Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    "Geehrt?" Sabaco mustert sie prüfend. Es gab nicht viele, die Wert auf seine Aufmerksamkeit legten. Die meisten versuchten, sie im Gegenteil zu vermeiden. "Wie man es nimmt. Das liegt ganz bei dir." Doch als sie sich für seine Gesellschaft bedankte, lächelte er.


    Nachdem der Sklave den Wein auf einem Tablett gebracht hatte, schenkte Sabaco für sie beide ein. In der Zwischenzeit entschlüpfte das kleine Mädchen, das noch bei ihnen gestanden hatte. Man konnte es der Kleinen nicht verübeln. Er galt als Kinderschreck und Babys fingen an zu weinen, sobald er sich über sie beugte. Selbst mit Frauen fiel ihm der Austausch schwer, da er Tag für Tag nur mit Soldaten sprach und viel mit dem Tod konfrontiert war. Damit konnte er eine Dame kaum behelligen und durfte es auch nicht, da die meisten Dinge unter Geheimhaltung standen. Vermtlich ahnte Matidia nicht, dass er gerade geistige Schwerstarbeit leistete und sich extrem anstrengte, um den Faden nicht abreißen zu lassen. Hatte er sich jemals solche Mühe gegeben?


    Sein Gesichtsausdruck änderte sich, als sie von dem Überfall berichtete. Sein Antlitz wurde hart wie Basalt, in dem zwei Eiskristalle schimmerten. Er trat einen halben Schritt an Iunia Matidia heran, da sie sehr leise gesprochen hatte. "Ich werde mit der Turma Secunda die Strecke untersuchen. Sie werden bezahlen. Beschreibe mir ihren Anführer so genau wie möglich. Wahrscheinlich ist er uns bekannt. Ich werde die Angelegenheit priorisieren. Der wird dir keine Angst mehr machen, Matidia."

    Bevor Sabaco antworten konnte, plautzte Ocella grußlos an den Tisch. Das gab ihm Zeit, zu überlegen, was er überhaupt essen wollte. Sein Gehirn arbeitete momentan nicht sonderlich effektiv.


    "Für mich irgendwas mit frischem Brot ... und, hm, Posca mit einem Löffel Honig."


    Ocella sah schrecklich aus. Seine Bewegungen und seine Mimik hatten sich verändert. Doch auch Bonifacius musste einiges durchgemacht haben: Der Wirt hatte seine Pausbacken eingebüßt und tiefe Schatten lagen um seine Augen. Es waren beschissene Zeiten für sie alle. Dunkle und kalte Tage, viel Leere. Sabacos Halt waren seine Tirones. Ocellas Halt war Varro. Wer gab Bonifacius Halt? Da schien es niemanden zu geben. Vielleicht die Arbeit. Das alles ging Sabaco nichts an, doch fiel es ihm auf.

    Nahe am Feuer saß Sabaco, den Blick starr in die Flammen gerichtet. Weder Speis noch Trank standen auf seiner Tischplatte. Mit steinerner Miene saß er da, ohne zu spüren, ob Zeit verging. Ein Teil seines Geists streifte durch die Elysischen Felder.


    Ich gebe, damit du gibst. Alles hatte seinen Preis.


    Die Götter hatten Sabacos sehnlichsten Wunsch erfüllt und seinen kleinen Bruder sicher heimgeführt. Sie hatten es nicht umsonst getan. Hundert Germanenköpfe hatte er ihnen versprochen, doch sie hatten nur ein Opfer gewollt. So versuchte er sich einzureden, dass alles einen Sinn ergab, dass Nero nicht sinnlos an einem Fieber gestorben war. Er würde Ocella nichts von seinem Verlust erzählen. Der Kleine sollte sich auf seine Genesung konzentrieren und nicht um die Sorgen seines großen Bruders scheren. Er hatte einen eigenen Verlust zu verkraften.


    Vom Rauch und der Hitze brannten Sabaco die Augen, weil er fast ins Feuer hineingekrochen war, doch sein Blick war nach wie vor scharf. Er wandte sich der leeren Tischplatte zu und hielt Ausschau nach dem Wirt.

