Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    Als Sabaco den Raum betrat, wirkte es verdächtig ruhig. Das war doch nicht normal. Wo war das Gequatsche von Andriscus? Wahrscheinlich war der Ausbilder gerade Material holen - oder er war krank und hing auf der Latrine fest. Bei den kalten Eiern des gehörnten Rhenus, alles ging den Bach runter. Sabaco nahm die Respektsbekundungen entgegen, während er sich im Raum umsah, ob alles seine Ordnung hatte.

    Da Cimber keine korrekte Meldung machte, ging Sabaco davon aus, er würde den Donnerbalken benutzen gehen. Für ihn selbst war es nun an der Zeit zu baden, besser gesagt, zu schwimmen. Er legte die Rüstung und die nassgeschwitzen Kleider ab, um in das dunkle Wasser dieses fremden Flusses im Herzen des Barbaricums einzutauchen. Seine Sorgen verschwanden hinter einem Schleier weiß glitzernder Luftblasen, als er dicht unter der Wasseroberfläche entlang glitt. Die Geräusche des Lagers wurden vom Rauschen verschluckt. Nur selten tauchte er auf, um Luft zu holen.

    "Mit mir ist alles in Ordnung. Es geht mir bestens." Sabaco rollte sich auf und entfaltete noch einmal die Karte. Mit dem Stift wies er auf das Planquadrat, in dem sie sich seiner Meinung nach befanden. "Ein Kästchen entspricht einem Tagesritt durch den Wald beziehungsweise einem halben Tag auf der Straße. Von Mogontiacum aus sind wir hier entlanggeritten, der Straße folgend, bis wir an der Stelle in die Wildnis abgeschwenkt sind ..."


    Es war ja nicht so, dass Germania Magna von römischen Straßen durchzogen war. Das waren nur Abschnitte, die irgendwann ohne Vorwarnung im Nichts endeten. Er rekapitulierte für Cimber die gesamte Reise, zeigte auch das eingezeichnete Dorf, in dem sie sich bereichert hatten. Danach war es, als würden die germanischen Götter ihnen zürnen und als hätte der Wald die Kontrolle übernommen. Seither stimmte die Reise nicht mehr mit der Karte überein, obwohl Sabaco nichts an seiner Methode geändert hatte.


    "Wir haben einen neuen Fluss entdeckt. Könnte schiffbar sein, wenn man einen Kanal anlegt." Die Möglichkeit, dass sie sich verirrt hatten, sprach er nicht aus. Am Ende mussten sie einfach nur nach Westen reiten, um wieder auf römisches Gebiet zu treffen. Immer nur nach Westen, der untergehenden Sonne nach. Die Frage war, wer oder was ihnen auf dem Weg dorthin begegnen mochte, mit dem Sabaco nicht rechnen konnte, weil er jede Orientierung verloren hatte.

    Die Laune der Männer verdunkelte sich, je tiefer sie in den Wald vordrangen. Mittags ordnete Sabaco eine längere Rast an einem klaren Fluss an. Sie brauchten die Pause, um wieder zu sich zu finden. Es war heiß und nach den Tagen in der Wildnis war das Bad eine willkommene Abwechslung. Man wechselte sich ab, so dass ein Teil der Truppe immer einsatzbereit blieb. Der Rest planschte.


    Sabaco ließ seinen Männern den Vortritt. Brütend saß er über der Karte, suchte den Fluss, versuchte herauszufinden, wo sie sich befinden mochten, während die anderen im Wasser spielten. Ihm fehlte die Ausbildung, Karten anzulegen. Er war nie Kundschafter gewesen. So improvisierte er und hatte ein Raster darüber gezeichnet, das ungefähr einem Tagesritt durch die Wildnis entsprach oder einem halben Tagesritt auf der Straße. Hinzu kam eine grobe Orientierung anhand des Sonnenstandes. Aber er fand keinen Fluss, wo einer sein sollte. Hier war kein Gewässer eingezeichnet. Entweder, dieser Fluss war noch unerforscht oder die Turma II hatten sich hoffnungslos verirrt.


