Beiträge von Tarkyaris

    Tarkyaris hielt still, als Tiberios ihm die eigene Tunika hinter das Kreuz legte, so dass der Fürst bequemer saß. Diese simple Geste nahm viel von der körperlichen Anspannung des Tempelfürsten und wie es die Gesetze wollten, schwand auch die Anspannung des Geistes um ein kleines Stück, als der Körper sich entspannte.


    Kaum war es zu glauben, doch die Finsternis, aufsteigend aus den Tiefen, wich im Licht der weißen Haut. In der Nacktheit des Tiberios lag nichts Obszönes. In einer Leichtigkeit und Natürlichkeit bewegte er sich, als würde Kleidung etwas sein, dessen er nicht bedurfte. So erinnerte sie Tarkyaris an die sphärische Unschuld der Sklavenkinder, die noch zu klein waren, ihren Eltern zu helfen und sich unbeschwert von Pflicht und Kleidern ihres Lebens freuten, wenn die Sonne warm auf Cappadocia schien, während er selbst sich in seinen Pflichten schon als Kind angekettet fühlte, als sei er unfreier, als seine eigenen Sklaven es waren. Die schwerste Kette von allen hatte er eigenhändig durchtrennt und atmete seither freier, genoss die Fahrten mit dem Schiff in ferne Lande und das Leben, welches er in diesen begrenzten Zeiten führte. Doch die Ketten, die sein Herz und seinen Geist gefangen hielten, waren nicht mit herkömmlichen Mitteln zu durchtrennen.


    Träumerisch versunken in bittersüßer Wehmut schwelgte er in den Worten des Sklaven und der Traum, der ihn zart umsponn, endete erst, als Tiberios Tarkyaris ansprach. Doch dieser antwortete zunächst anders, in keiner Relation zur Fragestellung:


    "Edles Geschöpf, das du bist. Dich zu verkaufen, fällt mir nun nicht mehr leicht, da du dich in deiner Gänze offenbart hast. Zum Zeichen meiner Wertschätzung möchte ich dir jedoch vor unserem Scheiden einen Rat mit auf deinen Weg geben.


    Dem Hyakinthos bist du nicht unähnlich und bedenke stets - die Besten sterben jung. So ist es in Legenden, so ist es real. Nicht, weil die Götter ihre Favoriten ungeduldig bei sich wissen wollen, wie man es gemeinhin erzählt, sondern weil die Neider sie zu Fall bringen. Die mindere Brut, die vor Niedertracht nicht ertragen kann, dass jemand so gut, so fähig und so schön ist, wie sie es niemals sein werden! Neid ist die gefährlichste Eigenschaft der Menschen, noch vor dem Hass. Hüte dich, Tiberios. Nicht vor mir, sondern vor denen, die schlechter sind als du. Niemand ist ein so verbissener Feind wie Rivale, dessen Herz von Neid vergiftet wurde. Also halte die Augen stets offen."


    Über Neid und Niedertracht war auch Tarkyaris keineswegs erhaben, doch hatte er von Kindesbeinen an gelernt, sich hinter den plumpen Gefühlsregungen zu beherrschen bis hin zur völligen Maskerade, unter der er selbst sich nicht mehr fand. Er war Tarkyaris, der Tempelfürst, auf dem Meer nannte man ihn Rex - doch wer die Person hinter all diesen Funktionen war, das wusste er selbst nicht mehr. Eine Ahnung glaubte er zu spüren, als er die Unbeschwertheit des Sklaven sah, eine Rückversetzung in die eigene Kindheit, als noch mehr Mensch in ihm übrig gewesen war als heute.


    "Von der Schönheit meiner Heimat möchtest du hören. Wohlan, so höre. Man sagt, Wind und Feuer haben Cappadocia geformt. Sein Antlitz ist trocken und staubig, wild und zäh. Die Tempelstaaten sind darin gleich Sternen am finsteren Firmament, Lichtblicke peregriner Zivilisation. Cappadocia ist außer Achaia vielleicht die einzige Provinz, die nach ihrer Eroberung keine Romanisierung nötig hatte, da es nichts gibt, was die Römer uns lehren könnten. Wir kannten die Zivilisation bereits, als der Gründervater Roms noch an den Zitzen einer Wölfin hing.


