Beiträge von Galeo Seius Ravilla

    Ravilla brachte das schönste Novemberwetter mit, als sein Sklave Anaxis an die Porta der Domus Iunia klopfte, vor Kälte bibbernd. Nicht allein, dass es stockfinster war, alle Schleusen des Himmels waren geöffnet und ein eisiger Wind wehte durch Rom. So schaute Ravilla nun aus seinem Reisewagen und hoffte, man würde ihm die Tür öffnen.

    «Ich bedanke mich.» Mit einem Lächeln zog Ravilla den Vorhang zusammen und lehnte sich in den Kissen zurück. Er vernahm den einsetzenden Hufschlag der Zugtiere, ein leichter Ruck ging durch das Gefährt, als es sich rumpelnd in Bewegung setzte. Da in Rom jedwede Wagen erst nach Sonnenuntergang einfahren durften, war es bereits spät, und er freute sich auf das langersehnte Ende der beinahe schon unerträglich langen Reise.

    Lang und beschwerlich war die Reise von Mogontiacum nach Roma. Ravilla, wenngleich nach seinen Erfahrungen im Militärdienst weniger verzärtelt als zuvor, litt dennoch. Zwischenzeitliches Gehen zu Fuß oder Reiten hatte seinem Leib nur wenig Lockerung verschafft. So sehnte er sich nach einem Balneum und der Behaglichkeit eines eigenen Bettes, in dem nicht das Getier etlicher Vorgänger kreuchte. Als man ihm sagte, dass sie sich dem Stadttor näherten, öffnete er das Fenster des Reisewagens, darauf wartend, dass der wachhabende Miles ihn kontaktierte.

    Zum letzten Mal durchschritt Ravilla die Porta der Castra. Auch wenn ihm in ziviler Kleidung niemand salutierte, so nahmen die Soldaten dennoch Abschied. Vor der Porta harrte der nobel ausgestattete Reisewagen seines Gastes, begleitet von einem Trupp Männern zur Sicherheit des gewesenen Tribuns. Auch Anaxis nahm im Inneren platz, wo er zu Ravillas Kurzweil einige Texte verlas, die er zuvor für seinen Herrn hatte organisiert, als für diesen der weite Weg nach Süden begann.

    Der persische Sklave Anaxis warf ein Schreiben für Iunia Matidia in den Postkasten der Domus Iunia:


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    Liebe Iunia Matidia,


    meine Amtszeit als Tribunus laticlavius neigt sich ihrem Ende entgegen. Ich bedaure, so wenig Zeit für dich gefunden zu haben. So viel hätte es zu besprechen und unternehmen gegeben, denn Mogontiacum ist trotz seiner rauen Natur nicht ohne Reiz, wie man es bisweilen auch von den Menschen kennt. Die größte Schönheit erschließt sich nicht mit dem Auge, sondern mit dem Herzen.


    Da ich meine Unterkunft im befestigten Lager der Legio XXII bald verlassen muss, ist leider ein Umzug deiner Mutter erforderlich. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut und die Sklaven kümmern sich reizend um sie. Ich habe den Eindruck, sie genießt die zuvorkommende Behandlung und lässt sich mit ihrer Genesung Zeit, damit diese vollständig ist. Diese darf sie sich nach Jahren der Pflichterfüllung und der Hast gern nehmen: Langsam heilende Wunden heilen am besten.


    So es in deinem Sinne ist, werde ich ihren Umzug in die Domus Iunia organisieren und durchführen lassen. Natürlich helfe ich auch bei einem Umzug an jedweden anderen Ort, so es im Rahmen meiner Möglichkeiten liegt. Bitte teile mir dazu kurz deine Entscheidung mit. Falls wir uns nicht wiedersehen, genügt eine kurze Notiz in meinem Postkasten.


    Ich verbleibe nicht ohne Hoffnung, dass wir uns eines Tages unter günstigeren Sternen wiedersehen mögen, und ich dir die Aufmerksamkeit widmen kann, welche deiner gebührt.


    Vale, Iunia Matidia.


