Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    Sabaco hob seine Posca. "Ehre und Stärke." Er trank einen kräftigen Schluck des mit Honig gesüßten Essiggemischs. Freilich hatte er seine eigene Definition von beidem. Er knallte den halbleeren Krug auf den Tisch. "Man hat den Barbaren zu lange mit Samthandschuhen die Eier getätschelt. Was es gebracht hat, sehen wir. In seinem Größwenwahn dreht das Pack vollends durch. Aber es gibt ja noch uns."


    Er hielt einen Moment inne. "Ich rede die ganze Zeit und du schweigst. Keine neuen Pläne, nachdem ich dir mit meinen Karriereambitionen einen persischen Teppich ausgerollt habe? Ich werde schon dafür sorgen, dass mein Lieblingsbruder nicht am Rockzipfel dieses Germanicers verschimmelt. Willst du immer noch bis zum Ende deiner Dienstzeit nichts anderes als überleben und danach irgendein schnödes Gewerbe eröffnen, als wären die Matinii eine Gens von Krämern?"


    Der Wirt hielt sich fern, aber das war egal, Sabaco suchte Informationen. Da konnte er zunächst auch Ocella fragen. "Gibt es hier ein Schneiderei, die du empfehlen kannst? Oder wo hast du die dicken Tunikas her?"

    Eine ruchlose Vergangenheit bot durchaus ihre Vorteile. Den Schlüssel hatte Sabaco nicht gefunden, doch das Werkzeug, um das Schloss zu knacken. Lange war es her, dass er sich das letzte Mal damit befasst hatte. Nach all der Zeit genoss er das Gefühl der Herausforderung wieder. Es existierte eine ganze Palette zerstörungsfreier Öffnungsmethoden, die er ausprobieren konnte. Er legte seine Ledertasche mit dem Material auf einem Stein ab und betrachtete das Schloss.


    Der Schlosskasten wirkte solide. Dazu hatte dereinst ein Drehschlüssel gehört. Um dieses Schloss zu öffnen, mussten die Dornlänge und die Schlüssellochbohrungstiefe passen. Mit einem einfachen Haken kam man nicht in den Entriegelungsbereich. Daher war das Drehschlüsselschloss sicherer als das einfache Schieberiegelschloss. Das war wohl neben der fehlenden Aussicht auf lohnenswerte Beute der Hauptgrund, warum das leerstehende Häuslein bisher nicht von Einbrechern heimgesucht worden war. Der Aufbau war komplex und wurde von eigens darauf spezialisierten Handwerkern umgesetzt. Die rechteckge Aussparung im Schieberiegel besaß Zähne, die genau in die Zähne des Schlüsselbartes griffen.


    Sabaco tastete das Innere mit einem Draht ab. Er korrigierte die Form mit einer Zange und tastete erneut. Knifflig, doch mit der nötigen Erfahrung, dem geeigneten Werkzeug und einer guten Portion Geduld kein Ding der Unmöglichkeit.


    Besonders, wenn man zufällig einen ganzen Bund Sperrhaken besaß, mit dem Sabaco den ersten Versuch startete.

    Langhaarige Germanen gab es wie Schnee im Winter, aber auffallend blonde Exemplare waren nicht häufig. Sabaco hatte Zeit und Ort, das erlaubte eine gewisse Eingrenzung. "Er wird leiden", versprach Sabaco in pervers zärtlichem Ton. Das Blut des germanischen Schlächters würde er nicht für Rom vergießen, nicht für die Götter und nicht für die Ala, sondern für Iunia Matidia. Dieser Feind würde ihr keine Angst mehr machen.


    Als Sabaco sah, wie Matidias Körper auf seine Nähe antwortete, musste er doch sehr an sich halten, nichts Unverschämtes zu tun. Alles an ihr lud ihn dazu ein, sie zu berühren. Doch eine verbale Zudringlichkeit konnte er sich nicht verkneifen. Wollte er auch nicht. Er wollte ganz andere Dinge, wünschte sich mehr von ihr als dieses Gespräch. Seine Gedanken zogen rasch breite Bahnen.


