Die Villa des Claudius befand sich auf einer Anhöhe mitten in Ephesos. Der Weg dorthin war steil und führte durch schmale und verwinckelte Gassen durch einige der prachtvollsten Villen und Gärten der Stadt. 'Seid aufmerksam bei Aristio ! Er schmiert dir Honig um den Mund und im nächsten Moment hat er dich schon ausgetrickst.' warnten uns einige mißtrauische Zeitgenossen. Aber Aristio war wohl der einflussreichste und begütertste Mensch in Ephesos. Er war äußerst freigebig, war ehemaliger Oberpriester und ein hohes Tier in der Stadtverwaltung von Ephesos. Durch seinen Reichtum finanzierte er mehrere Bauten in Ephesos die da wären das Nymphaeum Traiani, ein Prunkbrunnen an der wichtigen Verbindungsstraße zwischen den beiden Marktplätzen von Ephesos, ein nach ihm benanntes 210 Stadien langes Aquadukt und unter anderem der Ausbau der Hafenthermen.
Wenn einer uns helfen können würde, dann wäre es dieser Mann, der die letzten fünf Jahre sein Villa kaum noch verlassen hatte und nur über unterirdische Gehwege sie gewöhnlich zu verlassen pflegte.
In dem Brief der Phöniker, den ich seit meinem Aufbruch immer an meiner Brust trug, war er auch namentlich erwähnt. Von seiner Unterstützung hing die weitere Expedition ab. Er war ein Mann mit Visionen, der sich nach eigener Aussage schon viel zu lange mit dieser Stadt arrangiert hatte.
Je näher wir zur Bleibe dieses bemerkenswerten wie auch merkwürdigen Manne kamen, beschlich sich mir ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Ich fragte mich, ob er uns bereits erwartete, wußte er von unserer Ankunft Bescheid ? Immerhin hatte die Aphrodite beim Einlaufen in ihren Heimathafen für reges Aufsehen und Gesprächsstoff gesorgt. Sie war noch immer das schönste und schnellste Boot in dieser Gegend und die Leute wußten von ihrer göttlichen Fügung.
Der Hang zu Claudius' Villa nahm kein Ende. Erschöpft und gequält von einem einstündigen Fussmarsch seit wir vom Hafen aufgebrochen waren, sah ich nach vorn. Die enge Gasse schlung sich weiter wie ein Labyrinth den Berg hoch, vorbei an stabilen Mauern, die die Rückseite zu prachtvollen Gärten reicher Stadtbewohner bildeteten.
Dabei fielen mir meine Wanderungen in den griechischen Wäldern und Höhen nördlich Atticas in früher Jugend ein. Es war ein frischer Herbsttag, keine schwüle Hitze lastete auf mir. Nur ein kräftiger Südwind bließ mir in den Nacken und ließ den Aufstieg um einiges leichter machen. Dabei summte ich immer ein kleines Lied vor mich hin, daß ich vor langer Zeit einmal gehört hatte und das mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf ging. Den Text wußte ich nicht mehr, und so stimmte ich nur die Melodie an. Auf einmal ertappte ich mich wie ich das Lied wieder vor mir hersummte. Mit mir hatte ich noch zwei Begleiter. Papius, den ältesten an Bord. Er überstieg mich an Lebenjahren zehn Abschnitte. Ihn wollte ich dabei haben. Er war nicht nur sehr vertrauenswürdig und verschwiegen, er wußte auch stets die rechten Worte zu wählen. Der zweite meiner Begleiter war Publius. Er war hoch geschossen, muskulös und zeigte eine starke Praesenz. Ihn erhoffte ich mir als Schutz, für den Fall, daß Probleme auftreten sollten.
Wir waren fast da. Die Villa lag am Hang, zur Hälfte im Berg gemeißelt. Durch die hohen Häuser hatte man von der Straße aus keinen Blick, aber von Claudius' Garten mußte man eine famose Sicht haben auf die Stadt und den Hafen mit seinem turkisblauen Wasser, in dem sich die Sonne wie in tausend Spieglein funkelte.
Ich schnaufte tief durch als ich unser vermeintliches Ziel sah. Wir gingen schnurstracks darauf zu. Die Eingangstür war aus braun glänzenden Pinienholz und bestand aus zwei Flügeln, die sich zu einem Tor öffnen ließen. Die Außenwand war schnörkellos verputzt und wies keinerlei Alterserscheinungen wie Beschädigungen oder Risse auf. Ich klopfte an die große Eingangstür. Das Klopfen verhallte. Jemand näherte sich der Tür und diese wurde einen Fuß breit geöffnet. Ein kleiner orientalisch anmutender Kopf schiebte sich durch den schmalen Spalt und fragte: "Was wünschen die Herren ?" Ich trat einen Schritt vor, sammelte mich, blickte nocheinmal zu Papius und begann zu sprechen: "Salve ! Wir sind drei Seefahrer, die den Herrn des Hauses, Tiberius Claudius Aristio zu sprechen gedenken. Mein Name ist Ferrius, Kapitän der Aphrodite", ich drehte mich zu meinen Begleitern um, "und das hier sind Papius und Publius, meine Begleiter und Mitglieder meiner Besatzung." Der Diener, der die Tür öffnete, beäugte uns und schien innerlich ein wenig aufzuschrecken, als er erfuhr, wer Publius war. So einen Koloss von einen Menschen hatte er anscheinend noch nie zu Gesicht bekommen. Aber öffnete uns freundlich sofort die Tür und führte uns in das Innere des Hauses. Scheinbar war Claudius also doch über unsere Ankunft bereits unterrichtet, wie ich es vermutet hatte. "Einen Moment die Herren," sprach der Bedienstete, "ich werde Tiberius melden, daß sie gekommen sind." Und damit verschwand er blitzschnell in einem der Seitengänge und durch eine Tür in einen anderen Raum. Wir standen währenddessen in diesem großen Raum und blickten um uns. Einen solchen Luxus hatten wir noch nie gesehen. Der Raum mußte gute sieben Meter hoch. An den Wänden reihten sich aufwendig gestaltete Wandmalereien, die fließend ineinander übergingen. Es mußte ein Vermögen gekostet zu haben, sie aufzutragen. Die Farben leuchteten in hellsten und kräftigsten Tönen. Sie mußten vor kurzem erst restauriert worden sein. Dem aufmerksamen Betrachter entgeht nicht, daß Claudius ein begeisterter Anhänger der See und der Schiffahrt ist. Denn ebensowie bedeutende Geschichten aus der Mythologie, zieren bis ins kleinste Detail Seeschlachten die Wände. Auch Teile der Odyssee lassen sich wiedererkennen. Skylla, die in ihren dutzenden Armen die Körper verirrter Seeleute gefangen hält oder das Meeresungeheuer Charybdis, in dessen Schlund viele unschuldige Seelen gefallen sind.
So wanderten unsere Augen fasziniert über dieses Meisterwerk, als sich plötzlich eine markante Männerstimme von hinten näherte "Gefallen Ihnen die Werke ?"
Ich sah mich um und Papius und Publius taten es mir gleich. Uns stand ein Mann entgegen, gekleidet in einer eleganten Toga und welligen Haar. Ich starrte ihn fassungslos an. War das tatsächlich Tiberius Claudius Aristio ?