Kurz rechnete Sabaco damit, dass der kleine Bruder ihn schlagen würde. Ruhig blieb er stehen, auf den Einschlag wartend, obgleich er wusste, wie hart Ocella zulangen konnte. Er selbst hatte es ihn gelehrt. Er würde nie die Hand gegen den eigenen Bruder erheben, und wenn der Kleine noch so tobte. Entgegen Sabacos Erwartung wandte sein Bruder sich jedoch wieder ab. Üblich war, einander aus der Ausrüstung zu helfen. Doch Ocella machte deutlich, dass er das gerade nicht wollte.
"Ich bin deine Familie?" Sabacos Frage klang höchst erstaunt, dann wiederholte er froh: "Ich bin deine Familie." Der Satz brannte sich in sein Herz, eine glühende Lava-Ader in erkaltetem Basalt.
"Mich wirst du niemals verlieren, Ocella." Sabacos Blick war voll tiefer, unauslöschlicher Liebe, doch er sah Ocella dabei nicht an, sondern blickte wieder auf den Schrein, der im Halbdunkel lag. Zu diesem Zeitpunkt wusste Sabaco noch nicht, welche schreckliche Wahrheit in Ocellas Worten lag, als dieser mahnte, man würde alles, was man liebte, früher oder später in Germania verlieren. "Wenn ich fallen sollte, bleibe ich als Mane bei dir. Kein Gott und kein Priester wird mich besänftigen können. Ich werde diese Welt erst mit dir gemeinsam verlassen."
Bestürzt sah er dann, wie in Ocella eine Wandlung vorging, als er diesen wieder ansah. Etwas stimmte nicht, etwas stimmte ganz und gar nicht. Aber Ocella wollte nach wie vor nicht berührt werden. Selbst eine Hand auf der Schulter wäre nun zu viel. So blieb Sabaco auf Distanz, doch er änderte seine Haltung, löste die Verschränkung seiner Arme und wandte sich dem kleinen Bruder zu.
Dann kam die Erkenntnis: Eila war tot.
Der Attentäter war nicht mit dem Geld durchgebrannt - er hatte Wort gehalten. "Wie ist das denn passiert", fragte Sabaco vorsichtig. Entgegen dem, womit er selbst gerechnet hatte, erfreute ihn diese Nachricht nicht mit Schadenfreude, sondern mit einer merkwürdigen Leere. "Ich dachte ... nun ... du wirktest ihr sehr zugetan."
Selbst jetzt spürte Sabaco noch immer die verzehrende Eifersucht, weil Eila seinem Bruder näher zu sein schien als er selbst. Doch in seiner Stimme lag keinerlei Häme. Dürr war der Kleine geworden und der dichte schwarze Bart verfremdete sein Gesicht. Er sah nun älter aus als Sabaco. Aus dem hübschen Jüngling, den Sabaco gegen allerlei Geschmeiß abschirmen musste, war ein verbitterter, tieftrauriger Mann geworden.