    Sabaco blieb noch einen Moment in der halb geöffneten Tür stehen, ein Bein drin, eins schon draußen. "Fango ist der Junge von Stilo", sagte er ernst. Womit klar wurde, warum er den Winzling in die Turma Secunda geholt hatte: Sabaco konnte ihn verhätscheln und hüten. Auch wenn er menschlich auf Distanz blieb, so war er doch stets die Macht im Hintergrund, die mit Argusaugen alles beobachtete, was um Fango herum passierte. "Wenn du ihn lieber in der Prima sehen willst, werden sich Wege finden lassen." Dass der Kleine eigentlich nichts bei den Bluthunden der Secunda zu suchen hatte, war auch Sabaco bewusst, weshalb er ihn momentan lieber in den Wachdienst und Ausbildungsbetrieb einteilte, anstatt ihn mit auf Patrouillen zu nehmen. "Aber ganz woanders will ich ihn nicht haben. Secunda oder Prima. Ich möchte, dass jemand, dem ich vertraue, auf ihn ein Auge hat." Davon gab es nicht viele Menschen, nicht mal bei der Ala.


    Als Ocella sich bedankte, grinste Sabaco breit. "Man sieht sich."


    Damit schloss er hinter sich die Tür. Er wollte nach seinem Cornicularius sehen, der noch immer im Valetudinarium lag und gegen das Fieber kämpfte. Wenn die Götter im Falle von Ocella endlich ein Wunder hatten geschehen lassen, warum nicht auch bei Nero?

    "Was wollte ich euch damit demonstrieren?" Sabacos Stimme hing den Tirones vermutlich schon zu den Ohren raus und ihm schmerzte der Hals, aber es musste sein. "Auf das kluge Zusammenspiel unterschiedlicher Truppenteile kommt es an. Es läuft am Ende immer auf das Gleiche hinaus: Wir sind in der Gemeinschaft stark. Eure Kameraden sind eure Lebensversicherung und ihr die ihre. Haltet zusammen, passt aufeinander auf, gewöhnt euch kräftezehrendes Rivalitätsdenken ab. Leicht gesagt, aber lasst es einfach."


    Er wies auf die gespickten Strohpuppen. "Außer Schützen haben wir noch die Möglichkeit, mit Schleudern und Wurfspeeren gegen solche nervtötenden Formationen vorzugehen. Und", er grinste böse, "mit schweren Geschützen. Die gefallen mir ja besonders, sie gehören jedoch nicht zur Grundausbildung. Für euch Tirones sind in dem Zusammenhang vor allem die Wurfspeere interessant. Aber Achtung: Die Wurfspeere der Reiterei sind nicht identisch mit den Pila der Legio!"*


    Er gab die Lanze einem der Helfer und griff sich einige Wurfspeere. Er demonstrierte, wie man sie kraftvoll in den Gegner schoss. Dabei ging er auf verschiedene Distanzen.


    "Lanze und Speer werden neben der Spatha eure wichtigsten Waffen sein. Darum üben wir den Umgang mit Lanze und Speer nun für den Rest des Tages." Er wies auf die Halterungen mit den Übungsspeeren. Hinter ihm bauten die Helfer nun Strohballen auf. "Erst die Lanze, mit der ihr zu den Übungspfählen geht. Dann, beim gemeinschaftlichen Wechsel, die Wurfspeere, die in den Strohballen stecken bleiben sollen. Geworfen wird von dieser Linie, die keiner überschreitet. Ausführung!"


    Sim-Off:

    *pila der Legio: Link, hastae der Ala: Link

    "Und da du noch hier bist, bedeutet das... Was für mich? Oder über mich?"

    "Dass du für mich interessant genug bist, dass ich meine Zeit mit dir verbringen möchte." Dass Süßholzraspeln eher nicht zur Stärke des Decurio gehörte, wurde spätestens bie diesem trockenen Kompliment offenkundig. Jedoch: Er meinte es aufrichtig. Sein Interesse zu wecken, war schon etwas Besonderes. Er gehörte nicht zu den Männern, die wahllos jeder Frau nachstierten, da er gedanklich meist bei der Ala war.


    "Wein ist eine gute Idee." Er sah sich nach einem Sklaven um, um diesen zu ihnen heranzuwinken. "Süß oder herb?" Ihm selbst war beides Recht, so lange die Mischung nicht zu wässrig schmeckte oder gar sauer. Er bedauerte er, dass sie das warme Tuch um den Körper trug, doch er wusste, was sich in Gegenwart einer römischen Dame gehörte. Wahrscheinlich würde er heute Nacht zur Abwechslung einmal gute Träume haben. Seine Kiefermuskulatur arbeitete. Noch immer wusste er nicht, ob sie verlobt war. Der verpackten Frage war Iunia Matidia leichtfüßig wie eine Tänzerin ausgewichen.