    So fiel er nicht nur mit der Tür ins Haus, sondern trat sie gleich beherzt ein: "Ich würde dich gern wiedersehen, Iunia Matidia. Ein bisschen privat plaudern, wenn du willst." Man lebte nur einmal. Selbst eine schroffe Abfuhr wäre besser, als es unversucht zu lassen, denn diese Frau gefiel ihm nicht nur äußerlich ausgesprochen gut. "Bei wem muss ich mich dafür vorstellen?"

    "Stadthalter? Nah. Die Politik ist nicht mein Ding und die Finanzen überlasse ich meinem Vexillarius. Mich interessiert das Militär, aber nicht aus der Warte eines Klappstuhlfurzers. Ich habe bei der Legio gedient, bei der Classis, bei der Ala ... beste Voraussetzungen für die Ritterkarriere. Alles, was mir noch fehlt, sind Grund und Boden sowie der notwendige Glitzerkram, sprich, Auszeichnungen. Dieser Dankwart richtet viel Schaden an, doch wenn wir ehrlich sind, könnte er mir keinen größeren Gefallen erweisen. Jetzt ist die Gelegenheit, zu glänzen. Auf jeder Zinne des Castellums wird ein Germanenschädel liegen, wenn ich mit ihm fertig bin!"


    Ihm tat es gut, in seinen Plänen zu schwelgen und an deren Umsetzung zu tüfteln. Es lenkte ihn ab von den Dingen, denen er machtlos gegenüberstand. Hier konnte er den Lauf der Welt zu seinen Gunsten ändern. Als Bonifacius vorbeigeisterte, dachte Sabaco kurz nach. Dann winkte er den Wirt heran. Doch er wollte nichts zu Trinken, sondern dachte an etwas anderes.

    "Schickimicki-Lupanar oder nicht, dieses Gewerbe wird sein Miasma schon verströmen. Gedenke des Namens, den du trägst ... und des schmalen Purpursaums, den du tragen könntest." Sabaco spielte mit seinem Glas, doch er hielt Ocellas Blick. "Mein Ziel ist nichts geringeres als der verdammte Ordo Equester, der mir zusteht! Zahllose Länderreien sind im Besitz unserer Gens, aber kein Grundstück in meinem. Das wird am frühen Tod von Vater liegen, der beim Parther-Feldzug fiel. Irgendwelche Aasgeier müssen das Erbe eingestrichen haben, so dass wir den Zensus nicht mehr entrichten können."


    Das war nicht mehr der Sabaco von früher, nicht mehr Phoca von Tarraco, der die Straßen mit seiner Bande von Tunichtguten unsicher machte. Viel war geschehen in den letzten Monaten. War er ein besserer Mann geworden oder nur ein gefährlicherer?


    "Die Operation Sommergewitter ist auf meinem verdammten Mist gewachsen, ich bin der Kopf, auch wenn die Lorbeeren auf einem anderen Haupt enden werden. Tribun Galeo Seius Ravilla von der Legio konnte ich dafür gewinnen, er wird uns beim Vorstoß unterstützen. In diesen Tagen verhandelt er mit dem Legatus Augusti pro Praetore. Der Tribun wird seine Pläne verwirklichen und ich meine. Er wird als gemachter Mann in den Senat einziehen und ich in die Reihen des Ordo Equester."


    Er lehnte sich nach vorn. "Dann werde ich ganz andere Möglichkeiten haben. Und du auch. Willst du immer noch ein Gewerbe eröffnen?"

