Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    Die Frage meinte Ocella unmöglich ernst. So ließ Sabaco einen Moment des Schweigens verstreichen, hin- und hergerissen zwischen der Freude, den kleinen Bruder gesund wiederzusehen und dem Ärger ob der kalten Begrüßung. Er verstand nicht, was in Ocella vorging, warum er ihm einerseits geholfen hatte, eine Offizierskarriere bei der Classis einzufädeln und ihm warme Winterkleidung schenkte, nur um ihn ein Jahr später nach langer Trennung mit solch einer Kälte abzustrafen. Was auch immer Ocella während der Missio erlebt haben mochte, konnte keine Rechtfertigung sein.


    In stummer Verzweiflung beobachtete Sabaco, wie Ocella seine Aufrüstung auflas. Er wollte ihm dabei helfen, doch er konnte nicht. Irgendetwas stand unsichtbar im Raum und verhinderte, dass die Brüder einander begegnen konnten wie früher. Eine Macht, die wie Gift durch Ocellas Herz kroch und ihn verdarb. "Ist es diese Eila", platzte Sabaco heraus. "Hast du mit ihr in Germania eine Familie gegründet?"


    Sabaco verschränkte die Arme und blickte den Schrein hinauf, damit Ocella nicht seine geballten Fäuste sah und nicht den Hass in seinem Blick, als er an Eilas schäbiges Grinsen dachte, während sie seinem kleinen Bruder vor Sabacos Augen ihre Hand auf die Schulter legte, als würde Ocella ihr gehören, und der Kleine zu ihr hinaufhimmelte, nicht merkend, dass seine Eier gerade unter der Tunika hervorgeplumpst und unter den nächsten Schrank gekullert waren.


    Sabacos Nasenflügel blähten sich, während er versuchte, ruhig zu bleiben, als er auf Ocellas Antwort wartete.

    "Kein germanischer Stamm ist den Römern im Formationskampf ebenbürtig", stellte Sabaco klar. "Das waren ja nicht einmal die Hellenen mit ihrer Phlananx. Auch die haben wir zu knacken gelernt. Wie? Mit Taktik."


    Iunius Rupa hatte zweifelsohne Kampferfahrung, doch bei diesem Punkt stieß er an seine Grenzen. Das war keine Schande, woher sollte er es als Tiro wissen. Er merkte nun den Unterschied zu seiner Zeit als Einzelkämpfer und den Möglichkeiten, die ein professionell agierender Verband bot.


    "Mit der Kavallerie in einen Trupp reinzureiten, der mit Speeren bewaffnet ist, ist Idiotie", erklärte er mit seiner charmanten und feinfühligen Art. "Von der letzten Verzweiflungstat einer ansonsten todgeweihten Gruppe abgesehen, kommt das nicht infrage."


    Etwa zehn Meter hinter dem Decurio hatten derweil einige Helfer einen eine Gruppe Strohpuppen in germanischen Lumpen aufgestellt, die wie ein Igel Speere mit Holzspitzen hielten. Während die äußeren Puppen das stumpfe Ende des Speers ins Erdreich "gerammt hatten", "hielten" die mittleren Puppen ihre Speere erhoben. Diesen Igel galt es zu knacken. Wenn man das Prinzip einmal durchschaut hatte, war es simpel.


    Die Helfer zogen sich zurück und der germanische Igel stand speerstarrend auf dem Campus. Sabaco sah an seiner Ausbildungsturma vorbei. "Ich habe euch jemanden mitgebracht ... Augen auf und lernt." Damit gab er in die Ferne des Campus ein Handzeichen. Hufgetrappel näherte sich.

    Ruhig beobachtete Sabaco das Treiben. Das wenige Licht, das durch die Tür drang, genügte, während er selbst in den Schatten lauerte. Er sagte keinen Ton, bis der Kleine ihn anfuhr und fragte, was er hier machen würde. Verdreckt, bärtig und ziemlich durch den Wind schien Ocella zu sein. Da konnte Sabaco froh sein, dass er nicht gerade in dessen Bett gepennt hatte.


    "Warten, Ocella. Warten."

    Den besorgten Blick des Petronius Varus hatte Sabaco nicht registriert. Ihm kam, trotz aller innerer Verdorbenheit, nicht der Gedanke, jemand könne annehmen, dass er sich für ein Kind interessierte. Seine Aufmerksamkeit galt allein der schmucken jungen Dame, die es einem Raubein wie Sabaco nicht leicht machte, den Blick auf Höhe ihres Gesichts zu halten.


