Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    Sabaco nickte. "So ist es, Aemilius. Das war ein guter Kurs. Momentan habe ich keine weiteren Fragen, aber falls mir welche in den Sinn kommen, werde ich dir schreiben oder mal auf eine Posca in die Domus Iunia kommen, um die eine oder andere juristische Feinheit zu erörtern." Was auch ein guter Vorwand war, Iunia Matidia wiederzusehen. Dass Iunius Tacitus bald auf eine große Reise gehen würde, wusste Sabaco nicht.


    "Danke auch von meiner Seite, es war lehrreich und unterhaltsam. Tja, und wenn es mal wieder ums Militärrecht geht ... ich stehe zur Verfügung." Dabei sah er beide an. Wahrscheinlicher war, dass Aemilius Secundus seinen Rat benötigte, aber vielleicht wäre auch für Iunius Tactitus Sabacos Perspektive dereinst interessant.

    Sabaco nickte und machte sich eine entsprechende Notiz, wobei er stark aufdrückte, so dass die Buchstaben fett gerieten. "Danke für die Erläuterung und für die Hinweise. Keine weiteren Fragen!"


    Ihm hatte das Rollenspiel Spaß gemacht. Tatsächlich war der wirkliche "Lucius" seinerzeit mit einer eher milden Strafe davongekommen, doch der Bursche wurde die derben Scherze auf seine Kosten für den Rest seiner Dienstzeit nicht mehr los. Wenn man Sabaco fragte, war dies die eigentliche Strafe, sich jedes Mal einen dummen Spruch anhören zu müssen, wenn man an einem Friedhof vorbeikam oder an einem Marktstand, der Fleischwaren verkaufte.

    Kein Einspruch möglich, nachdem das Urteil einmal gesprochen wurde ... nur Appellatio ... Sabaco machte sich einen entsprechenden Vermerk. Er hatte das Ganze noch für einen Teil der Verhandlung gehalten. Aber er war hier, um zu lernen. Besser, er irrte sich jetzt, als wenn es Ernst wurde.


    "Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich nicht nur abnicke, sondern ein bisschen diskutiere. Wir sind ja hier im Unterricht und mir hilft das, die Sache zu verstehen. Darum würde ich gern noch weiter nachbohren. Was Arrest nur während der Freizeit betrifft - da bin ich einverstanden. Das würde den Dienstbetrieb nicht gefährden.


    Aber zur Kollektivstrafe möchte ich noch etwas loswerden, was vorher vielleicht nicht ganz klar wurde. Die Quelle des Gestanks wurde ja durch die Kameraden selbst identifiziert. Allerdings eben nicht sofort. Eine Leiche beginnt schleichend zu riechen, zunächst nur wie die Luft beim Fleischer, nicht sehr appetitlich, aber auch nicht übelkeiterregend. Ernsthafter Gestank ist je nach Temperatur frühestens nach zwei Tagen zu erwarten, und so ein Schlafraum ist nicht sonderlich warm. Erst nach drei Tagen hat es wirklich stark gerochen, und dann war auch jedem klar, dass es Fleisch sein muss, was da irgendwo verwest. Allerdings hat keiner mit einer Leiche gerechnet, sondern an vergammeltes Essen gedacht, das irgendwo versteckt worden war, bis dann der Schock kam. Insofern ist meiner Meinung nach schon richtig, was ich sagte, dass es bis zu diesem Zeitpunkt keinen Hinweis auf eine garantierte Mitwisserschaft geben kann. Hellsehen kann schließlich keiner von den Jungs. Und wer denkt denn an so was!"

    Sabaco ließ Tacitus nicht aus den Augen, während dieser seine Sicht darlegte. Das hörte sich schon ganz anders an, als die Forderung nach einer Decimatio. Trotzdem war Sabaco noch nicht zufrieden. "Einspruch", verkündete er, noch immer ganz in seiner Rolle des Verteidigers von Lucius.


    "Eine Arrestierung ist unüblich und ich halte sie auch für unnötig. Eine Arrestierung schadet dem Dienstbetrieb und damit der Sicherheit des Imperiums. Auch störrische Soldaten haben ihre Pflicht zu erfüllen und sich nicht auf Kosten ihrer Kameraden auszuruhen! Es gibt andere Möglichkeiten zur Disziplinierung."