    Sabaco drückte den Rücken durch, blickte sich um. Kein Berg zur Orientierung. Zu allen Seiten umschloss sie gleichförmig die grüne Wildnis von Germania Magna. Ihm wurde die völlige Aussichtslosigkeit bewusst, Ocella hier finden zu wollen. Die Gegenwart der Soldaten verhinderte, dass er die Karte in seiner anschwellenden Verzweiflung zerknüllte. Man musste ihn schon sehr gut kennen, um zu sehen, dass er nicht gegen die Müdigkeit ankämpfte, sondern gegen die tiefe Trauer, die ihn von innen her verschlang.


    Er markierte mit dem Stift ihren heutigen Standort und zeichnete vorsichtig den Flusslauf ein. Dann räumte er alles beisammen und rollte sich sitzend zwischen den Wurzeln eines uralten Baumes ein. Er lehnte das mittlerweile schuppige und unordentliche Haar an die zerklüftete Borke. In ihm reifte die Gewissheit, dass Ocella tot war und kein feuriger Wille und keine brennende Liebe ihn je nach Hause zurückholen konnte.

    Sabaco horchte auf. "Verwandtschaftliche Verbindung zu den Mattiakern, Platz im Thing. Sehr interessant für einen Römer. Das meine ich nicht ironisch, mir gefällt das. So stelle ich mir erfolgreiche Romanisierung vor."


    Oh ja. Germanische Kollaborateure, seine neuen Lieblinge, für die er schon einen Plan ausheckte. Und vielleicht ließ sich auch dieser Duccius passend motivieren. Innerlich rieb Sabaco sich die Hände. Dieser Mann aus dem Thing wäre eine Goldgrube an Wissen, wenn man ihn dazu bringen könnte, den Informationsfluss entsprechend zu gestalten. Falsche Informationen an die Mattiaker, marionettengleiche Lenkung ihrer Handlungen, Interna der Stämme an die Römer. Seine Position machte den Centurio viel wertvoller, als er es dem Rang nach war. Sabaco musste herausfinden, wie man ihn passend beeinflussen konnte.


    Aber noch war es zu früh, einen entsprechenden Vorstoß zu versuchen. Alles der Reihe nach. Erstmal die peregrinen Kollaborateure vernünftig anlernen, gefügig machen, unter Druck setzen, kaufen.


    Er lächelte, sah dabei fast lieb aus. "Unsere Zusammenarbeit wird Früchte tragen." Dick und prall wie die Eier von Vulcanus, und genau so tödlich wie ihre feurige Fracht. Sabaco erhob sich, klemmte die Daumen in den Gürtel, wippte einmal auf den Fersen. "Also dann! Du weißt, wo du mich findest. Vale, Centurio."

    Was auch immer da draußen noch lauerte, Sabacos Herz schlug unbeirrt. Etwas verlieh ihm das Gefühl, diesmal wären sie auf dem richtigen Weg. Sie konnten nicht umdrehen, nicht jetzt. Noch einen Tag wenigstens, oder zwei, mussten sie tiefer nach Germania Magna vordringen. Die "Geschenke" der Germanen sorgten für die notwendige Motivation bei seinen Männern. Unter Varro wären solche Aktionen undenkbar gewesen. Doch Varro war fort und etwas Dunkles hatte sich auf seinem Platz breitgemacht.


    Am Abend, nachdem sie das Lager aufgeschlagen hatten, vollbrachte Sabaco ein einsames Opfer. Mit bloßen Fingern grub er Rillen, sein Blut vermischte sich mit der Erde dieses Landes, als er Ocellas Namen schrieb. Germania Magna selbst sollte seine Forderung lesen: Gib mir mein Blut zurück. Die Stelle bedeckte er mit Brennmaterial, erst feiner Reisig, darüber Zweige, außen Äste. Bald brannte Ocellas Name lichterloh. Der Rauch schickte seine Forderung hinauf zu den Göttern dieses Landes, das er mit jeder zurückgelegten Meile mehr hasste.


