Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    "Menschen sind Wichser, weil sie mir auf den Sack gehen mit ihrem Gemache. Bis auf wenige. Ich hab´s gleich." Es gelang Sabaco, den Verschluss seiner Gürteltasche aufzufummeln. Doch er hielt den Deckel noch verschlossen. "Manchmal passt ein Geheimnis in eine Tasche. Du verrätst es niemandem und ich sage keinem, dass du gar nicht so übel bist. Sie brauchen es nicht wissen, sie sind dumm."


    Der Wein sprach aus ihm, besoffen wie er war.


    "Ich lese dich und du sagst mir, ob es stimmt. Müsste ich raten, ich würde sagen, dass du nicht immer Flüsse befahren bist. Du bist Seemann, nicht wahr? Du gehörst auf das Meer. Jeden Tag siehst du die Fluten des Rhenus, wie sie in Richtung Ozean fließen, sie säuseln dir zu und singen vom Meer, du hörst ihr Lied, doch du kannst sie nicht begleiten. Wie ein Fels in der Uferböschung steckst du hier fest. Das ist kein Geheimnis, aber vielleicht ist es eines, warum du nicht mehr den Ozean befahren darfst.


    Und jetzt pass auf. Wehe du lachst. Denn nun zeige ich dir mein Geheimnis."


    Sabaco griff in die Tasche und holte eine Holzkladde heraus. Als er sie aufschlug, öffnete sich ein Wust von beschriebenen Pergamentstückchen. "Ich dichte", raunte er, als wäre das etwas Verbotenes. Diese Neigung war ihm peinlich. "Und ich muss dir das jetzt offenbaren, weil ich sonst nicht aufschreiben kann, was du vorhin gesagt hast."


    Er reichte ihm die Kladde mit den Gedichtfetzen, um noch einmal in die Tasche zu greifen, seine doppelte Tabula herauszuholen, sie aufzuschlagen und eine Notiz in Wachs festzuhalten. Morgen würde er sie in Reinform bringen. Er wusste, dass er sich am nächsten Tag nicht mehr an die Worte erinnern würde, wenn er sie nicht sofort aufschrieb. Der Griffel fuhr durchs Wachs.


    "Alles was du zu sagen hast, sagen die schwarzen Wellen. Worte sind nicht nötig, ich verstehe dich und ich deute deinen Blick. Das hier hat nie stattgefunden, also genieße es. Graut der Morgen kehren wir zurück. Mit dem Weichen der Nacht, weicht auch das hier", schrieb er. Am Ende setzte er "N" als Urheber darunter.

    Das Mosaik setzte sich zum fertigen Bildnis zusammen. Es hatte keinen Bruch gegeben, die Steinchen fügten sich - neben ihm saß der Gubernator, hatte sich hier im einsamsten Winkel Mogontiacums eingefunden, um mit ihm zu trinken. Und er stellte sich mit seinem Cognomen vor. Heute und hier wollte er nicht der verhasste Gubernator sein, sondern nur Nero. Und er machte klar, dass sie das nicht zu Freunden machte. Nicht, nachdem die Sonne aufgegangen war. Sabaco verstand. Das war wie die Liebschaften, die man im Suff an Land zog. Sie hatten nur Gültigkeit in der Halbwelt der Nacht. Traf man sich bei Tag, kannte man einander nicht. Denn dies war die Domäne des anderen Lebens, des seriösen Lebens, wo man Frau und Kinder hatte und einen Vorzeigeberuf. Das Scheinleben, die Fassade - von der man ihm einreden wollte, sie sei echt.


    "Sabaco." Er stieß mit seiner Flasche gegen die von Nero und trank einen Schluck, um die Begrüßung zu besiegeln und die Bedingungen zu akzeptieren.


    Es gelang Sabaco, sich in eine sitzende Position zu rappeln. Linker Hand lag der Kai, die Hafenspelunken, Lupanare. Dort herrschten Licht und Leben, doch sie beide saßen in der Dunkelheit abseits davon im Gras. Vor ihnen lagen jene Boote, die am Kai keinen Platz mehr gefunden hatten und ungeordnet an die Uferböschung drängten.