    Ein Lächeln im Gesicht von Ocella, furchtbar schief. Ein kurzer Sonnenstrahl zwischen regenschweren Wolken, der alles und nichts bedeutete, das Ende des schlechten Wetters oder eine Regenflut. Auch Sabaco zog die Mundwinkel kurz auseinander. Er war unendlich froh, seinen Bruder wieder vor sich zu sehen, egal in welchem Zustand. Doch zeigen durfte er das nicht. Es fiel ihm schwer, eine angemessene Art des Umgangs mit dem neuen Ocella zu finden, den er vor zwei Jahren hier in Germania wiedergefunden hatte, den erwachsenen Ocella, der nicht mehr "der Kleine" sein wollte, und erst recht nicht "Sabacos Kleiner".


    Er blickte auf seine Posca, fragte sich, wozu er das Zeug trank anstelle eines heißen Mets, und bestellte sich trotzdem nichts nach. "Du brauchst Ruhe und ein Ziel", sagte er schließlich, sich alle Mühe gebend, die Worte nicht fürsorglich klingen zu lassen. "Hast du eins? Vielleicht auch einen Heiler, einen Priester oder so was. Ich habe übrigens dein Lararium gepflegt und für dich geopfert, aber nun solltest du das wieder tun." Er war nicht sicher, ob Ocella es mit den Opfern so genau nahm.

    Die Tirones übten, bis die Sonne unterging. Kein Abendrot an diesem grauen Tag, doch die Gesichter und Herzen glühten. Sabaco war zufrieden. Das sagte er ihnen beim Appell.


    „Ihr habt euch gut geschlagen. Feierabend für heute. Den Abend und die Nacht verbringt ihr hier im Lager, damit ihr den Unterschied zwischen Stand- und Marschlager merkt, bevor es Ernst wird.


    Ihr habt keine Betten, sondern nutzt einen Übungsschild mit Fell als Unterlage, wie das auch im Einsatz unterwegs der Fall wäre. Statt Latrinen steht euch ein Donnerbalken zur Verfügung. Keiner benutzt die Wildnis, sonst wird das bei über tausend Mann bald eklig und Krankheiten breiten sich aus. Es gibt keine Therme, keine beheizten Räume und wir haben Winter, aber ihr werdet euch trotzdem gründlich waschen. Alle Abläufe werden beibehalten. Nur das Kochen übernimmt diesmal die Legio für uns, das hat euch das Schleppen des Proviants erspart. Essen gibt es im Horreum. Wir sehen uns morgen früh. Abite.“

    „Salve, Kleiner. Lass es dir schmecken.“ Doch es sollte anders kommen.


    Ocella war nie allein, wenn sein Bruder in der Nähe war. Als der Kleine nach draußen eilte, stand Sabaco in einiger Entfernung lautlos an der Hauswand, in den kalten Abend hinausstarrend, wartend und wachend. Als Ocella sich gequält wieder aufrichtete, kehrte Sabaco lautlos zum Tisch zurück, wo er wartete, als hätte er ihn nie verlassen. Eine Falte zwischen den Brauen offenbarte die Sorge. Fleisch war eine denkbar schlechte Idee gewesen, doch war es nur das?


    Als Ocella seinen Satz begann, legte Sabaco Brot und Käse ab, verschränkte die Hände auf der Tischplatte und sah ihm ruhig in die Augen. „Du bist was, Ocella? Weißt du es denn selbst?“

    "Danke." Sabaco sah dem davongehenden Wirt nachdenklich nach, als ihm einfiel, dass diese Eila ja hier gearbeitet hatte. War ihr Tod etwa der Grund für den Zustand des Wirts? Na, hoffentlich nicht. Bonifacius war ein erfahrener Mann. Eila war nur eine Schankmaid. Von denen gab es zehntausende. Eine war so gut oder schlecht wie die andere. Egal wie fähig oder hübsch, sie alle waren preiswert und ohne Probleme zu ersetzen, wie es auch ständig geschah, denn Sabaco hatte noch nirgends eine alte oder mit Makeln behaftete Schankmaid gesehen. Kaum kam die erste Falte oder verloren sie einen Zahn, krümmte sich ein Finger in früher Gicht, flogen sie raus auf die Straße und eine jüngere, gesündere nahm den Platz ein. Nein, den Wirt musste etwas anderes umtreiben, oder er war krank. Das wäre kein Wunder um diese Jahreszeit.