    "Wenn ich dich gewarnt hätte, wäre ich nicht in den Genuss deiner gerechten Empörung gekommen." Nicht in den Genuss des Feuers in ihrem Blick. "Ich mag unverfälschte Emotionen. Höfliche Nichtigkeiten erlebt man überall."


    Vielleicht war es das, was ihn anzog? Sicher, er erkannte eine schöne Frau, wenn er eine sah. Aber damit er sich für sie interessierte, gehörte mehr dazu. Als Matidia ihn ihrerseits musterte, ließ er es zu, indem er ganz entspannt stehen blieb. Er war schwerer gebaut als die meisten Männer. Besonders auf seine muskulöse Brust und seine kräftigen Arme war er stolz. Alles an ihm, vom Körperbau bis zur Haltung, strahlte pure Männlichkeit aus.


    "Iunia Matidia also. Dein Verwandter Iunius Rupa ist bei mir in der Ausbildungsturma. Demzufolge wohnst du vermutlich in der Domus Iunia? Bei Iunius Scato?"


    Darauf verwettete er seinen Pugio. Das der eine junge Dame völlig allein auf ein Fest gehen lassen würde ohne darauf zu achten, dass sie ein Brustband trug und ihr nicht mal einen warmen Mantel mitzugeben, wäre typisch ... und doch war Sabaco ihm dafür dankbar. Auch wenn er seinen Blick auf Augenhöhe hielt, so lange Iunia Matidia mit ihm sprach, bekam er doch das eine oder andere mit, als sie mit einer Hand ihren Oberarm rieb. Sein einseitiges Lächeln wurde ein wenig breiter.

    Am Tor war niemand mehr.


    Die Heimkehrenden hatten sich bereits im Lager verstreut. Ein Militärlager war gigantisch und jemanden zu suchen, ohne dessen Aufenthaltsort zu kennen, glich der berüchtigten Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. So begab Sabaco sich an einen Ort, von dem er wusste, dass Ocella ihn früher oder später aufsuchen würde. Er wusste, dass sein kleiner Bruder lebte und aus eigener Kraft geritten war, sie hatten es ihm gesagt.


    Sabaco strich die dreckigen Füße ab und trat in Ocellas Unterkunft ein. Ehrfürchtig blickte er den Schrein hinauf. Neben den Laren waren auch Bildnisse anderer Schutzgötter aufgestellt. Außerdem wurden im Lararium häufig die Ahnenbilder aufbewahrt. Dieses Lararium hier mit seinen Statuetten gehörte Ocella, doch Sabaco hatte es für ihn gepflegt und geopfert: Opferbrot, hiniggesüßten Wein, Kuchen, Weihrauch. Auch jetzt lagen die Opfer vom Vortag in den Schalen. Die Geister und Götter hatten Sabaco trotz seiner zahllosen Verfehlungen nicht verlassen, sie hatten ihn erhört und ihre schützenden Hände über den kleinen Bruder gehalten.


    Wie ein nervöses Raubtier im Käfig strich er durch den Raum, der so sauber und gepflegt war, als wäre Ocella nie fort gewesen. Täglich hatte Sabaco gelüftet, Staub gewischt, das Bett geschüttelt. Als er Ocellas Schuhe, die vor dem Bett standen, ansah, musste er sich über die Augen streichen.


    Zu aufgeregt, um sich zu setzen, stellte er sich wartend vor das Fenster, den Blick in Richtung Tür gerichtet.

    "Eigentlich habe ich keine Lust." Wer wusste schon, wann der Heiler mal wieder Zeit fand. Doch als er dessen Blick sah, hatte er das Gefühl, dass er vielleicht doch mal nachschauen sollte. Sabaco trat nackt ans Fenster, öffnete es wieder und schaute raus. "Was für ein Gerenne und Geschrei", brummelte er. "Es scheint gute Neuigkeiten zu geben."


    Vielleicht erhielt die ganze Ala eine Prämie vom Caesar oder es gab einen zusätzlichen freien Tag. Hoffentlich jedenfalls nichts, was für ihn mit organisatorischem Aufwand verbunden war. Aber Scato hatte Recht, als Decurio musste nachschauen gehen, was da los war. Noch immer grinste Scato vor sich hin. Typisch Prätorianer - wusste genau, was los war, aber sagte es nicht.