    "Ich hocke nicht hier, weil ich nicht reden will. Sondern weil alle Wichser sind."


    Er betastete seine Gürtel. Ganze drei Stück trug er ... das Cingulum militare, das ihn als Soldaten auswies, den Gürtel, an dem sein Pugio in der Scheide steckte - als Soldat durfte er damit bewaffnet herumlaufen - und einen dritten, an dem seine Gürteltasche hing. Die hatte er gesucht. Ungeschickt machte er sich am Verschluss zu schaffen. Seine Worte quollen gelallt aus seinem Mund, doch sie waren zu verstehen.


    "Ich muss dir was sagen ... Nero. Ich habe ein Geheimnis. Aber du bist ein anständiger Kerl, du sollst es wissen. Sobald ich die Scheißtasche aufbekommen habe."

    Sabaco war bereits stark betrunken, als man ihn auf die Seite wälzte. Davon erwachte er. Orientierungslos sah er sich um. Nichts kam ihm bekannt vor. Weder war ihm bewusst, wo er sich befand, noch warum er hier war. Aber da war seine Flasche.


    Und jemand?!


    Sabaco versuchte, sich aufzusetzen, während die Welt sich um ihn drehte. Er spürte nicht, wie die nächtliche Kälte Germanias ihm die Wärme aus den Gliedern zog und dass seine Tunika durchgeweicht war vom Tau und der nassen Erde. Hätte er es gemerkt, wäre es ihm gleichgültig gewesen. Es gelang ihm, sich seitlich auf den Arm zu stützen, so als würde er auf einer Kline liegen. Verwirrt versuchte er, das Gesicht des anderen in der Dunkelheit zu erkennen, der entspannt da saß und ebenfalls trank. Aber ja ... nein. Irgendetwas stimmte nicht an dem Bild, das sich in seinem Kopf zusammenzusetzen versuchte. Wie ein Mosaik, dessen Steine nicht zueinander passten.


    "Wer bist du?"

    <<< RE: [Officium XXX] Cursus Publicus| - Postannahme -


    Der heisere Gesang eines Betrunkenen schallte durch die nachtschwarzen Gassen. Außer ihm war um diese Stunde nichts zu hören. Seine Stimme war wie ein Fremdkörper in der friedlichen Stille.


    "ALLES HUREN, SO WIE MUTTI", röhrte Sabaco, während er im Slalom durch die verwinkelten Straßen torkelte. Den Rest des Textes hatte er vergessen, so dass er immer wieder den selben Vers leierte. In seiner Hand hielt er eine Tonflasche hochprozentiges Germanengebräu. Diese Wichser konnten nichts, außer Bier und Schnaps brauen. Aber das konnten sie gut. "ALLES HUREN ... Scheiße, Drecksau!"


    Das Lied endete in Gebrüll, in den Gassen scherbelte es. Derbe Flüche folgten, etwas krachte, dann war Ruhe.


    Nach einer Weile taumelte Sabaco zwischen den Häusern hervor. Er sang an der gleichen Stelle weiter, wo er aufgehört hatte, die Tonflasche noch immer in der Hand. Sie hatte dem Aufprall des Schädels schadlos standgehalten. Schritt für Schritt kämpfte Sabaco sich zum Zivilhafen vor. Er konnte noch nicht zurück zur Classis, die würden ihm Feuer unterm Hintern machen, wenn er in diesem Zustand aufkreuzte. Er pisste in hohem Bogen in den Rhenus, ehe er im regennassen Gras zusammensank.


    Sein Gesang verstummte in Gegenwart der Schiffe. Groß, finster und erhaben leisteten sie ihm schweigend Gesellschaft. Während er auf das schwarze Wasser starrte, das um ihre hölzernen Leiber strömte, trank er.

    Dem Matrosen ... Sabaco schwieg dazu. Sein Rang stand ihm nicht auf die Stirn geschrieben, er trug nur die blaue Tunika samt Beinlingen. Trotzdem fühlte er sich provoziert. Er beschloss, sich die Visage von dem Milchbubi zu merken, nur für den Fall. Seine 10 Sesterzen nahm er wieder an sich. Ziemlich teuer für einen verdammten Brief, fiel ihm auf, wenn es Huren schon für 16 Asse gab. Grübelnd, wie er sein Geld am besten loswerden wollte, verließ er das Officium.


