Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    <<< RE: Portus Mogontiaci - Der Hafen


    Sabaco erwachte grunzend, als das Wiegen aufhörte und seine Unterlage sich in etwas Hartes wandelte. Man hatte ihn abgelegt. Sie mussten in der Castra sein. Mit trübem Blick sah er sich um und erkannte nichts wieder. Er hatte keine Ahnung, wo genau er sich befand. Aber Nero kuschelte sich gerade in seinem Bett zurecht und pennte dann da oben ein. Ein Freund wäre zur Seite gerückt. Aber sie waren keine Freunde, sie hatten nur zusammen getrunken.


    Mit verquollenen Augen blickte Sabaco in Richtung Tür, die ständig aus seinem Blickfeld wanderte, weil der Raum zu kreisen schien, was zuckende Kopfbewegungen von ihm zur Folge hatte, um die Tür nicht aus den Augen zu verlieren. In den Gang hinaus zu wanken kam nicht infrage, das wusste er selbst im Vollrausch. Volltrunken zeigte man sich nicht in der Castra, das gab extremen Ärger, besonders als Unteroffizier. Die Schlussfolgerung war simpel und in seinem Zustand noch zu ziehen.


    Er zog sich ein Kissen vom Stuhl, stopfte es im Liegen unter seinen Kopf und ließ Arme und Beine fallen, wo sie sich gerade befanden. Sabaco sank ins Dunkel und es verschluckte seine Gedanken, seine Ängste, seine Wünsche und Erinnerungen. Es verschluckte ihn ganz, traumlos und absolut.

    So riesig, wie Sabaco quer über den Schultern des Gubernators hing, konnte man Zweifel bekommen, ob er sich den Namen phoca einst wirklich selbst gegeben hatte, denn er erinnerte gerade an eine fette, zufriedene Robbe. Andere hätten vielleicht ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn jemand, der ein gutes Stück älter war als man selbst und deutlich leichter, einen wegen Trunkenheit schleppen musste. Sabaco fläzte auf dem Gubernator wie auf einer Sandbank oder einem wandelnden Thron.


    "Ich sag gar nichts hierüber, Nero ... sonst erzählst du rum, dass ich dichte."


    Er schaute in die kleine Amphore mit dem Wein, die er immer noch in der Hand hielt, und bewegte sie kreiselnd. Da war noch was drin. Der Gubernator konnte spüren, wie Sabacos Muskulatur sich anspannte, als er den Rest austrank und die Amphore dann hinter ihnen auf die Straße schleuderte, wo sie klirrend zerbarst. Dann machte er es sich wieder gemütlich und wurde schlaff wie ein nasser Sack.

    Da war sie wieder, die poetische Ader von Nero, die er sogar jetzt noch zeigte, während er Sabaco buckelte. Wahrscheinlich dichtete er noch, wenn sein Kahn unterging und seine letzten Worte waren Geblubber, das sich reimte. "Ich lad dich ein", versprach Sabaco. "Du kannst fressen, bis du platzt und so viel trinken, bis es dir zu den Ohren rausläuft. Ich schulde dir was."


    Viele Soldaten des Exercitus Romanus waren drahtig gebaut. Sie trainierten täglich und wurden gut ernährt, aber man achtete auch darauf, dass die Portionen nicht über das vernünftige Maß ausfielen. Das hatte logistische Gründe - eine Legio samt allem, was darin kreuchte, fraß am Tag elf Tonnen Getreide*, die organisiert, finanziert und transportiert werden wollte. Die strenge Rationierung hatte aber auch alltagspraktische Bewandtnis, denn ein schwerer Soldat hatte beim Marschieren am eigenen Gewicht zu schleppen.