    Misstrauisch zog Sabaco seine Tunika über. Als er gerade die Caligae anziehen wollte, hörte er aus dem Gebrabbel draußen vor dem Fenster drei Worte: "Die Turma Prima!"


    Sabaco fielen die Sandalen aus der Hand. Er riss die Tür auf, die nächste auch. Er nahm sich nicht die Zeit, sie hinter sich zu schließen. Barfuß und nur in Tunika rannte er durch den Winter, derart schnell war er noch nie durch das Lager gesprintet. Der Schlamm spritzte ihn von oben bis unten voll, Haferspelzen und Steine stachen in seine Fußsohlen, doch nichts hätte ihn weniger kümmern können. War sein kleiner Bruder am Leben? Ging es ihm gut? Sabaco rannte wie ein Irrer.

    "Was hier üblich ist, weiß ich nicht", sagte er mit seinem hispanischen und eindeutig römischen Dialekt. "Aber bei mir ist es üblich, die Augen offen zu halten." Und darum stand er nun hier, während andere Männer sich enttäuscht abwandten. Der Decurio wirkte zu Recht, als würde er sich nicht mit Worte aufhalten, wenn ihm nun jemand dazwischen funkte.


    Im Moment funkte jedoch etwas anderes, und das waren die Augen der jungen Frau. Feuer und Eis trafen sich in den Blicken der beiden Menschen, die sich hier in der Dunkelheit das erste Mal begegneten. Sabaco war durchaus jemand, der gern mit dem Feuer spielte. Der Schal glitt von den Schultern der jungen Dame, deren verschränkte Arme ihren Anblick noch reizvoller machte. Er war sicher, dass er eine Römerin vor sich hatte, er sah es an ihrer Kleidung, ihrem Blick und ihrer Haltung. Die einzige Person, die ihn nun dazu bringen konnte, zu gehen, war die Dame selbst oder ein plötzlich auftauchender Ehemann.


    "Decurio Publius Matinius Sabaco. Von den Matiniern aus Tarraco", stellte er sich vor, auf ihre Erwiderung lauernd und sie nicht aus den Augen lassend, während er sich den Schal selbst wieder um den kräftigen Nacken schlang. Wer über den Familientratsch im Bilde war, wusste, dass es sich um eine angesehene und wohlhabende Gens handelte, welche die Geschicke des Imperiums seit langer Zeit mitschrieb. Um zu wissen, dass Sabaco dem ritterlichen Zweig entstammte, musste man hingegen schon etwas tiefer wühlen, denn er trug nicht die schmalen Streifen des Ordo Equester an seiner Tunika noch einen entsprechenden goldenen Ring.

    Wenigstens einer der mitdachte. Trotzdem würde Sabaco Randolf nicht einfach davonkommen lassen. Kein Fall war hoffnungslos. In jedem Tiro steckte ein Krieger und jeder besaß irgendeine Stärke, man musste sie nur finden. Randolf würde in Zukunft von Sabaco noch härter rangenommen werden, bis er ihm zeigte, was in ihm steckte. Sabaco hatte im Laufe seiner Zeit als Ausbilder schon den ein oder anderen Tiro zum Heulen gebracht. Bei dem Gedanken grinste er zufrieden, was man durchaus mit Freude ob der formvollendeten Ansprache von Iunius Rupa verwechseln konnte.


    "Das geht in die richtige Richtung, Tiro Iunius Rupa", sagte er. "Mit 2 m Länge schätzt du die Waffe allerdings etwas kurz. Wir verwenden Lanzen von 2,50 m bis 4 m Länger. Mit 1,2 bis 2 kg ist sie trotz der Länge ziemlich leicht, was wichtig ist, da wir sie mit Schild ausgerüstet einhändig führen. Der Schaft hat an seinem unteren Ende einen zugespitzten Schaftfuß, mit dem die Waffe in den Boden gerammt werden kann. Ursprünglich war die Lanze die Hauptkampfwaffe aller Legionssoldaten und bis Marius noch die der Triarii. Einzig bei der Reiterei blieb sie bis heute in Gebrauch. Im Gegensatz zu Wurfspeeren wird die Lanze nicht geworfen, sondern dient als schräg in den Boden gerammte Abwehrwaffe oder - für uns als Reiter entscheidender - als Stoßwaffe im Nahkampf."