    RE: Portus Mogontiaci - Der Hafen >>>

    "Endlich mal ein kompetenter Ansprechpartner in dem Saustall hier! Dieser Mitarbeiter da", er zeigte auf den Tabellarius, "gehört postwendend entlassen! Ob die Gens Matinia eine Wertkarte besitzt, habe ich keine Ahnung?!"


    Das wäre ja praktisch. Dann könnte er die zehn Sesterzen auf dem Heimweg verschleudern, um sich den Frust von der Seele zu spülen. Ein Fünkchen gute Laune erglomm hinter der blitzenden und krachenden Gewitterwolke seines Geistes.

    Sabacos Finger zeigte zum Fenster. "Auf dem verdammten Forum bin ich rumgeirrt, auf den Hauptstraßen, in den Gassen, bis ich irgendein Rindvieh traf, das mir den Weg sagen konnte. Wer sucht ein schäbiges Officium wie das hier in der verfluchten Regia?! Bei dem Sauwetter da draußen - in dieser Scheißprovinz!"


    Der Postmensch konnte für Sabacos Laune so wenig wie für das fehlende Hinweisschild oder für das Wetter. Er stand Sabaco gegenüber, während der schlechte Laune hatte, das war sein einziger Fehler. Sabaco schob ihm die zehn Sesterzen rüber, während er sich vorstellte, wie er den Postmensch ausweidete.


    Sim-Off:

    Eine Verlinkung der Postsannahmestelle in der Beschreibungsbox der Provinz wäre nicht schlecht.

    Sabaco hatte sich dumm und dämlich gelaufen auf der Suche nach der verdammten Post!


    "Ihr solltet irgendeine Hinweistafel aufstelllen, wo man dieses Scheißloch hier findet", grollte er und schob seinen Brief über den Tresen.


    Dass seine Laune so übel war, lag daran, dass es ihm nicht leicht gefallen war, die darin enthaltenen Zeilen zu verfassen.


    Irgendein Datum, Fremde.


    Ad


    Optio Sisenna Seius Stilo

    Legio XV Apollinaris

    Satala



    Salve, mein Freund.


    Ich hoffe, es geht dir gut. Du hast dich sicher schon gefragt, wo ich bleibe. Nein, ich bin nicht abgekratzt, ich habe einen neuen Versetzungsbefehl erhalten. Ich werde dir nicht nach Cappadocia folgen können, sondern in Germania superior bleiben. Ich diene jetzt bei der Classis.


    Zwei gute Nebenwirkungen hat das Ganze: Ich bin in der Nähe von Ocella stationiert und habe eine Beförderung abgestaubt. Du darfst mich bei deinem Antwortschreiben mit Suboptio Navalorum titulieren. Sogar eine eigene Bude hat mein Bruder mir organisiert. Ich habe ihm nicht gesagt, dass er mir damit einen Bärendienst erwiesen hat. Zum Trost darf ich Rekruten quälen.


    Ziemlich spaßige Angelegenheit, die ersten scheißen sich schon in die Tunika, wenn ich sie nur anquatsche. Bei einer Enterübung hat der es geschafft, sich fast den Finger abzureißen. Aber besser als die Eier. Stell dir vor, man fragt einen, wie es seinen Eiern geht anstelle des Fingers. Der fängt an zu heulen. Die haben hier alle ein Paddel im Arsch.


    Es ist kalt und einsam hier oben, aber die Schiffe ... sie würden dir gefallen.


    Vermiss dich.


    Dein Sabaco


    Liberalia


    Ähnlich wie Bacchus war auch Liber ein Gott der Fruchtbarkeit und des Weines. Seine Priesterinnen, ältere Frauen, trugen Efeukränze im Haar und buken Opferkuchen mit viel Honig und Öl. Im Frühling feierte man während seines Festes, dass aus Jungen Männer geworden waren.