    Sabaco nickte dem Jungen zu, der die Getränke brachte. Mit einem Löffel rührte der Decurio seine Posca um, um den Honig zu verteilen. Als sie wieder unter sich waren, sah er zu Ocella herüber. Der hatte ihn noch immer nicht begrüßt. Also zerbrach Sabaco Brot und Käse in handliche Stücke und begann schweigend zu essen.

    "Geehrt?" Sabaco mustert sie prüfend. Es gab nicht viele, die Wert auf seine Aufmerksamkeit legten. Die meisten versuchten, sie im Gegenteil zu vermeiden. "Wie man es nimmt. Das liegt ganz bei dir." Doch als sie sich für seine Gesellschaft bedankte, lächelte er.


    Nachdem der Sklave den Wein auf einem Tablett gebracht hatte, schenkte Sabaco für sie beide ein. In der Zwischenzeit entschlüpfte das kleine Mädchen, das noch bei ihnen gestanden hatte. Man konnte es der Kleinen nicht verübeln. Er galt als Kinderschreck und Babys fingen an zu weinen, sobald er sich über sie beugte. Selbst mit Frauen fiel ihm der Austausch schwer, da er Tag für Tag nur mit Soldaten sprach und viel mit dem Tod konfrontiert war. Damit konnte er eine Dame kaum behelligen und durfte es auch nicht, da die meisten Dinge unter Geheimhaltung standen. Vermtlich ahnte Matidia nicht, dass er gerade geistige Schwerstarbeit leistete und sich extrem anstrengte, um den Faden nicht abreißen zu lassen. Hatte er sich jemals solche Mühe gegeben?


    Sein Gesichtsausdruck änderte sich, als sie von dem Überfall berichtete. Sein Antlitz wurde hart wie Basalt, in dem zwei Eiskristalle schimmerten. Er trat einen halben Schritt an Iunia Matidia heran, da sie sehr leise gesprochen hatte. "Ich werde mit der Turma Secunda die Strecke untersuchen. Sie werden bezahlen. Beschreibe mir ihren Anführer so genau wie möglich. Wahrscheinlich ist er uns bekannt. Ich werde die Angelegenheit priorisieren. Der wird dir keine Angst mehr machen, Matidia."

    Bevor Sabaco antworten konnte, plautzte Ocella grußlos an den Tisch. Das gab ihm Zeit, zu überlegen, was er überhaupt essen wollte. Sein Gehirn arbeitete momentan nicht sonderlich effektiv.


    "Für mich irgendwas mit frischem Brot ... und, hm, Posca mit einem Löffel Honig."


    Ocella sah schrecklich aus. Seine Bewegungen und seine Mimik hatten sich verändert. Doch auch Bonifacius musste einiges durchgemacht haben: Der Wirt hatte seine Pausbacken eingebüßt und tiefe Schatten lagen um seine Augen. Es waren beschissene Zeiten für sie alle. Dunkle und kalte Tage, viel Leere. Sabacos Halt waren seine Tirones. Ocellas Halt war Varro. Wer gab Bonifacius Halt? Da schien es niemanden zu geben. Vielleicht die Arbeit. Das alles ging Sabaco nichts an, doch fiel es ihm auf.

    Nahe am Feuer saß Sabaco, den Blick starr in die Flammen gerichtet. Weder Speis noch Trank standen auf seiner Tischplatte. Mit steinerner Miene saß er da, ohne zu spüren, ob Zeit verging. Ein Teil seines Geists streifte durch die Elysischen Felder.


    Ich gebe, damit du gibst. Alles hatte seinen Preis.