    Nichts würde ihn aufhalten. Weder Sterbliche noch Götter sollten es wagen, sich zwischen ihn und seinen Bruder zu stellen. Er dachte an Eilas ebenmäßiges Gesicht und riss den Mund auf zum lautlosen Lachen der Wahnsinnigen, als der Wind in das Feuer fuhr und die Funken hinauf in die Nacht stiegen. Wenn die Turma II heimgekehrt sein würde, wäre die Zeit gekommen, um zu überprüfen, ob Balko seinen Teil der Abmachung erfüllt hatte.

    Sabaco nahm die Meldung samt Vorschlag entgegen. Er gehörte nicht zu jenen, die keine Vorschläge hören wollten. Das einzige, was er rundheraus ablehnte, waren Diskussionen abseits eines Tisches. Diese hatten nichts im Einsatz verloren, es sei denn, er bat darum, und das geschah selten. Nach kurzem Nachdenken passte er seinen Befehl etwas an:


    "Duplicarius, wir reiten sofort los, mit allem, was wir zu bieten haben. Wir zeigen in beinahe voller Aufstellung Präsenz und fordern alles, was wir brauchen. Das letzte Contubernium sichert den Fluchtweg." Es bestand aus den unerfahrensten oder körperlich nicht mehr ganz so leistungsfähigen Männern, denen oft Arbeiten im Hintergrund anvertraut wurden. Meist übernahmen sie auch den Sanitätsdienst, der heute aber wohl kaum notwendig werden dürfte. "Lass die Männer wecken und zum Abmarsch fertig machen!"


    Dann ging alles ganz schnell. Und während die beiden Germanen unbemerkt in ihrem Versteck diskutierten, zog die gesamte Turma unter lautem Gepolter und Geklirre an ihnen vorbei durch den Morgennebel. Wenig später erreichten sie das Dorf.

    "Ich soll gehen? Das hier ist meine Bude, Nero! Du arbeitest in meinem Vorzimmer, nicht ich in deinem Hinterzimmer. Und ich habe soeben die letzten dienstlichen Handgriffe für heute erledigt und mich am Geraschel und Geklapper meines Cornicularius im Vorzimmer erfreut. Weil ich keine stillen Wohnungen mag, in denen ich allein wohnen muss, du weißt das."


    Weshalb nun klar wurde, warum Sabaco ein Interesse hatte, Nero ausgerechnet auf den Posten des Cornicularius zu setzen. Es war nicht nur, weil Nero alt war und sicher im Officium hocken sollte, während Sabaco ins Feld ritt. Er wollte ihn auch legitim täglich in seiner Unterkunft bei sich haben dürfen, ohne dass jemand schief schaute.


    "Und du provozierst." Und stand dabei ganz nah vor Sabaco, so dass er Neros Körperwärme spürte. Ohne Zweifel war das Absicht, er wollte, dass Sabaco ihn sich fest packte und ... "Mach endlich deinen verdammten Papierkram fertig", grollte er lüstern und verzog sich wieder in die hinteren Räume. Disziplin. Sie waren in der Castra.


    Er benötigte noch eine verdammte Ordonnanz, die aufräumte, ihn rasierte und ihm in den Panzer half und alles. Mit der großen Wohnung war er überfordert. Vielleicht durfte er auch einen Sklaven halten?! Nero sollte jedenfalls nicht als Putze herhalten. Er musste das mal in Erfahrung bringen.

