Beiträge von Adalrich

    Wie Adalrich diesen Hünen überhaupt hatte übersehen können war eine Frage, wie er aus dieser Sache rauskommen würde die andere.


    "Was soll das?", raunte der Mann der Adalrich um einiges überragte misslaunig.


    "Es war nicht meine Absicht.", erwiderte der junge Germane kurz, ohne den Ernst der Lage zu erkennen.


    "Nicht deine Absicht? Du weißt wohl nicht mit wem du es zu tun hast?", schubste der Hüne Adalrich ein Stück weg.


    "Woher soll ich das wissen?", spannten sich die Muskeln des jungen Germanen an


    "Dann werde ich dir meinen Namen einprügeln, du Wanze!", brüllte der Riese.


    Die Stimmung war zum zerreißen gespannt und Adalrich war sich sicher das es gleich zu einer wüsten Prügelei kommen würde, als eine beinahe sanft wirkende Stimme ertönte.

    Adalrich hatte nach einem kleinen Fußmarsch die kleinen Stände der Händler, die sich rings um die militärischen Hafenanlagen niedergelassen hatten, erreicht. Sofort musste er wieder an seine Familie, seinen Vater und die gemeinsamen Handelsreisen denken. Gut möglich das sein Vater vielleicht sogar hier vor Ort war, wenngleich sich Adalrich eigentlich sicher war das es nicht so war. Er kannte die Routen seines Vaters recht gut und zu dieser Zeit im Jahr war er zumeist bereits auf dem Rückweg auf die andere Seite des Rheins. Dennoch hielt der junge Germane die Augen offen, um eine unangenehme Begegnung auf jeden Fall zu vermeiden falls er sich irren sollte.


    Allerdings war Adalrich dabei so sehr mit der Ausschau nach vertrauten Gesichtern beschäftigt, das er eine andere Person schlichtweg übersah und diese recht ungestüm anrempelte.

    Adalrich war etwas verwirrt. Das er zu groß geraten sei, war ihm in seinem vorherigen Leben soweit er sich erinnern konnte nie gesagt worden. Allerdings war ihm bereits aufgefallen das viele der Römer, darunter weniger die romanisierten Angehörigen der einzelnen Stämme, für sein Empfinden recht kurz geraten waren. Als ihm ein kurzer Blick auf einige der Reittiere der des Lagers gewährt wurde, konnte er die Äußerung der Wache deutlich besser einordnen. Die Tiere wirkten, zumindest im Vergleich zu den für ihn bekannten Rindern geradezu zierlich. Bei dem Gedanken sich selbst auf dem Rücken eines solchen Tieres zu sehen, musste Adalrich kurz grinsen.


    "Die Classis also.", murmelte er bestätigend zu sich selbst.


    Eigentlich erschien ihm das alles in seiner jugendlichen Naivität sogar sinnvoller. Wie sonst könnte man wohl mehr von der Welt erleben als auf den Planken eines Schiffes. Und letztlich hatte Adalrich bislang genauso viel Ahnung von Schiffen, wie von Pferden. Er blickte sich in Richtung des Portus um und machte sich auf sein neues Leben zu beginnen.

    Die Entscheidung war gefallen, Adalrich würde sein Glück als Teil der römischen Kriegsmaschinerie suchen. Immerhin würde er so vielleicht endlich etwas von der weiten Welt sehen, im schlimmsten Falle zumindest nach Ableistung seines Dienstes das römische Bürgerrecht erlangen. Als er das Tor erreicht hatte, wandte er sich an eine der Wachen die dort ihren Dienst taten.


    "Mein Name ist Adalrich. Ich bin hier um mich für die Auxiliartruppen zu melden.", blickte der junge Germane auf den sichtlich kleineren Mann hinab.


    Irgendwie wirkten diese römischen Soldaten nicht so imposant, wie es sich Adalrich aus den Erzählungen seines Vaters gedacht hätte.

    Es war ein schöner Abend, vermutlich sogar der schönste den Adalrich seit seiner Ankunft in dieser Stadt erlebt hatte. Gnaeus Germanius Priscus war erst vor Kurzem aus der römischen Armee ausgeschieden und hatte sich damit das Recht des Römischen Bürgers erworben. Eigentlich stammte er gleichsam von rechts des Rheins und seinen früherer Name Odoaker hatte er nun als echter Römer abgelegt. Er erzählt dem jungen Mann viel von seiner Zeit bei den Auxiliartruppen, der harten Ausbildung und dem harten Leben als Soldat. Aber er schwärmte auch von den glorreichen Siegen die er gemeinsam mit seinen Kameraden - seiner Familie - errungen und die zahlreichen exotischen Orte die er während seiner Dienstzeit gesehen hatte.


    "Man wird kein reicher Mann, Adalrich. Aber man lernt viel für das Leben. Und es ist allemal besser als sich in den dunklen Gassen als Tagelöhner oder Strauchdieb zu verdingen.", prostete Gnaeus dem jungen Mann ihm gegenüber zu.


    Adalrich wirkte zunehmend still und in sich gekehrt. Er dachte viel über die Erzählungen und Worte nach. Insbesondere das Odoaker seine Kameraden als Familie betrachtete, weckte in ihm eine Sehnsucht die seit seiner Abkehr von seinem Elternhaus an ihm nagte.


    "Meinst du ich könnte das auch?", wandte er sich unvermittelt an Gnaeus.


    "Was?", erwiderte dieser.


    "Den Auxiliartruppen beitreten.", gab Adalrich zurück.


    Gnaeus verzog die Miene und schien schlagartig nüchtern zu sein.


    "Das ist ein harter Weg, mein Junge. Aber er lohnt sich. Doch du musst selbst davon überzeugt sein, sonst endet das nicht gut für dich.", blickte Gnaeus Adalrich musternd an.