    Die Götter hatten Sabacos sehnlichsten Wunsch erfüllt und seinen kleinen Bruder sicher heimgeführt. Sie hatten es nicht umsonst getan. Hundert Germanenköpfe hatte er ihnen versprochen, doch sie hatten nur ein Opfer gewollt. So versuchte er sich einzureden, dass alles einen Sinn ergab, dass Nero nicht sinnlos an einem Fieber gestorben war. Er würde Ocella nichts von seinem Verlust erzählen. Der Kleine sollte sich auf seine Genesung konzentrieren und nicht um die Sorgen seines großen Bruders scheren. Er hatte einen eigenen Verlust zu verkraften.


    Vom Rauch und der Hitze brannten Sabaco die Augen, weil er fast ins Feuer hineingekrochen war, doch sein Blick war nach wie vor scharf. Er wandte sich der leeren Tischplatte zu und hielt Ausschau nach dem Wirt.

    Sabaco blieb noch einen Moment in der halb geöffneten Tür stehen, ein Bein drin, eins schon draußen. "Fango ist der Junge von Stilo", sagte er ernst. Womit klar wurde, warum er den Winzling in die Turma Secunda geholt hatte: Sabaco konnte ihn verhätscheln und hüten. Auch wenn er menschlich auf Distanz blieb, so war er doch stets die Macht im Hintergrund, die mit Argusaugen alles beobachtete, was um Fango herum passierte. "Wenn du ihn lieber in der Prima sehen willst, werden sich Wege finden lassen." Dass der Kleine eigentlich nichts bei den Bluthunden der Secunda zu suchen hatte, war auch Sabaco bewusst, weshalb er ihn momentan lieber in den Wachdienst und Ausbildungsbetrieb einteilte, anstatt ihn mit auf Patrouillen zu nehmen. "Aber ganz woanders will ich ihn nicht haben. Secunda oder Prima. Ich möchte, dass jemand, dem ich vertraue, auf ihn ein Auge hat." Davon gab es nicht viele Menschen, nicht mal bei der Ala.


    Als Ocella sich bedankte, grinste Sabaco breit. "Man sieht sich."


    Damit schloss er hinter sich die Tür. Er wollte nach seinem Cornicularius sehen, der noch immer im Valetudinarium lag und gegen das Fieber kämpfte. Wenn die Götter im Falle von Ocella endlich ein Wunder hatten geschehen lassen, warum nicht auch bei Nero?

    "Was wollte ich euch damit demonstrieren?" Sabacos Stimme hing den Tirones vermutlich schon zu den Ohren raus und ihm schmerzte der Hals, aber es musste sein. "Auf das kluge Zusammenspiel unterschiedlicher Truppenteile kommt es an. Es läuft am Ende immer auf das Gleiche hinaus: Wir sind in der Gemeinschaft stark. Eure Kameraden sind eure Lebensversicherung und ihr die ihre. Haltet zusammen, passt aufeinander auf, gewöhnt euch kräftezehrendes Rivalitätsdenken ab. Leicht gesagt, aber lasst es einfach."


    Er wies auf die gespickten Strohpuppen. "Außer Schützen haben wir noch die Möglichkeit, mit Schleudern und Wurfspeeren gegen solche nervtötenden Formationen vorzugehen. Und", er grinste böse, "mit schweren Geschützen. Die gefallen mir ja besonders, sie gehören jedoch nicht zur Grundausbildung. Für euch Tirones sind in dem Zusammenhang vor allem die Wurfspeere interessant. Aber Achtung: Die Wurfspeere der Reiterei sind nicht identisch mit den Pila der Legio!"*


    Er gab die Lanze einem der Helfer und griff sich einige Wurfspeere. Er demonstrierte, wie man sie kraftvoll in den Gegner schoss. Dabei ging er auf verschiedene Distanzen.


    "Lanze und Speer werden neben der Spatha eure wichtigsten Waffen sein. Darum üben wir den Umgang mit Lanze und Speer nun für den Rest des Tages." Er wies auf die Halterungen mit den Übungsspeeren. Hinter ihm bauten die Helfer nun Strohballen auf. "Erst die Lanze, mit der ihr zu den Übungspfählen geht. Dann, beim gemeinschaftlichen Wechsel, die Wurfspeere, die in den Strohballen stecken bleiben sollen. Geworfen wird von dieser Linie, die keiner überschreitet. Ausführung!"