    Kein anderes Land wird von den Göttern so geliebt wie das unsere. Und so mag es nicht verwundern, dass die Söhne der Götter dort ihre Wohnsitze errichteten. So auch Aias, der das Priestergeschlecht der Teukriden begründete. Erkennst du den Namen? In vorhellenischer Zeit wurde in Cappadocia der Wettergott Tarku verehrt, an dessen Stelle später Zeus Olbios trat. Der Göttervater, blitzeschleudernd - es ist die selbe Entität. Der Name, unter welcher wir sie ehren, ist ihr einerlei. Zeus und Tarku sind eins, doch der Name Tarku ist älter und edler.


    Nach Tarku benannte sich auch das Geschlecht der Teukriden, das in Olba residierte und vor dreihundert Jahren praktisch ganz Kilikien beherrschte. Hast du gewusst, dass Olba das finale Refugium des letzten Seleukidenzweiges war? Das Heiligtum selbst erhielt unter Kaiser Tiberius Stadtrechte und wurde Polis. Allerdings verloren die Teukriden ihren Einfluss wieder, als Vespasian die Provincia Cilica errichtete und die Verwaltung auf römische Weise umstrukturierte und die Grenzen neu zog. Du siehst, die Geschichte Cappadocias ist so wechselhaft und wandelbar wie die Elemente, die unser Land formten. Doch wir haben gelernt, ebenso wandelbar zu sein.


    Und bald, lieber Tiberios, wirst du beweisen, dass du selbige Kunst beherrschst, wenn ein neuer Herr für dich gefunden wurde und ein neuer Lebensabschnitt für dich beginnt."

    Von Delos aus führte die Fahrt weiter nach Corinthus. Auf der Landseite der Peleponnes fuhr die Corbita entlang, anstatt sie außen auf der Seeseite zu umrunden. Für Vergnügungsausflüge ließ Tarkyaris seiner kleinen Mannschaft wenig Raum, die Männer hatten zu arbeiten und er schätzte keine Trunkenheit.


    Unterwegs wurde ein Teil der Sklaven verkauft, ein anderer kam an Bord, ausnahmslos von anmutiger Gestalt und binnen der letzten Jahre in den musikalischen Künsten ausgebildet, so dass Tarkyaris sie in Roma an betuchtere Kunden vermitteln konnte. Sie trugen Instrumente bei sich, so dass ihre künftigen Herren sich vom ersten Tag an ihrer musikalischen Fähigkeiten erfreuen konnte. Ihnen war gestattet, an Bord zum Zeitvertreib zu musizieren und ein Teppich zarter Klänge erfüllte bald das kleine Schiff. Diese Sklaven erwartete ein behütetes Leben und wenigen war das Herz schwer. Doch hielten sie einen gewissen Abstand zu jenen Sklaven ein, die sie bereits im Rumpf vorfanden.


    Auch unter diesen Neuzugängen rief Tarkyaris sich nacheinander zwei in seine Kajüte zu einer persönlichen Unterredung, doch vermochte keiner, seinen Ansprüchen zu genügen und er schickte sie, gelangweilt von ihrer Ersetzlichkeit, zu den übrigen zurück.