    Herzlich, dein


    Siegel Galeo Seius Ravilla - Tribunus Laticlavius Legio XXII Primigenia


    Die Mutter der reizenden Besucherin wurde standesgemäß untergebracht und es sollte ihr in der folgenden Zeit an nichts mangeln. Zu seinem Bedauern fand Ravilla zu wenig Zeit, sich den familiären Aspekten des Lebens zu widmen, doch fand Iunia Matidia stets eine offene Tür und die Sklaven sorgten auf Ravillas Geheiß für die Erfüllung jedweder Wünsche, seien sie privater Natur oder betreffs der Pflege ihrer Mutter. Nun jedoch neigte sich Ravillas Amtszeit dem Ende und er musste das Haus, in dem er für seine Zeit als senatorischer Tribun hier gelebt hatte, verlassen. So bereiteten die Sklaven behutsam den Umzug der noch immer im Genesungsprozess befindlichen Dame um. Galeo Seius Ravilla nahm an, sie solle in die Domus Iunia ziehen, doch wollte er sich nicht auf Mutmaßungen verlassen und setzte ein Schreiben auf.

    Ein Lächeln zeigte sich auf dem ausdrucksvollen Gesicht des Tribuns, dessen Amtszeit hiermit nicht allein kalendarisch, sondern auch formal endete. «Einem möglichen Wiedersehen blicke ich mit gutem Gefühl entgegen. Ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit, Legat! Insbesondere für die Zeit, die du dir für meine vielen Fragen genommen hast.» Er nahm die beiden Urkunden und die Lanze entgegen. Wo das Grundstück verortet war, würde sich in Erfahrung bringen lassen. Da ihm nun der Zeitpunkt gegeben ward, da einige Worte an die Soldaten gerichtet werden durften, wandte er sich zu diesen um.


    «Heute seht ihr mich das letzte Mal in der Tracht des Tribuns. Wenn die Götter wünschen, sehen wir uns eines Tages wieder, wenn ich ein anderes Gewandt trage. Es war eine lehrreiche Zeit für uns alle. Wir haben die neu gegründete Legio XXII Primigenia mit unseren Händen und sehr viel Fleiß aus dem Nichts aufgebaut. Es bedurfte zahlreicher Anstrengungen, doch am Ende wuchs nicht allein die Legio, sondern auch jeder einzelne von uns wuchs an dieser Aufgabe.»


    Man sah dem jungen Manne nun wohl an, dass ihm der Abschied nicht gleichgültig war. Während seines Dienstes hatte er sich keine Nachlässigkeit erlaubt und zu jedem Augenblick fast schon wahnhaft auf sein korrektes Auftreten geachtet, um sich - einem fleißigen, doch verwöhnten Homo novus aus dem Osten - keine Blöße zu geben. Nun jedoch glitzerte es verräterisch in seinen Augenwinkeln, das Lächeln wurde ein wenig verschämt und die Wangen erglühten wie das aufsteigenede Rot der Morgendämmerung.


    «Auf diese Leistung dürfen wir alle mit Fug und Recht stolz sein. Haltet diese Zeit des Aufbaus, das Gefühl des Aufbruchs und des Neubeginns in Ehren und in eurem Gedächtnis, auf dass ihr daraus Kraft schöpfen möget, wenn die Götter dereinst den Himmel verdunkeln. Erinnert euch stets daran, was mit vereinten Kräften möglich ist und was ihr alles bereits geschafft habt. Valete, Soldaten der Legio XXII Primigenia, lebt wohl, und vielleicht auf Wiedersehen.»


    Nun musste er gehen, ein wenig schneller als angemessen, empfangen von Anaxis, der ihm die Augen mit weichem Tuch tupfte und für seine Worte lobte, wohl in dem Versuch, seinen Herrn zu trösten, doch war kein Trost notwendig, denn es war reines Glück, das Ravilla empfand, vermischt einem süßen Schmerz.

    Als die Aufräumarbeiten begannen, erhielt auch die Legio XXII Primigenia das Kommando, den Platz zu verlassen. Es dauerte seine Zeit, die lange Marschkolonne zu formieren, die sich alsbald im zügigen Tempo in Richtung ihrer Castra bewegte, um ihre erste Auszeichnung reicher, die fortan das Feldzeichen zieren würde.