    Für Sabaco war es in diesem Jahr ebenfalls so weit - er hatte das 14. Lebensjahr vollendet. An dem Tag, an dem er in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen wurde, veranstaltete die Gens Matinia eine große Feier. In einer feierlichen Zeremonie legte er seine Kindertoga ab. Zwei Sklaven wickelten ihm die neue, blütenweiße Toga virilis um den Körper. Jede Falte saß. Das erste Mal durfte Sabaco sich nun in seiner Männertoga zeigen. Frisch eingekleidet führte ihn sein erster Weg zum Larenschrein der Casa Matinia. Sabaco legte seine Bulla, die ihn während der Kindheit als Glücksbringer um den Hals begleitet hatte, zusammen mit einer seiner schwarzen Haarlocken auf den Hausaltar für die Laren nieder. Später war beides verschwunden, doch er nahm an, dass es nicht die Laren gewesen waren, sondern seine Mutter, die beides für sich verwahren wollte.


    Auf der folgenden Prozession wurden derbe Lieder gesunden, in den Baumkronen hingen Masken. Die Luft roch nach den Honigkuchen. Die Prozession beinhaltete einen großen Phallus, den man durch die Landschaft trug, um den Segen der Fruchtbarkeit für das Land und die Menschen zu bringen. Es sollte zudem die Feldfrüchte vor dem Bösen schützen. Am Ende der Prozession legte eine tugendhafte und angesehene Matrone einen Kranz auf den Phallus. Alle Verwandten waren eingeladen. Es gab Musik und Tänzerinnen, possenreißende Akrobaten und köstliches Essen im Übermaß. Die Casa Matinia war voller Leben und alle Öllampen und Feuer brannten. Man spielte heile Familie, zeigte, dass Sabaco ihr ganzer Stolz wäre. Nachdem er jeden begrüßt und jedem die gleichen Höflichkeitsfragen beantwortet hatte, vergaß man ihn und wandte sich den Darbietungen und den üblichen Gesprächsthemen zu.


    Sabaco lag mit Ocella, der seine kleine Kindertoga trug, auf einer Kline und beide langweilten sich. Ocella fragte, ob sie eine Runde Ball spielen gehen wollten, aber Sabaco musste liegen bleiben. Immerhin war es seine Feier. Eine Weile blieb Ocella noch bei ihm, bis Sabaco ihn wegschickte. Es genügte, wenn einer von ihnen sich langweilte. Ocella schnappte sich eines der Gästekinder und sie verschwanden in den Weiten des Hauses. Sabaco blieb mit gähnender Langeweile zurück.


    Ab diesem Moment mochte er die Feier nicht mehr.


    Die Gäste versuchten scheinbar, sich gegenseitig damit zu übertrumpfen, wer das perfektere Leben führte. Er fragte sich, weshalb man sich traf, um über die spektakulärsten Einkäufe und Reisen zu sprechen oder darüber, wer geheiratet oder eine neue Stelle innehatte. Dann ging es weiter damit, wer auf welche Weise erkrankt oder gestorben war. Sabaco wurde zwischendurch immer mal wieder nach der Schule gefragt und oder welchen Beruf er einmal ergreifen wollte. Beides schien ihm bedeutungslos. An seinem Platz könnte bei diesen Themen genau so gut jemand anderes liegen, die Unterhaltung hätte keinen anderen Verlauf genommen. Die Gespräche wirkten auf ihn so künstlich wie die geschminkten, maskengleichen Gesichter. Ihm war, als würde sich niemand für ihn als Mensch interessieren, nur für seine Leistung. Ganz so, als wäre er eine Marionette, die möglichst genau den angedachten Schritten folgen sollte. Ocella hatte es richtig gemacht, spielen zu gehen.


    Sabaco wünschte sich Armándos ins Triclinium, der einen seiner Rachepläne vor den Gästen ausbreitete oder über seine alte Herrin herzog und von ihren lüsternen Fantasien erzählte. Bei dem Gedanken musste er grinsen. Oh ja, Armándos wäre ein unterhaltsamer Gast. Oder Ferghus, würde er noch leben ... Demarete und Timocleia. Sie hätten gemeinsam viel Spaß an diesem Tag gehabt. Und seinem schwarzen Molosser hätten sicher die Reste vom Braten gut geschmeckt. Sabaco griff zum Wein.