    Es kam der Tag, da sie das Mare nostrum queren mussten. Tigranes beobachtete das Wetter mit den Augen eines erfahrenen Seemanns und hielt Rücksprache mit den Bewohnern ihres letzten Aufenthaltsortes an der nördlichen Peleponnes. Niemand kannte die Winde und Stürme vor Ort so gut wie jene, die seit der Kindheit mit ihnen lebten. Nach einer Wartezeit von zwei Tagen nutzte die Corbita ein Wetterfenster, um ins offene Meer zu stechen. Von dem Tag an, da sie die Küste aus dem Blick verloren, war Tarkyaris krank. Die offene See barg etwas, dass ihm die Lebensenergie aus den Adern saugte. Er aß nichts, da sein Körper es nicht behalten hätte und verbarg sich in seiner Kajüte. Nach drei Tagen des Elends ließ er erneut mit einer Schale Milch nach Tiberios schicken und ihn nach der Waschung zu sich rufen.


    Bleich saß der Cappadox in seinem Stuhl, der wie jedes Möbelstück am Boden verankert war, so dass er bei Seegang nicht rutschen konnte, gepeinigt von der Unkontrollierbarkeit der See. Mochte jeder zivilisierte Mensch, der diese Bezeichnung verdiente, vor ihm das Haupt neigen oder in Respekt zu ihm aufsehen - der Ozean tat es nicht. König Xerxes hatte einst Fußschellen in den Hellespont geworfen* und die Wellen auspeitschen lassen, als das Meer seine Pläne durchkreuzte, doch geholfen hatte ihm dies nichts. Auch ein Mann, der Menschen und Land kaufen konnte, der die Geschicke eines jeden in seinem Umfeld zu lenken gewohnt war, musste sich vor der See in Demut üben wie vor einer Göttin.


    "Unterhalte mich", befahl der Fürst und meinte: Lenke mich ab von dem, was unter diesen Planken lauert.


    Einen Musikanten oder eine Tänzerin hatte er nicht zu diesem Zwecke rufen lassen - ihre Künste genügten nicht, um die kalten Klauen der See von seinem Herz zu lösen, die es zusammendrückten und bei jedem Herzschlag schmerzen ließen.


    Die ausgebreiteten Hände von Tarkyaris fielen nach innen, kreuzten sich auf dem Tisch wie zwei Speere vor einem Eingang. Die Tür fiel ins Schloss, der Weg in eine Zukunft in Perlen und Seide war verschlossen.


    "Die Hand wird nur einmal gereicht. Ziehe dich nun zurück zu deinesgleichen."


    Tarkyaris gab sich keine Mühe, seine Enttäuschung zu verhehlen. Niemand, der nach exquisitem Sklavenmaterial suchte, konnte ein Exemplar gebrauchen, welches aus Sentimentalität seiner alten Herrin nachtrauerte, anstatt sich an die neue Familie zu binden. Schade für Tarkyaris, Schade für sein Geschäft und schade für den Sklaven, würde er sein unnötiges Unglück begreifen. Den nun würde er als gewöhnlicher Scriba an einen ebenso gewöhnlichen Herrn verkauft werden.

    Der Miene von Tarkyaris war nichts anderes zu entnehmen als Aufmerksamkeit. Das maskengleiche Gesicht konnte Irritation bei Menschen verursachen, die es gewohnt waren, dass ihr Gegenüber seinem Mienenspiel freien Lauf ließ. Tarkyaris hatte aufgrund seiner Abstammung von klein auf gelernt, dass Mimik als Kommunikationsmittel ebenso bewusst eingesetzt werden musste wie Worte. So konnte er mitunter teilnahmslos wirken, doch könnte dieser Trugschluss falscher nicht sein. Er analysierte und betrachtete seine Umgebung unentwegt, wertete aus, erwog Möglichkeiten.


    Und diese Möglichkeiten offerierte der Sklave soeben wie eine ausgebreitete Warenauslage. Der Jüngling wollte handeln - um sein kleines Leben, das dennoch das einzige war, was er besaß. Tarkyaris hatte Sklaven nie als wertlos bezeichnet oder ihre menschlichen Bedürfnisse in Abrede gestellt. Bedürfnisse waren der Schlüssel zur Kontrolle, indem man sie stillte oder schürte, bei Sklaven wie Freien. Jeder hatte Bedürfnisse, auch der Jüngling, der ihm gegenüberstand und Tarkyaris meinte, den Kern seines Wesens zu erfassen. Er würde seine Überlegungen auf den Prüfstand stellen.