    Da sein Antrag, die Klage abzuweisen, abgeschmettert worden war, ging es nun darum, ein gerechtes Strafmaß zu ermitteln. Als Offizier einer Grenzeinheit hatte Sabaco davon freilich andere Vorstellungen als ein ziviler Advokat oder ein Senatorenknäbelein. Er holte entsprechend auch etwas weiter aus, um seine Argumentation nachvollziehbar zu machen.


    "Die Forderung nach einer Arrestierung sollte sicherstellen, dass Lucius sich nicht während der laufenden Ermittlungen aus dem Staub macht. Aber falls jemand sich unerlaubt vom Lager entfernt, gilt das als Fahnenflucht. Man müsste schon sehr verzweifelt sein, um diese Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, denn sie gehört zu den schwersten militärischen Verbrechen. Die Strafen sind drakonisch. Die Strafen für ein Disziplinarvergehen ... nun ja. Sie haben eher symbolischen Charakter. Ich glaube nicht, dass Lucius oder seine Kameraden einer Anklage wegen Fahnenflucht gegenüber der jetzigen Verhandlung den Vorzug geben würden. Lucius wurde angeklagt, aber er ist noch immer Soldat des Imperiums."


    Er gab einen Moment Verschnaufpause, um das setzen zu lassen, dann fuhr er fort: "Das Einnähen einer Leiche in der Strohmatratze betrachte ich als Disziplinarvergehen und beantrage, es als solches zu ahnden. Da es sich um das erste Disziplinarvergehen des Miles Lucius handelt, sollte es bei einer disziplinarischen Verwarnung bleiben. Als solche ist sie straffrei. Erst bei der dritten disziplinarischen Verwarnung ist es üblich, den Fall vor ein Militärtribunal zu bringen, wo die Tribuni über das weitere Schicksal des Soldaten entscheiden."


    Somit begründete er, warum er das Verfahren nicht nur wegen der formalen Mängel der Anklage, sondern auch aufgrund der beim Militär üblichen Abläufe ablehnen würde. Aber nun war bereits ein Urteil gesprochen worden und so musste Sabaco sich mit dieser Situation anfreunden und auseinandersetzen.


    "Was die angenommene sakrale Grenze des Militärlagers betrifft ... nun ... die Grenze eines Feldlagers ist ein physischer Schutzwall. Sie wurde aus praktischen Erwägungen heraus gezogen - um Feinde und Unbefugte draußen zu halten - nicht aus religiösen Gründen. Zumindest weiß ich davon nichts. Trotzdem stimmt wohl jeder hier zu, sogar Lucius selbst, dass ein Bett in einem Gruppenschlafraum kein geeigneter dauerhafter Aufbewahrungsort für eine Leiche ist. Ich stimme folglich der Einschätzung von Iunius Tacitus zu, dass die Sicherheit der Kameraden gefährdet wurde, sei es durch Gefährdung der Pax Deorum, sei es durch krank machende Leichendämpfe.


    Die Forderung nach Sühnung halte ich demnach für angemessen. Lucius soll sich um die Organisation und Finanzierung des Begräbnisses kümmern und den Göttern der Unterwelt auf eigene Kosten einen schwarzen Stier opfern. Außerdem hat er sich gebührend bei seinen Kameraden zu entschuldigen!"


    Allerdings war Sabaco immer noch nicht fertig.


    "Von einer Kollektivstrafe halte ich nichts, da nicht sicher gesagt werden kann, dass die Kameraden des Contuberniums tatsächlich Mitwisser waren. Sie sollen folglich dazu ermahnt werden, auf ihren offenbar verwirrten Kameraden besser achtzugeben, sich um ihn zu kümmern und ihn dabei zu unterstützen, das Begräbnis und die Sühnung zu organisieren und überhaupt die ganze Angelegenheit wieder in Ordnung zu bringen. Bei Bedarf haben sie ihm auch finanzielle Hilfe zu leisten. Außerdem hat Lucius bei einem Medicus vorzusprechen, der seine geistige Eignung zum Militärdienst überprüfen soll."


