Nach dem herzlichen Willkommen und dem Wiedersehen mit meiner Schwester am Vortag hatte ich noch ein paar Dinge zu besprechen, bei denen mir Scato behilflich sein konnte oder bei denen ich gerne eine Zweite Meinung von ihm haben wollte. Ich konnte erfahren, dass er sich nach Dienstschluss gerne im Garten betätigte. Da ich hoffte, dass ihn dieses entspannen würde, hielt ich den Ort für gut geeignet, ein entspanntes Gespräch zu führen. Zumal mich der Garten ein wenig - gut, zugegeben, ziemlich entfernt - an das Forum Pacis erinnerte. Während ich wartete, oder genauer gesagt hoffte, dass Scato hier erscheinen würde, sah ich mir den Garten an. Meiner Meinung nach bedurfte dieser einer grundlegenden Neugestaltung, aber das war eher mein Geschmack und musste nicht dem von jedermann entsprechen. Vielleicht würde ich auch das zur Sprache bringen, doch war es im Moment nichts, worauf ich zwingend hinwirken wollte. Andere Dinge waren wichtiger. Eines davon hielt ich zusammengerollt in meinen Händen.
Beiträge von Aulus Iunius Tacitus
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Ich hörte Matidia zu und sah sie dabei an. Mit halbem Ohr lauschte ich aber auch dem Gespräch zwischen Stilo und Scato, doch wurde meine diesbezügliche Aufmerksamkeit immer geringer, schien Stilo doch gut und kompetent beraten zu werden. So hatte Matidia recht bald wieder meien volle Aufmerksamkeit.
"Nun ja, der Augustus war es nicht direkt. Ich hatte den Auftrag von einem Procurator. Andererseits wissen wir, dass ein Procurator seine Anweisungen nur von einer Person erhalten kann."
Ich lächelte dabei kurz wissend, sprach dann aber weiter.
"Wobei ich auch schon eine Audienz beim Augustus hatte, allerdings nicht für mich, sondern für einen Mandanten. Für den habe ich einen vollen Erfolg verzeichnet."
Ich genoss es, dass meine Schwester neben mir saß. Tatsächlich musste ich zugeben, dass ich sie vermisst hatte. Sie und meine Eltern. Briefe waren einfach kein Ersatz für Präsenz, auch wenn wir uns recht oft geschrieben hatten. Vermutlich war sogar die große Mehrheit der in Alexandria erhaltenen Briefe von Matidia gewesen. Aber bemerkte man nicht erst dann, dass etwas wichtig war, wenn man es nicht mehr hatte?
"Du wirst mir Mogontiacum zeigen müssen. Das hilft mir dann auch, mich hier zurechtzufinden."
Dieser Satz implizierte natürlich, dass ich länger hier bleiben wollte. Sonst wäre es nicht nötig, sich hier zurechtfinden zu wollen. Ich sprach das nicht aus, weil es so sehr in meiner Denkweise verankert war, dass jedes Wort eine Bedeutung hatte, dass ich mich immer wieder wunderte, wenn jemand diese logischen Schlussfolgerungen nicht haben würde.
Als sie über den Zustand unserer Mutter sprach, zeigte ich Interesse, aber keine Emotion. Natürlich machte ich mir Sorgen. Ich zeigte es aber nicht, schon um Matidia nicht zu verunsichern. Meine philosophische Ausbildung sagte mir natürlich, dass das Leben eines jeden Menschen ganz zwangsläufig mit dem Tod enden musste, doch wollte ich das jetzt lieber nicht äußern. Auch die Frage, ob es einen passenden Zeitpunkt für den Tod gab, wollte ich nicht erörtern. Statt dessen lächelte ich und drückte Matidias Hand ebenso sanft, wie sie meine Hand gedrückt hatte.
"Ich werde später noch nach Mutter sehen. Vielleicht geht es ihr dann ja besser und sie wird wieder gesund."