    Er nickte wohlwollend. "Tiberios ist ein schöner Name. Du darfst ihn vorerst behalten."


    Ein Stückchen seiner Selbst, dass dem Jüngling erhalten blieb, ein Stück Vertrautheit, ein Brotkrumen, der dem Sklaven mitteilen sollte, dass Tarkayris das Angebot annehmen würde - er würde mit ihm um seine Zukunft verhandeln. Im Falle dieser wandelnden Goldgrube war sorgfältige Kalkulation keine Zeitvergeudung, sondern Gewinnmaximierung.


    "Du bist als gut ausgebildeter Scriba ein kluger Kopf. So weißt du auch um die Möglichkeiten, die sich einem Sklaven offerieren, der in der Lage ist, mit dem nötigen Ehrgeiz zu handeln. Es gibt Sklaven, die für ihre Herren diplomatische Verhandlungen in anderen Ländern führen, die ihn bei seinen Regierungstätigkeiten unterstützen und Freie befehligen, als wären sie selbst ein Herr. Auf dem Zenit ihrer Macht spielt es für solch pflichtbewusste Sklaven keine Rolle mehr, dass sie unfrei sind - denn sie leben in größerem Luxus als so manch freiem Mann, der bis ins hohe Alter dem kargen Boden in Wind und Wetter ein paar knorrige Feldfrüchte abringen muss. Hast du je Palastsklaven erlebt? Sie sind in Gold kaum aufzuwiegen, ihr wahrer Wert ist nicht weniger als unbezahlbar. Sie sind nichts Geringeres als lebende Schätze. Man belohnt sie reich für ihre Treue, sie werden geschätzt für ihre Leistung, verehrt für ihre Macht und sie werden geliebt."


    Tarkyaris hob in einer bedauernden Geste beide Hände.


    "Freilich ist dies der Lohn der Tüchtigsten, der Treusten, kurzum: der Besten. Doch was tun, wenn die Treue eines Sklaven voller Potenzial bereits einer Herrin gilt, deren Diensten er entrissen wurde?"

    Seine Mahlzeit hatte Tarkyaris in der Zwischenzeit beendet, der Tisch war freigeräumt, seine Hände sauber. Mit einem beiläufigen Wink schickte er Tigranes nach draußen, der die Tür hinter sich schloss und davor Stellung bezog. Aller Wahrscheinlichkeit eine überflüssige Maßnahme, doch man würde sehen. Tarkyaris nahm sich Zeit, den Sklaven zu betrachten, der im durch das Fenster einfallende Licht wie eine Alabasterstatue aussah.


    Er registrierte ansprechende Zartheit, wenngleich sie nicht mehr lange vorhalten würde, doch vermutete er weitere Qualitäten, die den Makel des relativ fortgeschrittenen Alterungsprozesses wieder auszugleichen vermochten. Der Blick des Sklaven wirkte klug, kontrolliert und das verheißungsvolle Lächeln ließ manipulative Neigungen erahnen. Je nach Einsatzbereich eine durchaus vorteilhafte Eigenschaft. Manche sprachen euphemisierend von Menschenkenntnis oder Verhandlungsgeschick.


    „Erzähl mir ein bisschen von dir, Sklave.“


    Die Aufforderung erfolgte im wohlwollenden Ton. Es gab keinen Grund, den Jüngling einzuschüchtern - seine Zukunft lag in der Hand von Tarkyaris und seiner Fügsamkeit war zu entnehmen, dass er sich dessen vollumfänglich bewusst war. Absichtlich präzisierte Tarkyaris nicht, welche Dinge ihn besonders interessierten. Er wollte sehen, welche Themen der Sklave von sich aus wählte.