    Und trotzdem gab es sie, die Wuchtbrummen, die es schafften, ihr Gewicht auf zwei Zentnern zu halten, indem sie bei den Kameraden schnorrten oder tauschten, in die umliegenden Tabernae und Garküchen einkehrten oder einfach die entsprechende Veranlagung besaßen. Sabaco, von Natur aus groß und mit stabilem Knochenbau gesegnet, vor allem mit gesundem Appetit, gehörte dazu. Zwei Zentner wog er, die nun quer über den Schultern des Gubernators hingen und sich dort wohlfühlten.


    'Schlepp mich, Pferdchen', befahl er gedanklich. Er sprach aus: "Ab morgen kann ich allen erzählen, dass ich den Gubernator geritten habe."


    "Flussperlmuschel", sinnierte er. Er würde nie eine finden. Nie fand er irgendwas Wertvolles. Als Kind hatte er bunte Kiesel für Edelsteine gehalten und Erzeinschlüsse für Silber. Eine Schatztruhe voller Müll. Heute waren ihm die Götter hold - Perlen und Silber hatten sie ihm zwar nicht geschickt, aber ein Seepferdchen namens Nero. Das würde ihn nach Hause tragen.


    Sabaco griff die dargereichte Hand mit festem Griff und stellte sich breitbeinig hin, wobei er leicht in die Knie ging. Jetzt konnte Nero ihn sich quer über die Schultern wuchten.


    "Ich bin schwer", drohte Sabaco. Dass der Offizier ihn schleppen wollte, fand er lustig. Aber vor allem war es anständig von Nero, denn er verrenkte sich das Kreuz, um Sabacos Besäufnis zu decken. "Taberna also." Die hatte er abgefackelt ... daran durfte er jetzt nicht zu intensiv denken ... doch inzwischen stand da eine neue. Man konnte sich also wieder gepflegt einen hinter die Binde kippen.

    Ein Manöver? Innerlich grinste Sabaco, äußerlich blieb er grimmig. Er lechzte danach, aufs Wasser zu kommen. Und auch danach, diesem Terentius Ruga zu zeigen, wo der Frosch die Locken hatte. Wie die Marini ohne jegliche nautische Hilfe die Navis Iusoria steuern wollten, wusste er noch nicht, das Rudern würde eine Herausforderung werden, aber dem Terentier würde es bei dem Gedanken genau so beschissen gehen, was Sabaco noch mehr freute. Wäre das Manöver nicht möglich, würde der Centurio ihnen das nicht aufgetragen haben, also war es machbar. Sabaco wusste auch schon, wer den Überborder spielen durfte.


    Der Befehl zum Wegtreten erklang. Sabaco drosch krachend die Faust auf sein Herz und riss den Arm nach rechts vorn weg, ehe er ihn runter an eine Hüfte fallen ließ. Er wartete, bis der Optio mit dem kleinen Schwanz vor ihm den Raum verlassen hatte - das musste sein, Rivalität hin oder her - und stapfte nach draußen, um sich vorzubereiten.


    Es konnte auch nicht schaden, schon mal die Männer vorzuwarnen.

    "Ich habe vor Tarraco nach Perlen gesucht. In Flussmuscheln gibt es aber keine Perlen, oder? Es war ein dummer Kindertraum vom schnellen Glück. Man kann nicht mal in Ruhe in Verderbnis schwelgen, ohne dass du was Gutes daran findest, warum die See mich ausgewürgt hat wie die Eule ein Gewölle. Vermutlich bist du dafür Gubernator geworden, weil du nicht den Mut verlierst, und ich nur Suboptio. Kannst du uns durch die Porta von der Castra bringen? Ich bin so was von hackedicht, Nero. Mich lassen die so nicht rein oder petzen das wem."


    Er erhob sich auf die Beine und stand einen Moment mit den Armen rudernd in einer verkrüppelten Grätsche da, ehe er es schaffte, geradezustehen.