    Die Abordnung der Legio zog sich nach einem gebührenden Abschied vom Caesar wieder zurück, in den Händen die Ehrungen - die ersten, welche die Legio XXII Primigenia hatte für sich erlangt. In Ravilla breitete sich ein Gefühl tiefer Zufriedenheit aus, denn die Ehrungen dienten nicht ihrem Selbstzweck sondern verwiesen auf die Effizienz ihrer Arbeit. So konnte die Legio guten Gewissens seinem Nachfolger übergeben werden.


    Nachdem die Stabsoffiziere erneut ihren Platz erreicht hatten, verfolgten sie von diesem aus das weitere Geschehen. Überrascht hob Ravilla die Brauen, als der Name seines Neffen fiel, und folgte mit gebotener Aufmerksamkeit der dazugehörigen Ansprache des Caesar. Es geschah nicht oft, dass ein Soldat für Dienste abseits des Schlachtfeldes mit Ehrungen bedacht wurde.

    Die Folgen eines Leerschusses


    Der Ausbildungsoffizier stand neben der defekten Balliste, die Hände in die Hüften gestützt. Neben ihm stand Ravilla, der sich das Problem mit ruhiger Miene schildern ließ.


    «Wie ein Bogen auch, darf eine Balliste nicht ohne Ladung geschossen werden», sprach der Ausbilder. «Bei einem Leerschuss wird die Energie nicht von den Wurfarmen über die Munition abgeleitet, sondern direkt auf das Geschütz selbst übertragen. Das führt dann zu dem, was wir vor uns sehen!» In einer ärgerlichen Geste wies er auf die Katastrophe. Manche Dinge durften nicht geschehen und doch geschahen sie.


    «Durch wen wurde der Ausbildungsbetrieb beaufsichtigt?», fragte Ravilla.


    «Ich möchte niemanden verpfeifen», sagte der Mann etwas kleinlaut, wohl hoffend, dass der Tribun seine Frage nicht in einen Befehl umformulierte, ihm den Namen preiszugeben.


    «Es geht nicht darum, jemanden zu verurteilen», sagte Ravilla ruhig, «sondern um einen immensen Sachschaden auf dem Papier und um ein fehlendes Geschütz im Gefecht. Ich möchte mit dem verantwortlichen Ausbilder sprechen, um zu schauen, woran es lag. Wurde der Schlüssel vielleicht nicht erfüllt, hatte er allein zu viele Soldaten zu betreuen? Oder hätte er womöglich einer Krankschreibung bedurft, die er trotz Meldung im Lazarett nicht erhielt? Hat er das Geschütz womöglich bereits defekt vorgefunden? Über solche Dinge muss man reden, um die Ursachen zu ermitteln und abzustellen.»


    Ravilla vermutete indes, dass jenem Offizier, der gerade vor ihm stand, der Fehler selbst unterlaufen war, und er sich vor Konsequenzen fürchtete. Jedoch würde der Fehler im ungünstigen Falle am Ende einen unschuldigen Kameraden zur Last fallen, sofern er weiterhin schwieg. Dafür fehlte Ravilla jedwedes Verständnis. Zumal ihm das Ausmaß der Sorge überzogen schien. Natürlich würde der Schuldige ein ernstes Gespräch zu befürchten haben, bei grober Fahrlässigkeit auch ein Disziplinarverfahren, doch niemand verlor wegen eines Fehlers seinen Posten.


    Als der Mann, der deutlich älter war als der Tribunus Laticlavius, nur mürrisch mit den Schultern zuckte, nahm Ravillas Gesicht einen ernsten Ausdruck an. «Den finanziellen Schaden habe ich in meinem letzten Haushaltsplan zu rechtfertigen, wo er sich in einer fünfstelligen roten Zahl niederschlägt. Sofern ich nicht erfahre, wer hierfür verantwortlich ist, werde ich ein Ermittlungsfahren in die Wege leiten. Sollte ich im Zuge dessen herausfinden, dass der Name des Verantwortlichen mit deinem übereinstimmt, würde ich es bevorzugen, nicht in deiner Haut zu stecken. Darum stelle ich ein letztes Mal die Frage: Bist du sicher, dass du nicht weißt, unter wessen Aufsicht der Leerschuss stattfand?»


