Beiträge von Servius Annaeus Vindex

    Ein Mitglied der factio


    "Du missverstehst mich. Ich könnte ihn mir als Lehrer für alle vorstellen. Er kann allen unseren Fahrern sicher noch etwas beibringen und sie alle besser machen."


    "Was für eine verrückte Idee ist das jetzt wieder, Varro?!"

    Ein Mitglied der factio


    "Ja, was ist denn nun mit Pigor und wie wollen wir ihn ersetzen, wenn es dereinst soweit ist? Es ist nun wirklich nicht mehr der Jüngste, aber er kann noch einige Zeit Rennen fahren. Aber danach... er könnte sein Wissen weitergeben."

    Die Musik setzt ein als wir losgehen, der Stier wirkt zunächst etwas überfordert mit dieser neuen Situation, fügt sich aber schnell ein und setzt sich ebenfalls in Bewegung. Noch immer strahlt das Tier eine fast schon unnormale Ruhe aus, während ich es an dem Ring in seiner Nase langsam vorwärts führe.


    Auf dem Marsfeld wird der Stier für einen Moment unruhig, als plötzlich neuer Lärm aufkommt, doch sanftes Streichen über seine Stirn beruhigt ihn wieder. Glücklicherweise hatte ich noch mit zwei Händlern auf dem Forum Boarium gesprochen und sie nach Lösungen gefragt, falls das Tier sich plötzlich anders verhielt.


    Der Rest des Weges verläuft dann auch reibungslos.

    "Was die Übung durch den Ernstfall angeht, muss ich zustimmen, aber ist Archytas wirklich schon soweit?"


    "Lasst sie alle vier fahren, das wird die Chancen auf den Sieg erhöhen!"


    "Wir sollten nur einen schicken, vielleicht Pigor. Aber wir brauchen wirklich Ersatz für ihn."


    Ich lasse einige der anderen sprechen, bevor ich selbst kurz das Wort erhebe.

    "Ich mag jetzt neu hier sein, aber was spräche denn dagegen, alle vier Fahrer an den Start zu schicken?", frage ich direkt den letzten Redner. Er findet keine Begründung für seine Aussage, beharrt aber auf dem bald zu suchenden Ersatz. "Es scheinen alle dafür zu sein, dass vier Fahrer die factio vertreten."

    Anders als Crispina hatte ich gut und ausreichend geschlafen und freute mich auf pompa und Opfer. Doch irgendwann im Verlauf des frühen Tages hatte auch mich die Nervosität gepackt. Wenigstens zweimal kontrollierte ich mit der Sklavin Nysa gemeinsam den Sitz meiner Kleidung. Sie befand es für tadellos. Jedes Mal.


    Nun stehe ich in der pompa, neben mir der geschmückte Stier, den Florus ausgewählt und den Crispina dekoriert hatte. Er war scheinbar schon zuvor mit beruhigenden Substanzen gefüttert worden und blickt ein wenig geistesabwesend vor sich hin. Sein Atem geht ruhig und gleichmäßig und sorgt auch bei mir wieder für weniger Anspannung. Ich bin bereit.

    Ich hatte mich gerade gesetzt als Flaccus seine Schlussworte fand und alle Redner noch einmal zu sich bat. Also erhob ich mich erneut, bevor es noch zu gemütlich wurde, und trat nach vorn. Den anderen Rednern reiche ich jeweils kurz die Hand, um mich für ihren Beitrag zu bedanken.

    Florus hatte mich, wie versprochen, mit zur Sitzung der factio genommen, damit dort über meine Aufnahme entschieden werden konnte. Ich hätte nervös sein können, war es aber nicht, denn in der Zwischenzeit war ich ja nun auch kein Niemand mehr, sondern wurde zum Aedituus ernannt und hatte in einer Debatte meine Rhetorik versucht unter Beweis zu stellen. Daher stehe ich nun in den Räumlichkeiten der factio albata und freue mich auf alles, was kommen mag. Nach ein paar einführenden Worten bittet Florus darum, dass ich mich selbst kurz vorstelle.


    "Dankesehr. Nun, Florus hat es bereits erwähnt, ich stamme aus Pergamon und kam vor einigen Wochen hierher nach Rom, um ein wenig Karriere zu machen. Zuvor habe ich einige Städte des Reiches bereist und dort das ein oder andere aufgeschnappt und mich fortgebildet. Hier in Rom habe ich mich dann recht spontan um das Amt des Aedituus des Aesculapius-Tempels beworben und bekam diesen Posten auch. Der ein oder andere könnte mich auch in der taberna Palindromos gehört haben, wo ich an einer Debatte teilnahm. Viel mehr gibt es derzeit nicht zu sagen, denn noch stehe ich am Anfang meiner Zeit in Rom, möchte mich allerdings sehr gern hier in der factio beteiligen und bitte daher um Aufnahme."

    Ich muss ein wenig lachen ob des Grinsens des Kaisers. Er scheint Humor zu haben, das hatte Florus so nicht erwähnt. Aber es freut mich umso mehr.


    "Nun, vielleicht haben wir eine andere Definition von Spaß, aber es wird in jedem Fall lehrreich und spannend, soweit bin ich sicher."