    "In Cappa gibt es auch eine Classis oder sie verpassen dir einen anderen Dienstgrad, damit du passt. So was machen die manchmal." Wobei unklar blieb, wen er mit "die" meinte. "Mich haben sie zum Suboptio Navalorum gemacht, dabei hatte ich noch nie was mit Schiffen zu tun. Wobei ich das gern hätte. Also würde. Ich will auf ein Schiff. Das Trockendeck geht mir so was von auf die Nüsse ... Nero. Gehst du manchmal einen Trinken? In der Stadt? Oder ins Lupanar?"


    Es war eine Einladung, sich wiederzutreffen. Sabaco hatte Nero wenig von dem mitgeteilt, was ihm auf dem schwarzen Herzen lag. Es war zu viel für einen Abend und er war alt genug, um selbst im Suff vorsichtig damit zu sein, was er Trinkkumpanen erzählte. Er trank schon zu lange und zu viel, als dass der Wein mehr Macht über ihn haben könnte, als er ihm zugestand. Wenn er sich bewusstlos trank, dann weil er es so beabsichtigte. Wenn er, so wie heute, deutlich betrunken war, aber noch gehen und sprechen konnte, war das ebenso Absicht - allerdings wäre es nicht dabei geblieben, wäre der Gubernator nicht aufgekreuzt.

    "Bei Sturm war ich noch nie auf dem Meer. Ich kenne sein Toben nur vom Ufer. Zum Baden muss man sich von den Klippen fernhalten, wenn es seine Launen entfaltet, aber wenn man einen Sandstrand zur Verfügung hat, macht das Schwimmen auch bei Sturm Spaß. Den einen oder anderen zerrt es hinaus und behält ihn für immer, aber mich hat es bislang nicht verschlungen. Er hat mich wieder hochgewürgt wie einen besonders widerlichen Auswurf."


    Er grinste mit seinem Schauergebiss.


    "Stichling gefällt mir. Aber mein Name lautete anders. Auf den Straßen von Tarraco ist es Tradition, den Namen seiner Geburt abzulegen. Den Namen, den die Eltern einem gaben, bedeutet nichts, man wird von seinen Freunden benannt. Einige benennen sich auch selbst. Die Vergangenheit legt man mit seinem Namen ab, zieht einen Strich, blickt nach vorn. Es ist teilweise auch ein Schutz vor den Vigiles. Selbst unter Gewalt kann man nur die für die Verfolgung durch den Staat weitestgehend nutzlosen Spitznamen seiner Kumpanen ausplaudern, weil man die richtigen Namen der meisten gar nicht kennt. Ich nannte mich damals Phoca - Seehund, denn ich liebte das Meer, auch wenn es das nicht erwidert. Man muss den Ozean bezwingen, denke ich, nicht mit ihm tanzen.


    Wir dienen in der Classis auf dem selben Schiff. Nur auf dem Fluss, aber besser als kein Wasser, oder? Stell dir vor, man würde dich nach Cappadocia versetzen, du würdest vertrocknen wie ein Dörrfisch. Aber ich bin noch nicht mal über das Rinnsal namens Rhenus gefahren, geschweige denn über das Meer. Bislang haben wir nur im Trockendeck geübt. Ich kenne das Wasser nur aus der Sicht des Schwimmers und ich war auch mal so bekloppt, nach Perlen tauchen zu wollen. Habe natürlich keine gefunden, aber ein paar hübsche Muscheln konnte ich bergen."

    "So was kriegst du gesagt?"


    Neidisch ließ Sabaco die Worte Revue passieren. Wenn er mal Komplimente bekam, waren sie vulgär. Sie spornten ihn an, sorgten dafür, dass er sich gut fühlte. Aber was Nero da einst gesagt bekommen hatte, das musste tiefe Liebe sein. Und dieser Gedanke ließ Sabaco verbittert den Mund schließen. Dann hatte er sich wieder im Griff.