Das war zwar eher nicht zu vermuten, aber vielleicht half es Matidia, besser mit der Situation klarzukommen. Wie viel Hoffnung bestand, wollte ich für mich entscheiden, wenn ich unsere Mutter gesehen haben würde und mit Scato gesprochen haben würde.
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Dann schaute sie wieder zu ihrem Bruder. "Was macht ihr hier?"
"Was Stilo anbetrifft, so will er unsere Grenztruppen verstärken. Ich hingegen will in erster Linie nach dir und unserer Mutter schauen."
Dabei wurde mein Lächeln etwas breiter, bevor ich weitersprach.
"Eigentlich wollte ich bereits früher hierher kommen, aber meine Arbeit hat mich aufgehalten. Es gab noch Fälle, die ich in der Basilica Ulpia vertreten musste und ich hatte noch Aufgaben von meinem Patron und eine Art Gutachten zu verfassen, um das mich die Kanzlei unseres Augustus gebeten hatte."
Götter! Ich höre mich an, wie mein Vater! schoss mir durch den Kopf. Für ihn hatte auch immer seine Arbeit Vorrang. Dass ich auch hoffte, hier Informationen und Erfahrungen für mein nächstes Buch sammeln zu können, verschwieg ich erst einmal und lächelte entschuldigend.
"Aber jetzt bin ich ja hier."
Mit meiner rechten Hand klopfte ich auf den freien Platz neben mir auf der Kline.
"Komm, setz dich zu mir. Du musst ja nicht die ganze Zeit stehen. Wie ist es dir denn hier ergangen? Und wie geht es Mutter?"
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Schon wieder ohne Vorwarnung umarmt zu werden, überraschte mich erneut. Doch als Matidia mich so in ihre Arme schloss, erwiderte ich die Umarmung und streichelte ihr mit einer Hand sanft den Kopf. Als wir noch Kinder waren, hatte ich sie so immer getröstet, beispielsweise wenn sie sich beim Spielen weh getan hatte. Obwohl Vater es ablehnte, dass ich von ihm oder Mutter umarmt wurde, ließ er Matidia stets gewähren und erlaubte mir auch immer, sie zu umarmen und zu trösten. Einmal sagte er mir sogar, dass ich das richtig machen würde und stets gut auf meine kleine Schwester aufpassen sollte.
Leise und mit sanfter Stimme sprach zu Matidia.
"Na, so schlimm kann es hier nicht sein. Immerhin sind wir auf der zivilisierten Seite der Grenze."
Ich löste die Umarmung und schob Matidia gerade so weit weg, so dass ich ihr in die Augen sehen konnte, wobei ich sie freundlich anlächelte und sie weiterhin sanft an ihren Armen festhielt.
"Natürlich ist das Wetter hier deutlich bescheidener, als in Rom, die Stadt ist kleiner, die Straßen sind schlechter, aber insgesamt ist es doch immer noch recht schön hier, oder?"
Bis auf die Natur. Hier war so viel wilde Natur. Nicht so schön sauber geordnet, wie in den Parks und Feldern im Bereich der Hauptstadt. Ich war ein Stadtmensch, diese Wildnis, die hier rings herum war, schien mir so chaotisch und unpassend. Aber vielleicht würde ich auch hierin eine Ordnung erkennen. Irgendwann... Im Moment war meine kleine Schwester wichtiger.
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Das letzte bisschen Hoffnung, dass es sich bei der jungen Frau nicht um meine Schwester handeln könnte, war dahin. Seit wann waren ihre Manieren wie die einer verwöhnten Tochter? Natürlich war sie eine verwöhnte Tochter, aber deshalb musste sie sich ja nicht so verhalten. Wie auch immer... Ich musterte sie noch einmal, immerhin waren wir beide Kinder gewesen, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten.
"Du bist groß geworden, Matidia. Und ich muss ehrlicherweise zugeben, dass du zu einer sehr schönen Frau herangewachsen bist."
Über ihre Manieren konnte ich noch ein anderes Mal mit ihr sprechen. Das musste ja nicht vor der ganzen Familie sein. Bisher zeigte ich keine Gefühlsregung, jedoch stahl sich beim nun folgenden Satz ein kleines Lächeln in mein Gesicht.