    "Gefällt es dir in Mogontiacum? Auch wenn es ein bisschen kalt ist?" Die Antwort würde viel über das Wesen von Iunia Matidia verraten, ohne dass er allzu deutlich danach fragte.

    "Jetzt sind in der Secunda gute Männer ... ich habe sie zum Großteil ausgetauscht. Gegen Männer, die ich schon kenne, zum Teil selbst ausgebildet habe. Gute Männer. Und ich habe euren Fango unter die Fittiche genommen. Er kann nichts außer schießen und Kuchen backen. Er ist einfach zu winzig. Den im Nahkampf gegen einen Zwei-Meter-Germanen, das würde schiefgehen." Aber das wusste Ocella wohl selber. "Schießen und backen aber kann er sehr gut."


    Sabaco beendete trotzdem noch seinen Arbeitsschritt. Ob Ocella das wollte oder nicht, seine Rüstung wurde geputzt. Den Rest konnte er ja dann selbst übernehmen. Sabaco wollte nicht tatenlos zusehen, wenn sein erschöpfter und trauriger Bruder hier mit seinem Krempel allein hantierte. Ratzfatz wurde der Panzer erst grob gebürstet und dann poliert.


    "Wir werden uns heut Abend dort treffen. Bin oft dort. Der Wirt Bonifacius weiß wie man kocht und die Preise sind in Ordnung." Sabaco suchte den Panzer routiniert nach Beschädigungen ab. "Hier, das Lederband solltest du ersetzen."


    Damit hängte er den Panzer über das Gestell und wanderte in Richtung Tür. Er blickte seinen kleinen Bruder noch mal intensiv an, ehe er sagte: "Bis heute abend."

    "Man weiß immer, woran man bei mir ist, Iunia Matidia. Immer. Im Guten wie im Schlechten. Die Wahrheit kann auch mal hässlich sein." Er bemerkte, dass sie seine Zähne musterte, und grinste noch etwas breiter. Auch das war ein Teil der Wahrheit, Teil eines komplexen Ganzen. "Verantwortung zu übernehmen, ist der Weg eines wahren Römers. Wo wurdet ihr denn überfallen, und konntest du erkennen, von wem?" Wahrscheinlich wieder Germanen ... es wurde Zeit, das mal wieder Köpfe rollten, damit die Dreckskerle sich wieder in ihren stinkenden Wald zurückzogen.


    Der Sklave reichte ihm erst die Münzen, dann das Tuch. "Richte der Hausherrin meinen Dank aus." Als Iunia Matidia ihn anfunkelte, legte Sabaco ihr das Tuch galant um die schmalen Schultern. Der leichte Windhauch, den er dabei verursachte, trug ihm ihren Duft in die Nase. Sein Grinsen wurde wieder zu einem Lächeln. "Besser?"

    Nun, da war Varro klüger gewesen als Ocella ... der Kleine hatte in Eila Dinge gesehen, die nicht vorhanden waren: mütterliche Liebe oder die Liebe einer Schwester. Nichts davon hatte der Realität entsprochen, doch was hätte es genützt, das Ocella zu erklären? Wo die Liebe hinfiel, welche Art Liebe es auch sein mochte, hatte die Ratio oft nicht mehr viel zu melden.


    "Mutter. Hm. Findest du, dass es da eine Ähnlichkeit gab? Das würde erklären, warum ich Eila von Anfang an nicht mochte."


    Sabaco seinerseits fiel es schwer, Ocellas Trauer über den Tod der Eltern zu verstehen. Ihm selbst waren diese tragischen Ereignisse, zu denen er etliche Beileidsbekundungen erhalten hatte, herzlich gleichgültig gewesen. Er hatte seine Brüder, er hatte seine Freunde. Eltern starben, das war der Lauf der Dinge. Sie hatten ihre Zeit gehabt und der Kreis hatte sich geschlossen. Schrecklicher war es für Sabaco, immer wieder Kameraden zu Grabe tragen zu müssen. Das ging ihm nahe, das zehrte an ihm, und selbst mancher Barbar hatte einen Funken Mitleid in ihm erweckt, doch nichts hatte den Trennungsschmerz erreicht, den er während Ocellas Abwesenheit hatte durchleben müssen.