    Mit Menschenliebe hatte es nichts zu tun, dass man die Sklaven auf der Corbita recht freundlich empfing, sondern mit der Erfahrung, dass sich Sklaven leichter bändigen ließen, wenn sie sich in ihrer hilflosen Situation beschützt und geborgen fühlten. Jeder durchschnittlich funktionierende Verstand würde zu dem Schluss kommen, dass Fügsamkeit die besser Wahl bedeutete, denn hier lagen in der einen Waagschale Schutz und Nahrung, Fürsorge und Unterkunft, in der anderen jedoch Gewaltanwendung und Nahrungsentzug bis hin zur Tötung.


    Die neuen Sklaven verbrachte man in den Rumpf der Corbita. Unten war es dunkel, denn an Bord des Schiffes war Feuer Tabu. Nachts war es stockfinster, man ankerte, schlief und verließ sich bei der Seefahrt rein auf das Tageslicht. Momentan war es auf Deck noch hell, doch nicht im Rumpf, in den nur das Licht der zur Zeit geöffneten Luke drang. Die Luft stand stickig, Fliegen surrten, es war heiß und roch nach Vieh. Die nicht verkauften Pferde, Maultiere und Esel waren noch an Bord, ebenso zahllose Kisten, die gut vertäut waren. In der Nähe der Treppe blieb genügend Platz für die Sklaven, die es sich auf Segeltuch und Tauen bequem machen konnten.


    Tarkyaris zog sich hingegen in seine Kajüte zurück. Der Blick des Jünglings war ihm nicht entgangen. Er reagierte nicht sofort darauf, denn wer jede Sorte von Mensch kaufen konnte, nach der ihm zumute war und dem gewohnheitsmäßig die Leute Demut entgegenbrachten, ließ sich nicht um den Finger wickeln. Jedoch weckte der hübsche Bursche mit seinem Lächeln aus einem anderen Grund die Neugier des Cappadox. So ließ er diesem Sklaven eine Waschschüssel mit Wasser und einem Schuss Milch bringen, damit er seine Haut reinigen konnte, während er selbst in der Kajüte etwas Leichtes speiste. Das weiße Waschwasser konnten die übrigen Sklaven hinterher trinken oder die Kinder damit waschen.


    Die Vorgänge überwachte niemand, denn das nautische Personal hatte das Schiff für die Fahrt vorzubereiten. Nachdem der Jüngling sich gereinigt hätte, sollte er hinauf zu Tarkyaris kommen.

    "Sie kommen nach Cappadocia. Wohin sie dereinst von dort gelangen werden, liegt nicht in meiner Verantwortung. Das Risiko ist stetiger Begleiter in unserem Gewerbe. Nichts, was dich schrecken wird. Sonst wärst du niemals zur See gefahren."


    Tarkyaris sprach ohne Hohn. Mochte sein, dass Doniy nervös war für den Augenblick, doch würde er kein Feigling sein als Seefahrer und sich beruhigt haben, sobald bare Münze klingelte.


    "Tigranes, wenn ich bitten darf."


    Während Tarkyaris und der Kapitän sich noch ein wenig unterhielten, holte Tigranes die Bezahlung. Sie mussten sich nicht lange gedulden. Tigranes kam mit Begleitung zurück, zum einen, um das Geld zu eskortieren, zum anderen, damit die Sklaven leichter kontrolliert werden konnten. Allerdings rechnete Tarkyaris nicht damit, dass sie Probleme machten. Es waren hilflose Menschen, die verloren waren, wenn sie die Flucht ergriffen. Hier auf der Insel war das ohnehin ausgeschlossen, doch auch später - wie sollten sie überleben? Wohin sich wenden? Die Wahrscheinlichkeit, dass ihnen jemand half, den langen und gefährlichen Weg zurück nach Hause zu finden, war gering. Bei den neuen Herren hingegen war es sicher, man schützte sie vor Übergriffen, gab ihnen Speis und Trank, kleidete sie. Besonders für Mütter mit Kindern war diese Sicherheit in der Regel ausreichend Anreiz, eventuelle Gedanken an eine Flucht beiseite zu wischen.


