Beiträge von Aulus Iunius Tacitus

    Ich betrachtete den Trupp, insbesondere den Mann, der mich ansprach, kurz. Konnte ich ihm trauen? Schwer zu sagen, aber wenn er mich überfallen wollte, hätte er das ohne Probleme sofort machen können. Da er das noch nicht getan hatte, beschloss ich, dass es einen Versuch wert war. Ich erinnerte mich auch noch an Geschichten, die mir mein Vater über eine verzweigte Gruppe erzählte, die einem Schutz anboten. Was hatte er nochmal gesagt? Man können ihnen trauen, auch wenn man ihr Angebot annehmen sollte? Irgend so etwas. Ich hoffte, es mit dieser Gruppierung zu tun zu haben.


    "Danke, sehr gerne. Ich habe meinen neuen Patron besucht, kenne aber den Mons Esquilinus nicht wirklich gut. Du könntest mich nicht rein zufällig sicher bis zum Collis Quirinalis geleiten? Es soll auch nicht dein Schaden sein."

    Nach meinem Gespräch mit Annaeus Florus machte ich mich auf den weg zurück nach Hause. Es war inzwischen dunkel und ich musste zugeben, dass ich mich auf dem Mons Esquilinus nicht auskannte. Wenn ich den Weg zur Via Flaminia finden würde, wäre alles Weitere kein Problem. Doch sah in der Dunkelheit alles so anders aus. So stand ich etwas verloren zwei Straßen vom Domus Annaea entfernt und versuchte, mich zu orientieren. Ohne es zu wissen, hatte ich mich sogar noch weiter vom Quirinal entfernt.

    Es waren nun bereits ein paar Wochen seit meinem letzten Besuch bei meinem Mandanten verstrichen und inzwischen hatte ich einen Patron, der sich anschickte, Prätor zu werden. Diesem hatte ich Unterstützung in seinem Wahlkampf versprochen. Das wäre natürlich auch meinem Mandanten nützlich, so dass ich mich zu einem Besuch entschlossen hatte.


    Ich klopfte laut vernehmlich gegen die Tür. Wie üblich, besuchte ich meinen Mandanten in Toga. Es gab kaum ein anderes Kleidungsstück, welches den offiziellen Charakter meiner Besuche unterstrich.

    "Natürlich kann ich das. Es ist eigentlich ganz einfach. Die Polis hat ein Gesetz, das die Gefährdung des öffentlichen Friedens mit Verbannung aus der Polis bestraft. Die Dauer der Verbannung wurde nie festgeschrieben. Was nicht im Gesetz festgelegt ist, kann durch das Gericht wenigstens für den Einzelfall festgelegt werden. Die Voraussetzungen für eine Gefährdung des öffentlichen Friedens ist im Recht der Polis auch sehr schwammig formuliert. Wenn eine Mehrheit des Magistrates der Polis aber der Auffassung ist, dass eine Gefährdung vorliegt, genügt das. Natürlich hätte der Augustus oder sein Praefectus ein Veto-Recht gehabt, aber das wurde nicht genutzt. So einfach kann es sein."


    Ich nahm einen Schluck Wein und ließ Stilo einen Moment Zeit zum Nachdenken, bevor ich weitersprach.


    "Im Gegensatz dazu verlangt der Codex Iuridicialis klare Beweise für die Schuld und ein verwirklichtes Verbrechen. Hier greift der Grundsatz 'Im Zweifel für den Angeklagten'. Entsprechend war das Verfahrens nach alexandrinischem Recht sehr viel einfacher, wenn auch weniger ausgeglichen. Ehrlicherweise gebe ich unserem römischen Recht den Vorzug. Ich muss aber zugeben, dass das alexandrinische Recht besser zur Gefahrenabwehr geeignet ist. Man könnte es auch so ausdrücken, dass römisches Recht den einzelnen Bürger schützt, während alexandrinisches Recht die Bürger als Gesamtheit schützt. Ein kleiner, aber bedeutender Unterschied."

    "Ein interessantes Gesellschaftsmodell. Ideal auf militärische Belange ausgelegt. Und, wenn ich das richtig deute, liegt hierin auch die Schwäche. Durch eine vernichtende Niederlage, so wie sie Sparta, wenn auch gegen eine Übermacht, erleiden musste, kann es zu einer Destabilisierung der Gesellschaft kommen. Die neue Ordnung führt dann zwangsläufig zu einem Niedergang der alten Ordnung. Ich fürchte, dass du deshalb richtig liegst und der Geist Spartas stirbt. Das ist durchaus bedauerlich, weil es wohl äußerst selten ist, dass sich ein Staat so vollständig einem Ziel verschrieben hat. Mir ist zumindest kein anderes Beispiel bekannt. Selbst Athens streben nach Wissen und Kunst war nicht in dieser Konsequenz. Ich danke dir für deine Erörterungen."