"Überrascht, mich hier zu sehen?"
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Ich betrachtete die junge Frau, die den Raum betreten hatte, wobei ich ihren missbilligenden Blick, der mir galt, zur Kenntnis nahm. Sie war ja recht hübsch, aber ihr Verhalten ließ zu wünschen übrig. Auch ihre Aufmachung war einer Römerin unwürdig. Dennoch zeigte ich keinerlei Gefühlsregung. Zwar hatte ich eine Vermutung, wer diese Frau sein könnte, doch hoffte ich, dass ich mich irrte. Vielleicht hatte Scato ja eine Geliebte? Denn die Vorstellung, dass es sich bei der Person um meine Schwester handeln könnte, gefiel mir gar nicht. Andererseits schien sie, rein optisch, keine Germanin zu sein. Oder gab es auch Germaninnen, die nicht rotblondes Haar hatten? Dann hätte Publius Cornelius Tacitus aber für sein Buch "De origine et situ Germanorum" zu stark simplifiziert.
"Ich würde das hier nicht als Feier bezeichnen. Aber die Maßstäbe in der Provinz mögen andere sein, als in Rom."
Diesen Kommentar konnte ich mir einfach nicht verkneifen, wenngleich ich selbst auf fast gar keiner Feier gewesen war. Und auch nur auf einem Symposium, welches ich frühzeitig verlassen hatte. Ich mochte Bibliotheken einfach lieber, als Feiern.
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Mit einer Umarmung hatte ich nicht gerechnet, konnte aber meine Fassung mehr oder minder behalten. Die Umarmung war zu kurz, um sie zu erwidern. Zumindest, wenn man erst einmal überrascht war. Mein Vater hatte mich nie umarmt, sondern mir eher mal auf die Schulter geklopft, wenn er stolz auf mich war. Und meiner Mutter hatte er auch nahegelegt, mich nicht zu oft zu umarmen, damit ich nicht verweichlichen würde. So konnte ich mich bewusst nur an die Umarmung meiner Mutter erinnern, als ich die Reise ans Museion antrat.
"Deiner Schwester und eurer ... ihrer ... - Wie ist es richtig? - ... Mutter geht es gut, aber Matidia hat immer sehr viel zu tun. Ich hoffe, sie beehrt uns heute auch, aber ich habe sie noch nicht gesehen." Er vermutete, dass sie in Mogontiacum vielleicht jemanden kennengelernt hatte, was in dem Alter das Normalste der Welt wäre, aber er vermied es, irgendwelche Gerüchte zu säen, da das nicht seine Art war, oder der eigenen Verwandtschaft nachzuspionieren. Er war schließlich nicht Matidias Vormund.
"Unser beider Mutter."
Über den Rest musste ich erst einmal nachdenken. Matidia hatte sehr viel zu tun? Da würde ich bei ihr etwas nachbohren müssen. Einerseits, weil ich nicht wüsste, dass sie arbeiten müsste. Dafür war unser Erbe zu gut und ich schätzte sie auch nicht so ein, dass sie ein Handelshaus hochziehen würde. Andererseits, weil sich dann zwingend die Frage ergab, was für eine zeitaufwändige Beschäftigung sie hatte. Und außerdem war ich neugierig. Während ich nachdachte, begrüßte Scato den guten Stilo genauso herzlich, wie mich.
An seine Verwandten gewandt sagte er: "Während wir es uns gutgehen lassen, könnt ihr erzählen, was euch hierher verschlagen hat und wie lange ihr zu bleiben gedenkt. Ich hoffe doch sehr, dass ihr nicht zu bald wieder abhaut. War die Reise gut und die Straßen sicher?"