    "Ich stamme aus Tarraco, es liegt direkt am Meer und verfügt natürlich auch über einen Hafen. Dir ist das sicher bekannt als Wesen der See, aber für mich was das meine Kindheit, dort am Strand des Mare Nostrum. Östlich vom Hafen ragt eine bewaldete Landzunge in die Fluten, auf der ich damals mit meinen Freunden oft die Nächte verbrachte und wir badeten dort an dieser Stelle im Meer. Früher diente Tarraco als Nachschubbasis und Winterlager. Heute ist es die reichste Hafenstadt an dieser Küste - zumindest wird das behauptet. Interessiert haben mich diese Dinge nie wirklich, nur, dass das meine Heimatstadt ist."


    Er starrte im Dunkeln auf seiner Tabula. Vielleicht würde er es morgen nicht mehr lesen können, aber er gab sein Bestes.


    "Ja, das Geschwätz eines verhärmten, verbitterten und enttäuschten Mannes - das notiere ich nicht erst seit heute, Nero. Und Gedichte, unsinnige, ernste, traurige und viele davon sind Schnulzen. Wegen der winzigen Schrift auf der riesigen Tabula, sei mir nicht mehr böse. Es war ein gemeiner Spaß, so wie dein Auftrag wegen der Inventur."


    Er schob die Tabula wieder in seine Tasche. Der Länge nach legte er sich auf den Rücken, starrte nun hinauf in den Himmel.


    "Scheiße, bin ich breit"
    , stöhnte er und kratzte sich den Sack. "Nicht mal verdammte Sterne sind zu sehen. Aber es lohnt sich, heute hier zu sein. Neptuns Pferd nennst du dich also. Schreibst du so was manchmal auf? Und weißt du, wie ich mich nenne? Nein, das weißt du nicht. Aber du darfst raten."


    Er hob die Flasche und stützte sich wieder auf, um noch einen Schluck zu trinken.

    Fugitivus


    Jetzt war er also erwachsen. Sollte bei fast jeder Cena anwesend sein und kluge Dinge sagen, um die Gäste der Eltern zu beeindrucken. Tatsächlich fiel es Sabaco nicht schwer, sich so zu geben, wie man es von ihm erwartete, doch mangelte es ihm an der Lust dazu. So blieb er den meisten Cenae fern und verbrachte die Zeit im Kreise der Menschen, in deren Gegenwart er sich wohlfühlte.


    Ungewöhnlich war an seinen Streifzügen insofern nichts, als die meisten Römer seines Standes in diesem Alter es ähnlich hielten. Formell waren sie erwachsen, die Schule war vorüber, doch für die Karriere der hohen Stände waren sie zu jung. So waren die Nächte von Tarraco voll von nutzlosen jungen Männern, die herumstreiften und sich die Zeit auf nicht standesgemäße Weise totschlugen. Sie zogen durch Tabernae und durch Lupanare, lümmelten herum und stießen sich die Hörner an jenen ab, die ihnen weder gesellschaftlich noch körperlich etwas entgegenzusetzen hatten. Die Vigiles konnten gegen diese Krawallbrüder nichts tun, es waren freie Männer aus den besten Familien.


    Mit einem Mal war Sabaco nicht mehr nur mit dem Volk von der Straße, sondern mit Seinesgleichen zugange, hatte Spaß mit ihnen und war ihnen obendrein an Erfahrung und Weisheit voraus. Er kannte alle Regeln der Straßen, alle guten Stellen, alle Tricks und alle Leute, die zu kennen sich lohnte. Seine neuen Freunde respektierten ihn dafür, manche bewunderten ihn sogar und das fühlte sich verdammt gut an. Sabaco war nicht mehr irgendjemand, er hatte jetzt einen Namen. Er wurde nicht müde, zu erzählen, wie er Catualda damals aus der Stadt vertrieben hatte, wenngleich das nur zur Hälfte stimmte, denn Catualda war in erster Linie vor den Vigiles geflohen. Sabaco schmückte die Geschichte genussvoll zu seinen Gunsten aus und zum Beweis präsentierte er seine Zahnlücke.