    Sim-Off:

    *pila der Legio: Link, hastae der Ala: Link

    "Und da du noch hier bist, bedeutet das... Was für mich? Oder über mich?"

    "Dass du für mich interessant genug bist, dass ich meine Zeit mit dir verbringen möchte." Dass Süßholzraspeln eher nicht zur Stärke des Decurio gehörte, wurde spätestens bie diesem trockenen Kompliment offenkundig. Jedoch: Er meinte es aufrichtig. Sein Interesse zu wecken, war schon etwas Besonderes. Er gehörte nicht zu den Männern, die wahllos jeder Frau nachstierten, da er gedanklich meist bei der Ala war.


    "Wein ist eine gute Idee." Er sah sich nach einem Sklaven um, um diesen zu ihnen heranzuwinken. "Süß oder herb?" Ihm selbst war beides Recht, so lange die Mischung nicht zu wässrig schmeckte oder gar sauer. Er bedauerte er, dass sie das warme Tuch um den Körper trug, doch er wusste, was sich in Gegenwart einer römischen Dame gehörte. Wahrscheinlich würde er heute Nacht zur Abwechslung einmal gute Träume haben. Seine Kiefermuskulatur arbeitete. Noch immer wusste er nicht, ob sie verlobt war. Der verpackten Frage war Iunia Matidia leichtfüßig wie eine Tänzerin ausgewichen.


    "Gefällt es dir in Mogontiacum? Auch wenn es ein bisschen kalt ist?" Die Antwort würde viel über das Wesen von Iunia Matidia verraten, ohne dass er allzu deutlich danach fragte.

    "Jetzt sind in der Secunda gute Männer ... ich habe sie zum Großteil ausgetauscht. Gegen Männer, die ich schon kenne, zum Teil selbst ausgebildet habe. Gute Männer. Und ich habe euren Fango unter die Fittiche genommen. Er kann nichts außer schießen und Kuchen backen. Er ist einfach zu winzig. Den im Nahkampf gegen einen Zwei-Meter-Germanen, das würde schiefgehen." Aber das wusste Ocella wohl selber. "Schießen und backen aber kann er sehr gut."


    Sabaco beendete trotzdem noch seinen Arbeitsschritt. Ob Ocella das wollte oder nicht, seine Rüstung wurde geputzt. Den Rest konnte er ja dann selbst übernehmen. Sabaco wollte nicht tatenlos zusehen, wenn sein erschöpfter und trauriger Bruder hier mit seinem Krempel allein hantierte. Ratzfatz wurde der Panzer erst grob gebürstet und dann poliert.


    "Wir werden uns heut Abend dort treffen. Bin oft dort. Der Wirt Bonifacius weiß wie man kocht und die Preise sind in Ordnung." Sabaco suchte den Panzer routiniert nach Beschädigungen ab. "Hier, das Lederband solltest du ersetzen."


    Damit hängte er den Panzer über das Gestell und wanderte in Richtung Tür. Er blickte seinen kleinen Bruder noch mal intensiv an, ehe er sagte: "Bis heute abend."

    "Man weiß immer, woran man bei mir ist, Iunia Matidia. Immer. Im Guten wie im Schlechten. Die Wahrheit kann auch mal hässlich sein." Er bemerkte, dass sie seine Zähne musterte, und grinste noch etwas breiter. Auch das war ein Teil der Wahrheit, Teil eines komplexen Ganzen. "Verantwortung zu übernehmen, ist der Weg eines wahren Römers. Wo wurdet ihr denn überfallen, und konntest du erkennen, von wem?" Wahrscheinlich wieder Germanen ... es wurde Zeit, das mal wieder Köpfe rollten, damit die Dreckskerle sich wieder in ihren stinkenden Wald zurückzogen.