"Stilo wird dir seine Beweggründe sicher offenlegen. Meine Gründe liegen einerseits darin, dass ich mal nach meiner Mutter und meiner lieben Schwester schauen wollte und andererseits darin, dass ich hoffe, hier ein paar Einsichten für mein neues Buch zu erhalten, die ich in Rom vermutlich niemals erhalten würde. Doch zunächst möchte ich deine Frage beantworten. Die Reise war erstaunlich gut und die Straßen waren zumindest in Gesellschaft stets sicher. Natürlich hatte ich mich gegenüber Mercurius und Neptunus auch großzügig gezeigt, was sicher nicht schädlich war. Wir sind von Ostia nach Massilia über See gereist, anschließend über Nemausus weiter hierher. Hast du jemals die Brücke des nemausischen Aquädukts über den Vardo gesehen? Das ist eine wirklich beeindruckende Leistung unserer Baumeister."
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Bürger von Germania Superior,
ich, Aulus Iunius Tacitus, Verfasser zahlreicher Fachbücher zur Rechtskunde und erfolgreicher Advocatus Roms, gebe euch die Möglichkeit, von meinem Wissen zu profitieren.
Deshalb biete ich einen Cursus Iuris an. In diesem Cursus können die Grundlagen der Rechtskunde und der Rechtsauslegung gelernt werden. Außerdem wird das Argumentieren ex lege gelehrt und das Wissen durch Fallbeispiele vertieft.
Der
Cursus Iuris
findet in der
Basilica Germanica in Mogontiacum
statt und beginnt am
ANTE DIEM VII KAL MAR DCCCLXXIV A.U.C.
(24.2.2024/121 n.Chr.)
zur
hora tertia.
Eine Kursgebühr wird nicht erhoben.
Ich freue mich auf zahlreiche Interessierte.
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Irgendwann wird Tacitus auch wieder in Rom weilen, was dann auch zwangsläufig den Kurs verlegt. Allerdings würde ich in diesem RL-Kalenderjahr damit nicht rechnen. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt.
Ich freue mich aber über das Interesse.
Für diejenigen, die in Mogontiacum ab Anfang teilnehmen wollen: Der Cursus wird am Samstag, den 24.02. beginnen. Ich werde auch noch Sim-On einen Aushang am Forum von Mogontiacum machen.
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Stilos Bemerkung über die Melone war gar nicht schlecht. Ich musste auch etwas schmunzeln, erkannte aber durchaus auch Weisheit darin.
Als ich gerade dabei war, zu essen, betrat Scato den Raum. Ich hielt es für höflich, mich für den Gastgeber zu erheben. Außerdem konnte ich ihn so besser betrachten. Er wirkte etwas müde. Seine Kleidung hingegen sah bequem aus, so dass ich folgerte, dass er sich bereits umgezogen hatte.
"Salve, Iunius Scato. Ich bin Aulus Iunus Tacitus. Wir hatten bereits per Brief korrespondiert. Und dies ist unser Vetter Sextus Iunius Stilo. Ich hoffe, dass wir dich nicht ob unserer unangekündigten Reise in Verlegenheiten bringen. Und ich möchte dir sehr für die Beherbergung meiner Schwester und meiner Mutter danken."
Natürlich hätte ich direkt dozieren können, weshalb wir die Reise auf uns genommen hatten, doch wäre es unhöflich, den Gastgeber mit einer Fülle an Informationen zu überfallen.
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Ich sah mich um. Auf jeden Fall sah es hier deutlich ordentlicher aus als draußen. Während ich einen Becher Posca nahm, ging ich zum lectus summus, um mich dort niederzulassen. Wobei ich mich nicht legte, sondern setzte. Immerhin war das hier - zumindest aus meiner Warte - nur als kurze Speise gedacht. Außerdem fehlte der Gastgeber.
"Welch positive Überraschung nach dem verwilderten Garten," sagte ich zu Stilo.
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Ich habe vor, in Mogontiacum (sic!) einen Sim-On Cursus Iuris anzubieten. Bevor ich mir aber unnötige Arbeit mache, möchte ich kurz fragen, ob es überhaupt Interessenten gibt. Wenn ja, bitte kurze PN an mich.