    "Auf die Beine. Wir gehen. Kapitän - es war mir eine Freude, mit dir Geschäfte zu machen. Wir werden uns sicher noch einmal begegnen."


    Sein Blick strich sehr langsam über den Jüngling mit den blonden Locken. Er würde ihn später näher in Augenschein nehmen.


    Wenn Kapitän Doniy die Drachmen zählte, würde er feststellen, dass Tarkyaris sich zu dessen Gunsten um 50 Drachmen "verzählt" hatte, als Dankeschön für den unkomplizierten Handel. Kleine Geschenke erhielten die Freundschaft.


    Mit seinen neuen Errungenschaften kehrte er zurück an Bord seines Schiffes.

    "Aber, aber." Tarkyaris lächelte dem Kapitän zu. "Abgezockt, was für ein unschönes Wort. Mangelnde Aufmerksamkeit und fehlendes Verhandlungsgeschick hat sich jeder Kunde selbst zuzuschreiben. Wir sind alles erwachsene Menschen."


    Tarkyaris besah sich die Sklaven mit wohlwollender Miene. Sein erfahrener Blick brachte ihn rasch zu einem Ergebnis. Bei dieser Ware lohnte sich eine nähere Untersuchung.


    "Tigranes, einmal allesamt überprüfen. Die Kleinen auch."


    Der Mann trat nach vorn. Er ließ sich die Zähne zeigen, überprüfte den Mundgeruch und betastete die Lymphknoten. War alles in Ordnung, besah er sich jedes Exemplar nackt, um versteckte Hauterkrankungen, Verletzungen oder Geschwüre finden zu können, doch da war nichts. Er nickte Tarkyaris zu, welcher sich seine Zufriedenheit nicht anmerken ließ. In der Tat war keiner der Sklaven Ausschuss. Tausend Drachmen für zehn Sklaven, dazu zwei Säuglinge gratis. Das entsprach einem Preis von hundert Drachmen je Sklave, wobei Drachme und Denar fast eine identische Kaufkraft besaßen. Das machte 400 Sesterze je Kopf. Ein gutes Geschäft für augenscheinlich brauchbare Ware.


    "Ich gebe dir 750 griechische Drachmen. Diese besitzen eine höhere Kaufkraft als die römischen.* Dafür nehme ich die Sklaven wie gesehen im Zehnerpaket und verzichte auf das Rosinenpicken. Ein sicheres Geschäft für beide Seiten und ich werde deinen Namen positiv im Gedächtnis behalten."


    Tatsächlich hatte Tarkyaris das Augenmerk auf einen Jüngling mit blonden Locken gerichtet. Sollte sein Gegenüber allzu hartnäckig bleiben, würde er versuchen, zumindest diesen für einen guten Preis zu erwerben. Blonde Jünglinge von so hübscher Gestalt gehörten zu den Exemplaren, die zuerst weggingen. Jedoch vermied er es, sein Interesse für den Burschen zu offenbaren und blickte ihn nicht weniger oder öfter an als jeden anderen Sklaven.


    Sim-Off:

    Zu dieser Zeit hatten griechische Drachmen einen Silbergehalt von etwa 4,6-6 g Silber, römische Drachmen etwa 4,5 g Silber.

    Die nervöse, unterwürfige Art des Mannes war Tarkyaris gewohnt aus der Heimat, dennoch rang sie ihm ein Lächeln ab. An so etwas fand er Gefallen. Seine Neugier aufgrund der mitschwingenden Botschaft war geweckt. Wer dermaßen verrufen war, mochte ein interessantes Angebot haben.


    "Geleite mich zum Schiff deines Herrn."


    Er verspürte wenig Interesse daran, eine Sklavenschar, deren Zustand er nicht kannte, auf sein privates Handelsschiff verbringen zu lassen und sich eine Seuche in den Bestand zu holen oder gar selbst befallen zu werden.