    Ich versuche nicht herumzudrucksen, als mich der Kaiser mit dieser Frage direkt trifft. Aber ich brauche auch einen Moment, um meine Antwort zu formulieren.


    "Die Verwaltung und die Politik, mein Kaiser. Sobald ich dazu bereit bin, und natürlich mit deinem Segen, möchte ich dereinst Statthalter in Asia sein. Das war nun schon seit über zehn Jahren mein großer Traum, wegen dem ich dein Reich bereist habe. Ich habe dort den ein oder anderen Plan."

    "Seit du hier bist, hat sich die Vielfalt des Essens deutlich verbessert", sage ich als ich das Speisezimmer betrete. Crispina hatte erneut dafür Sorge getragen, dass wir in geselliger Runde ein wunderbares Mahl zu uns nehmen konnten, statt isoliert von einander zu unterschiedlichen Zeiten kleine Häppchen zu essen.


    "Wie war dein Tag, Crispina?"

    Ravilla bekam seinen Applaus, eine interessante Rede, das muss ich zugeben. Jetzt allerdings war mein Moment gekommen, der auf den ich mich die ganze Zeit vorbereitet hatte. Nach meinem misslungenen Auftritt auf der Rostra vielleicht meine nächste Möglichkeit zu glänzen. Ich erhebe mich, nachdem Flaccus mich ankündigt und streiche über meine Tunika. Während der anderen Rede hatte ich über meinen Einstieg nachgedacht und war dann zu einem Entschluss gekommen. Jetzt trete ich vor und schaue mich im Raum um, viele für mich noch unbekannte Gesichter, aber auch das ein oder andere vertraute.


    "Freunde", beginne ich mich laut erhobener Stimme ohne zu schreien, um auch das letzte Murmeln zu übertönen, "ich frage euch: war nicht vor Urzeiten, zu den Zeiten unserer Vorväter, zu Zeiten des großen Romulus und seines Bruders, zu Zeiten als überall Tyrannen herrschten und Völker unterjochten, war nicht zu dieser Zeit der Ort, an dem wir hier heute stehen, ein trostloser und verlassener Ort?" Während ich das sage, beginne ich schon durch den Raum zu gehen und blicke bei meiner Aufzählung vereinzelten Anwesenden in die Augen zu blicken. Ich lächle ihnen dabei zu und sorge dafür, dass mir ihre Blicke folgen. "Ich frage euch weiter: was ist denn aus diesem Ort von damals geworden? Ist er nicht das Zentrum von Kultur, Gerechtigkeit und Zivilisation geworden?" Wieder blicke ich in die Augen der Gäste.


    "Und ist es nicht so, dass heute fast schon die gesamte uns bekannte Welt von diesen Errungenschaften profitiert? Freilich, es gibt noch immer Flecken, die sich beharrlich sträuben." Ich mache eine kurze Pause. "Doch lasst mich euch eines in Erinnerung rufen! Es gab immer Flecken, die sich gegen Kultur, Gerechtigkeit und Zivilisation gesträubt haben. Es gab sie immer und überall. Selbst der Ort, aus dem ich stamme, ihr habt von ihm gehört, da bin ich sicher, war einst ein solcher Flecken. Doch dann kamen die Attaliden, schon seinerzeit große Freunde der Römer, und gaben dem Ort Kultur, Gerechtigkeit und Zivilisation. Und das in einer Zeit, in der überall Chaos und Unordnung herrschte, in der selbst ernannte Könige stritten, welcher von ihnen denn nun... das größere Diadem hatte." Ich lächle kurz verschmitzt.


    "Was ist denn nun aber mit dem Ist-Zustand, wie es Saturninus so eloquent ausdrückte?" Ich hatte mich mittlerweile geschickt durch den Raum bewegt und war in der Nähe des ersten Redners und seines Sklaven zum Stehen gekommen. "Wir haben Zahlen bekommen, das ist sehr schön und sie wirken auch etwas ernüchternd, das will ich zugeben. Aber eine Schweinsblase? Ist unser wundervolles Reich wirklich eine Schweinsblase? Sind Kultur, Gerechtigkeit und Zivilisation nur eine Schweinsblase? Daran habe ich doch gewaltige Zweifel." Ich bewege mich wieder, scheinbar ziellos, durch den Raum, lasse aber noch kurz die Blicke der Zuhörer auf dem Platz verharren, an dem ich gerade war und der nicht nur zufällig bei Saturninus war.


    "Eine Schweinsblase platzt und ist dann verschwunden, ja, eine nette Metapher. Aber unzutreffend. Auch Rom platze einst, niemand von uns war dabei als damals Tarquinius Superbus verjagt wurde oder als aus den Trümmern des Bürgerkriegs der republikanischen Streithähne unser glorreiches Imperium hervorging. Eine Schweinsblase wäre in beiden Fällen einfach weg gewesen, aber Rom ist noch da! Rom ist", ich mache eine Pause und blicke mich im gesamten Raum um und suche soviel Augenkontakt wie möglich, "ein Phoenix, liebe Freunde. Rom kommt immer wieder, Rom ist ewig. Die urbs aeterna."