    Nun war alles wieder gut. Ocella würde sich beruhigen, seinen Dienst fortsetzen und Eilas Gesicht würde mit der Zeit verblassen. Die beiden Brüder aber würde nichts und niemand trennen, auch wenn es dabei manchmal etwas Nachhilfe bedarf, wie im Falle Eilas. Sabaco machte sich daran, Ocellas abgelegte Rüstung mit einer Bürste, Fett und einem Lederlappen zu putzen. Er wusste ja, wo das Zubehör aufbewahrt wurde.


    "Geh in die Therme, Oella. Ruh dich ein wenig aus. Ich kümmere mich derweil um deine Ausrüstung. Wenn du morgen aufwachst, wirst du sehen, dass alles seine Ordnung hat. Übrigens wurde ich vor geraumer Zeit zum Decurio befördert. Man hat mir das Kommando über die Turma Secunda anvertraut. Ich bin damit beauftragt worden, euren Verbleib in Erfahrung zu bringen."

    Kurz rechnete Sabaco damit, dass der kleine Bruder ihn schlagen würde. Ruhig blieb er stehen, auf den Einschlag wartend, obgleich er wusste, wie hart Ocella zulangen konnte. Er selbst hatte es ihn gelehrt. Er würde nie die Hand gegen den eigenen Bruder erheben, und wenn der Kleine noch so tobte. Entgegen Sabacos Erwartung wandte sein Bruder sich jedoch wieder ab. Üblich war, einander aus der Ausrüstung zu helfen. Doch Ocella machte deutlich, dass er das gerade nicht wollte.


    "Ich bin deine Familie?" Sabacos Frage klang höchst erstaunt, dann wiederholte er froh: "Ich bin deine Familie." Der Satz brannte sich in sein Herz, eine glühende Lava-Ader in erkaltetem Basalt.


    "Mich wirst du niemals verlieren, Ocella." Sabacos Blick war voll tiefer, unauslöschlicher Liebe, doch er sah Ocella dabei nicht an, sondern blickte wieder auf den Schrein, der im Halbdunkel lag. Zu diesem Zeitpunkt wusste Sabaco noch nicht, welche schreckliche Wahrheit in Ocellas Worten lag, als dieser mahnte, man würde alles, was man liebte, früher oder später in Germania verlieren. "Wenn ich fallen sollte, bleibe ich als Mane bei dir. Kein Gott und kein Priester wird mich besänftigen können. Ich werde diese Welt erst mit dir gemeinsam verlassen."


    Bestürzt sah er dann, wie in Ocella eine Wandlung vorging, als er diesen wieder ansah. Etwas stimmte nicht, etwas stimmte ganz und gar nicht. Aber Ocella wollte nach wie vor nicht berührt werden. Selbst eine Hand auf der Schulter wäre nun zu viel. So blieb Sabaco auf Distanz, doch er änderte seine Haltung, löste die Verschränkung seiner Arme und wandte sich dem kleinen Bruder zu.


    Dann kam die Erkenntnis: Eila war tot.


    Der Attentäter war nicht mit dem Geld durchgebrannt - er hatte Wort gehalten. "Wie ist das denn passiert", fragte Sabaco vorsichtig. Entgegen dem, womit er selbst gerechnet hatte, erfreute ihn diese Nachricht nicht mit Schadenfreude, sondern mit einer merkwürdigen Leere. "Ich dachte ... nun ... du wirktest ihr sehr zugetan."


    Selbst jetzt spürte Sabaco noch immer die verzehrende Eifersucht, weil Eila seinem Bruder näher zu sein schien als er selbst. Doch in seiner Stimme lag keinerlei Häme. Dürr war der Kleine geworden und der dichte schwarze Bart verfremdete sein Gesicht. Er sah nun älter aus als Sabaco. Aus dem hübschen Jüngling, den Sabaco gegen allerlei Geschmeiß abschirmen musste, war ein verbitterter, tieftrauriger Mann geworden.

    "Sagen wir es so: Ich nehme den Unmut in Kauf. Wer einen Schmeichler sucht, ist bei mir an der falschen Adresse. Ich bin Ausbildungsoffizier und Kommandeur der Turma Secunda. Ich setze meine Prioritäten anders." Den Namen dieser Einheit kannte man in Germania superior. Unter Sabacos Kommando dienten zweibeinige Bluthunde, die man entsandte, wenn es schmutzig werden sollte. Nicht von ungefähr trug er im Dienst einen schwarzen Helmbusch. Vor der Turma Secunda schlotterten sogar die eigenen Landsleute. Doch im Angesicht der Ereignisse, die auf die Provinz zu rollten, waren genau solche Männer gefragt.