    Weder Tarkyaris' Aufmachung noch sein Gefolge ließen auf seinen wahren Wohlstand oder seinen Status in der Heimat schließen. Allerdings machte er auch kein Geheimnis darum, da es ihm zu aufwändig war, eine falsche Identität mit allen Konsequenzen zu führen. Wer sich in Kreisen wie jenen auf Delos bewegte, wusste auch so, dass er kein kleines Licht war, da er so gut wie alles besorgen konnte, ganz gleich, wie teuer oder verboten es schien. Wer sich darüber hinaus mit der kappadokischen Kultur vertraut machte, der wusste, um wen es sich bei Tarkyaris handelte, sobald sein Name erklang, und dass das unscheinbare und bescheidene Auftreten nichts als Masche war. Daheim gab er sich völlig anders.


    Es gab keine Tabus, die er nicht brach, wenn nur die Kasse klingelte. Tarkyaris würde seinen eigenen Vater verkaufen, wenn der Preis stimmte und manche sagten, er hätte das bereits getan. Zahllose Fäden schmutziger Geschäfte liefen am Ende bei ihm zusammen.Wer wollte ihn anklagen? Einen König gab es nicht mehr und der Kaiser war tausend Meilen weit fort. Was die Tempelfürsten im entlegenen Cappadocia trieben, kümmerte Rom nicht, so lange sie es damit nicht übertrieben. Tarkyaris' einzige ernsthafte Sorge war die Beziehung zu den anderen Tempelfürsten und ihren Verhältnissen untereinander, die sehr schwierig waren und sich ständig änderten.


    "Kapitän Doniy, soso. Manieren hat er ja, der gute Mann. Bringe mich zu deinem Herrn. Ich möchte mir sein Angebot ansehen."


    Begleiten würden ihn nur Tigranes und sein großer Name, der hier im Osten und in jenen Kreisen ein besserer Schutz war als alles andere. Vor allem aber war Tarkyaris klug genug, niemandem Anlass zum Hass zu geben, der ihm oder seinen Geschäften gefährlich werden könnte. Namhaften Geschäftspartner konnten sich auf ihn verlassen. Umgekehrt war es wenig ratsam, sich seine Abneigung zuzuziehen, denn sein Arm war sehr viel länger, als manch einer ahnen mochte. Mit dem hässlichen kleinen Patriziertölpel hatte er seit Neustem sogar Kontakte in das stadtrömische Patriziat. Er würde schauen, inwieweit sich sein Netzwerk von dort weiter ausbauen ließ.

    Aus der Richtung von Rom kommend tauchte die Corbita von Tarkyaris am Horizont auf. Nach mehrtägiger Reise ankerte sie kurz darauf vor Delos.


    Die Sklavenhändler hier hatten von ihrer lebenden Ware vor einigen Jahren einen Landungssteg bauen lassen, sodass für die Besatzung der Händlerschiffe kein Beiboot erforderlich war, um ans Ufer zu gelangen. Das Wetter war frisch, der Himmel wolkenverhangen. Während die Mannschaft die Corbita versorgte, packte Tarkyaris sich Tigranes und ging mit ihm polternden Schrittes über den Steg an Land. Die Insel wimmelte von Menschen, nicht nur Händler und traurig dreinblickende Sklaven gab es hier, sondern es wurden auch Speisen und Getränke ausgeschenkt, es gab Barbiere (in Gestalt von zu diesem Zwecke mietbaren Sklaven), Zahnreißer, Ärzte und Huren (ebenfalls allesamt Sklaven), Musik und Akrobatik und alles, was zu einem Markt sonst noch dazu gehörte. Hier war heute ziemlich viel los, es schienen mehrere Schiffe von Händlern und Käufern frisch eingetroffen zu sein.


    Es mochte ungewöhnlich anmuten, doch Tarkyaris hatte Befehl gegeben, das Unterdeck zu öffnen und der lebenden Beute zu gestatten, sich frei in Sichtweite des Schiffes zu bewegen und die Beine zu vertreten. Sie konnte hier nirgendwo hin, dies war eine karge kleine Insel. Es gab hier keine ehrbaren Bürger ... nur Sklavenhändler und Käufer mit einem besonderen Interesse an oft illegaler Ware.