    Ich lasse diese neue Metapher für einen Moment im Raum stehen, gerade so lange, dass keine Gespräche aufkommen. "Rom ist immer schon expandiert, als vermaledeites Königtum, als gepriesene Republik und auch als glorreiches Imperium. Und wo stehen wir nun?" Ich hatte mich erneut in eine strategische Position gebracht und stehe nun nahe von Ravilla, dem dritten Redner. "Wir stehen dort, bildlich gesprochen, wo uns wieder einige Flecken erwarten, die Kultur, Gerechtigkeit und Zivilisation nicht annehmen möchten, wenn wir sie ihnen darreichen. Wir stehen in Germania, das nicht nur aus Sümpfen, Wäldern und Barbarei besteht." Ich setze meinen Weg durch die taberna fort. "Nein, das war einmal. Germania hat mehr zu bieten als das. Fragt nur die tapferen Menschen in Mogontiacum, Confluentes oder bei den Treverern. Als ich dort war habe ich vieles gelernt, aber einen Schnupfen hatte ich nie."


    "'Und was ist mit dem Osten?', fragt ihr jetzt sicherlich. Auch das will ich euch sagen. Ja, die Parther scheinen sich derzeit im Niedergang zu befinden. Ihnen fehlt es an stabiler Kultur, Gerechtigkeit und Zivilisation. Was passiert jedoch, wenn diese Schweinsblase platzt? Entsteht sie von Neuem? Sicherlich nicht, also ist es an Rom zu expandieren und Kultur, Gerechtigkeit und Zivilisation in diesen Raum zu bringen. Denn die ewige Stadt und unser Imperium sind ein Phoenix, meine Freunde. Selbst wenn wir auf Schwierigkeiten stoßen sollten, und auch das war immer der Fall, werden wir im schlimmsten Fall gestärkt daraus hervorgehen. Die Götter sind, wie Clemens euch schon dargelegt hat, auf unserer Seite und werden uns weiterhin unterstützen. Oder zweifelt hier irgendjemand am pax deorum?" Bei der letzten Frage suchen meine Blicke gezielt nach den beiden Rednern der Gegenseite, verharren aber nicht lange genug bei ihnen um es als Angriff zu interpretieren.


    "Wenn das Imperium weiter wächst, wird es sich auf keinen Fall selbst aufzehren. Alles spricht dafür, dass die ewige Stadt auch weiter die ewige Stadt bleiben wird." Ich breite die Arme leicht aus und nicke in die Runde, bevor ich mich wieder zu meinem Platz begebe und mich setze. Zufrieden harre ich der Dinge, die kommen werden.

    "Er liegt den Menschen nicht nur am Herzen, sondern auch an einer sehr prominenten Stelle. Daher ist es der Reputation des Tempels und dann folglich der Stadt mit Sicherheit zuträglich, wenn sich der Zustand bessert."


    Der Kaiser stellt sich als unfassbar angenehmer Gesprächspartner heraus. Ich werde Florus später danken müssen, dass er dieses Treffen ermöglicht hat.


    "Leider nein, mein Kaiser, ich würde gerne eines absolvieren, konnte bislang nur noch keinen Patron finden. In Pergamon habe ich damals eines absolviert, doch war es wenig fruchtbar und die beiden Städte unterscheiden sich erheblich."

    "Nun, aktiv ändern konnte ich in der kurzen Zeit noch nichts. Ich plane aber eine Umstrukturierung des Zugangs zum Tempel für die Kranken, damit diese auch Heilung finden können, wenn sie danach suchen. Gleichzeitig muss aber auch ein neuer Anreiz für die Händler geschaffen werden, sodass die Kranken ihre Gaben nicht am anderen Ende der Stadt erstehen müssen. Vielerorts gibt es gute Lösungen für die Problematik, hier mag es vielleicht der Lage des Tempels geschuldet sein, dass es nicht herausragend gut funktioniert. Und meiner bescheidenen Meinung nach sollte es das in Rom."

    "Allein ob der Größe der Städte stimmt das wohl. In der Zwischenzeit, nun... ich wurde kürzlich zum Aedituus des Aesculapius-Tempels auf der Tiberinsel ernannt und werde dort einige administrative Veränderungen vornehmen, um die Angestellten zu entlasten und den gesamten Prozess für die Heilsuchenden angenehmer zu gestalten."


    Ich merke, dass ein wenig Stolz in meiner Stimme mitschwang, obwohl ich noch gar nichts erreicht hatte.

    War ich in ein Fettnäpfchen getreten? Hatte ich den Herrn der Welt beleidigt? Ich lasse ihn ausreden und antworte dann sofort.


    "Also ich, nun... ich kam erst vor kurzer Zeit hier an und bin noch immer überwältigt von Rom, daher fällt es mir schwer es als Heimat zu bezeichnen. Die Stadt ist einfach noch groß und wirkt trotz vieler vertrauter Elemente tatsächlich ein wenig... fremd. Daher muss ich gestehen: meine Heimat bleibt bis auf Weiteres Pergamon, Herr."