    Armándos aber verkam zu Beiwerk, das sich im Schlepptau der römischen Bürger schüchtern und unscheinbar bewegte und oft eigener Wege ging. Davon, dass er Sklave war, verriet Sabaco seinen neuen Freunden nichts, doch Armándos verfiel dennoch in deren Gegenwart in alte Verhaltensweisen. Der Dreck an seinem Körper und seine verschlissene Kleidung trugen dazu bei, sich wie ein Außenseiter unter den Römern zu fühlen. Er mied die Thermen aus Angst, dass jemand dort die Spuren einer Auspeitschungen auf seinem Rücken zu deuten wusste und für neue Kleidung fehlte ihm das Geld. Seinem Selbstbewusstsein unter diesen Leuten tat das nicht gut.


    Also mogelte Sabaco den Fugitivus zu passender Gelegenheit in die Therme seiner Familie, wo er Armándos von den Familiensklaven nach aller Kunst pflegen, herrichten und mit einer neuen Tunika ausstatten ließ und auch mit neuen Schuhen. Zufrieden besah Sabaco sich hernach das Werk. Armándos, von Natur aus gut aussehend, war wieder vorzeigbar, so konnte er sich auch unter Römern bewegen. Sabaco nahm ihn wieder mit. Doch Armándos konnte einfach nicht anders, als den Blick zu senken, wenn einer von Sabacos neuen Freunden ihm in die Augen sah, und bei jedem Thema Zustimmung zu heucheln, anstatt seine Meinung zu vertreten. Wie sicher er sonst auftrat, wie groß seine Pläne sein mochte - unter Römern war es ihm unmöglich, aus seiner Sklavenhaut zu schlüpfen, zu tief saßen die Erfahrungen seines Lebens. Nur bei Sabaco, den er schon lange kannte und der mit ihm die Kämpfe der Straße ausgefochten und sein Brot geteilt hatte, gelang es ihm, zu vergessen, dass er ein Sklave war und Sabaco ein Herr. Die einzige zweite Ausnahme war Ocella.


    Und dann stellte Sabaco eine, wie er rückblickend feststellte, unangemessene Frage.


    "Du könntest mein Sklave werden", schlug er eines Tages wohlmeinend vor. "Dann könntest du bei uns wohnen und hättest jeden Tag was zu essen. Wir verstehen uns gut, wir hätten beide was davon."


    Die Antwort war ein zu Tode beleidigter Blick. "Ich dachte, wir wären Freunde."


    Und damit hatte sich das Thema erledigt. Zu Sabacos Erleichterung war Armándos nicht nachtragend.

    Das war´s. Die zwei Vollpfosten, Adalrich und Lucius Annaeanus Tiro, hatten es geschafft, verloren zu gehen. Es ging das Gerücht herum, sie hätten bei der Musterung weibisch reagiert, als der Medicus sie untersuchte. Sabaco hätte schon Männer aus den Prinzessinnen gemacht, hätten sie ihn nur gelassen. Nun aber musste er ihr Verschwinden beim Vorgesetzten melden. Seine Faust donnerte gegen die Tür des Officiums. Nach der Aufforderung, einzutreten, stapfte er in den Raum.


    "Centurio Classicus! Suboptio Navalorum Matinius Sabaco für eine Nuntio", bellte er und schlug die Faust auf sein Herz. "Die Tirones Adalrich und Lucius Anneanus Tiro sind verschwunden. Sie erschienen nicht zur Ausbildung, die Suche durch ihren Stubenkameraden Segovax verlief ergebnislos. Nachfragen an zentralen Stellen im Castellum, wie dem Horreum, brachten keine Informationen. Sie sind weg."


    Sim-Off:

    Auf private Konversationen erfolgt keine Reaktion.