    Vielleicht war es ja Roms Stärke, genau diese 'schnöde Außenpolitik' so zur Perfektion zu bringen, wie Sparta das Kriegerwesen zur Perfektion gebracht hatte? Dann kam mir aber noch ein Gedanke.


    "Vielleicht hat Sparta aber auch schlichtweg den Zeitpunkt verpasst, seinen Geist nach seinen Regeln zu verändern?"

    Ich nickte.


    "Dann werde ich mein Bestes geben, Patrone. Hast du noch Fragen oder Wünsche?"


    Es war schon ein wenig erstaunlich, wie leicht es mir fiel, Annaeus Florus als Patron anzusprechen. Mein Vater wäre sicher enttäuscht, doch war ich nicht mein Vater. Ich musste meinen eigenen Weg gehen, nicht den meines Vaters. Und wenn mir mein Patron ein Wegweiser und Begleiter sein würde, dann würde ich meinen Weg auch finden. Was auch immer der göttliche Logos für mich vorgesehen hatte, ich war mir sicher, dass ich mich mit der Hilfe meines Patrons nicht auf dem Weg meines Lebens verlaufen würde.

    "Für die Unterstützung werde ich sorgen wissen. Deine Wahl käme mir in einem Fall auch sehr gelegen. Meinst du, dass es dir nützen könnte, wenn ich vielleicht einen Mandanten von mir davon überzeugen könnte, eine Cena für dich auszurichten und ein paar Patrizier und andere hochgestellte Gäste einzuladen?"

    Ich hörte aufmerksam zu. Meine Frage wurde zu meiner Zufriedenheit beantwortet.


    "Danke für die Antwort, Senator. Die Wasserversorgung ist etwas, das mich noch aus meinen früheren Studienjahren interessiert. Und erloschen ist das Interesse bis heute nicht. Vielleicht ergibt sich ja irgendwann ein Posten in der Wasserverwaltung für mich. Wenn ich mir einen Namen als Jurist gemacht habe vielleicht. Meine Bildung ist recht umfassend, was man nach zehn Jahren am Museion aber auch erwarten können sollte."


    Das ich zu den besten Studenten gehörte, erwähnte ich nicht. Das würde Annaeus Florus Minor auch selbst herausfinden, wenn es ihn interessierte.


    "Ich habe noch viele Fragen und wenig Antworten, doch schulde ich dir zunächst eine Antwort auf eine Frage, die bei meinem Besuch auch im Raum steht, ja von vornherein im Raum stand. Du hast bereits angeboten, mich als Klienten zu akzeptieren. Und nach unseren Gesprächen des heutigen Abends denke ich, dass du der richtige Patron für mich sein könntest. Sofern du deine Meinung nicht geändert hast, würde ich mich, geehrt fühlen, wenn ich mich zu deinen Klienten zählen dürfte."

    Welches Verbrechen er wohl begangen hatte? Ich würde ihn das irgendwann fragen, aber noch nicht jetzt. Andere Dinge interessierten mich mehr, zumal er ja ein zuverlässiger Sklave zu sein schien.


    "Was mich an Sparta interessiert, ist vor allem die Gesellschaftsstruktur. Ich habe nie so richtig verstanden, in welche Klassen die Menschen in Sparta eingeteilt sind und welche Rechte und Pflichten damit einhergehen. Auch würde mich interessieren, wie wir Römer dort eingeordnet werden. In Alexandreia sind wir ja besipielsweise als Proxenoi den Polites gleichgestellt. Und die Gesetze Spartas interessieren mich ebenfalls. Sind sie schriftlich niedergelegt? Wer beschließt sie? Wer sitzt zu Gericht? Gibt es spezialisierte oder gewählte Richter?"

    "Wenn ich mich nicht irre, bist du für den Bau eines neuen Aquädukts verantwortlich. Das ist eine gute Sache, weil es das Leben vieler Römer verbessern wird. Allerdings gibt es eine Sache, die ich mich frage."


    Ich ließ eine kurze rhetorische Pause.


    "Nun ist es ja so, dass für jede Amphore Wasser, die in die Stadt hineinkommt, auch eine Amphore wieder heraus muss. Allerdings ist mir nichts bekannt geworden, dass die Kanalisation auch ausgebaut wird. Lediglich die Baustellen des Aquädukts sind in aller Munde. Daher würde mich interessieren, ob die Kapazität der Kanalisation vorab geprüft wurde. Oder soll das noch geschehen? Oder wurde es vergessen?"