    Als er später angetrunken mit einer Amphore in der Hand durch den nächtlichen Garten schlenderte, weil er Ocella suchte, blieb er auf dem Kiesweg stehen und blickte zum Haus zurück. Obwohl er dort wohnte, fühlte es sich an, als würde er auf eine Theaterkulisse blicken. Als wären diese Leute Darsteller in einem öden Possenspiel, an dem er nur als Statist teilnahm. Oder vielleicht war es auch umgedreht ... war er hinabgestiegen aus einem Bühnenstück, das von der Straße handelte und von Abenteuer sang. Einem Drama, in dem er der Hauptdarsteller war und nicht nur Randfigur, weil er selbst das Drehbuch schrieb.


    Das da draußen, das war hart, aber es war seins.

    Armándos


    Ausgerechnet dem unfähigen Armándos gelang es am besten, sich all die Jahre durchzumogeln, ohne sichtbaren Schaden zu nehmen. Ohne Rücksicht, aber auch ohne Grausamkeit wand er sich durch sein perspektivloses Leben. Wenn jemandem etwas passierte, dann den anderen. Schlägereien wich er genau so aus wie Konfrontationen mit den Vigiles. Armándos, der als Sklave stets für seine Herrin hatte da sein müssen, machte nun andere für sich dienstbar, ohne dabei irgendwelche Raffinesse an den Tag zu legen. Er war nicht klug, war kein geschickter Marionettenspieler. Er nahm nur, was man ihm anbot, griff dann aber mit beiden Händen zu. Es schien, als würden die Leute sich willig unter seine Füße schieben, damit er über sie hinweg trampeln konnte, aus dem einzigen Grund, weil er gut aussah. Und er trampelte ohne jedes Schuldgefühl über sie hinweg. Nie hatte er ihnen etwas anderes versprochen.


    Wer Armándos das erste Mal traf, mochte ihn meist so lange, bis er ihn näher kennenlernte und feststellte, dass hinter der Fassade, für die Armándos sich nicht einmal Mühe gab, schlichtweg gar nichts war. Er hatte kein Herz aus Gold, keinen scharfen Verstand, nicht mal eine interessante Vergangenheit, nur die langweilige Geschichte eines entlaufenen Sklaven, der keine Lust auf seine Arbeit verspürte. Da war nichts als die gähnende Leere in der Seele eines Hoffnungslosen, der zufällig eine ansprechende Erscheinung besaß, ein Mensch ohne Aussicht auf eine andere Zukunft als die Straße oder das Kreuz.


    Und gerade das, was andere immer wieder von Armándos forttrieb - sein aufrichtig kommunizierter Egoismus, der ohne jede Falschheit auskam - machte Armándos für Sabaco vertrauenswürdig. Auch wenn der Sklave während der Trunkenheit Dinge verzerrt betrachtete oder danach vergaß, so log er nicht absichtlich. Man wusste, woran man bei Armándos war. Das machte ihn auf seine Weise zuverlässig. Sabaco hatte ihn eigentlich sogar recht gern. Den haltlosen Ideen des Sklaven zuzuhören, wenn sein Pegel stieg, empfanden die meisten irgendwann als enervierend, da er immer wieder die selben idiotischen Pläne vortrug, wie er mit den Leuten von der Straße die Soldaten des Castellums überfallen wollte, um an ihre Waffen zu gelangen und damit dies und das zu bewirken oder irgendwen zu rächen. Sabaco grinste in sich hinein. Eher würde die Welt entzweibrechen, als dass Armándos eigenhändig zur Waffe griff.


    Für Sabaco waren das die Geräusche, zu denen er am besten schlief.

    Gute Zeiten


    Es gab herrliche Sommer, in denen die Freunde sich auf öffentlichen Spiele herumtrieben und die zahllosen Feste des römischen Lebens besuchten. An heißen Tagen schwammen sie im türkisblauen Meer, in kalten Nächten schliefen sie um Lagerfeuer, die sie am Strand aus geklauten Holzscheiten errichteten. Wurde der Strand zu unsicher, wechselten sie in die Nekropole, die allerdings beim Straßenvolk so beliebt war, dass es sich nur in einer großen Gruppe lohnte, dort aufzutauchen und auf einen Platz zu beharren. Gelang das nicht, zogen sie auf das Forum, saßen auf den Treppen und bettelten, stahlen oder spielten mit einem Lumpenball. Sie lauschten Straßenmusikanten, die mit ihrem Krach darauf hofften, einen Förderer zu finden und lachten sich über das Getröte kaputt. Sie tanzten betrunken und trafen eine Menge interessanter Menschen, mit denen sie viel Spaß hatten.