    Es war klar, dass diese Untersuchung beim ersten Vergehen pro Lucius ausgehen würde, aber allein dieser Auftrag wäre ein Tritt in Lucius' Nieren und jemand müsste schon ernsthaft verwirrt sein sein, um eine solche Demütigung ein zweites Mal über sich ergehen zu lassen. Ginge es nach Sabaco, hätte er es dabei und bei der Ermahnung der Kameraden, sich besser um Lucius zu kümmern, bewenden lassen, da die Leiche niemand Wichtiges und erst Recht kein Römer gewesen war, aber irgendwo musste man einen möglichst fairen Kompromiss finden und nicht nur seine Sicht durchboxen wollen. Sabaco wartete gespannt, wie Tacitus als Richter auf seinen Einspruch reagieren würde.

    "Die Wahrheit auszusprechen, ist kein Vergehen", sagte Sabaco süffisant. "Darüber hinaus wurde der Miles Lucius natürlich längst angehört. Seine Antworten spielen aber keine Rolle, da nach wie vor keine rechtliche Grundlage benannt wurde, die eine Klage begründen würde. Stattdessen wurde vom Kläger ohne Kenntnis der genauen Umstände und ohne jede Rechtsgrundlage ein Strafantrag gestellt, der scharf nach Willkür stinkt. Darum bleibt es bei meinem Antrag, die Klage aufgrund formaler Mängel abzuweisen. Ein Decurio, wie der Kläger ihn benannte, war übrigens nicht involviert."


    Das hätte Aemilius Secundus wohl gern, dass der Fall sich bei der Ala und unter Sabacos Obhut zugetragen hätte und er dafür vom Dienst suspendiert worden wäre.


    Nun war Iunius Tacitus in seiner Rolle als Richter am Zug ...

    Den Göttern sei Dank gab es noch den Legatus legionis, der bei solchen Einfällen auch noch ein Wörtchen mitzureden hatte, und die ritterlichen Tribuni, die mit dem senatorischen Tribun gemeinsam das Tribunal bildeten. Ein selbstherrlicher Alleingang, wie er Aemilius Secundus vorschwebte, war daher ausgeschlossen. Als der Streit in eine offene Drohung gipfelte, schnaubte Sabaco nur.


    Er schlüpfte in seine Rolle als Verteidiger des Soldaten Lucius und legte los:


    "Die Äußerung von Aemilius Secundus erfüllt nicht die formalen Anforderungen einer Anklage. Er stützt sich nicht auf geltendes Recht, sondern auf persönliche Interessen. Ich beantrage darum, die Klage abzuweisen. Der Fall gehört stattdessen als Disziplinarverfahren in die Hände des direkten militärischen Vorgesetzten gelegt, in diesem Fall der Centurio."

    "Nein, das wäre nicht die angemessene Strafe", polterte Sabaco. Das Grinsen war ihm vergangen, als ihm klar wurde, dass Secundus seinen Vorschlag ernst meinte. Bei den Göttern, dieser Mann war als Tribunus laticlavius für die Gerichtsprozesse in der Legio zuständig!


    Sabaco mäßigte seine Lautstärke und kämpfte mühsam seinen Zorn herunter. "Nutzen wir es doch als Fallbeispiel und betrachten es juristisch", sagte er ruhiger, "wofür wir schließlich hier sind. Also, Aemilius Secundus. Hör zu und lerne. Zum einen gibt es schon lange keine Dezimation mehr, die war ein ekelhaftes Verfahren aus der Republik. Die fällt also komplett durchs Raster deiner Möglichkeiten. Kollektivstrafen schaden zudem mehr als das sie nützen, weil sie ungerecht sind. Sie sollten mit Bedacht eingesetzt werden, am besten gar nicht. Zum anderen: Als welche Art Vergehen würdest du das Bunkern einer Leiche bezeichnen?"


    Sabaco kannte sich mit ziviler Gerichtsbarkeit nicht aus, dafür umso besser mit dem Alltag bei den Streitkräften. Als Decurio musste er selbst gelegentlich Soldaten bestrafen und kannte daher seine Grenzen und Möglichkeiten. Vor allem lebte er seit vielen Jahren schon mit den Soldaten zusammen, die Ala war seine Familie und sein Leben, während die Legio für den Senatorensohn nur eine Sprosse auf der Karriereleiter war, was man dessen herzlosem Kommentar auch anmerkte.