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Ich zog eine Augenbraue hoch, bevor ich zu Stilo flüsterte "Scheint so, als hätte Terpander die verschüttete Zisterne der Zivilisation bei diesem Unauris wieder ausgegraben."
Interessant fand ich die Aussage, dass dieser Sklave dem Iunianus Fango gehörte. Dieser hatte uns doch am Stadttor von Mogontiacum den Weg erklärt, wenn ich mich richtig erinnerte.
"Bevor wir etwas essen, sind andere Dinge wichtiger. In den Taschen am Sattel meines Pferdes finden sich diverse Schreibutensilien. Du wirst diese an einen trockenen und sauberen Ort bringen, damit sie keinen Schaden nehmen. Und danach wirst du uns mit Essen und Getränken versorgen. Ich persönlich bin mit dezent gewürztem Puls mit Früchten und Posca zufrieden."
Kurz sah ich zu Stilo, um ihm zu signalisieren, dass er sich natürlich auch äußern sollte. Dann wandte ich mich wieder an Unauris.
"Außerdem erwarte ich, dass du Sisenna Iunius Scato über die Ankunft von Aulus Iunius Tacitus und Sextus Iunius Stilo informierst. Und zwar so, dass meine Schwester Iunia Matidia nichts hiervon erfährt. Überhaupt wirst du meine Schwester nicht darüber informieren, dass ich hier angekommen bin. Ich wünsche sie zu überraschen. Hast du alles verstanden?"
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Natürlich nahm ich die Gelegenheit sofort wahr, mich umzuschauen. Das Gebäude sah mir mehr wie eine Festung aus, jedenfalls erweckten die Natursteine bei mir eher die Assoziation eines Zweck- oder Wehrbaus, als die eines repräsentativen Wohnhauses. Ich war schon sehr gespannt, wie es im Inneren aussehen würde.
Der äußere Garten war wirklich verwildert. Die mächtigen Bäume hatten ja was, aber die verwilderten Gärten und die Blätter im Teich ließen das Grundstück so aussehen, als wäre es verlassen. Waren wir hier wirklich richtig.
"Mir war nicht bewusst, dass die Domus hier inmitten der Wildnis steht. Womit ich vor allem die unmittelbare Umgebung meine," sagte ich leise zu Stilo.
Während ich mir Gedanken machte, wie man hieraus einen vorzeigbaren Garten oder Park machen konnte, fragte ich mich auch, ob Matidia mich erkennen würde. Oder meine Mutter. Immerhin hatten beide mich zuletzt gesehen, als ich als Junge zum Museion abreiste. Inzwischen war ich deutlich größer, auch kräftiger als damals.
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"Mein Vater hat viel Zeit damit verbracht, mich die Namen auswendig lernen zu lassen. Was, im Nachhinein betrachtet, eine recht gute Übung war. Die Idee eines Treffens gefällt mir, wobei du sicher der zeitbestimmende Faktor bist. Genauer gesagt ist dein Dienstplan der zeitbestimmende Faktor. Da wir nicht an Dienstpläne gebunden sind, sind wir flexibel. Von einer Willkommensfeier ist mir allerdings nichts bekannt. Andererseits habe ich mich auch nicht angekündigt."
Das war, im Nachhinein gesehen, natürlich schon ein wenig unhöflich. Aber ich wollte meine Schwester überraschen. Da konnte ich ja schlecht vorher meinen Besuch ankündigen. Ich zuckte mit meinen Schultern.
"Ich habe Gründe dafür. Nun, Iunianus Fango, wir möchten dich nicht länger als nötig von deinen Pflichten abhalten. Wir sehen uns bestimmt noch in den nächsten Tagen."
Während ich sprach, lächelte ich freundlich und stieg wieder in den Sattel. Verdammter Sattel, verdammte Reiterei.
"Du kannst mir dann vielleicht auch ein paar Tipps geben, wie das Reiten angenehmer ist. Irgend etwas mache ich noch falsch."
Wobei ich da auch schon eine Vermutung hatte. Ich saß wahrscheinlich immer noch zu steif im Sattel.