    "Magst du Blender? Schmeichler, die dich um ihren honigtriefenden Finger wickeln wollen? Ich für meinen Teil bevorzuge Leute mit Rückgrat." Er schnippte nach einem der Haussklaven, welche für die Bedienung der Gäste zuständig waren. Dem drückte er einige Münzen in die Hand. "Bring der jungen Dame ein Tuch für die Schultern, das sie mit nach Hause nehmen kann. Keins, das kratzt. Weich und warm soll es sein."


    Der Sklave war noch nicht einmal fort, da widmete Sabaco seine Aufmerksamkeit schon wieder Iunia Matidia. "Scato hat drei Onkel. Ich nehme an, du sprichst von Tribun Galeo Seius Ravilla." Sabaco grinste jetzt mit beiden Mundwinkeln, so dass man seine abgesplitterten Zähne sah. Sein Gebiss hatte etwas von einem Haifisch. "Dessen Villa macht doch etwas mehr her als Scatos Hütte, was? Es kommt eben ganz darauf an, ob du dich verwöhnen lassen oder Verantwortung als Iunia übernehmen willst. Du bist jung und ledig, beide Wege stehen dir offen."


    Sabaco ließ Iunia Matidia bei diesen Worten nicht aus den Augen.

    Die Frage meinte Ocella unmöglich ernst. So ließ Sabaco einen Moment des Schweigens verstreichen, hin- und hergerissen zwischen der Freude, den kleinen Bruder gesund wiederzusehen und dem Ärger ob der kalten Begrüßung. Er verstand nicht, was in Ocella vorging, warum er ihm einerseits geholfen hatte, eine Offizierskarriere bei der Classis einzufädeln und ihm warme Winterkleidung schenkte, nur um ihn ein Jahr später nach langer Trennung mit solch einer Kälte abzustrafen. Was auch immer Ocella während der Missio erlebt haben mochte, konnte keine Rechtfertigung sein.


    In stummer Verzweiflung beobachtete Sabaco, wie Ocella seine Aufrüstung auflas. Er wollte ihm dabei helfen, doch er konnte nicht. Irgendetwas stand unsichtbar im Raum und verhinderte, dass die Brüder einander begegnen konnten wie früher. Eine Macht, die wie Gift durch Ocellas Herz kroch und ihn verdarb. "Ist es diese Eila", platzte Sabaco heraus. "Hast du mit ihr in Germania eine Familie gegründet?"


    Sabaco verschränkte die Arme und blickte den Schrein hinauf, damit Ocella nicht seine geballten Fäuste sah und nicht den Hass in seinem Blick, als er an Eilas schäbiges Grinsen dachte, während sie seinem kleinen Bruder vor Sabacos Augen ihre Hand auf die Schulter legte, als würde Ocella ihr gehören, und der Kleine zu ihr hinaufhimmelte, nicht merkend, dass seine Eier gerade unter der Tunika hervorgeplumpst und unter den nächsten Schrank gekullert waren.


    Sabacos Nasenflügel blähten sich, während er versuchte, ruhig zu bleiben, als er auf Ocellas Antwort wartete.

    "Kein germanischer Stamm ist den Römern im Formationskampf ebenbürtig", stellte Sabaco klar. "Das waren ja nicht einmal die Hellenen mit ihrer Phlananx. Auch die haben wir zu knacken gelernt. Wie? Mit Taktik."


    Iunius Rupa hatte zweifelsohne Kampferfahrung, doch bei diesem Punkt stieß er an seine Grenzen. Das war keine Schande, woher sollte er es als Tiro wissen. Er merkte nun den Unterschied zu seiner Zeit als Einzelkämpfer und den Möglichkeiten, die ein professionell agierender Verband bot.


    "Mit der Kavallerie in einen Trupp reinzureiten, der mit Speeren bewaffnet ist, ist Idiotie", erklärte er mit seiner charmanten und feinfühligen Art. "Von der letzten Verzweiflungstat einer ansonsten todgeweihten Gruppe abgesehen, kommt das nicht infrage."


    Etwa zehn Meter hinter dem Decurio hatten derweil einige Helfer einen eine Gruppe Strohpuppen in germanischen Lumpen aufgestellt, die wie ein Igel Speere mit Holzspitzen hielten. Während die äußeren Puppen das stumpfe Ende des Speers ins Erdreich "gerammt hatten", "hielten" die mittleren Puppen ihre Speere erhoben. Diesen Igel galt es zu knacken. Wenn man das Prinzip einmal durchschaut hatte, war es simpel.


