Die Inszenierung blieb nicht ohne Wirkung bei Ravilla, in dessen Ohr das Wort des Caesar noch immer hallte. Ein angemessener Platz war ihm zugesichert worden, im Gelingen wie im Scheitern ... doch hatte die Routine des Dienstalltags im Stab der Legion ihn im Umgang mit dominanten Persönlichkeiten gefestigt. An Selbstsicherheit hatte es ihm darüber hinaus noch nie gemangelt. So litt sein eigenes Auftreten nicht, als er sagte: «Ave, mein Caesar.»
Sodann breitete er die Unterlagen auf dem Besprechungstisch aus. Protokolle, Tabellen, Übersichten und Skizzen. «Der Straßenbau konnte fristgerecht abgeschlossen werden." Mit dieser Einleitung, vorgetragen nicht ohne Stolz, beantwortete er die wichtigste Frage, die Essenz seiner Arbeit während der letzten Monate.
«Falls sich jemand die Details der Planung noch einmal ins Gedächtnis rufen möchte, so habe ich hier alle Unterlagen vom Anbeginn bis zur Vollendung anbei.» Der Tribun legte die Karte vor, welche sowohl die alten Pfade und die neue Straße zeigte. «Gebaut wurde eine Via Munita, die zunächst dem Lauf einer vorhandenen Erdstraße folgt, dann jedoch schnurgerade weitergeht, anstatt den umständlichen Windungen der Hügel und Flusstäler zu folgen. Wir haben zu diesem Zweck die germanische Landschaft nach unseren Bedürfnissen verändert, Hügel eingeebnet und Täler aufgeschüttet, um ein geringes Gefälle zu erzielen. Im Ergebnis haben wir eine schnelle und vor allem ganzjährig nutzbare Verbindung zu dieser dem Imperium freundlichen gesonnenen Siedlung inmitten des germanischen Hinterlandes geschaffen.»
Ravillas Finger tippte auf die eingezeichnete Siedlung. Der gewaltige Zeitgewinn, der sich für Reisen dorthin ergab, war auch ohne komplizierte Berechnungen offensichtlich. Ebenso blieb dem militärisch geschulten Blick die strategisch günstige Lage dieser Siedlung nicht verborgen, welche dazu einlud, sie zu gegebener Zeit zu einem römischen Brückenkopf auszubauen. Das vordergründig zivile Anliegen der Via Seia, die Förderung des Handels und des Austausches zwischen Rom und seinen germanischen Verbündeten, schuf unter der Hand das logistische Rückgrat für die geplante Operation Sommergewitter, die den Krieg vom Limes ins Germanische Herzland tragen würde.
«Die Absicherung der Baumaßnahmen erfolgte durch die Turma Secunda der Ala I Aquilia Singularium. Das hat vortrefflich funktioniert. Kein einziger Überfall hat den Bautrupp der Legio gestört. Das sogenannte Sumpffieber konnte gleichsam eingedämmt werden. Die Seuche hat uns keine erwähnenswerten Verluste im Vergleich zu den bei solchen Baumaßnahmen üblichen Zahlen beschert, weder unter den Soldaten, noch unter den Zivilisten. Einzig die lange Regenperiode zu Beginn des zweiten Quartals erschwerte kurzzeitig die Materialtransporte, doch es kam zu keinen zeitlichen Engpässen. Die Via Seia ist vollendet, meine Herren!»
Ravilla richtete sich auf von seinen Unterlagen, trat einen Schritt zurück und strahlte in die Runde. Da er in seiner Funktion als Tribun weder geschminkt noch parfumiert auftrat, seine unzählbar vielen Fingerringe seit Monaten in der Schatulle beließ und sich zudem für eine gedeckte Farbwahl seiner Kleidung entschieden hatte, wirkte das Lächeln weniger affektiert, als man noch vor seinem Dienstantritt von ihm gewohnt war.