"Vale bene."
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Da musste ich erst einmal nachdenken. Dabei schloss ich die Augen, um den Stammbaum der Familie vor meinem inneren Auge zu visualisieren.
"Wenn ich mich richtig erinnere, müsste Lucius Iunius Ursus unser nächster gemeinsamer Verwandter sein. Demnach wären wir... beide Ur-Urenkel des Lucius Iunius Ursus, wobei unsere Urgrußväter Brüder waren. Stilo hingegen ist Ur-Ur-Urgroßenkel von Lucius Iunius Ursus, wobei sein Ur-Urgroßvater ein Bruder unserer Urgroßväter war. Stilo ist der Sohn des Lucius Iunius Lucullus. Ich bin der Sohn des Lucius Iunius Varus."
Ich hoffte, dass ich den Stammbaum richtig im Kopf hatte. Mein Vater hatte viel Zeit damit verbracht, mich alle Ahnen und Verwandten auswendig lernen zu lassen.
"Stilo, falls ich mich irre und den falschen Lucius Iunius Lucullus im Kopf habe, korrigiere mich bitte."
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Als der Eques geholt wurde, war ich erst einmal verwundert, aber nach der Vorstellung des jungen Soldaten, den ich ein ganzes Stück überragte, war ich erfreut, was man mir auch ansah. Ich reichte ihm die Hand.
"Salve, Iullus Seius Iunianus Fango. Ich freue mich, dich kennenzulernen. Welcher Seius hat dich adoptiert?"
Dass er von einem Seius adoptiert wurde, ging aus seinem Namen ja deutlich hervor.
"Und danke für die Wegbeschreibung. Wobei ich davon ausgehe, dass Terpander den Weg finden wird, wenn er schon einmal dort war."
Dabei fragte ich mich aber, was die Bemerkung über den Garten bedeutete. Natürlich konnte ich mir einen verwahrlosten Garten auch nicht vorstellen. Ich war immer nur in gut gepflegter Zivilisation unterwegs, mit Ausnahme meiner Anreise nach Mogontiacum.
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Endlich waren wir in Mogontiacum angekommen. Von unserem Zwischenstopp bei Nemausus waren es noch etliche Tage gewesen, um über Lugdunum, Cabillonum, Divodurum und Colonia Augusta Treverorum hierher zu gelangen. Immerhin konnten wir die ganze Zeit Straßen benutzen, so dass wir relativ gut vorangekommen waren. Auch waren wir von Überfällen verschont geblieben, wofür ich mich bei jedem Zwischenstopp mit einem Opfer an Mercurius erkenntlich gezeigt hatte. Inzwischen fiel mir das reiten auch deutlich leichter, wenngleich ich immer noch abends mit Rückenschmerzen zu kämpfen hatte und auch meine Oberschenkel ständig gereizt waren.
Das Wetter war hier deutlich kälter als in Rom. Dennoch hatte ich bis jetzt auf eine Subucula und auf Socken verzichtet. Tunika und Paenula taten ihren Dienst, die wesentlichen Witterungseinflüsse abzuhalten. Ich fror zwar, aber nicht so sehr, dass ich es als schädlich empfand. Da wir ohnehin in Gasthäusern nächtigten, war die Eiseskälte der Nacht kein Problem.
Etwa 20 Passi vor dem Tor stieg ich vom Pferd und führte dieses die letzten Schritte, bis wir vor der Torwache standen.
"Salve, Miles, ich, der Jurist Aulus Iunius Tacitus aus Rom, begehre zusammen mit meinem Verwandten Sextus Iunius Stilo und dem Sklaven Terpander des Prätorianers Sisenne Iunius Scato Einlass nach Mogontiacum. Und, wenn ich um den Gefallen bitten dürfte, um eine Wegbeschreibung zur Domus Iunia."
Dabei lächelte ich der Torwache höflich zu.