    Die Helfer zogen sich zurück und der germanische Igel stand speerstarrend auf dem Campus. Sabaco sah an seiner Ausbildungsturma vorbei. "Ich habe euch jemanden mitgebracht ... Augen auf und lernt." Damit gab er in die Ferne des Campus ein Handzeichen. Hufgetrappel näherte sich.

    Ruhig beobachtete Sabaco das Treiben. Das wenige Licht, das durch die Tür drang, genügte, während er selbst in den Schatten lauerte. Er sagte keinen Ton, bis der Kleine ihn anfuhr und fragte, was er hier machen würde. Verdreckt, bärtig und ziemlich durch den Wind schien Ocella zu sein. Da konnte Sabaco froh sein, dass er nicht gerade in dessen Bett gepennt hatte.


    "Warten, Ocella. Warten."

    Den besorgten Blick des Petronius Varus hatte Sabaco nicht registriert. Ihm kam, trotz aller innerer Verdorbenheit, nicht der Gedanke, jemand könne annehmen, dass er sich für ein Kind interessierte. Seine Aufmerksamkeit galt allein der schmucken jungen Dame, die es einem Raubein wie Sabaco nicht leicht machte, den Blick auf Höhe ihres Gesichts zu halten.


    "Wenn ich dich gewarnt hätte, wäre ich nicht in den Genuss deiner gerechten Empörung gekommen." Nicht in den Genuss des Feuers in ihrem Blick. "Ich mag unverfälschte Emotionen. Höfliche Nichtigkeiten erlebt man überall."


    Vielleicht war es das, was ihn anzog? Sicher, er erkannte eine schöne Frau, wenn er eine sah. Aber damit er sich für sie interessierte, gehörte mehr dazu. Als Matidia ihn ihrerseits musterte, ließ er es zu, indem er ganz entspannt stehen blieb. Er war schwerer gebaut als die meisten Männer. Besonders auf seine muskulöse Brust und seine kräftigen Arme war er stolz. Alles an ihm, vom Körperbau bis zur Haltung, strahlte pure Männlichkeit aus.


    "Iunia Matidia also. Dein Verwandter Iunius Rupa ist bei mir in der Ausbildungsturma. Demzufolge wohnst du vermutlich in der Domus Iunia? Bei Iunius Scato?"


    Darauf verwettete er seinen Pugio. Das der eine junge Dame völlig allein auf ein Fest gehen lassen würde ohne darauf zu achten, dass sie ein Brustband trug und ihr nicht mal einen warmen Mantel mitzugeben, wäre typisch ... und doch war Sabaco ihm dafür dankbar. Auch wenn er seinen Blick auf Augenhöhe hielt, so lange Iunia Matidia mit ihm sprach, bekam er doch das eine oder andere mit, als sie mit einer Hand ihren Oberarm rieb. Sein einseitiges Lächeln wurde ein wenig breiter.

    Am Tor war niemand mehr.


    Die Heimkehrenden hatten sich bereits im Lager verstreut. Ein Militärlager war gigantisch und jemanden zu suchen, ohne dessen Aufenthaltsort zu kennen, glich der berüchtigten Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. So begab Sabaco sich an einen Ort, von dem er wusste, dass Ocella ihn früher oder später aufsuchen würde. Er wusste, dass sein kleiner Bruder lebte und aus eigener Kraft geritten war, sie hatten es ihm gesagt.


    Sabaco strich die dreckigen Füße ab und trat in Ocellas Unterkunft ein. Ehrfürchtig blickte er den Schrein hinauf. Neben den Laren waren auch Bildnisse anderer Schutzgötter aufgestellt. Außerdem wurden im Lararium häufig die Ahnenbilder aufbewahrt. Dieses Lararium hier mit seinen Statuetten gehörte Ocella, doch Sabaco hatte es für ihn gepflegt und geopfert: Opferbrot, hiniggesüßten Wein, Kuchen, Weihrauch. Auch jetzt lagen die Opfer vom Vortag in den Schalen. Die Geister und Götter hatten Sabaco trotz seiner zahllosen Verfehlungen nicht verlassen, sie hatten ihn erhört und ihre schützenden Hände über den kleinen Bruder gehalten.


    Wie ein nervöses Raubtier im Käfig strich er durch den Raum, der so sauber und gepflegt war, als wäre Ocella nie fort gewesen. Täglich hatte Sabaco gelüftet, Staub gewischt, das Bett geschüttelt. Als er Ocellas Schuhe, die vor dem Bett standen, ansah, musste er sich über die Augen streichen.