    Es dauerte seine Zeit, bis das Schiff bereit zum Ablegen war. Tarkyaris trieb seine Männer zur Eile an, denn die Fracht, die er an Bord genommen hatte, war heikel. Er traute Castor und Pollux zu, ihm die Urbaner auf den Hals zu hetzen und so wollte er schnellstmöglich ablegen. Als sich hinter den Dächern auf dem Palatin der Himmel orange färbte und die Stadtore für die Karren geschlossen wurden, legte die Corbita ab. Mit geblähten Segeln glitt sie über den Tiber in Richtung Ostia, um von dort aus in den Ozean zu gelangen, der sie zurück in die Heimat tragen würde.


    Der erste größere Zwischenstop würde die berüchtigte Insel Delos sein.

    Ich würde mich als Übeltäter anbieten. Gewisse nur scheinbar liebliche Menschen haben eine Rechnung mit mir offen und könnten einen Tipp gegeben haben, bei mir mal genauer hinzuschauen. Aber es kann durchaus sein, dass ich auch andere übers Ohr gehauen habe, falls jemand als Kläger auftreten möchte.


    Sim-off ist mir ansonsten noch aufgefallen, dass ich laut Regelwerk eigentlich nicht so ohne Weiteres ein Schiff besitzen darf, was ich aber tue, was entsprechend ebenfalls ein möglicher Verhandlungsgegenstand sein könnte.

    "Bringt ihn auf direktem Weg ins Unterdeck und schnüffelt nicht herum."


    Tarkyaris tat, als hätte er die Aufforderung zu helfen nicht gehört. Wo waren sie denn hier, dass er sich die Finger dreckig machte. Er arbeitete genau so viel, wie es ihm Spaß machte und war auf die Einnahmen nicht ernsthaft angewiesen. Was das Geschäft lohnenswert machte, waren die Kontakte, die sich daraus ergaben, und die Gefallen, die man unter der Hand erweisen konnte. Er kannte die dreckigsten Geheimnisse Roms und hatte inzwischen auch herausgefunden, dass der picklige kleine Nero ein Patrizier war. Ihm wurde jetzt noch schlecht, wenn er daran dachte, wie Castor und Pollux sich in dem Anwesen benommen hatten.


    Dumpf polterten die Schritte, als sie die Treppe hinab stiegen. Der Frachtraum im Unterdeck zeigte sich sehr geräumig. Es gab hier zahlreiche Ösen, an denen während der Fahrt die Pferde, Maultiere und Esel festgemacht waren, jetzt jedoch waren sie leer, weil alle Tiere auf dem Markt feilgeboten wurden. Die Ösen hatten aber noch einen anderen Zweck.


    "Tigranes!"


    Der stämmige Mann trat herbei und nahm Castor die menschliche Last ab. Er wusste, was nun zu tun war. Als erstes klackte das halsbandartige Halseisen mit einem endgültigen Klang. Die erbeutete Person hing nun an einer Eisenkette, die untrennbar mit einem der Balken verbunden waren. Tigranes zog ihm den Sack vom Kopf und begann ihn einer Untersuchung zu unterziehen, um den Wert abzuschätzen, während Tarkyaris sich den Zwillingen widmete.


    "Damit sind wir quitt. Ihr dürft gehen. Und ich rate euch, es schnell zu tun."


    Er selbst mochte wenig bedrohlich wirken, doch er hatte nicht vor, sich selbst zu schlagen. Mit Tigranes war nicht gut Kirschenessen und in seinem Schalgürtel steckte ein wuchtiger Knüppel. Zudem wuselten weitere Männer an Bord des Schiffes und draußen am Markt herum. Nicht viele, um Proviant und Wasser zu sparen, aber genug.