    Der Sklave reichte ihm erst die Münzen, dann das Tuch. "Richte der Hausherrin meinen Dank aus." Als Iunia Matidia ihn anfunkelte, legte Sabaco ihr das Tuch galant um die schmalen Schultern. Der leichte Windhauch, den er dabei verursachte, trug ihm ihren Duft in die Nase. Sein Grinsen wurde wieder zu einem Lächeln. "Besser?"

    Nun, da war Varro klüger gewesen als Ocella ... der Kleine hatte in Eila Dinge gesehen, die nicht vorhanden waren: mütterliche Liebe oder die Liebe einer Schwester. Nichts davon hatte der Realität entsprochen, doch was hätte es genützt, das Ocella zu erklären? Wo die Liebe hinfiel, welche Art Liebe es auch sein mochte, hatte die Ratio oft nicht mehr viel zu melden.


    "Mutter. Hm. Findest du, dass es da eine Ähnlichkeit gab? Das würde erklären, warum ich Eila von Anfang an nicht mochte."


    Sabaco seinerseits fiel es schwer, Ocellas Trauer über den Tod der Eltern zu verstehen. Ihm selbst waren diese tragischen Ereignisse, zu denen er etliche Beileidsbekundungen erhalten hatte, herzlich gleichgültig gewesen. Er hatte seine Brüder, er hatte seine Freunde. Eltern starben, das war der Lauf der Dinge. Sie hatten ihre Zeit gehabt und der Kreis hatte sich geschlossen. Schrecklicher war es für Sabaco, immer wieder Kameraden zu Grabe tragen zu müssen. Das ging ihm nahe, das zehrte an ihm, und selbst mancher Barbar hatte einen Funken Mitleid in ihm erweckt, doch nichts hatte den Trennungsschmerz erreicht, den er während Ocellas Abwesenheit hatte durchleben müssen.


    Nun war alles wieder gut. Ocella würde sich beruhigen, seinen Dienst fortsetzen und Eilas Gesicht würde mit der Zeit verblassen. Die beiden Brüder aber würde nichts und niemand trennen, auch wenn es dabei manchmal etwas Nachhilfe bedarf, wie im Falle Eilas. Sabaco machte sich daran, Ocellas abgelegte Rüstung mit einer Bürste, Fett und einem Lederlappen zu putzen. Er wusste ja, wo das Zubehör aufbewahrt wurde.


    "Geh in die Therme, Oella. Ruh dich ein wenig aus. Ich kümmere mich derweil um deine Ausrüstung. Wenn du morgen aufwachst, wirst du sehen, dass alles seine Ordnung hat. Übrigens wurde ich vor geraumer Zeit zum Decurio befördert. Man hat mir das Kommando über die Turma Secunda anvertraut. Ich bin damit beauftragt worden, euren Verbleib in Erfahrung zu bringen."

    Kurz rechnete Sabaco damit, dass der kleine Bruder ihn schlagen würde. Ruhig blieb er stehen, auf den Einschlag wartend, obgleich er wusste, wie hart Ocella zulangen konnte. Er selbst hatte es ihn gelehrt. Er würde nie die Hand gegen den eigenen Bruder erheben, und wenn der Kleine noch so tobte. Entgegen Sabacos Erwartung wandte sein Bruder sich jedoch wieder ab. Üblich war, einander aus der Ausrüstung zu helfen. Doch Ocella machte deutlich, dass er das gerade nicht wollte.


    "Ich bin deine Familie?" Sabacos Frage klang höchst erstaunt, dann wiederholte er froh: "Ich bin deine Familie." Der Satz brannte sich in sein Herz, eine glühende Lava-Ader in erkaltetem Basalt.