    Der junge Germane nickte nur und kurz darauf prostete man sich wieder bis in die frühen Morgenstunden zu. Als sich Adalrich im Morgengrauen verabschiedete, stand sein Entschluss fest.

    Die Tage zogen sich endlos dahin, die Nächte waren kurz und von der ständigen Sorge geprägt, am falschen Ort zur falschen Zeit zu sein. Irgendein anständiges Auskommen war nicht zu finden, zumindest nicht wenn man noch etwas Würde hatte, und der Hunger trieb Adalrich mitunter zu Diebstahl und anderen wenig ehrhaften Dingen. Doch als sich der junge Mann bereits mit seinem Schicksal abzufinden begonnen hatte, meinten es die Götter gut mit ihm. Eines Abends als Adalrich die Gunst der Stunde nutzen und einen älteren, sichtlich gut genährten Mann in einer stillen Seitengasse um ein paar Münzen erleichtern wollte, sollte sich sein weiterer Werdegang schlagartig in eine andere Richtung gelenkt werden.


    Wie Adalrich schmerzhaft erfahren musste, handelte es sich bei seinem ausgewählten Opfer nicht nur um einen Stammesgenossen, sondern auch um einen Veteranen der seine Zeit in der römischen Armee abgeleistet hatte. Zwar war der Jüngling dem Alten an Größe und Kraft deutlich überlegen, doch das jahrelange, harte Training und die Kampferfahrung machten diesen Nachteil mehr als wett. Und so fand sich der angehende Berufskriminelle nach ein paar gezielten Faustschlägen auf dem Boden liegend und in das feist grinsende Gesicht von Gnaeus Germanius Priscus.


    "Was für eine armselige Vorstellung war das denn?", wirkte der Mann auf Adalrich nun deutlich bedrohlicher als zuvor. "Hast wohl gedacht du könntest hier schnell zu Reichtum kommen."


    Der Mann reichte Adalrich zu dessen Überraschung die Hand entgegen und half ihm auf die Beine.


    "Kannst du eigentlich auch sprechen, oder habe ich mehr kaputt geschlagen als ich eigentlich wollte?", feixte Gnaeus.


    "Natürlich kann ich sprechen.", rieb sich Adalrich den schmerzenden Unterkiefer. "Und jetzt wirst du mich melden und dir eine Belohnung abholen, was?"


    Der Mann lachte lauthals los, hielt sich den nach vorne gewölbten Bauch und blickte den Jungen sichtlich erheitert an.


    "Für dich drittklassigen Strauchdieb würde sich der Aufwand doch gar nicht lohnen. Außerdem hast du deine Strafe ohnehin schon erhalten.", tat der Mann die Aussage seines Gegenübers ab.


    "Also kann ich gehen?", wollte sich Adalrich versichern.


    "Sicher. Allerdings würde ich dir raten beim nächsten Mal etwas durchdachter zu Werke zu gehen. Sonst ist es schneller aus mit dir als dir lieb sein kann.", winkte der Mann dem Jungen zu verschwinden.


    Doch gerade als sich Adalrich umdrehen und in der Anonymität der Schatten verschwinden wollte rief ihm Gnaeus nach.


    "Warte mal. Wie heißt du eigentlich?"


    "Adalrich.", erwiderte der junge Germane.


    "Verstehe.", sprach der Alte mehr zu sich selbst gewandt. "Wie wäre es mit einem kleinen Schluck? Ich lade dich ein."

    Etwas mehr als einen Monat war der junge Adalrich nun schon in Mogontiacum und seine anfängliche Euphorie über diese prächtigste Perle am Rhein war nach und nach einer ernüchternden Realität gewichen. Wie verheißungsvoll hatte er sich in seiner naiven Träumerei diese Stadt und die zahllosen Möglichkeiten die sich ihm hier bieten würden ausgemalt. Wie fest war er davon überzeugt gewesen hier mit offenen Armen empfangen zu werden. Wie begierig fieberte er all dem neuen Wissen entgegen das sich ihm hier erschließen würde und wie freudig war seine Erwartung all jener interessanten Gespräche gewesen, die ihn hier sicherlich erwarten würden.


    Nun, letztlich bot ihm Mogontiacum all jenes, doch in einer Art und Weise wie es so gar nicht in die Hoffnungen und die Sehnsüchte des jungen Mannes passen wollte.


    Er war bereits in seiner ersten Nacht in dieser Stadt herzlich empfangen worden, von einer Bande halsabschneiderischer Krimineller die ihn im Schlaf in einer kleinen Seitengasse überfielen und ihm seiner wenigen Habseligkeiten beraubten. Immerhin ließen sie ihm am Leben, dachte er sich da noch, doch auch dieser Hoffnungsfunke verkehrte sich alsbald in ein fast mitleidiges Übel. Wissen gab es hier reichlich und allerlei, jedoch nicht für Menschen wie ihn, den Habenichts und Bettler, den elenden Barbaren und verlausten Unruhestifter. Und so führte er auch - wenn überhaupt - Gespräche über Dinge die seiner Neugierde nicht gerecht wurden, denn die Leute hier, am Boden der Gesellschaft des prächtigen Mogontiacum, hatten andere Sorgen als über die weite Welt zu philosophieren die sie ebenso wenig kannten wie der junge Adalrich selbst.


    Er schlief in den Gassen, verdingte sich für etwas zu Essen und fragte sich allmählich ob seine damalige Entscheidung - es kam ihm vor als ob jene regnerische Nacht länger als nur einen Monat zurücklag, ein ganzen Leben fast - nicht die falsche gewesen war. Doch ein zurück gab es für ihn nicht, das wusste er nur allzu gut.