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"Wer zu kurz lebt, hinterlässt nur einen großen Namen, aber kein Erbe. Eine Nation, die nur aus jungen Helden besteht, stirbt auf dem Schlachtfeld. Doch geht es einer Nation, die nur aus Feiglingen besteht, auch nicht besser. Odysseus erscheint mir da schon besser als Held geeignet zu sein, jedoch hatte er seine gesamte Mannschaft verloren. Das macht ihn zu einem schlechten Anführer. Divus Augustus hingegen hat alles. Gerissenheit, politischen Instinkt, gute Führungsqualitäten und militärisches Können. Und Glück, denn ohne das überlebt man nicht die Wirren eines Bürgerkriegs."
Ich ließ mein Pferd langsam auf den Hang zutraben. Von dort aus ging es wieder nach Nemausus. Am nächsten Tag würde die Reise nach Mogontiacum weitergehen.
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"Ja, am Museion lernte ich zeichnen. Man kann kein brauchbarer Naturphilosoph werden, ohne zeichnen zu können. Man benötigt es zur Veranschaulichung von Geometrie und Versuchsaufbauten. Abgesehen davon hilft es, Eindrücke für längere Zeit zu konservieren."
Wobei ich meine Zeichnungen möglichst präzise erstellte und somit der Begriff des Eindrucks von allem Abstrakten befreit war. Die weiteren Fragen Terpanders ließen mich an seiner Bildung zweifeln, nicht aber an seinem Verstand. Jedoch ließ ich mir davon nichts anmerken. Als ernsthaften Beitrag nahm ich sie dennoch an.
"Zwei der Philosophen, aus deren Lehren ich meine Erkenntnis zog, lehrten zumindest in Athen, wobei der erste wohl auch dort geboren war, der andere jedoch auf Chalkidiki. Schlechte Lehrer waren sie nicht, wurde doch der zweite vom ersten Philosophen unterrichtet und war selbst wiederum der Lehrer Alexanders des Großen, der besser etwas enthaltsamer gelebt hätte. Dann wäre er wohl auch nicht so früh verstorben."
Ob Terpander nun wusste, welche Philosophen das waren? Doch fiel mir etwas auf...
"Welch interessanter Sachverhalt, dass ich in Sichtweite Alexanders studierte. So schließt sich der Kreis. Das ist mir noch nie aufgefallen. Doch kommen wir zum dritten Philosophen, dessen Lehren mich beeinflusst haben. Dieser stammt aus dem fernen Indien und ich habe kein direktes Werk von ihm gelesen, wohl aber Werke über dessen Philosophie. Er hieß wohl Siddharta oder so ähnlich. Und die Schule der Stoa ist ebenfalls prägend gewesen. Allen gemein ist, dass Begehren als schädlich für Eudaimonía betrachtet wird. Eudaimonía aber hängt stark mit Erkenntnisgewinn zusammen, denn ohne diese kann man sich jenem nicht widmen. Der Inder ist am strengsten in dieser Hinsicht, jedoch warnt er zugleich davor, vom einen Extrem ins andere zu fallen. Völlige Enthaltsamkeit ist also auch nicht richtig. Jedoch stelle ich fest, dass etwas, das große Freude bewirkt, zu Begehren führen kann. Dies gilt es aber zu vermeiden. Wie auch immer... ich denke, dass wir vielleicht auch eine unterschiedliche Definition von Zufriedenheit haben könnten. Doch denke ich, dass wir nun erst einmal genug philosophiert haben, denn die Sonne ist schon über den Zenit hinaus gelaufen und wir müssen noch zurück nach Nemausus. Allerdings werde ich über deine Frage weiter nachdenken, denn ich habe noch keine Antwort."
So packte ich die Schreibutensilien weg und signalisierte, dass es Zeit zum Aufbruch war. Jedoch hoffte ich, dass wir bei anderer Gelegenheit wieder Zeit für einen philosophischen Austausch finden würden. Die andere Lebenswirklichkeit Terpanders eröffnete mir durch dessen Meinung und Fragen neue Sichtweisen, was wiederum zu neuen Erkenntnissen führen konnte.