    "Der Graue", bestätigte Sabaco. "Ich wollte schon immer einen haben, möglichst dunkel mit viel Schwarz, aber der Rest muss natürlich auch passen, besonders bei einem Kriegspferd. Da es nicht so viele Grauschimmel gibt, ist die Chance gering, dass er gleichzeitig wuchtig genug ist, mich Fettsack zu schleppen und auch vom Wesen her alles stimmt. Dieser da macht einen soliden Eindruck. Bin gespannt, wie er in Bewegung aussieht.


    Ihr wurdet ausgeraubt? Das ist bitter. Wurde der Dieb gefasst?"

    Noch stand die Sonne nicht hoch genug, um viel zu erkennen. Sobald das Licht genügte, würde der Weckruf erklingen. Aber Sabaco schlief nicht mehr. Er strich leise durch das dunkle Lager. Schaute sich um, fand kleine Fehler im Aufbau. Ging weiter, betrachtete die Pferde, nörgelte gedanklich an der Ausrüstung herum, dachte nach. Die Secunda bestand weitestgehend aus erfahrenen Männern, aber sie waren neu zusammengewürfelt und mussten sich noch besser einschleifen.


    Als Cimber zurückkehrte, erwiderte Sabaco den Gruß, hörte der Meldung zu. Ein zuverlässiger und guter Mann, dieser Cimber. "Uns kaufend mit Proviant ausrüsten? Du meinst, die Bärte dürfen ihr Leben freikaufen, indem sie uns mit allem ausstatten, was wir benötigen!" So weit kam es noch, dass er das knappe Budget seiner Turma für Essen ausgab, das er genau so gut umsonst erhalten konnte.


    "Nach dem Weckruf haben die Männer eine halbe Stunde, dann bauen wir das Lager ab. Du wirst den Vorgang bei den jüngeren Kameraden beaufsichtigen. Das muss noch schneller und besser werden.


    Anschließend reiten wir auf direktem Weg zum Dorf. Geben die Bewohner uns ohne Mätzchen alles, was wir wollen, reiten wir weiter. Machen sie Probleme, statuieren wir ein Exempel. Ich habe es satt mit diesem Kuschelkurs, der hier jahrelang gefahren wurde.


    Und sammle den sinnlos herumspazierenden Iunianus Fango ein und erkläre ihm, was ein Wachposten macht. Wegtreten."

    Es hatte in der Nacht geregnet und die Morgenluft duftete frisch. Auf der Römerstraße überholten die Reiter eine Centuria der Legio XXII Primigenia, die einen Übungsmarsch durchführte. Man grüßte, doch hielt sich nicht auf. Beide Einheiten hatten ihre Aufgaben zu erledigen. Tief drang die Turma Secunda heute nach Germania vor. Sabaco ging alles zu langsam. Die Vorbereitungen zogen sich in die Länge. Er riss sich sehr zusammen, seinen Frust nicht an den Männern auszulassen, sondern den Dingen die Zeit zu geben, die sie brauchten.


    Die Nacht mussten seine Soldaten unter den aufmerksamen Augen von Wachposten in einem Feldlager auf dem feuchten Boden verbringen. Sie waren zu weit ins Hinterland vorgedrungen, um heute noch umzukehren. So nutzten sie ihren Schild und das Sattelfell als Liege, den Mantel als Decke. Sabaco fand keinen Schlaf, Unruhe trieb ihn auf die Beine und er witterte in die Nacht hinaus. Unter der Sichel des abnehmenden Mondes setzte er sich zu Brandolf, der Wache schob, und leistete ihm Gesellschaft. Leise unterhielten sie sich, wie Sabaco es oft getan hatte in den letzten Wochen, um seine Equites kennen zu lernen. Diese Männer hatte er handverlesen dürfen. Diesmal hatte er darum mehr Glück oder vielleicht lag es an seiner größeren Erfahrung, aber die Turma II harmonierte besser mit ihm als seine Einheit bei der Classis.