    "Menschen sind Wichser, weil sie mir auf den Sack gehen mit ihrem Gemache. Bis auf wenige. Ich hab´s gleich." Es gelang Sabaco, den Verschluss seiner Gürteltasche aufzufummeln. Doch er hielt den Deckel noch verschlossen. "Manchmal passt ein Geheimnis in eine Tasche. Du verrätst es niemandem und ich sage keinem, dass du gar nicht so übel bist. Sie brauchen es nicht wissen, sie sind dumm."


    Der Wein sprach aus ihm, besoffen wie er war.


    "Ich lese dich und du sagst mir, ob es stimmt. Müsste ich raten, ich würde sagen, dass du nicht immer Flüsse befahren bist. Du bist Seemann, nicht wahr? Du gehörst auf das Meer. Jeden Tag siehst du die Fluten des Rhenus, wie sie in Richtung Ozean fließen, sie säuseln dir zu und singen vom Meer, du hörst ihr Lied, doch du kannst sie nicht begleiten. Wie ein Fels in der Uferböschung steckst du hier fest. Das ist kein Geheimnis, aber vielleicht ist es eines, warum du nicht mehr den Ozean befahren darfst.


    Und jetzt pass auf. Wehe du lachst. Denn nun zeige ich dir mein Geheimnis."


    Sabaco griff in die Tasche und holte eine Holzkladde heraus. Als er sie aufschlug, öffnete sich ein Wust von beschriebenen Pergamentstückchen. "Ich dichte", raunte er, als wäre das etwas Verbotenes. Diese Neigung war ihm peinlich. "Und ich muss dir das jetzt offenbaren, weil ich sonst nicht aufschreiben kann, was du vorhin gesagt hast."


    Er reichte ihm die Kladde mit den Gedichtfetzen, um noch einmal in die Tasche zu greifen, seine doppelte Tabula herauszuholen, sie aufzuschlagen und eine Notiz in Wachs festzuhalten. Morgen würde er sie in Reinform bringen. Er wusste, dass er sich am nächsten Tag nicht mehr an die Worte erinnern würde, wenn er sie nicht sofort aufschrieb. Der Griffel fuhr durchs Wachs.


    "Alles was du zu sagen hast, sagen die schwarzen Wellen. Worte sind nicht nötig, ich verstehe dich und ich deute deinen Blick. Das hier hat nie stattgefunden, also genieße es. Graut der Morgen kehren wir zurück. Mit dem Weichen der Nacht, weicht auch das hier", schrieb er. Am Ende setzte er "N" als Urheber darunter.

    Das Mosaik setzte sich zum fertigen Bildnis zusammen. Es hatte keinen Bruch gegeben, die Steinchen fügten sich - neben ihm saß der Gubernator, hatte sich hier im einsamsten Winkel Mogontiacums eingefunden, um mit ihm zu trinken. Und er stellte sich mit seinem Cognomen vor. Heute und hier wollte er nicht der verhasste Gubernator sein, sondern nur Nero. Und er machte klar, dass sie das nicht zu Freunden machte. Nicht, nachdem die Sonne aufgegangen war. Sabaco verstand. Das war wie die Liebschaften, die man im Suff an Land zog. Sie hatten nur Gültigkeit in der Halbwelt der Nacht. Traf man sich bei Tag, kannte man einander nicht. Denn dies war die Domäne des anderen Lebens, des seriösen Lebens, wo man Frau und Kinder hatte und einen Vorzeigeberuf. Das Scheinleben, die Fassade - von der man ihm einreden wollte, sie sei echt.


    "Sabaco." Er stieß mit seiner Flasche gegen die von Nero und trank einen Schluck, um die Begrüßung zu besiegeln und die Bedingungen zu akzeptieren.


    Es gelang Sabaco, sich in eine sitzende Position zu rappeln. Linker Hand lag der Kai, die Hafenspelunken, Lupanare. Dort herrschten Licht und Leben, doch sie beide saßen in der Dunkelheit abseits davon im Gras. Vor ihnen lagen jene Boote, die am Kai keinen Platz mehr gefunden hatten und ungeordnet an die Uferböschung drängten.