    Natürlich zündelten sie immer noch, auch nachdem die Vigiles tiefe Löcher in ihre kleine Gemeinschaft geschlagen hatten. Das Feuer war ihr wertvollster Verbündeter, um an die Dinge zu gelangen, für die man sonst Geld benötigte oder Waffen. Die Vigiles blieben der dunkelste Teil ihres Lebens, manch einer wurde von ihnen mitgenommen und auch Sabaco und Ocella einige Male nach Hause gebracht, wo es ein Donnerwetter gab. Für jene, die kein Bürgerrecht besaßen, endete es fataler. Einige der Freunde traf man später verändert wieder, andere verschwanden für immer. Freunde kamen und gingen, so war der Lauf der Zeit. Sabaco lernte, dass man Menschen, die einem ans Herz gewachsen waren, jederzeit ohne Vorwarnung für immer verlieren konnte. Umso fester klammerte er sich an seinen kleinen Bruder und bewachte ihn mit Argusaugen.


    Bei Nacht beobachteten sie manchmal übende Feuerakrobaten, die leuchtende Schleifen und Kreise in die Dunkelheit malten. Sabaco durfte mit ihren brennenden Fackeln herumprobieren, doch ans Feuerspucken wagte er sich nicht. Sie hatten ihm erklärt, dass er sich die Lunge verbrennen würde, wenn er es falsch machte. Als er nicht aufpasste, hatte auf einmal Ocella den Mund voller Öl und hielt sich die Fackel vor das Gesicht. Plötzlich war da ein Feuerball, der seinen kleinen Bruder verschlang und Sabaco erstarrte. Licht und Hitze fraßen Ocella, man sah nur noch die dünnen Kinderbeine in ihren Sandalen. Als der Feuerball sich verflüchtigte, grinste Ocella. Seine Stirn war schwarz vom Ruß, die Haare versengt, doch er war wohlauf. Erwartungsvoll schaute er seinen großen Bruder an, damit der ihn lobte. Sabaco wollte Ocella am liebsten übers Knie legen, ihm die Dummheit ausprügeln, damit er so etwas nie wieder tat und vielleicht wäre es das Richtige gewesen, doch er konnte nicht. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte, er hätte es gut gemacht. Sabaco wäre stolz auf ihn. Und Ocella strahlte.


    Alles in allem war es keine schlechte Zeit.


    Noch hatte Sabaco das Band zum Elternhaus nicht ganz gelöst, obwohl seine Schulzeit nun vorbei war. Sein Abschluss war hervorragend, die Noten bestens. Was das nützen sollte, fragte er sich, froh über die freie Zeit, die er nutzte, Armándos und die anderen zu besuchen, damit sie gemeinsam herumhängen konnten. Dauerhaft blieb er bislang nicht bei ihnen. Immer wieder kehrte er mit Ocella nach Hause zurück, um zu essen, um bei besonders schlechtem Wetter dort zu übernachten oder um sich zu baden, zu rasieren und die Kleidung zu wechseln. Doch er ahnte, dass der Tag kommen würde, da er sich entscheiden musste. Er konnte nicht dauerhaft zwei so unterschiedliche Leben führen. Eines davon verlor er mit jedem Tag ein Stückchen mehr. Er dachte anders, fühlte anders ... die Straße hatte ihn verändert. Sie war dreckig, sie war grausam, doch sie sang und rief ihn jeden Tag lauter.


    Irgendwann würde er die Wahl nicht mehr haben.

    Sabaco verstand. Nicht den Grund, warum man den Leuten nicht zeigen durfte, wie sehr man sich freute, sie zu sehen. Aber er begriff die Notwendigkeit, sich den Gepflogenheiten im Dienst zu fügen.