    Lauernd spähte Sabaco über den Tisch. Den Advokat, der sie in dieser Angelegenheit ausbilden sollte, hatte er in seinem Eifer einfach übergangen.

    Sabaco warf Secundus einen Blick zu und zeigte ein vielsagendes Grinsen. Das wäre die perfekte Gelegenheit, Anekdoten herauszukramen und über die Mannschaftsdienstgrade zu lästern, natürlich nur aus anderen Turmae. Kurz rang Sabaco mit sich, weil es nicht wirklich zum Thema gehörte, aber dann konnte er es sich nicht verkneifen.


    "Ich kannte mal einen, da hat es bei jeder Stubenkontrolle gestunken. Egal, wie sehr die Jungs geputzt und gewischt haben, es wurde immer schlimmer. Dann kam raus, dass einer von denen eine Leiche in seine Strohmatratze eingenäht hatte. Jetzt stell dir vor, du bist als Offizier für den Kerl verantwortlich und musst dich mit so einem Fall befassen. Da weißt du auch nicht, ob du lachen oder heulen sollst."

    Eisenkarawane

    In den kupfernen Baumkronen tanzte das Sonnenlicht, als ob die Natur ein letztes Fest vor dem Einbruch des Winters feierte. Das erste Herbstlaub rollte leise raschelnd über die staubige Straße, ein Anzeichen der nahenden Kälte. Was wie ein friedlicher Herbsttag im freien Germanien hätte sein können, wurde jäh unterbrochen vom dumpfen, rhythmischen Hämmern eisenbeschlagener Hufe, das sich aus dem Südwesten näherte. Doch da war auch das Rollen von Rädern und das schwere Schnaufen von hart arbeitenden Ochsen.


    Bald verdarb der Anblick der narbigen, bärbeißigen Männer von der Turma Secunda die Idylle, von denen fast jeder sowohl germanisches Blut in den Adern als auch germanisches Blut vergossen hatte. Für die rückständigen Barbaren waren sie nichts weiter als Verräter, doch für jene Germanen, die Wohlstand und Fortschritt suchten, waren sie die mutigen Verteidiger ihrer Zukunft. Sie verkörperten eine germanische Tugend, die weit über das primitive Gezanke der Hinterwäldler hinausging, die sich in ewigen Kleinkriegen aufrieben und am liebsten ungestört von Rom bleiben wollten.


    Matinius Sabaco, der römische Decurio der Turma, hatte sich schon als Kind wenig um die Idee der Volkszugehörigkeit geschert. Für ihn war es nie so einfach gewesen, dass einen Meter hinter der Grenze die Menschen plötzlich klüger oder dümmer wären. Ihn interessierte nur, ob das Herz eines Menschen am rechten Fleck saß. Er war bekannt dafür, die Germanen unter seinem Kommando zu hätscheln und feindliche Exemplare ohne Zögern zu töten – genau wie er es mit einem verräterischen Römer tun würde, wenn es nötig war.


    Mit einer Selbstverständlichkeit, die fast an Frechheit grenzte, patrouillierte die Turma Secunda regelmäßig durch das freie Germanien. Die berittenen Soldaten boten Karawanen bestimmter Händler Geleitschutz, um sicherzustellen, dass die für Rom wichtigen Güter unbeschadet in die römischen Gebiete gelangten. Auch an diesem Tag begleitete die Turma eine Ladung der feinsten Eisenbarren, die sie zu einem Spottpreis von den Germanen erworben hatten – für die Römer ein Schnäppchen, für die Germanen ein Vermögen, das ihre haarigen Hände niemals zuvor gehalten hatten. Die einheimischen Händler fühlten sich sicher und während der letzten Rast hatten sie unbeschwert mit den Soldaten geredet und ihnen einen herrlich würzigen Fleischeintopf mit Sahnesoße auf eigene Kosten gekocht.


    Sabaco, der im vorderen Drittel der Truppe ritt, war zufrieden mit seiner Leistung und der Ordnung, die er in dieser halben Wildnis aufrechterhielt. Die Operation Sommergewitter hatte sich aus Gründen verschoben, die nur die ganz hohen Tiere der Ala I Aquilia Singularium und der Provinzverwaltung kannten. Doch wie es aussah, entfaltete die Straße selbst bereits eine beachtliche Wirkung. Unter seiner Führung würde die Turma Secunda weiterhin das fragile Gleichgewicht zwischen römischer Macht und germanischem Stolz bewahren.