    Die zuvor gezuckten Schultern sanken herab, gleichsam die Mundwinkel des Unglückswurms. Und nun folgte tatsächlich die Beichte, die sich Ravilla unverändert ruhig anhörte. Demnach war der Mann überarbeitet und somit unkonzentiert gewesen, so dass er versäumt hatte, die Soldaten darüber aufzuklären, die Balliste auch bei Übungen stets aufzumunitionieren und hatte die fehlende Munition vor dem Schuss nicht gesehen.


    «Nun gut», sprach Ravilla nicht unfreundlicher als zuvor. «Ich freue mich, dass wir einen Schritt vorangekommen sind. Wahrscheinlich wird es bei einem Disziplinarverfahren bleiben. Ich werde außerdem mit deinem zuständigen Tribunus Angusticlavius reden, wie menschlichem Versagen im Umgang mit den Geschützen künftig vorgebeugt werden kann.»


    Jedoch würden auch die Dienstzeiten des Ausbildungsoffiziers Berücksichtigung finden und aufs Genauste geprüft werden. Falls der Ausbilder über jedes Maß hinaus geschliffen worden war, konnte ihm ein müdigkeitsdingter Fehler kaum angeleastet werden. In solch einem Fall würde sich das Auge des Legatus Legionis eher auf die Reihe der ritterlichen Tribuni richten und dort nach dem Schuldigen suchen.


    Nachdenklich kehrte Ravilla in sein Officium zurück, eine Sorgenfalte auf der sonst glatten Stirn, da er sich für die letzten Tage seines Dienstes etwas mehr Ruhe erhofft hatte.

    Erneut erklang die Musik, welche den Einmarsch der Vertreter der Legio begleitete. Bei jedem Schritt ertönten auch die metallischen Länge des Rüstzeugs, das Knarren der Ledergurte und das Rascheln der Tunika und des Mantels. Die Klänge eines marschierenden Soldaten waren durchaus dazu geeignet, auch Ravillas Gefallen zu wecken, auch wenn es lange gedauert hatte, sich daran zu gewöhnen, dass er selbst ihr Urheber war. Eine gewisse Wehmut stieg in ihm auf, denn die Ehrung galt der Legio, die er als stellvertretender Kommandeur geleitet hatte und die er in Kürze verlassen würde. Seine Amtszeit näherte sich gleich der Musik ihrer Climax. Sie erhob sich zu einem famosen Crescendo, bis sie mit einem Trommelschlag verstummte. Auch in die Menge kehrte Ruhe ein.


    Hinein in die Stelle rief der Legatus Legionis: «Oculos ad caesarem!» Und die Augen der angetretenen Stabsoffiziere richteten sich zeitgleich auf den Mann mit dem goldenen Lorbeerkranz, der vor ihnen saß. Die Stille, die sich für einen Moment erneut niedersenkte, war erwartungsvoll, doch auch drückend, denn der durchdringende Blick von Appius Aquilius Bala konnte nicht als angenehm bezeichnet werden. Als einer der ihren stand auch Ravilla stramm und die Ehrung war zugleich das Gericht über die im Verbund erbrachte Leistung des Legionsstabes, dessen Teil er war.

    Die Legio XXII stand in tadelloser Erscheinung auf dem ihr zugewiesenen Platz. Nicht allein die Soldaten, auch die Offiziere sowie der Stab waren in besonderer Manier herausgeputzt. Der höhere Sold aller Mitglieder wie auch einer großzügigeren Truppenkasse schlug sich in hochwertigen Ausrüstungsgegenständen und Materialien nieder. So fiel Ravilla an diesem Tag nicht über das gebotene Maß hinaus auf, sah man davon ab, dass sein maßgeschneiderter Panzer auffallend gut saß und der rote Rossharkamm seines Helmes eine Hand breit länger über seinen Rücken hinab hing, als gemeinhin üblich war.


    Das gute Wetter genoss Ravilla in vollen Zügen, nachdem er von Regen und Kälte während der Großübung der Ausbildungseinheiten zu viel hatte erdulden müssen. Aufmerksam verfolgte er die Ehrungen, sich einrpägend, welcher Mann für welche Leistung belobigt wurde, denn deren Eignung in den unterschiedlichen Bereichen interessierte ihn. Als sein Neffe Seius Iunianus Fango an der Reihe war, seine Armillae entgegen zu nehmen, stahl sich ein strahlendes Lächeln auf das Gesicht des Tribuns. Doch auch die übrigen Soldaten erhielten den verdienten Applaus.