    "Ich hocke nicht hier, weil ich nicht reden will. Sondern weil alle Wichser sind."


    Er betastete seine Gürtel. Ganze drei Stück trug er ... das Cingulum militare, das ihn als Soldaten auswies, den Gürtel, an dem sein Pugio in der Scheide steckte - als Soldat durfte er damit bewaffnet herumlaufen - und einen dritten, an dem seine Gürteltasche hing. Die hatte er gesucht. Ungeschickt machte er sich am Verschluss zu schaffen. Seine Worte quollen gelallt aus seinem Mund, doch sie waren zu verstehen.


    "Ich muss dir was sagen ... Nero. Ich habe ein Geheimnis. Aber du bist ein anständiger Kerl, du sollst es wissen. Sobald ich die Scheißtasche aufbekommen habe."

    Sabaco war bereits stark betrunken, als man ihn auf die Seite wälzte. Davon erwachte er. Orientierungslos sah er sich um. Nichts kam ihm bekannt vor. Weder war ihm bewusst, wo er sich befand, noch warum er hier war. Aber da war seine Flasche.


    Und jemand?!


    Sabaco versuchte, sich aufzusetzen, während die Welt sich um ihn drehte. Er spürte nicht, wie die nächtliche Kälte Germanias ihm die Wärme aus den Gliedern zog und dass seine Tunika durchgeweicht war vom Tau und der nassen Erde. Hätte er es gemerkt, wäre es ihm gleichgültig gewesen. Es gelang ihm, sich seitlich auf den Arm zu stützen, so als würde er auf einer Kline liegen. Verwirrt versuchte er, das Gesicht des anderen in der Dunkelheit zu erkennen, der entspannt da saß und ebenfalls trank. Aber ja ... nein. Irgendetwas stimmte nicht an dem Bild, das sich in seinem Kopf zusammenzusetzen versuchte. Wie ein Mosaik, dessen Steine nicht zueinander passten.


    "Wer bist du?"

    <<< RE: [Officium XXX] Cursus Publicus| - Postannahme -


    Der heisere Gesang eines Betrunkenen schallte durch die nachtschwarzen Gassen. Außer ihm war um diese Stunde nichts zu hören. Seine Stimme war wie ein Fremdkörper in der friedlichen Stille.


    "ALLES HUREN, SO WIE MUTTI", röhrte Sabaco, während er im Slalom durch die verwinkelten Straßen torkelte. Den Rest des Textes hatte er vergessen, so dass er immer wieder den selben Vers leierte. In seiner Hand hielt er eine Tonflasche hochprozentiges Germanengebräu. Diese Wichser konnten nichts, außer Bier und Schnaps brauen. Aber das konnten sie gut. "ALLES HUREN ... Scheiße, Drecksau!"


    Das Lied endete in Gebrüll, in den Gassen scherbelte es. Derbe Flüche folgten, etwas krachte, dann war Ruhe.


    Nach einer Weile taumelte Sabaco zwischen den Häusern hervor. Er sang an der gleichen Stelle weiter, wo er aufgehört hatte, die Tonflasche noch immer in der Hand. Sie hatte dem Aufprall des Schädels schadlos standgehalten. Schritt für Schritt kämpfte Sabaco sich zum Zivilhafen vor. Er konnte noch nicht zurück zur Classis, die würden ihm Feuer unterm Hintern machen, wenn er in diesem Zustand aufkreuzte. Er pisste in hohem Bogen in den Rhenus, ehe er im regennassen Gras zusammensank.


    Sein Gesang verstummte in Gegenwart der Schiffe. Groß, finster und erhaben leisteten sie ihm schweigend Gesellschaft. Während er auf das schwarze Wasser starrte, das um ihre hölzernen Leiber strömte, trank er.