    "Mich wirst du niemals verlieren, Ocella." Sabacos Blick war voll tiefer, unauslöschlicher Liebe, doch er sah Ocella dabei nicht an, sondern blickte wieder auf den Schrein, der im Halbdunkel lag. Zu diesem Zeitpunkt wusste Sabaco noch nicht, welche schreckliche Wahrheit in Ocellas Worten lag, als dieser mahnte, man würde alles, was man liebte, früher oder später in Germania verlieren. "Wenn ich fallen sollte, bleibe ich als Mane bei dir. Kein Gott und kein Priester wird mich besänftigen können. Ich werde diese Welt erst mit dir gemeinsam verlassen."


    Bestürzt sah er dann, wie in Ocella eine Wandlung vorging, als er diesen wieder ansah. Etwas stimmte nicht, etwas stimmte ganz und gar nicht. Aber Ocella wollte nach wie vor nicht berührt werden. Selbst eine Hand auf der Schulter wäre nun zu viel. So blieb Sabaco auf Distanz, doch er änderte seine Haltung, löste die Verschränkung seiner Arme und wandte sich dem kleinen Bruder zu.


    Dann kam die Erkenntnis: Eila war tot.


    Der Attentäter war nicht mit dem Geld durchgebrannt - er hatte Wort gehalten. "Wie ist das denn passiert", fragte Sabaco vorsichtig. Entgegen dem, womit er selbst gerechnet hatte, erfreute ihn diese Nachricht nicht mit Schadenfreude, sondern mit einer merkwürdigen Leere. "Ich dachte ... nun ... du wirktest ihr sehr zugetan."


    Selbst jetzt spürte Sabaco noch immer die verzehrende Eifersucht, weil Eila seinem Bruder näher zu sein schien als er selbst. Doch in seiner Stimme lag keinerlei Häme. Dürr war der Kleine geworden und der dichte schwarze Bart verfremdete sein Gesicht. Er sah nun älter aus als Sabaco. Aus dem hübschen Jüngling, den Sabaco gegen allerlei Geschmeiß abschirmen musste, war ein verbitterter, tieftrauriger Mann geworden.

    "Sagen wir es so: Ich nehme den Unmut in Kauf. Wer einen Schmeichler sucht, ist bei mir an der falschen Adresse. Ich bin Ausbildungsoffizier und Kommandeur der Turma Secunda. Ich setze meine Prioritäten anders." Den Namen dieser Einheit kannte man in Germania superior. Unter Sabacos Kommando dienten zweibeinige Bluthunde, die man entsandte, wenn es schmutzig werden sollte. Nicht von ungefähr trug er im Dienst einen schwarzen Helmbusch. Vor der Turma Secunda schlotterten sogar die eigenen Landsleute. Doch im Angesicht der Ereignisse, die auf die Provinz zu rollten, waren genau solche Männer gefragt.


    "Magst du Blender? Schmeichler, die dich um ihren honigtriefenden Finger wickeln wollen? Ich für meinen Teil bevorzuge Leute mit Rückgrat." Er schnippte nach einem der Haussklaven, welche für die Bedienung der Gäste zuständig waren. Dem drückte er einige Münzen in die Hand. "Bring der jungen Dame ein Tuch für die Schultern, das sie mit nach Hause nehmen kann. Keins, das kratzt. Weich und warm soll es sein."


    Der Sklave war noch nicht einmal fort, da widmete Sabaco seine Aufmerksamkeit schon wieder Iunia Matidia. "Scato hat drei Onkel. Ich nehme an, du sprichst von Tribun Galeo Seius Ravilla." Sabaco grinste jetzt mit beiden Mundwinkeln, so dass man seine abgesplitterten Zähne sah. Sein Gebiss hatte etwas von einem Haifisch. "Dessen Villa macht doch etwas mehr her als Scatos Hütte, was? Es kommt eben ganz darauf an, ob du dich verwöhnen lassen oder Verantwortung als Iunia übernehmen willst. Du bist jung und ledig, beide Wege stehen dir offen."


    Sabaco ließ Iunia Matidia bei diesen Worten nicht aus den Augen.