    "Ja, die Zeit ... sieht bei mir auch nicht besser aus." Es war nicht mal ein Lupanarbesuch vor Ort drin, was allerdings Sabacos eigene Schuld war. Allein hatte er keine Lust auf einen Ausflug und trieb sich während der Freizeit im Castellum rum, wo er den Leuten mit seiner Aufdringlichkeit auf den Keks ging oder sie verstörte.


    "Gute Qualität hat ihren Preis. Der Gubernator Vorenus Nero war begeistert und vielleicht wäre er es immer noch, trotz Preis und Wartezeit. Aber ich weiß nicht, ob er das anordnen darf oder an wen er sich wenden muss?! Die erste Fuhre krallen sich vermutlich die Offiziere. Falls die kein Interesse haben, weil es ihnen zu teuer ist oder sie auf kalte Eier stehen, schlage ich die Tunikas mal für meine Centuria vor. Wir bekommen beizeiten einen neuen Centurio, der könnte sich damit beliebt machen."

    Was glotzte der Terentius ihn so an?! Vermutlich hatte der Typ einen winzigen Schwanz und hasste alles, was männlicher aussah als seine Mutter. Sabaco strotzte vor Männlichkeit. Durch einen Mangel an Lupanarbesuchen in den letzten Wochen quoll sie ihm schier aus den Haarwurzeln und der Alkoholentzug machte ihn noch reizbarer als üblich. Er schaute ungerührt zurück.


    Der Blickaustausch wurde unterbrochen, als der Centurio zu sprechen begann. Seine Tage bei der Classis waren gezählt ... die Wortwahl mochte Sabaco nicht. Sie klangen nach Alter und Tod. Er nahm den Becher und fragte sich, ob die Hand des Mannes vor Stress zitterte, weil er seine vertraute Umgebung verlassen musste, oder ob es ein krankhaftes Leiden war.


    Er nickte zum Dank, deutete ein Anheben des Bechers an und trank ebenfalls einen Schluck. Dann wartete er, ob der Mann fortfahren wollte.

    <<< RE: Cubicullum Suboptio Matinius Sabaco


    Wie hieß der Centurio vollständig?! Es geisterte nur "Cimber" in seinem Kopf herum, was Sabaco sich gemerkt hatte, weil der Kumpel von Stilo auch so hieß. Cimber, der jetzt mit Stilo im fernen Cappadocia herumritt und sich die Sonne in den angeblich fast elysischen Gefilden auf den Pelz braten ließ. Scheiße, er musste Stilo schreiben. Aber wie hieß nun der Centurio? Verdammtes Namensgedächtnis. Vermutlich weggesoffen.


    Sabaco klopfte und trat ein, da er erwartet wurde. Hinter sich schloss er die Tür wieder. Er drosch mit der Faust auf seine Brust, so dass ein dumpfer Laut erklang.


    "Salve, Centurio! Suboptio navalorum Matinius Sabaco. Du wolltest mich sprechen."


    Stante pede sogar.

    "Salve dir auch", murrte Sabaco etwas angefressen, da kein Salve gefallen war und er auch keine Ahnung hatte, wer der Kerl war, der hier reinplatzte - er hatte sich nicht vorgestellt. Er meinte, ihn unter den Marini gesehen zu haben.


    Mehr Gedanken aber machte er sich um den Anlass der Anweisung. Wer wusste, was los war, dass er stante pede erscheinen sollte. Sabaco vermutete keinen Anschiss. Die meisten Vorgesetzten hatten die Angewohnheit, geradezu unheimlich ruhig und höflich zu werden, wenn sie einen ins Visier nahmen. Wenn der Centurio stante pede was von ihm wollte, gab es vielleicht einen Notfall.


    Sabaco erhob sich und stapfte in der Tat sehr viel zügiger los, als er es ohne den Hinweis stante pede getan hätte.


    RE: Cubiculum Centurio Classis >>>

    Wenig später war Sabaco informiert und erschien an der Porta. Er präsentierte sein verheiltes Monstergebiss, als er seinen Bruder herzlich angrinste. Seit er bei der Classis war, sah Sabaco wieder dauerhaft gepflegt aus. Da Ocella auf dem Pferd thronte, entging der Bruder einer überschwänglichen Begrüßung und bekam nur den Arm getätschelt.