    Zu aufgeregt, um sich zu setzen, stellte er sich wartend vor das Fenster, den Blick in Richtung Tür gerichtet.

    "Eigentlich habe ich keine Lust." Wer wusste schon, wann der Heiler mal wieder Zeit fand. Doch als er dessen Blick sah, hatte er das Gefühl, dass er vielleicht doch mal nachschauen sollte. Sabaco trat nackt ans Fenster, öffnete es wieder und schaute raus. "Was für ein Gerenne und Geschrei", brummelte er. "Es scheint gute Neuigkeiten zu geben."


    Vielleicht erhielt die ganze Ala eine Prämie vom Caesar oder es gab einen zusätzlichen freien Tag. Hoffentlich jedenfalls nichts, was für ihn mit organisatorischem Aufwand verbunden war. Aber Scato hatte Recht, als Decurio musste nachschauen gehen, was da los war. Noch immer grinste Scato vor sich hin. Typisch Prätorianer - wusste genau, was los war, aber sagte es nicht.


    Misstrauisch zog Sabaco seine Tunika über. Als er gerade die Caligae anziehen wollte, hörte er aus dem Gebrabbel draußen vor dem Fenster drei Worte: "Die Turma Prima!"


    Sabaco fielen die Sandalen aus der Hand. Er riss die Tür auf, die nächste auch. Er nahm sich nicht die Zeit, sie hinter sich zu schließen. Barfuß und nur in Tunika rannte er durch den Winter, derart schnell war er noch nie durch das Lager gesprintet. Der Schlamm spritzte ihn von oben bis unten voll, Haferspelzen und Steine stachen in seine Fußsohlen, doch nichts hätte ihn weniger kümmern können. War sein kleiner Bruder am Leben? Ging es ihm gut? Sabaco rannte wie ein Irrer.

    "Was hier üblich ist, weiß ich nicht", sagte er mit seinem hispanischen und eindeutig römischen Dialekt. "Aber bei mir ist es üblich, die Augen offen zu halten." Und darum stand er nun hier, während andere Männer sich enttäuscht abwandten. Der Decurio wirkte zu Recht, als würde er sich nicht mit Worte aufhalten, wenn ihm nun jemand dazwischen funkte.


    Im Moment funkte jedoch etwas anderes, und das waren die Augen der jungen Frau. Feuer und Eis trafen sich in den Blicken der beiden Menschen, die sich hier in der Dunkelheit das erste Mal begegneten. Sabaco war durchaus jemand, der gern mit dem Feuer spielte. Der Schal glitt von den Schultern der jungen Dame, deren verschränkte Arme ihren Anblick noch reizvoller machte. Er war sicher, dass er eine Römerin vor sich hatte, er sah es an ihrer Kleidung, ihrem Blick und ihrer Haltung. Die einzige Person, die ihn nun dazu bringen konnte, zu gehen, war die Dame selbst oder ein plötzlich auftauchender Ehemann.


    "Decurio Publius Matinius Sabaco. Von den Matiniern aus Tarraco", stellte er sich vor, auf ihre Erwiderung lauernd und sie nicht aus den Augen lassend, während er sich den Schal selbst wieder um den kräftigen Nacken schlang. Wer über den Familientratsch im Bilde war, wusste, dass es sich um eine angesehene und wohlhabende Gens handelte, welche die Geschicke des Imperiums seit langer Zeit mitschrieb. Um zu wissen, dass Sabaco dem ritterlichen Zweig entstammte, musste man hingegen schon etwas tiefer wühlen, denn er trug nicht die schmalen Streifen des Ordo Equester an seiner Tunika noch einen entsprechenden goldenen Ring.

    Wenigstens einer der mitdachte. Trotzdem würde Sabaco Randolf nicht einfach davonkommen lassen. Kein Fall war hoffnungslos. In jedem Tiro steckte ein Krieger und jeder besaß irgendeine Stärke, man musste sie nur finden. Randolf würde in Zukunft von Sabaco noch härter rangenommen werden, bis er ihm zeigte, was in ihm steckte. Sabaco hatte im Laufe seiner Zeit als Ausbilder schon den ein oder anderen Tiro zum Heulen gebracht. Bei dem Gedanken grinste er zufrieden, was man durchaus mit Freude ob der formvollendeten Ansprache von Iunius Rupa verwechseln konnte.


