Sabaco ließ Tacitus nicht aus den Augen, während dieser seine Sicht darlegte. Das hörte sich schon ganz anders an, als die Forderung nach einer Decimatio. Trotzdem war Sabaco noch nicht zufrieden. "Einspruch", verkündete er, noch immer ganz in seiner Rolle des Verteidigers von Lucius.
"Eine Arrestierung ist unüblich und ich halte sie auch für unnötig. Eine Arrestierung schadet dem Dienstbetrieb und damit der Sicherheit des Imperiums. Auch störrische Soldaten haben ihre Pflicht zu erfüllen und sich nicht auf Kosten ihrer Kameraden auszuruhen! Es gibt andere Möglichkeiten zur Disziplinierung."
Da sein Antrag, die Klage abzuweisen, abgeschmettert worden war, ging es nun darum, ein gerechtes Strafmaß zu ermitteln. Als Offizier einer Grenzeinheit hatte Sabaco davon freilich andere Vorstellungen als ein ziviler Advokat oder ein Senatorenknäbelein. Er holte entsprechend auch etwas weiter aus, um seine Argumentation nachvollziehbar zu machen.
"Die Forderung nach einer Arrestierung sollte sicherstellen, dass Lucius sich nicht während der laufenden Ermittlungen aus dem Staub macht. Aber falls jemand sich unerlaubt vom Lager entfernt, gilt das als Fahnenflucht. Man müsste schon sehr verzweifelt sein, um diese Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, denn sie gehört zu den schwersten militärischen Verbrechen. Die Strafen sind drakonisch. Die Strafen für ein Disziplinarvergehen ... nun ja. Sie haben eher symbolischen Charakter. Ich glaube nicht, dass Lucius oder seine Kameraden einer Anklage wegen Fahnenflucht gegenüber der jetzigen Verhandlung den Vorzug geben würden. Lucius wurde angeklagt, aber er ist noch immer Soldat des Imperiums."
Er gab einen Moment Verschnaufpause, um das setzen zu lassen, dann fuhr er fort: "Das Einnähen einer Leiche in der Strohmatratze betrachte ich als Disziplinarvergehen und beantrage, es als solches zu ahnden. Da es sich um das erste Disziplinarvergehen des Miles Lucius handelt, sollte es bei einer disziplinarischen Verwarnung bleiben. Als solche ist sie straffrei. Erst bei der dritten disziplinarischen Verwarnung ist es üblich, den Fall vor ein Militärtribunal zu bringen, wo die Tribuni über das weitere Schicksal des Soldaten entscheiden."
Somit begründete er, warum er das Verfahren nicht nur wegen der formalen Mängel der Anklage, sondern auch aufgrund der beim Militär üblichen Abläufe ablehnen würde. Aber nun war bereits ein Urteil gesprochen worden und so musste Sabaco sich mit dieser Situation anfreunden und auseinandersetzen.
"Was die angenommene sakrale Grenze des Militärlagers betrifft ... nun ... die Grenze eines Feldlagers ist ein physischer Schutzwall. Sie wurde aus praktischen Erwägungen heraus gezogen - um Feinde und Unbefugte draußen zu halten - nicht aus religiösen Gründen. Zumindest weiß ich davon nichts. Trotzdem stimmt wohl jeder hier zu, sogar Lucius selbst, dass ein Bett in einem Gruppenschlafraum kein geeigneter dauerhafter Aufbewahrungsort für eine Leiche ist. Ich stimme folglich der Einschätzung von Iunius Tacitus zu, dass die Sicherheit der Kameraden gefährdet wurde, sei es durch Gefährdung der Pax Deorum, sei es durch krank machende Leichendämpfe.
Die Forderung nach Sühnung halte ich demnach für angemessen. Lucius soll sich um die Organisation und Finanzierung des Begräbnisses kümmern und den Göttern der Unterwelt auf eigene Kosten einen schwarzen Stier opfern. Außerdem hat er sich gebührend bei seinen Kameraden zu entschuldigen!"
Allerdings war Sabaco immer noch nicht fertig.
"Von einer Kollektivstrafe halte ich nichts, da nicht sicher gesagt werden kann, dass die Kameraden des Contuberniums tatsächlich Mitwisser waren. Sie sollen folglich dazu ermahnt werden, auf ihren offenbar verwirrten Kameraden besser achtzugeben, sich um ihn zu kümmern und ihn dabei zu unterstützen, das Begräbnis und die Sühnung zu organisieren und überhaupt die ganze Angelegenheit wieder in Ordnung zu bringen. Bei Bedarf haben sie ihm auch finanzielle Hilfe zu leisten. Außerdem hat Lucius bei einem Medicus vorzusprechen, der seine geistige Eignung zum Militärdienst überprüfen soll."
Es war klar, dass diese Untersuchung beim ersten Vergehen pro Lucius ausgehen würde, aber allein dieser Auftrag wäre ein Tritt in Lucius' Nieren und jemand müsste schon ernsthaft verwirrt sein sein, um eine solche Demütigung ein zweites Mal über sich ergehen zu lassen. Ginge es nach Sabaco, hätte er es dabei und bei der Ermahnung der Kameraden, sich besser um Lucius zu kümmern, bewenden lassen, da die Leiche niemand Wichtiges und erst Recht kein Römer gewesen war, aber irgendwo musste man einen möglichst fairen Kompromiss finden und nicht nur seine Sicht durchboxen wollen. Sabaco wartete gespannt, wie Tacitus als Richter auf seinen Einspruch reagieren würde.