    Er zeigte eine echte Waffe und ging mit ihr an der Reihe der Tirones vorbei. Die Theorie mochte den ein oder anderen langweilen, doch da der schulische Unterricht schliff, blieb Sabaco nichts anderes übrig, als seinen Tirones das Wissen auf dem Campus zu vermitteln.


    "Schaut euch die Spitze an: Die Klinge entspricht von Größe und Gewicht einem Pugio, ist also eher 30 cm lang. Damit richtet man ordentlich Schaden an. Der Speer ist aber auch aus anderer Sicht für euch wichtig zu kennen: Er ist die Hauptkampfwaffe der Germanen. Im Gegensatz zum Umgang mit dem Schwert lernt man den Kampf mit dem Speer sehr schnell. Außerdem ist die Waffe im Gegensatz zu Schwertern billig herzustellen.


    Was uns zur nächsten wichtigen Frage bringt. Wir haben eine Horde wütender Germanen mit Speeren von uns. Wie reagieren wir also auf sie? Rennen wir mit unseren eigenen Speeren auf sie zu, weil wir ja Schilde haben? Oder, da du die Schockkavallerie ansprachst, reiten wir mit unseren Pferden in sie hinein? Was tun wir, Tiro Iunius Rupa?" Sabaco blieb stehen und sah seinen Musterschüler an, während er gedanklich ein wenig in Fantasien bezüglich der künftigen Behandlung von Randolf schwelgte.

    "Mir geht es gut." Eine glatte Lüge, wenn man einen größeren Zeitraum ansetzte. Doch für den Moment die Wahrheit, denn Sabaco fühlte sich mit seinen Sorgen ernstgenommen und wohlbehütet. Wenn einer die Bezeichnung als Heiler verdiente, dann Scato. Seine Augen hielt er während der entspannenden Behandlung geschlossen. "Riecht wie was zu Essen", kommentierte er den Geruch der Salbe. "Wie irgendeine Soße."


    Ohne Übergang fuhr er fort: "Dass ich mit dem Schneiden aufgehört habe, würde ich nicht sagen. Aber ich lege eine Pause ein." Weil es ihm nahe gegangen war, wie erschüttert der Heiler darauf reagiert hatte, was Sabaco sich selbst antat. Das war der einzige Grund. Dass jemand sich derart um ihn sorgte. Doch er ahnte, dass Scato die ausweichende Antwort nicht zufriedenstellen würde. So fügte er hinzu: "Manche sagen, man gewöhnt sich an alles. Das würde ich nicht unterschreiben. Aber es gelingt mir inzwischen besser mich abzulenken von den Dingen, die mich umtreiben. Ich habe im Moment einen Trupp vielversprechender Tirones, unter ihnen auch dein Verwandter Faustus Iunius Rupa. Tüchtiges Kerlchen, ehrgeizig, noch ein wenig ungestüm, doch das wird alles mit der Zeit. Die halten mich gut auf Trab."


    Er malte ein wenig mit dem Kiefer. Er benötigte alle Kraft für die Operation Sommergewitter, um Ocella zu retten, koste es, was es wolle, und diese Tirones würden ihn begleiten. Bei den Göttern, er würde den letzten Fährmann mit dessen eigener Robe erwürgen, um seinen Bruder zurückzuholen, wenn er nur wüsste, wo der Kleine war! Bei dem Gedanke durchlief ein Zittern seinen Körper, dann lag er wieder ruhig, die Augen noch immer geschlossen. "Du kitzelst mich", behauptete er.

    "Politik in Mogontiacum. Da können wir fähige Köpfe gebrauchen. Die alten Klappstuhlfurzer taugen nichts. Die muss man aus den Ämtern kegeln und durch junge Männer ersetzen."


    Am besten müsste man sie auch aus der Provinz prügeln oder im Rhenus ersäufen. Das Versagen der Politik zahlten die Soldaten und Bürger an der Grenze mit einem hohen Blutzoll, doch dieses ernste Thema wollte Sabaco hier in dieser entspannten Runde nicht anschneiden. Wenn er jetzt begann, von der vermissten Turma Prima zu sprechen, wäre der Abend für ihn gelaufen. Während sie sich unterhielten, schaute Sabaco immer mal wieder unauffällig zu der Frau und dem Mädchen. Innerlich fand er keine Ruhe - dass die junge Frau allein war, würde auch anderen auffallen.