    Der Stilus kritzelte im Schnelldurchlauf über der Wachstafel, als Sabaco versuchte, eine Kurzfassung mitzuschreiben.


    Rolle des Kaisers in der Rechtssprechung

    • Kaiser = höchste Instanz, damit auch Berufungsinstanz
    • Kaiser kann alle Prozesse der ordentlichen Gerichtsbarkeit*, an sich ziehen und entweder selbst, oder durch von ihm ernannte Richter, verhandeln lassen.
    • Allein der Kaiser kann die Urteile dieser von ihm eingesetzten Gerichte aufheben.

    Durch seine Urteile setzt der Kaiser den Maßstab der Rechtsauslegung und ermöglicht so eine dauerhafte und in sich schlüssige Rechtsprechung. Prätoren haben diese Möglichkeit nicht, da ihre Amtszeit auf ein Jahr begrenzt ist.



    Appellatio

    • Möglichkeit zur Berufung mit Kaiser als Berufungsinstanz
    • steht theoretisch jedem Bürger zu, praktisch nur den wichtigen Leuten
    • Sinn: ungerechte Urteile können korrigiert und gerechte Urteile abschließend bestätigt werden.


    Hinweis


    Als Oberkommandierender des Exercitus Romanus hat der Kaiser auch für die Soldaten die finale und höchste Rechtsprechungskompetenz.


    _________________________________________________________

    *die nicht unter das Senatsprivileg des § 19 Absatz 4 Codex Iuridicialis fallen


    "Um noch mal bei der Appellatio einzuhaken", mischte Sabaco sich ein, "so gibt es in der Rolle des Kaisers als Oberbefehlshaber der Streitkräfte einen festen Rahmen. Der Kaiser befasst sich erst beim Dienstgrad vom Centurio aufwärts und nur im Falle einer Todesstrafe mit dem verhängten Urteil. Für ein anderes Strafmaß und niedere Dienstgrade gibt es keine Möglichkeit, sich an den Kaiser zu wenden. Wenn jeder die Möglichkeit hätte, zum Kaiser petzen zu gehen, weil er von seinem Vorgesetzten zum Latrinendienst verdonnert wurde, wäre das ja lächerlich!"

    Sabaco begann zu begreifen, dass es beim Verständnis der Gesetze vor allem darum ging, zu erahnen, was der Gesetzgeber meinte, weniger darum, was tatsächlich dastand. Sein angespannter Gesichtsausdruck wich einer gewissen Hilflosigkeit. Er war nicht gut darin, andere Menschen zu verstehen. Der Deutungsspielraum, der vermutlich dazu gedacht war, den Offizieren eine gewisse Handlungsfreiheit einzuräumen, öffnete zudem auch der Willkür Tür und Tor. Das konnte ihm in die Hände spielen, aber auch Probleme bescheren, denen gegenüber er machtlos sein würde. "Verstehe", brummte er, zutiefst unzufrieden, aber einsichtig, bevor Iunius Tacitus mit dem nächsten Themenkomplex fortfuhr.


    "Keine Fragen", sagte er, nachdem die Ausführungen geendet waren.

    Sabaco war weitaus weniger zufrieden. "Daraus kann man keine Handlungsanweisung ableiten", murrte er. Den Codex Militaris musste ein Vollpfosten geschrieben haben, ein Zivilist, der nie den Schlamm eines Militärlagers gekostet hatte. "Wie alt ist der Schinken? Der gehört reformiert." Doch es war noch nicht alles, was der Decurio zu bemäkeln hatte.


    "Da steht: 'Unter Kriegsrecht wird nicht bestraft, wer bewaffnete Feinde des Reiches oder deren aktive Helfer festnimmt, schädigt oder tötet.' Du leitest daraus den Umkehrschluss ab, dass loyale Römer nicht geschädigt werden dürfen. Ich verstehe nicht, wie du das ableitetst, weil da zum Beispiel gar nichts über den Bürgerstatus steht! Weshalb sollte man loyale Römer nicht schädigen dürfen, aber loyale Peregrini schon?"