    Nach einer Weile war Sabaco entspannt genug, sich auf seinem Schild zur Ruhe zu legen. Er fühlte in sich hinein, ob er Ocellas Nähe spürte, redete sich ein, der Bruder sei nah. Sie müssten nur noch weiter reisen, noch tiefer vordringen in die Wälder von Germania Magna ... hinein in die Schatten der uralten Bäume.

    "Ich stehe längst in Flammen, Nero. Nichts kann dieses Feuer löschen, ich verbrenne innerlich und bald wird nichts Lebensfähiges mehr übrig sein. Aber das Blut unserer Feinde mildert den Schmerz. Am Ende dieses Sommers wird Germania Magna eine Aschewüste sein. Es geht nicht darum, das Land für das Imperium nutzbar zu machen, es geht darum, es zu vernichten. Dies wird keine Eroberung, sondern eine Strafexpedition."


    Sabaco trank seinen Becher leer. Mit größter Selbstbeherrschung verbot er sich, mehr Wein einzuschenken. Er kam auf die Beine, der Blick flackernd, doch es war nicht vom Alkohol.


    "Die Karte", bestätigte er. "Deine Ideen sind gut. Lasse Cimber hierher rufen und instruiere ihn. Jetzt."

    "Du bist viel rumgekommen." Sabaco nickte respektvoll. Jeder Soldat wusste, was hinter dem Damm der kurzen Auflistung für eine Flut an Eindrücken, Erfahrungen und Emotionen drückte. Details solcher Erlebnisse besprach man besser bei einem Becher Wein in lockerer Runde, weshalb er nicht weiter nachhakte.


    "Ich kenne die Gegend hier praktisch überhaupt nicht", gab Sabaco unumwunden zu. Wem hätte eine Beschönigung genützt? "Ich bin geboren in Tarraco, versah meinen Dienst in der Legio IX Hispana. Während der Grundausbildung war alles friedlich, dann wurde ich mit der Legio zusammen nach Niedergermanien versetzt und sammelte dort Gefechtserfahrung. Manchmal mehr, als mir recht war, aber es hat mich auch zu dem Mann geformt, der ich heute bin. Ein Schwert schmiedet man mit Feuer und Eisen. Drum keine Klage aus meinem Mund.


    Mein erstes Kommando bekam ich in der Classis und erlebte kleinere Scharmützel erstmalig aus der Sicht eines Unteroffiziers. Nun ist mit der Versetzung zur Ala der Perspektivwechsel gekommen für den Blick des Offiziers. Obergermanien kenne ich erst seit anderthalb Jahren. Da kann von "kennen" natürlich keine Rede sein. Ich versuche das wettzumachen, indem ich einen Schwerpunkt meiner Vorbereitungen für die Operation auf eine besonders gründliche Aufklärungsarbeit setze. Ist das optimal? Ist es nicht. Aber das wird kein Hindernis sein.


    Wie gut bist du deinerseits mit dieser Provinz vertraut?"

    Sabaco hatte beobachtet, wie die ersten Pferde, die vermutlich für den Verkauf gedacht waren, schon von einem Angstellten oder Sklaven nach draußen gebracht wurden. Er bewunderte die hervorragende Muskulatur des Schwarzbraunen Skrymir nur kurz, dann kam der Grauschimmel. Ein junger Hengst mit wachem Blick. Dunkel gewolkt, wie Sabaco es liebte, schwarz an Mähne, Schweif und Beinen. Ein aufziehendes Gewitter auf Beinen. Groß und stämmig, wenn auch noch nicht fertig geformt, mit stabilen Knochen. Trotz der Jugend nicht allzu feurig, wie es schien, scheinbar mit einem guten Schuss Bauernpferdeblut, wenn er die Statur und das gemäßigte Temperament bedachte.