    "Du entschuldigst mich für einen Moment, Varus." Langsam zog er seinen Schal ab, entfaltete ihn, um ihn zu begutachten. Dicke Qualität, wie die Offiziere sie gern trugen, die doch ein bisschen mehr verdienten als der Mannschaftssoldat.


    Nach dieser kurzen Prüfung ging Sabaco durch die Dunkelheit an den Feiernden vorbei. Er bewegte sich mit den Schatten seitlich auf die junge Dame zu, während sich das Feuer in seinen eisblauen Augen spiegelte. Es wirkte, als würde er hinter ihr vorbeilaufen wollen, doch er ging nicht vorbei, sondern blieb schräg hinter ihr stehen, so dass sie ihn sehen konnte. Dann begann er, ihr in aller Ruhe den breiten Schal um die Schultern zu legen. Er ließ sich Zeit dabei. Sie konnte ihn abwehren, wenn ihr danach war, sich unter dem Stoff wegdrehen, Sabaco anfauchen, wie ihr das scheinbar im Blute lag - oder zulassen, dass er ihr den angewärmten, kratzigen Militärschal, der nach einem fremden Mann roch, um die frierenden Schultern schlang.


    Sabaco ließ die Dinge auf sich zukommen, den tief vernarbten rechten Mundwinkel ein Stück zur Seite gezogen.

    Das musste natürlich passieren, während zwei Tribuni der Ausbildung beiwohnten! Sabaco ließ einen Atemzug verstreichen. Vermutlich erwarteten die Tirones ein Donnerwetter. Doch in geradezu väterlicher Manier sagte er: "Die Grundzüge stimmen, aber ich möchte von dir eine Antwort hören, die dem Gespräch mit deinem Offizier würdig ist. Nun noch einmal langsam. Nimm dir einen Moment zum Nachdenken, bevor du antwortest: Wie setzen wir die Lanze ein?" Und während er so arschfreundlich sprach, sah er den Tiro mit einem Blick an, der deutlich machte, dass er mit seinem Gesicht in diesem Moment am liebsten den Campus gewischt hätte.

    "Hrrrm", machte Sabaco unverbindlich. "Langeweile sollte nicht das entscheidende Kriterium sein, wenn man sich für den Dienst an der Waffe entscheidet." Er deutete den Gruß an, bei welchem man die rechte Faust auf das Herz drückte, während er Varus ernst ansah. Nicht umsonst wurde dieser Gruß gewählt und kein anderer. "Aber es lässt sich rausfinden, wie dein Herz schlägt, wenn dein Interesse akut werden sollte. Wir haben da Mittel und Wege ... aber ich schweife ab. In die Politik soll es also gehen. Welcher Weg genau?"


    Es konnte nie schaden, jemanden in der Hinterhand zu haben, den man persönlich kannte. Leider konnte er das Prosten des Burschen nicht erwidern, weil er noch nicht dazu gekommen war, sich ein Getränk zu organisieren.


    Aus den Augenwinkeln beobachtete Sabaco derweil die beiden Frauen. Wie nett. Er wandte sich etwas ab, damit sie sein Grinsen nicht bemerkten, doch der Petronier würde es sehen - so wie das, was die Kälte bei einer der jungen Frauen hervorgekitzelt hatte. "Was meinst du", fragte er leise, "ob die kleine Furie mich auffrisst, wenn ich ihr meinen Schal umlege?" Fast war er versucht, es darauf ankommen zu lassen.

    Sabaco öffnete eigenhändig die Tür. Niemand außer ihnen war hier. "Komm rein."


    Die Unterkunft war angenehm warm und beheizt. Sabaco vergeudete keine Zeit. Kaum war Scato eingetreten und die Tür verschlossen, führte er ihn ins Cubiculum. Dort zog er die Tunika aus und legte sich rücklings auf sein Bett, so wie er das die letzten Male immer hatte tun sollen. Indem er Scato diese Narben zeigte, gab er ihm eine große Macht über sich, was sonst eher nicht in Sabacos Sinne lag. Er schloss die Augen und wartete, seine Nervosität herunterkämpfend.

    Was Petronia Octavena sagte, hörte sich gut an. "Würde mich freuen, wenn es mit der Stute klappen würde. Eine kurzes Notiz, das ihr an der Porta der Ala abgeben könnt, genügt. Dann komme ich vorbei und schaue mir das Tier oder die Tiere an."