    Doch Sabaco, dessen Wahrnehmung ihrer eigenen Logik folgte, war noch nicht fertig. "Theoretisch könnte man doch auch den Umkehrschluss ableiten, dass unbewaffnete Feinde des Reiches und deren Helfer nicht festgenommen, geschädigt und getötet werden dürfen. Ein Wahnsinniger, der mit bloßen Händen Leute von einem Viadukt stößt, so dass sie sich alle Knochen brechen, dürfte nach diesem Gesetzestext", er schaute missbilligend auf sein Exemplar des Codex Militaris, "unter Kriegsrecht tun und lassen, was er will."

    "Ja, danke, Iunius Tacitus. Es war verständlich. Aber ich habe noch eine." Leider betraf sie erneut den Codex Militaris, was naheliegend war in Anbetracht des beruflichen Hintergrunds des Fragestellers. "Ich bin eher Pragmatiker. Welche Auswirkungen hat das Kriegsrecht konkret auf den Alltag einer Provinz? Manchmal beschlagnahmen die Legionen zum Beispiel Getreide, wobei ich glaube, dass sie das immer dürfen. Die Jungs müssen schließlich was futtern. Solche Sachen." Dass auch die zivile Bevölkerung etwas essen musste, war Sabaco egal, so lange es nicht seine Familie und Freunde betraf, und die würden mit Sicherheit nicht hungern müssen.

    Sabaco hörte aufmerksam zu, als es um das juristische Verhältnis von Zivilisten und Soldaten ging.


    "Ich habe noch eine Frage zu deinen vorherigen Ausführungen. Du hast gesagt: Wenn ein Zivilist die Truppen im Frieden finanziell schädigt, zum Beispiel durch Diebstahl oder Betrug, sind zivile Gerichte zuständig. Wer legt aber fest, wann Frieden herrscht und für welchen Bereich gilt das? Bestimmt das der Statthalter für seine jeweilige Provinz? Oder legt das der Kaiser fest und es gilt für das gesamte Imperium? Die Legionen in den Grenzregionen haben schließlich fast immer irgendwo mit den Barbaren Ärger. Echten, dauerhaften Frieden gibt es nur im Inland."


    Sabaco wiegte nachdenklich den Kopf. "Ich kann es mir nicht vorstellen, dass hier in Germania superior kein Kriegsrecht herrschen würde, aber wo kann man das in Erfahrung bringen?" Ein bisschen peinlich war das schon, andererseits war er nur Decurio und es war die Schuld der Politiker, wenn die einfachen Soldaten nicht über deren feine Entscheidungen informiert waren.

    Sabaco grinste, wobei er sein lückenhaftes, wenngleich bestens gepflegtes Gebiss offenbarte. "Ich habe das getan, wozu ich ausgebildet wurde. Ich habe einigen Personen jenseits des Limes mächtig den Arsch aufgerissen." Mit Bescheidenheit hatte er es nach wie vor nicht. Allerdings durfte er, auch wenn er gern noch etwas geschwelgt hätte, vor Außenstehenden nicht ins Detail gehen, da alles, was er im Dienst erlebte, der Geheimhaltung unterlag, so weit keine Freigabe erteilt war. So verschwieg er auch die Toten, die sie zu betrauern hatten, und seine Rückenschmerzen, die er sich durch eine harte Drehung während eines Speerstoßes zugezogen hatte.

    Während Tacitus sprach, öffnete sich die Tür. Ein Ellbogen drückte sich hindurch, dahinter ein narbiger Unterarm und eine Hand, die eine eine Ledermappe hielt. Es folgte ein bleicher Kopf mit Augenringen, die in Tiefe und Farbe dem Orcus entsprachen. Sabaco gab sich Mühe, leise einzutreten, aber Klinke und Angeln quietschten natürlich trotzdem. Obwohl er mitgenommen aussah, war seine Erscheinung tadellos. Er grüßte leise und pflanzte sich auf einen freien Platz, von dem aus er die Tür im Blick hatte. Während die letzten Worte des Dozenten verklangen, breitete er seine Unterlagen und sein Schreibzeug aus.


