Roten wann immer möglich verschmähte, um einer Verfärbung seiner Zähne und Lippen vorzubeugen.

    Voll Erstaunen betrachtete Ravilla das wüste Bild, welches diese einst wohl noble Lokalität bot. Das Freudenhaus glich vielmehr einer Ruine denn einem Lupanar. Nicht, dass Ravilla Lupanare aus der Innensicht kannte. Was das betraf, so war er zu eitel, um käufliches Fleisch seine edle Haut berühren zu lassen. Und wäre nicht jede solche Begegnung eine Beleidigung Fuscianas, ja, auch nur ein Gedanke in jene Richtung? Als er der fast nackten Jünglinge gewahr wurde, schloss er die Finger um das Amulett mit ihrem Abbild, wie um sich gegen unzüchtiges Gedankengut zu schützen.


    Erhobenen Hauptes schritt er so hinter Gracchus Minor her, die Wachstafel unter dem Arm, bereit, zu notieren, was man heute fand und die künftigen Aufgaben ebenso. Es mochte sein, dass diese Jünglinge nicht mehr lange hier weilen würden an diesem Ort, für den sie vielleicht ein verzerrtes Empfinden von "zu Hause" verspürten. Ein wenig Mitleid empfand er beim Anblick ihrer Jugend, wenngleich aus dem griechisch geprägten Osten kommend entsprechende Gewohnheiten, ausgeübt durch verschiedenste Mitmenschen, ihm nichts Fremdes waren.


    Wenig Schaden indes schien der Inhaber daran zu nehmen - jener Kyriakos wirkte vital und guter Dinge, selbst im Angesicht des hohen und möglicherweise gefährlichen Besuchs. Und er trug das gleiche Parfum wie Ravilla! Der Seius presste die Lippen aufeinander, als er dies bemerkte, ließ das Amulett hinter seiner Tunika verschwinden (Flieder zu einer vanillegelben Toga), so dass es auf der blanken Haut über dem Herzen ruhte, und nahm den Griffel zur Hand.

    "Meine Wenigkeit ist der Emotionalität zugeneigt. Die Ekphrasis empfinde ich dabei als eine besonders wirkungsvolle Technik, ohne von mir behaupten zu können, die Erzählkunst bereits zufriedenstellend zu beherrschen. Der rhetorischen Stilmittel gibt es viele, die zu erproben ich noch auf dem Weg bin. Oft ist ein Gemisch angeraten, doch sollte gleich eines gut gewürzten Mahles nicht jede verfügbare Zutat in den Topf geworfen werden. Mithilfe von auf Emotionen zielenden Techniken vermag der Orator seine Worte in die Herzen der Rezipienten zu ritzen, denn die wenigsten Menschen denken so tief, wie sie fühlen.


    Da ich jedoch den Weg der Politik nicht beschreiten möchte, um als Held schillernder Worte in die Geschichte einzugehen, sondern konkrete und gute Ziele zu verwirklichen gedenke, waren es keine inhaltsleeren Worthülsen, die ich um ihrer selbst willen in die Runde geworfen habe. Nein, sie waren drall gefüllt mit Argumenten der Literatur, des gesunden Menschenverstandes, der Allgemeinbildung und meiner eigenen Erfahrung. In Synthese mit dem faktischen Wissen des Saturninus und seiner platzenden Schweinsblase führte uns dies zum Sieg."

    Ravilla fand die beiden Schreiben - eine Notiz und ein Brief - welche Anaxis aus dem Postfach geholt und seinem Herrn nebst einer kleinen Nascherei bereitgelegt hatte. In einer freien Minute, von welchen Ravilla nicht allzu viel verzeichnen konnte in letzter Zeit, naschte er die Aufmerksamkeit und nahm noch die Süße auf der Zunge schmeckend zunächst die Notiz zur Hand. Er las die Grußworte von Saturninus, welche ihn lächeln ließen. Bündig und sachlich, wie es der Art des Kanzleimitarbeiters entsprach, und doch nicht ohne Herz verfasst.


    Das eigentliche Schreiben jedoch, reich verziert, welchem die Notiz beilag, sorgte dafür, dass Ravilla sich erfreut erhob.


    "O ihr Götter!", tönte sein Jubelschrei.


    Der Weg in den Senat erschien ihm nun nicht mehr lang und steil - er lag eben, weiß und glänzend wie eine Prachtstraße vor ihm!