    "Das geht in die richtige Richtung, Tiro Iunius Rupa", sagte er. "Mit 2 m Länge schätzt du die Waffe allerdings etwas kurz. Wir verwenden Lanzen von 2,50 m bis 4 m Länger. Mit 1,2 bis 2 kg ist sie trotz der Länge ziemlich leicht, was wichtig ist, da wir sie mit Schild ausgerüstet einhändig führen. Der Schaft hat an seinem unteren Ende einen zugespitzten Schaftfuß, mit dem die Waffe in den Boden gerammt werden kann. Ursprünglich war die Lanze die Hauptkampfwaffe aller Legionssoldaten und bis Marius noch die der Triarii. Einzig bei der Reiterei blieb sie bis heute in Gebrauch. Im Gegensatz zu Wurfspeeren wird die Lanze nicht geworfen, sondern dient als schräg in den Boden gerammte Abwehrwaffe oder - für uns als Reiter entscheidender - als Stoßwaffe im Nahkampf."


    Er zeigte eine echte Waffe und ging mit ihr an der Reihe der Tirones vorbei. Die Theorie mochte den ein oder anderen langweilen, doch da der schulische Unterricht schliff, blieb Sabaco nichts anderes übrig, als seinen Tirones das Wissen auf dem Campus zu vermitteln.


    "Schaut euch die Spitze an: Die Klinge entspricht von Größe und Gewicht einem Pugio, ist also eher 30 cm lang. Damit richtet man ordentlich Schaden an. Der Speer ist aber auch aus anderer Sicht für euch wichtig zu kennen: Er ist die Hauptkampfwaffe der Germanen. Im Gegensatz zum Umgang mit dem Schwert lernt man den Kampf mit dem Speer sehr schnell. Außerdem ist die Waffe im Gegensatz zu Schwertern billig herzustellen.


    Was uns zur nächsten wichtigen Frage bringt. Wir haben eine Horde wütender Germanen mit Speeren von uns. Wie reagieren wir also auf sie? Rennen wir mit unseren eigenen Speeren auf sie zu, weil wir ja Schilde haben? Oder, da du die Schockkavallerie ansprachst, reiten wir mit unseren Pferden in sie hinein? Was tun wir, Tiro Iunius Rupa?" Sabaco blieb stehen und sah seinen Musterschüler an, während er gedanklich ein wenig in Fantasien bezüglich der künftigen Behandlung von Randolf schwelgte.

    "Mir geht es gut." Eine glatte Lüge, wenn man einen größeren Zeitraum ansetzte. Doch für den Moment die Wahrheit, denn Sabaco fühlte sich mit seinen Sorgen ernstgenommen und wohlbehütet. Wenn einer die Bezeichnung als Heiler verdiente, dann Scato. Seine Augen hielt er während der entspannenden Behandlung geschlossen. "Riecht wie was zu Essen", kommentierte er den Geruch der Salbe. "Wie irgendeine Soße."


    Ohne Übergang fuhr er fort: "Dass ich mit dem Schneiden aufgehört habe, würde ich nicht sagen. Aber ich lege eine Pause ein." Weil es ihm nahe gegangen war, wie erschüttert der Heiler darauf reagiert hatte, was Sabaco sich selbst antat. Das war der einzige Grund. Dass jemand sich derart um ihn sorgte. Doch er ahnte, dass Scato die ausweichende Antwort nicht zufriedenstellen würde. So fügte er hinzu: "Manche sagen, man gewöhnt sich an alles. Das würde ich nicht unterschreiben. Aber es gelingt mir inzwischen besser mich abzulenken von den Dingen, die mich umtreiben. Ich habe im Moment einen Trupp vielversprechender Tirones, unter ihnen auch dein Verwandter Faustus Iunius Rupa. Tüchtiges Kerlchen, ehrgeizig, noch ein wenig ungestüm, doch das wird alles mit der Zeit. Die halten mich gut auf Trab."


    Er malte ein wenig mit dem Kiefer. Er benötigte alle Kraft für die Operation Sommergewitter, um Ocella zu retten, koste es, was es wolle, und diese Tirones würden ihn begleiten. Bei den Göttern, er würde den letzten Fährmann mit dessen eigener Robe erwürgen, um seinen Bruder zurückzuholen, wenn er nur wüsste, wo der Kleine war! Bei dem Gedanke durchlief ein Zittern seinen Körper, dann lag er wieder ruhig, die Augen noch immer geschlossen. "Du kitzelst mich", behauptete er.