    Die Frage hing im Raum. Rasch durchblätterte er in den Seiten, die Iunius Tacitus für jeden Schüler bereitgelegt hatte, bis er den richtigen Paragrafen des Codex Iuridicalis gefunden hatte.


    "Da, § 46 - Vorsätzliches und fahrlässiges Handeln!", trumpfte er auf. "Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln. Außer, wenn das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht. Das ist bei einem Pflug wohl kaum der Fall. Daraus kann man schlussfolgern, dass ein Versehen keinen Strafbestand erfüllt und nicht bestraft werden darf. Auch aus dem vom Kläger benannten § 85 geht hervor, dass Schadenersatz nur im Fall einer Verurteilung zu zahlen ist. Kann man die Verteidigung darauf aufbauen?"

    "Es ist alles verständlich", bestätigte Sabaco, "aber wirr. Das liegt nicht an deiner Erklärung, sondern am Konzept, ein und dieselbe Sache unnötig aufzusplitten. Das ist nicht effizient und Missverständnissen sind Tür und Tor geöffnet. Entweder ist hier unsere Sprache unpräzise oder unser Denken. Sei es drum. Ich bin froh, dass wir das in der Praxis alles nur Gesetz zu nennen brauchen und fertig."


    Er war als Soldat gewohnt, die Dinge zu nehmen, wie sie ihm präsentiert wurden, auch wenn manches ihm unlogisch erschien oder er meinte, das alles hätte besser entscheiden können. Trotzdem bekam er leichte Kopfschmerzen von dem Definitionschaos. Die Erklärung zum Artikel IIII der Lex Aquilia hingegen erschien ihm angehm klar und schlüssig.

    "Zur Hälfte richtig. Aber noch nicht vollständig. Eques Seius Iunianus Fango! Erhelle uns." Sabaco machte eine einladende Geste zum Zeichen, dass der Schütze vortreten durfte. Zur Abwechslung würde heute mal jemand anderes einen Monolog führen dürfen. Er wusste aus leidvoller Erfahrung, dass Fango unwahrscheinlich gern klugschiss. Heute würde er das ganz offiziell dürfen, ohne damit jemandem auf den Schal zu treten.

    Ihre Worte bedeuteten ihm viel. Er schloss die Augen, als sie sie sagte, spürte ihre Nähe und die Wärme ihres zarten Körpers, die sie verlassen würde, wenn sie zu lange hier draußen standen. Doch so lange Sabaco sie hielt, würde sie nicht frieren. Er hatte genug Hitze für zwei. "Dir das Wort verbieten? Wo denkst du hin. Ich möchte, dass wir ehrlich zueinander sind. Lügen sind keine Basis ... zumindest für nichts Gutes."


    Er öffnete die Augen wieder und grinste etwas. "Was willst du denn hören?" Als er aber sah, dass ihre Augen glänzten, dass sie gerade genau so glücklich war wie er selbst, aber es viel tiefer und ehrlicher zeigen konnte, nahm er sich ein Herz und hörte auf, sich nichtsahnend zu stellen. "Wenn es Liebe gibt, dann ist sie das. Daran gibt es keinen Zweifel. Ich liebe dich", sagte er ernst, während er ihr in die Augen sah.


    Er erwiderte ihr Lächeln, spürte dabei inneren Schmerz, obwohl er gerade rundum glücklich war, oder vielleicht genau deswegen. Angst und Verbitterung waren keine guten Begleiter, er würde sie fern halten von Matidia, so gut er es vermochte. Sie brauchte nicht seine Schatten zu sehen, es genügte, wenn er es war, den sie jagten.

    Als Tacitus sich nach Fragen erkundigte, hob Sabaco die Hand. "Erstmal danke für die ausführliche Erklärung. Das ist ja ein umständliches Hickhack mit den Befugnissen, aber vielleicht blicken wir am Ende des Cursus Iuris da durch. Ich bin jedenfalls froh, dass wir jetzt hier sitzen. Sich allein da einzuarbeiten, bricht einem vermutlich das Genick. Eine Frage hätte ich noch dazu: Was ist denn der Unterschied zwischen Gesetz, Edikt und Dekret? Gibt es da überhaupt einen, der für uns von Interesse sein muss?"