    Die Tage nach dem Abschlussgespräch mit dem Caesar sowie dem Legatus Augusti Pro Praetore verbrachte Ravilla damit, seine Angelegenheiten zu ordnen. Da er sorgfältig gearbeitet hatte, ging es hier vor allem darum, offene Angelegenheiten entweder zu beenden oder so aufzubereiten, dass sein Nachfolger sich problemlos einzuarbeiten vermochte.


    Unter anderem wies er seine Mitarbeiter an, das Archiv durchzugehen und zu ordnen, wo sich stets kleinere Akkumulationen an offenen Angelegenheiten anzustauen pflegten, wenn Ravillas Aufmerksamkeit für eine Weile anderweitig gefragt war. Für den Tag vor seiner Abreise organisierte er bereits heute eine Grundreinigung, bei dem auch die Möbel in die Mitte des Raumes geschoben, die Feuerschalen geschrubbt und die Vorhänge gewaschen werden sollten. Einige kleinere Reparaturen, wie ein nicht ganz dicht schließendes Fenster, veranlasste er ebenfalls.


    Seine Heimreise wollte mit gutem Gewissen antreten.

    «Danke, Legat.» Das knappe, etwas gezwungen anmutende Lächeln des Aulus Aemilius Nepos erwiderte er in nonchalanter Manier, wenngleich er verstand, was dem Manne auf das Gemüt drückte. Ravilla war jedoch nicht der Adressat, der jene Sorgen zu beheben befugt war.


    Er sah von einem zum anderen. «So dies von eurer Seite alles ist, werte Herren, endet mein Bericht an dieser Stelle und ich möchte mich für heute und die nächste Zeit verabschieden. In der Legio gilt es, die Angelegenheiten für meinen Nachfolger vorzubereiten, auf dass er sein Amt in weniger chaotischen Verhältnissen antreten kann als jene, die ich in Anbetracht der strukturellen Änderungen zu bewältigen hatte. In Kürze schon führt mein Weg mich zurück nach Rom. Wenn die Götter es so wollen, mag der Tag nicht fern sein, an dem wir einander erneut in den ehrwürdigen Hallen der Regia begegnen.»


    Die Heiterkeit, die Ravilla im Ausblick auf die kommenden Amtspause emfand, war in seinem Gesicht abzulesen. Nach der Bewältigung der Widrigkeiten und der mühsamen Transformation vom verwöhnten Spross kappadokischer Tempelfürsten zum stellvertretenden Kommandeur der Legio XXII hatte er sich die Pause redlich verdient. Bevor er sich zum Gehen wandte, ließ er seinen beiden noblen Gesprächspartnern Gelegenheit, den Abschiedsgruß zu erwidern.


    Nach der Verabschiedung kehrte er zurück in sein Officium.

    Dass Ravilla zu geostrategischen Fragen angehört wurde, die eigentlich nicht in den Aufgabenbereich eines Tribuns fielen, betrachtete er trotz des aemilischen Unmuts als Kompliment. Mit flinken Fingern durchblätterte er die mitgebrachten Unterlagen.


    «Auch diese Fragen will ich dir gern beantworten, Legat! Denn natürlich beginnt es nicht zu brodeln, sondern es brodelt bereits in Germania Magna, sämtliche Einheiten haben alle Hände voll zu tun.»


    Mit flinken Fingern fischte er das Gesprächsprotokoll ihrer ersten Unterredung hervor, in welcher die Zielsetzung des Straßenbaus definiert worden war1.


    «Hier steht die Antwort: Rom will nicht länger passiv darauf warten, dass ein Überfall nach dem anderen aus dem Barbaricum heraus über Unschuldige hinweg brandet, sondern in die Offensive gehen. In diesen Minuten bereitet das Exercitus Romanus eine Strafexpedition ins germanische Herzland vor, wie die Germanen sie noch nicht erlebt haben. Für jene Expedition Sommergewitter bildet die Via Seia das logistische Rückgrat. Nicht länger abwartend, sondern aktiv wird Rom auf die ständigen Provokationen reagieren.»