    Dem Matrosen ... Sabaco schwieg dazu. Sein Rang stand ihm nicht auf die Stirn geschrieben, er trug nur die blaue Tunika samt Beinlingen. Trotzdem fühlte er sich provoziert. Er beschloss, sich die Visage von dem Milchbubi zu merken, nur für den Fall. Seine 10 Sesterzen nahm er wieder an sich. Ziemlich teuer für einen verdammten Brief, fiel ihm auf, wenn es Huren schon für 16 Asse gab. Grübelnd, wie er sein Geld am besten loswerden wollte, verließ er das Officium.


    RE: Portus Mogontiaci - Der Hafen >>>

    "Endlich mal ein kompetenter Ansprechpartner in dem Saustall hier! Dieser Mitarbeiter da", er zeigte auf den Tabellarius, "gehört postwendend entlassen! Ob die Gens Matinia eine Wertkarte besitzt, habe ich keine Ahnung?!"


    Das wäre ja praktisch. Dann könnte er die zehn Sesterzen auf dem Heimweg verschleudern, um sich den Frust von der Seele zu spülen. Ein Fünkchen gute Laune erglomm hinter der blitzenden und krachenden Gewitterwolke seines Geistes.

    Sabacos Finger zeigte zum Fenster. "Auf dem verdammten Forum bin ich rumgeirrt, auf den Hauptstraßen, in den Gassen, bis ich irgendein Rindvieh traf, das mir den Weg sagen konnte. Wer sucht ein schäbiges Officium wie das hier in der verfluchten Regia?! Bei dem Sauwetter da draußen - in dieser Scheißprovinz!"


    Der Postmensch konnte für Sabacos Laune so wenig wie für das fehlende Hinweisschild oder für das Wetter. Er stand Sabaco gegenüber, während der schlechte Laune hatte, das war sein einziger Fehler. Sabaco schob ihm die zehn Sesterzen rüber, während er sich vorstellte, wie er den Postmensch ausweidete.


    Sim-Off:

    Eine Verlinkung der Postsannahmestelle in der Beschreibungsbox der Provinz wäre nicht schlecht.

    Sabaco hatte sich dumm und dämlich gelaufen auf der Suche nach der verdammten Post!


    "Ihr solltet irgendeine Hinweistafel aufstelllen, wo man dieses Scheißloch hier findet", grollte er und schob seinen Brief über den Tresen.


    Dass seine Laune so übel war, lag daran, dass es ihm nicht leicht gefallen war, die darin enthaltenen Zeilen zu verfassen.


    Irgendein Datum, Fremde.


    Ad


    Optio Sisenna Seius Stilo

    Legio XV Apollinaris

    Satala



    Salve, mein Freund.


    Ich hoffe, es geht dir gut. Du hast dich sicher schon gefragt, wo ich bleibe. Nein, ich bin nicht abgekratzt, ich habe einen neuen Versetzungsbefehl erhalten. Ich werde dir nicht nach Cappadocia folgen können, sondern in Germania superior bleiben. Ich diene jetzt bei der Classis.


    Zwei gute Nebenwirkungen hat das Ganze: Ich bin in der Nähe von Ocella stationiert und habe eine Beförderung abgestaubt. Du darfst mich bei deinem Antwortschreiben mit Suboptio Navalorum titulieren. Sogar eine eigene Bude hat mein Bruder mir organisiert. Ich habe ihm nicht gesagt, dass er mir damit einen Bärendienst erwiesen hat. Zum Trost darf ich Rekruten quälen.


    Ziemlich spaßige Angelegenheit, die ersten scheißen sich schon in die Tunika, wenn ich sie nur anquatsche. Bei einer Enterübung hat der es geschafft, sich fast den Finger abzureißen. Aber besser als die Eier. Stell dir vor, man fragt einen, wie es seinen Eiern geht anstelle des Fingers. Der fängt an zu heulen. Die haben hier alle ein Paddel im Arsch.


    Es ist kalt und einsam hier oben, aber die Schiffe ... sie würden dir gefallen.


    Vermiss dich.


    Dein Sabaco