    Aus den Augenwinkeln sah er eine junge, leicht gekleidete Frau, die das Fest betrat. Sein geschultes Auge entdeckte keinen Mann, außer den obligatorischen Anstandswauwau. Dieser war augenscheinlich niederen Standes, denn er wurde regelrecht geparkt. Sabaco grinste in sich hinein, dann aber zog der Neuankömmling in ihrer Gesprächsrunde seine Aufmerksamkeit auf sich. So sah er nicht mehr, wie die junge Dame von einer anderen jungen Frau okkupiert wurde.


    "Salve, Petronius Varus. Io Saturnalia. Du fragst, wie der Dienst in Germania ist?" Sabaco bedachte den jungen Mann mit seinem Raubtierlächeln, bei dem jede Narbe in seinem Gesicht sich straff spannte. "Abwechslungsreich. Nichts für Leute, die der Bequemlichkeit einen allzu hohen Stellenwert beimessen. Aber bestens geeignet für Männer, die ihre Grenzen erweitern und kräftig mit anpacken wollen." Als Ausbildungsoffizier musterte Sabaco sein Gegenüber von oben bis unten. Wenn man den Petronier ein wenig schliff ...

    Irgendwann kam der Pfiff, der das Ende ankündigte. Die Tirones durften nach dem Aufräumen der Waffen etwas trinken und einige Minuten verschnaufen. Dann ging es weiter. Erneut mussten sie antreten. Diesmal war ihnen eine Lanze mit Holzspitze ausgehändigt worden. Wie die Übungsschwerter war sie deutlich schwerer als die Waffe, die sie später im Einsatz haben würden.


    Spätestens jetzt wurde klar, dass sie hier im Lager eine Beschleunigung der Ausbildung erlebten. Sie bekamen hier die Grundlagen aller Waffen im Schnelldurchlauf eingeprügelt. Womöglich gab es einen konkreten Anlass zu dieser Maßnahme ...


    Diesmal fragte Sabaco einen anderen Tiro, der ihm ebenfalls positiv aufgefallen war: "Randolf. Wie setzen wir die Lanze ein?"

    "Es gibt nichts zu verzeihen, Petronia Octavena. Ich für meinen Teil empfehle euer Gestüt gern weiter. Eine bessere Werbung als Gymir gibt es nicht, auf den werde ich oft angesprochen. Aber die wenigsten Equites können sich ein eigenes Pferd nach ihren Wunschvorstellungen leisten und greifen so auf den Bestand der Ala zurück. Diese Pferde sind auch gut, ohne Frage, aber mit einem Tier, dessen Vorfahren über Generationen handverlesen wurden und welches vom neuen Besitzer passend ausgesucht wurde, können sie nicht mithalten. Das kann die Ala in dem Umfang nicht stemmen, dazu bedarf es Spezialisten."


    Er nickte in ihre Richtung.


    "Der Wunsch, Fohlen von Gymir zu haben, ist eher sentimentaler Natur. Sie werden, wie gesagt, nicht verkauft, sondern dienen rein meinen dienstlichen Zwecken. Also ... wenn ihr eine passende Grauschimmelstute im Bestand habt oder organisieren könnt...?"


    In dem Moment gesellte sich ein weiterer Mann in die Runde, der Petronia Octavena begrüßte und aussah, als wolle er sich mit ihr unterhalten. Sabaco wollte noch die Antwort seiner Gesprächspartnerin abwarten, ehe er die beiden sich selbst überließ.

    Sabaco hatte auf seinen Streifzügen etwas entdeckt: Im Vicus Navaliorum, nur ein paar Schritte vom Rhenus entfernt, direkt neben dem Castell der Ala, stand ein verlassenes kleines Haus. Für ihn war es darum interessant, da ihn ein Kamerad auf die Inschrift neben der Tür angesprochen hatte. Sabaco drückte das Efeu beiseite. Sollte ihn doch der Schlag treffen! Diese Hütte war die Casa Matinia in Mogontiacum!


    Fast hätte Sabaco gelacht bei diesem besseren Schuppen. Er war die Villa Matinia in Tarraco gewohnt. Und doch freute er sich über diese Räuberhöhle. All das gehörte nun den drei Matinius-Brüdern, die bei den Einheiten von Mogontiacum ihren Dienst versahen.


    Jetzt brauchte er nur noch einen Schlüssel.