    Er hob den Finger, um aus seinen Aufzeichnungen zu zitieren: «Die Siedlung der Kollaborateure wird alsbald den Neid und Zorn jener Germanen wecken, welche heute mit Vehemenz gegen den Limes drängen. Die Agressoren werden alsdann die Richtung ihres Zorns ändern, um in glühendem Eifer gegen die Siedlung der Kollaborateure Sturm zu laufen. Dann ist es an der Zeit, in die Offensive gehen - nicht als Invasoren, welche blutige Rache üben, sondern als Beschützer unserer germanischen Freunde auf einem Schlachtfeld, das wir selbst gewählt und in unserem Sinne vorbereitet haben.»


    Um schlussendlich zu ergänzen: «Sollten unsere Verbündeten uns hintergehen, wissen wir, wie die Antwort lauten muss.»


    Sim-Off:

    [1] Erstgespräch


    «Hab Dank, mein Caesar», sprach Ravilla, höchst erfreut ob der Einschätzung seiner Leistung. «Den weiteren Herausforderungen des Cursus honorum blicke ich voll Tatendrang und Zuversicht entgegen.»


    Auch für die Frage des leidgeplagten Aulus Aemilius Nepos fand Ravilla eine Antwort: «Den Schutz der Via Seia übernehmen die Germanen der Siedlung in eigener Verantwortung, Legat. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Straßen jenseits der Provinzgrenzen zu bewachen. Dies ändert sich erst, wenn die Operation Sommergewitter beginnt, und auch nur für die Dauer dieser Mission.»

    Ravillas Gedanken kreisten noch um die Frage des Legaten, als er einen Schritt nach hinten tat und sich unvermittelt in sehr hoher Gesellschaft fand. Unverhofft stand er inmitten der Aura des zweitmächtigsten Mannes der Welt. Herrje! Um Contenance und Gesicht zu wahren, lächelte er die Anspannung fort und trat elegant wie ein Tänzer einen halben Meter zur Seite, so dass er wieder auf einen angemesseneren Abstand gelangte.


    Allerdings musste er nun erneut mit dem Legaten in die Karte blicken, wobei Ravillas Hand über die Karte strich. «Die Straße verläuft von hier», ein sehr gepflegter Finger tippte auf Mogontiacum, «über diese Wegpunkte bis nach hier. Dann setzt sie sich als Via Terrena, als Erdstraße, fort, die aber nichts mit unserer Arbeit zu tun hat. Die Höhenmeter wollen beim Maß der Strecke berücksichtigt werden, fallen hier aber kaum ins Gewicht. Auch anhand des verbrauchten Materials lässt sich die exakte Länge errechnen. Summa summarum ergibt das wie folgt ...»


    Natürlich wusste Ravilla die Länge seiner Straße aus dem Kopf, nahm jedoch an, dass mehr hinter dieser Frage steckte, was seine Kette der Beweisführung auslöste, warum dieses Maß korrekt war. Er legte dem Legat eine kleinteilige Tabelle vor und rechnete laut vor, auf wie viele Meilen Straße man mit den genehmigten und georderten Materialmengen kam. Er hielt dies für erforderlich, da er annahm, der Legat wittere eine eventuelle Diskrepanz zwischen Kosten und Ergebnis, doch da war keine zu ermitteln.


    Ravilla und der ihm anvertraute Stab hatten äußerst präzise gearbeitet. Der dicke Stapel Unterlagen ließ keine Frage offen und kein geflossener Sesterz unerklärt. Nichts war auf dubiosen Wegen verschwunden. Mit den bereitgestellten Mitteln waren sie sehrgut hingekommen, es blieb am Ende sogar etwas übrig, das an den Staat zurückging. Logistik, das war anhand der langen und durchaus enthusiastisch vorgetragenen Ausführung nicht zu überhören, war die wahre Passion des Seius, nicht das militärische Kommando.


    Sim-Off:

    Eine genaue Länge der Via Seia wurde bislang nicht definiert. Ich werde mich mit der Spielleitung beraten. :)

    Sim-Off:

    Edit: Es wird seitens der Spielleitung darum gebeten, die Frage nach der Strecke offen zu lassen, da im Rollenspiel des IR allgemein eher mit vagen Angaben als mit exakten Zahlen gearbeitet wird.