    "Falls ich einen nützlichen Hinweis geben konnte, würde mich das freuen," sagte ich mit einem zufriedenen Lächeln.


    "Was das Rechtsgutachten anbetrifft, so ging es dort vor allem darum, ob es besser wäre, § 3 in Verbindung mit § 5 Absatz 2 Decretum Christianorum anzuwenden, oder ob man Hochverrat im Sinne von § 64 Codex Iuridicialis oder § 65 desselben Gesetzes bemühen sollte. Hochverrat wäre aber recht schwer zu beweisen gewesen, während Missionstätigkeit und allgemeine Gesetzesverstöße, vor allem gegen religiöse Gesetze - in diesem Fall der Polis Alexandreia - durchaus beweisbar waren. Allerdings hätte dann das Iudicium Imperatoris urteilen müssen. Wir haben uns deshalb dazu entschieden, die Gesetze der Polis Alexandreia zu bemühen und die Störenfriede zu verbannen. Der Weg dürfte so in Rom nur schwer möglich sein. Allerdings gibt es hier die Möglichkeit der Klage vor dem Iudicium Imperatoris, die in Alexandreia unnötig kompliziert gewesen wäre und zu einer unangebrachten Verzögerung des Verfahrens geführt hätte."


    Ich hoffte, dass ich mich halbwegs verständlich ausgedrückt hatte. Die Materie war relativ komplex. In Rom wäre es einfacher, zumal hier keine Gesetze einer anderen Polis galten.

    Ich hörte mir die Fragen aufmerksam an. Bevor ich antwortete, nahm ich einen Schluck Wein.


    "Keine Sorge, ich empfinde es nicht als Verhör. Ich teile mein Wissen gerne mit dir. Vielleicht hilft es ja." Ich hätte jedem Prätorianer diese Fragen beantwortet. Das sah ich als Bürgerpflicht an. "Wir waren schon ein paar Mal nah an einer Eskalation, aber soweit ich das weiß, haben die Judäer der Stadtwache rechtzeitig Hinweise geben können. Oder es waren andere Splittergruppen der Christianer. Da bin ich mir nicht sicher. Auf jeden Fall stehen die Christianer in Alexandreia unter Beobachtung. Das gelingt meistens ganz gut, weil sie sich als Christianer zu erkennen geben. Sobald die Stadtwache nur den geringsten Verdacht hat, dass sich eine Splittergruppe radikalisiert, wird sofort eingegriffen und die Gruppe verhört. Wenn sich der Verdacht erhärtet, werden sie aus der Polis verbannt. Ich habe einmal an einem Rechtsgutachten zur Verbannung mitgeschrieben."

    "Ähnliche Probleme?"


    Ich lachte.


    "Lass es mich so ausdrücken. In Alexandreia gibt es eine recht große Gemeinde der Judäer. Die haben einen recht seltsamen Glauben mit einem eklatanten Mangel an Göttern. Die haben nämlich nur einen. Dazu kommen dann noch Christianer. Aber es gibt nicht DIE Christianer. Nein, es gibt einige, die sich den Judäern zurechnen und andere, die sich von denen abgespalten haben. Und nochmal andere, und alle streiten sich untereinander und mit den Judäern und manchmal auch mit den vernünftigeren Menschen. Manche von diesen Christianern lehnen sogar Bildung ab. Ich habe sie von unauffällig bis radikal erlebt. Glücklicherweise haben Stadtwache und Legion die Polis gut genug unter Kontrolle, damit keine von diesen Christianergruppen Ärger macht. Übrigens haben Christianer auch einen eklatanten Mangel an Göttern. Die einen glauben nur an einen, wie die Judäer. Die anderen glauben, dass es in Wirklichkeit drei seien. Oder drei, die aber nur einer sind oder so einen Blödsinn. Wenn du mich fragst, sollte man sie alle auf eine Insel sperren und durch Experten untersuchen lassen. Man könnte sicher viel über Krankheiten des Geistes lernen."

    Ich hörte mir die Antworten konzentriert an. Das hörte sich alles recht gut an. Doch etwas musste ich noch klären.


    "Wir Iunii sind ungewöhnlich. Vielleicht auch etwas verrückt. Aber da sage ich die sicher nichts Neues. Eine Frage hätte ich aber noch. Die Gens Aurelia zählt nicht zu deinen Gegnern, oder?"


    Hoffentlich würde ich jetzt keine schwere Entscheidung treffen müssen.