    Er riss sich vom Anblick des Tiers los. "Salve, Centurio Duccius und Duccia! Ich kann die Entscheidung erst treffen, wenn ich diesen jungen Grauschimmel da vorgestellt bekommen habe. Ich bitte darum, ihn ein paar Runden laufen zu lassen, damit ich mir seine Bewegungen ansehen kann. Das Gleiche gilt für Skrymir, wir müssen ihn gehend und galoppierend sehen. Umbrenus Nero besitzt in der Tat noch kein eigenes Pferd."


    Nicht, dass er hagere alte Bursche so einen Klopper benötigen würde, doch wen störte das? Besser zu wuchtig als zu leicht. Wenn ein solches Tier seinem Cornicularius gefiel, sprach alles dafür, sowohl den Grauen als auch den Schwarzbraunen mitzunehmen. Wichtig war auch, dass es sich um Hengste handelte, da nur diese vernünftig nach hinten ausschlugen und somit für den Nahkampf taugten. Doch diesen Umstand sah Sabaco als gegeben.


    "Was ist mit dir, Cimber? Was für ein Pferd suchst du? Oder bleibst du bei deinem gemütlichen Schlenderer ... wie hieß er ..."

    "Warum sollte ich Hass und Zorn bändigen? Dafür sehe ich nicht den geringsten Anlass. Der kühle, planende Geist, das bist du. Du sammelst die Information, du trägst sie zusammen, du wertest sie aus und ich entwickle daraus unsere Taktik. Natürlich wird Germania brennen. Ich werde nichts davon übrig lassen, bis ich meinen Bruder gefunden habe. Ich rotte diese ..."


    Seine Zähne schlugen hart aufeinander, als er erneut seine Tirade unterbrach. Er trank einen Schluck Wein.


    "Werden wir konkret. Ich benötige als erstes eine Karte des Geländes. Mir liegen nur welche vor, die unpräzise sind. Die Topografie ist ausreichend beschrieben, aber was mir fehlt, sind Angaben zur Vegetation. Wald, Sumpf, Anbaufläche, Weideland? Das ist dort nicht vermerkt. Solche Dinge muss ich in Erfahrung bringen, da wir sie für den Aufbau einer funktionierenden Versorgungskette im Hinterland benötigen. Schicke Cimber aus, er soll eine anfertigen. Zudem soll er überprüfen, welche Ortschaften derzeit bewohnt und welche verwaist sind. Das wechselt bei den Germanen ja regelmäßig. Vielleicht ist das eine oder andere auch niedergebrannt und geplündert worden."

    Der Decurio und seine beiden Unteroffiziere traten auf den Campus. Sabaco strahlte die Gelassenheit eines Mannes aus, der um seine autoritäre Ausstrahlung weiß. Das Gebrabbel verstummte.


    "TIRONES, STATE!*" Laut dröhnte Sabacos Bariton über den Campus. Dieser Mann konnte brüllen, daran bestand kein Zweifel. Sein Blick strich langsam von einem Ende der Reihe zum anderen, nahm das Gesamtbild in sich auf, prägte sich Details für später ein. "Movemini.** Ich bin Decurio Publius Matinius Sabaco und ich habe das Kommando über die Turma II. Ich bin hier, um euch eure Ausbilder vorzustellen."


    Er wies zu seiner Linken: "Duplicarius Andriscus, Leiter der Ausbildungsturma. Er wird mit euch den Theorieunterricht machen." Er wies zu seiner Rechten: "Duplicarius Appius Umbrenus Cimber, meine rechte Hand in der Turma II. Er wird mit euch die praktische Ausbildung durchführen. Die beiden sind auch eure Ansprechpartner bei Fragen und Problemen.


    Ab sofort wird euer Tagesablauf wie folgt aussehen:


    Aufstehen mit dem Weckruf. Euch bleibt eine halbe Stunde, dann ist Dienstantritt hier auf dem Campus. Hier findet die Tagesbefehlsbesprechung statt, danach folgt der Frühsport. Gelegentlich kann eine spontane Stubenkontrolle stattfinden, ihr solltet also stets auf Ordnung achten, um euch unangenehme Überraschungen zu ersparen. Nach dem Frühsport beginnt die eigentliche Ausbildung. Was genau an welchem Tag stattfindet, obliegt euren Ausbildern.


