Liberalia
Ähnlich wie Bacchus war auch Liber ein Gott der Fruchtbarkeit und des Weines. Seine Priesterinnen, ältere Frauen, trugen Efeukränze im Haar und buken Opferkuchen mit viel Honig und Öl. Im Frühling feierte man während seines Festes, dass aus Jungen Männer geworden waren.
Für Sabaco war es in diesem Jahr ebenfalls so weit - er hatte das 14. Lebensjahr vollendet. An dem Tag, an dem er in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen wurde, veranstaltete die Gens Matinia eine große Feier. In einer feierlichen Zeremonie legte er seine Kindertoga ab. Zwei Sklaven wickelten ihm die neue, blütenweiße Toga virilis um den Körper. Jede Falte saß. Das erste Mal durfte Sabaco sich nun in seiner Männertoga zeigen. Frisch eingekleidet führte ihn sein erster Weg zum Larenschrein der Casa Matinia. Sabaco legte seine Bulla, die ihn während der Kindheit als Glücksbringer um den Hals begleitet hatte, zusammen mit einer seiner schwarzen Haarlocken auf den Hausaltar für die Laren nieder. Später war beides verschwunden, doch er nahm an, dass es nicht die Laren gewesen waren, sondern seine Mutter, die beides für sich verwahren wollte.
Auf der folgenden Prozession wurden derbe Lieder gesunden, in den Baumkronen hingen Masken. Die Luft roch nach den Honigkuchen. Die Prozession beinhaltete einen großen Phallus, den man durch die Landschaft trug, um den Segen der Fruchtbarkeit für das Land und die Menschen zu bringen. Es sollte zudem die Feldfrüchte vor dem Bösen schützen. Am Ende der Prozession legte eine tugendhafte und angesehene Matrone einen Kranz auf den Phallus. Alle Verwandten waren eingeladen. Es gab Musik und Tänzerinnen, possenreißende Akrobaten und köstliches Essen im Übermaß. Die Casa Matinia war voller Leben und alle Öllampen und Feuer brannten. Man spielte heile Familie, zeigte, dass Sabaco ihr ganzer Stolz wäre. Nachdem er jeden begrüßt und jedem die gleichen Höflichkeitsfragen beantwortet hatte, vergaß man ihn und wandte sich den Darbietungen und den üblichen Gesprächsthemen zu.
Sabaco lag mit Ocella, der seine kleine Kindertoga trug, auf einer Kline und beide langweilten sich. Ocella fragte, ob sie eine Runde Ball spielen gehen wollten, aber Sabaco musste liegen bleiben. Immerhin war es seine Feier. Eine Weile blieb Ocella noch bei ihm, bis Sabaco ihn wegschickte. Es genügte, wenn einer von ihnen sich langweilte. Ocella schnappte sich eines der Gästekinder und sie verschwanden in den Weiten des Hauses. Sabaco blieb mit gähnender Langeweile zurück.
Ab diesem Moment mochte er die Feier nicht mehr.
Die Gäste versuchten scheinbar, sich gegenseitig damit zu übertrumpfen, wer das perfektere Leben führte. Er fragte sich, weshalb man sich traf, um über die spektakulärsten Einkäufe und Reisen zu sprechen oder darüber, wer geheiratet oder eine neue Stelle innehatte. Dann ging es weiter damit, wer auf welche Weise erkrankt oder gestorben war. Sabaco wurde zwischendurch immer mal wieder nach der Schule gefragt und oder welchen Beruf er einmal ergreifen wollte. Beides schien ihm bedeutungslos. An seinem Platz könnte bei diesen Themen genau so gut jemand anderes liegen, die Unterhaltung hätte keinen anderen Verlauf genommen. Die Gespräche wirkten auf ihn so künstlich wie die geschminkten, maskengleichen Gesichter. Ihm war, als würde sich niemand für ihn als Mensch interessieren, nur für seine Leistung. Ganz so, als wäre er eine Marionette, die möglichst genau den angedachten Schritten folgen sollte. Ocella hatte es richtig gemacht, spielen zu gehen.
Sabaco wünschte sich Armándos ins Triclinium, der einen seiner Rachepläne vor den Gästen ausbreitete oder über seine alte Herrin herzog und von ihren lüsternen Fantasien erzählte. Bei dem Gedanken musste er grinsen. Oh ja, Armándos wäre ein unterhaltsamer Gast. Oder Ferghus, würde er noch leben ... Demarete und Timocleia. Sie hätten gemeinsam viel Spaß an diesem Tag gehabt. Und seinem schwarzen Molosser hätten sicher die Reste vom Braten gut geschmeckt. Sabaco griff zum Wein.
Als er später angetrunken mit einer Amphore in der Hand durch den nächtlichen Garten schlenderte, weil er Ocella suchte, blieb er auf dem Kiesweg stehen und blickte zum Haus zurück. Obwohl er dort wohnte, fühlte es sich an, als würde er auf eine Theaterkulisse blicken. Als wären diese Leute Darsteller in einem öden Possenspiel, an dem er nur als Statist teilnahm. Oder vielleicht war es auch umgedreht ... war er hinabgestiegen aus einem Bühnenstück, das von der Straße handelte und von Abenteuer sang. Einem Drama, in dem er der Hauptdarsteller war und nicht nur Randfigur, weil er selbst das Drehbuch schrieb.
Das da draußen, das war hart, aber es war seins.