    "Na? Gut, dass es so schnell geklappt hat." Und dass der Bruder persönlich anrückte, anstatt schriftlich zu antworten. Aber das wusste Ocella. "Ich nehme an, dass du wegen der Klamotten hier bist und nicht wegen Borbetomagus."


    Neugierig warf er einen Blick auf die prallen Packtaschen.

    Auf einem der vielen Papyri auf seinem Arbeitstisch fand sich ein Gedicht. Es war in seiner maritimen Metaphorik deutlich von Sabacos Eindrücken bei der Classis geprägt.


    Die Waldquelle und die See

    von einem Seehund für dich


    Schwarz modernde Waldesquelle

    liegt unruhig, im Schlafe erbebt

    Sie träumt wie die brechende Welle

    sich aus ihren Tiefen erhebt.


    Da werf von den Steinen den ersten

    ich ihr in das trübe Gesicht

    Die Quelle gluckst leise, nicht berstend

    es ist keine Brandung in Sicht.


    So bleibet der Wildheit nur Traume

    Die Leidenschaft ebbet sehr bald

    Nicht brechend in Brandung noch Schaume

    Im Herzen längst älter als alt.


    So träg bist du, Quell, keine Seele

    in deinem Morast ich noch seh

    Du rufst mich, doch bald schon ich fehle

    Denn Seehunde locket die See.


    Sie lieben der Gischt Regenbogen

    Die Schätze am endlosen Grund

    Den Tanz in türkisgrünen Wogen

    Den allesverschlingenden Schlund.


    Dein Wesen so trist, ohne Wellen

    Die Sehnsucht umsonst nie verlosch

    Für tümpelnde Waldesquellen

    Eignet sich besser ein Frosch.



    Mit zusammengezogenen Brauen hatte er die Rolle am Ende zuschnappen lassen und sie beiseite geschubst.



    Sim-Off:

    Eigentliche Antwort ist über diesem Post zu finden. Der Thread kann übergangslos mit der Handlung fortgesetzt werden; das Gedicht spielt keine Rolle dafür.

    Sabaco warf die Tabula selber in den Posteingang, da er die Gelegenheit nutzte, mit dem Spaziergang lästige Freizeit totzuschlagen. Die Tabula war eine von denen, die man zuklappen konnte, so dass nur der Empfänger den Inhalt las.


    Zu Händen von


    Vexillarius

    Servius Matinius Ocella

    Ala II Numidia



    Morgen, Kleiner.


    Ich hoffe, dir geht es gut. Bei mir ist alles im Lot und seit ich bei der Classis bin, passt der Spruch sogar. Meine verbliebenen Zähne machen keine Zicken mehr, der Dicax versteht sein Handwerk.


    Sag mal, wo hattest du die Klamotten her, die du mir geschenkt hast? Wir haben hier in der Classis nur Lappen, da kannst du durchgucken, und ich schlug vor, das zu ändern. Deshalb habe ich einem Offizier eine von meinen Guten gezeigt. Er war von der Qualität dermaßen begeistert, dass er die Truppe jetzt mit solchen Tunikas ausstatten will.


    Dein Sabo


    "Jawohl, Gubernator!" Sabaco schlug sich mit der Faust auf die Brust, ehe er formvollendet nach draußen marschierte und die Tür hinter sich schloss.


    Als er wieder in ein natürliches Bewegungsmuster fiel, merkte er, wie angespannt er gewesen war. Der Besuch bei Nero hatte etwas davon, in den Bau eines fauchenden Luchses zu kriechen. Man wusste, er würde einen nicht töten, aber angenehm würde es auch nicht werden.


    Und die Tunika ... war weg. Das vertraute Gefühl eines nicht zu verhindernden Verlusts überkam Sabaco und mit ihm eine Gleichgültigkeit, die das eigentliche Gefühl so zuverlässig erstickte wie eine Feuerdecke die Flammen. Anstatt den Verlust seiner Lieblingstunika zu beklagen, die er vor wenigen Augenblicken noch wie eine unersetzliche Reliquie behandelt hatte, machte er sich daran, seiner Aufgabe nachzugehen.