    Es gibt eine kurze Pause am Vormittag und Mittags eine lange, in der ihr etwas essen könnt. Am frühen Abend ist euer Dienstschluss. Es kommt nur selten vor, dass ihr mal früher Schluss habt, diese Hoffnung muss ich euch nehmen. Wahrscheinlicher ist, dass überzogen werden muss.


    Danach müsst ihr noch eure Ausrüstung nachbereiten und die Einsatzbereitschaft vollständig wieder herstellen. In der Regel habt ihr eine Stunde Freizeit, welche ihr für eure Körperpflege in den Thermen und das Zubereiten der Abendmahlzeit nutzen solltet, dann ertönt meist schon das Signal, das den Beginn der Nachtruhe ankündigt. Ab dato ist vollständige Ruhe und keiner verlässt mehr das Quartier. Dieser strengen Regelung unterliegt ihr während der gesamten Grundausbildung. Ausgang, Nachtausgang oder gar Urlaub gibt es für keinen Tiro.


    Am Ende eurer Grundausbildung werdet ihr Equites sein, Reiter Roms. Es wird hart werden, aber es lohnt sich. Danach werdet ihr euren Einheiten zugewiesen und wer weiß, vielleicht sehen wir uns dann wieder. Ich wünsche euch allen viel Erfolg.


    Duplicarius!"


    Er übergab das Kommando mit einem Nicken an Umbrenus Cimber und zog mit Andriscus wieder von dannen, denn heute begann die Ausbildung mit der Praxis.*** Sabaco war wichtig gewesen, dass beide Ausbilder die Truppe schon einmal sahen und umgekehrt jeder Tiro wusste, wer künftig seine Ausbilder waren. Damit blieb Cimber allein vor den Tirones zurück, die ihn anstarrten.


    Sim-Off:

    *Stillgestanden!

    Sim-Off:

    **Rührt euch.

    Sim-Off:

    ***Beide Ausbildungseinheiten werden parallel bespielt, damit wir zügig vorankommen. Du kannst dich also auch schon in den Raum LI begeben.

    Der weiße Morgennebel kroch vom Fluss über das Land. Auf der Römerstraße herrschte reger Handelsverkehr, der die Reiter der Ala aufhielt. Sie kamen aufgrund der Karren langsam voran, und wenn sie noch so sehr ihren Platz beanspruchten und manch Händler im Straßengraben landete. Als die Sonne sich neigte, war die Castra noch nicht zu sehen. Die Turma II fürchtete um den wohlverdienten Feierabend.


    Als die Dämmerung sich zu Anthrazit verdunkelte, erreichten sie endlich das Standlager der Ala I Aquilia Singularis. Vor den Toren erwartete die Soldaten eine Menge Zelte und Wagen fahrender Händler, die allerlei Waren und Dienstleistungen feilboten. Dass es Nacht wurde, tat dem Geschäft gut, denn jetzt genossen die Soldaten eine Stunde Freizeit. Außer die Turma II, die nach dem langen Ritt gerade erst heimkehrte und noch ihre gesamte Ausrüstung wieder einsatzbereit herrichten und in die Therme gehen musste.


    Als sie endlich alle Pflichten hinter sich gebracht hatten, war die kurze Gelegenheit zur Freizeit vorüber und jeder hatte in seinem Bett zu liegen. Nach dem anstrengenden Tag waren sie allerdings zu müde, um deswegen schlechte Laune zu schieben.

    "Ich werde auf mich aufpassen. Es gibt etwas zu erledigen, das meines lebendigen Zorns bedarf. Germania wird brennen, Nero, die Drecksäcke werden in ihrem eigenen Blut ersaufen, ich werde ..." Sein Mund klappte zu und er schluckte den Rest der Tirade ungesagt herunter. Sein Herz raste, er durfte sich nicht hineinsteigern, was bei dem Thema sehr schnell geschah. Er schloss die Augen und seine Mundwinkel erzitterten kurz, als er an Ocella dachte, dann hatte er sich wieder im Griff. Aus der Küche holte er für sie beide je einen Becher verdünnten Wein, sowie einen Krug. Den ersten Becher stürzte er zügig hinunter, den zweiten goss er sich fürs langsame Trinken ein.


    "Seius Stilo ist der Adoptivvater von Iunianus Fango, außerdem ist er ein Freund von deinem Verwandten Umbrenus Cimber. Beide kannst du nach den Kontaktdaten von Stilo fragen. Mir hat er sie noch nicht mitgeteilt, seit er nach Rom umgezogen ist. Nicht mal, dass er nun bei den Prätorianern ist. Ich habe das nur über Fango erfahren." Sabaco klang dabei verschnupft. Aus den Augen, aus dem Sinn, so war es, wenn man diesem Mann nicht mit dem Knüppel hinterherrannte und ihn daran erinnerte, dass man existierte.

    Der Raureif auf den Gräsern schmolz im Licht der aufgehenden Sonne. Ein weiteres Mal zog die Patrouille an der Grenze entlang. Heute hatte Sabaco ein paar frisch von der Tertia in die Secunda versetzte Neulinge dabei, die sich recht gut machten. Der Decurio war zufrieden. Die Zusammensetzung seiner Einheit näherte sich der Vollendung.


    Natürlich gab es auch Streit und Machtgerangel, das gehörte zum Zusammenleben dazu, besonders bei einer so durchsetzungsstarken Truppe. Während der Patrouillen, aber auch bei den Übungen gewöhnte man sich aneinander, aus vielen wurde eins. Es kam nicht darauf an, dass sich immer alle vertrugen. Da war die Secunda wie jede andere Turma: Sie durchlebte Grüppchenbildung und Fehden, Rivalitäten und Eifersüchteleien. Entscheidend war, dass sich im Ernstfall trotzdem alle aufeinander verlassen konnten. Daran durfte niemals je gerüttelt werden.


    Nicht immer mit dem Wind zu segeln, sondern gemeinsam dem Sturm zu trotzen: Das war die Bedeutung von Kameradschaft.

    Nervös blickte Sabaco in Richtung Tür. Die Besitzergreifung ließ das Blut südwärts sickern und sich dort verdichten. Es war nicht so, dass es ihm missfallen würde, ganz im Gegenteil. Und doch stand ein großes Aber im Raum. "Nero ... wir sind im Dienst. Scheiße, Mann. Natürlich liebe ich dich und keine Frau und auch kein Mann wird daran etwas ändern. Ob du 47 bist, 67 oder 87. Was spielt das für eine Rolle? Aber Dienst ist Dienst und unser Privatleben muss getrennt davon verlaufen. Ich als Offizier kann Ärger bekommen, wenn es so wirkt, als würde ich meine Untergebenen sexuell ausnutzen. Im schlimmsten Fall droht mir der Tod, im mildesten Fall prügelt man mich zum Krüppel. Außerdem kann ich so nicht vor die Soldaten treten." In ihrer festen Umarmung spürte Nero, was Sabaco meinte.


    Sabaco löste sich darum sanft aus Neros Griff. Mit einem tiefen Blick sagte er: "Wir treffen uns heute Abend in der Taberna. Jetzt nimm Platz." Auch er selbst kam dem nach. "Nun zu deinem Problem. Mein Freund Seius Stilo lebt inzwischen in Rom, dient als Prätorianer. Vielleicht kann er in Erfahrung bringen, wo deine Natternbrut zu finden ist?"