Beiträge von Aulus Iunius Tacitus

    Das war die Ausbildung, die man von einem Patrizier erwarten konnte. Entsprechend hielt ich mich mit Lob zurück.


    "Guter Gedankengang, Aemilius. Matinius, was ist deine Meinung?"


    Mich interessierte auch, wie Sabaco dachte. Schließlich ging es ja um Erkenntnisgewinn durch Austausch. Wobei sowohl eine Bestätigung, als auch eine abweichende Meinung in Ordnung waren.

    Die Bemerkung zu den nie verlorenen Gefechten nahm ich mit einem kaum bemerkbaren Grinsen zur Kenntnis. Nachdem nun die Vorstellungsrunde abgeschlossen war, kam ich direkt zur Sache.


    "Nun, da wir uns einander vorgestellt haben, können wir loslegen. Im Rahmen dieses Kurses werdet ihr die Grundlagen der Juristerei kennenlernen. Wenn der Kurs vorbei ist, werdet ihr saubere Definitionen formulieren können, die den Kriterien wissenschaftlicher Präzision genügen. Ihr werdet wissen, wie man Gesetze liest und wo man Informationen über die Auslegungslehre findet. Und ihr werdet sauber und präzise Sachverhalte unter die relevanten Rechtsnormen subsumieren und aus den Rechtsnormen argumentieren. Dort, wo es Regelungslücken in den Gesetzen gibt, werdet ihr sie zu Gunsten eurer Mandanten schließen und dort, wo es Auslegungsspielräume gibt, werdet ihr sie nutzen. Wir werden das Argumentieren üben und eure Logik und Rhetorik schleifen und Gerichtsverhandlungen simulieren, damit ihr ein wenig Praxiserfahrung erhaltet. Ich unterrichte nach den Standards des Museions und ich erwarte, dass ihr diese erfüllt.""


    Ich pausierte kurz, um beide eindringlich anzusehen. Dann fuhr ich fort.


    "Beginnen wir mit einer Übung in Logik, die wir bei jeder Definition wiederholen werden. Es ist wichtig, zunächst abstrakt zu klassifizieren und dann immer weiter zu konkretisieren, bis wir eine saubere Definition erhalten. Die erste Definition ist die des Gesetzes. Ich behaupte, dass ein Gesetz als Regel klassifiziert werden kann. Stimmt ihr dieser Klassifizierung zu? Wenn ja, welche anderen Regeln gibt es und wie unterscheidet sich ein Gesetz von anderen Regeln?"

    Als Aemilius Secundus die Taberna betrat, war ich kurz überrascht. Dann fiel mir wieder ein, dass wir in Rom darüber sprachen, dass ihn der Augustus nach Germanien zu senden gedachte. Das hatte er wohl auch getan. Dass ich ihn hier sah, freute mich. Einerseits freute mich das bekannte Gesicht, zumal er mir gegenüber stets freundlich war, andererseits fühlte ich mich auch geehrt, dass ein Patrizier meinen Kurs besuchte. So lächelte ich und grüßte ihn mit einem Nicken.


    Der zweite Mann, der die Taberna betrat, war sehr anders. Offenbar ein Angehöriger des Ordo Equester, und dem, wenn auch gedämpften, Klimpern nach ein Soldat, vermutete ich. Was sollte sonst unter einer Toga klimpern, wenn nicht ein Cingulum Militare? Es wäre jedenfalls seltsam, wenn es sich um etwas anderes handeln würde.


    "Salvete. Ich würde vorschlagen, dass sich die Herren schon einmal setzen, während ich noch einen Moment warte, ob es weitere Teilnehmer gibt."


    Dabei wies ich auf die beiden Bänke mit den Tischen.


    "In der Zwischenzeit können wir uns einander kurz vorstellen. Wie ihr euch denken könnt, beziehungsweise bereits wisst," dabei nickte ich Secundus zu, "bin ich Aulus Iunius Tacitus. Ich habe am Museion Philosophie studiert und in Rom als Advocatus praktiziert. Außerdem habe ich mehrere Bücher zu juristischen Themen verfasst. Und, das sollte ich auch erwähnen, seit acht Monaten keinen Prozess mehr verloren, obwohl ich an jedem Gerichtstag einen oder zwei Prozesse geführt habe."


    Nach dieser Kurzvorstellung meiner selbst, die eher dem mir unbekannten galt, nahm ich auf dem einzigen Stuhl platz. Natürlich könnte ich Secundus vorstellen, aber es gehörte für einen Juristen auch dazu, sich kurz und bündig vorstellen zu können. Deshalb sollte sich jeder selbst vorstellen.

    Eine leerstehende Taberna in der Basilica Germanica war der Ort, an dem ich meinen Kurs abhalten wollte. Die Taberna bestand aus einem einzelnen Raum und war wohl einmal ein Kleidungsgeschäft gewesen. Weshalb es nicht mehr existierte, wusste ich nicht. Es interessierte mich auch nicht. Die Miete war extrem günstig gewesen, eigentlich fast geschenkt. Allerdings waren meine Preisvorstellungen wohl auch sehr stark von Rom und Alexandria geprägt. Gut möglich, dass in diesen Metropolen alles deutlich teurer war als hier in der Grenzprovinz.


    Der Raum war nach meinen Wünschen hergerichtet worden und sah aus, wie ein kleiner Gerichtssaal. Es gab an jeder Seite je eine Bank, vor denen jeweils ein Tisch stand. Hier konnten sich je Bank bis zu drei Personen niederlassen. Hinzu kam noch eine Bank für bis zu acht Personen, direkt im Eingangsbereich des Raums. Und gegenüber dem Eingang stand ein bequemer Stuhl. Im Gegensatz zu einem Gerichtssaal stand dieser Stuhl aber nicht erhöht, sondern ebenerdig. Es sollte ja nicht der Eindruck entstehen, dass ich mir hier ein Amt anmaßen würde.


    Ich war in Toga, weiße Tunika und edle Calcei gewandet und stand vor dem Stuhl, während ich wartete und hoffte, dass weder zu viele, noch zu wenige Schüler hier ankommen würden.

    "Viele scheuen sich, die Warte der Vernunft einzunehmen. Erst recht, wenn sie sich für jemand besseren halten."


    Das Lob nahm ich gerne an und quittierte es mit einem leichten Nicken.


    "Danke für deine Hilfe. Ich werde dir dann noch das Empfehlungsschreiben meines Patrons mitgeben. Noch ist es bei meinen Sachen."


    Damit war das Thema für mich erst einmal erledigt. Zeit, ein weiteres Thema anzusprechen. Ich dachte einen Moment nach, wie ich es am besten ansprechen würde, aber mir fiel keine allzu gute Überleitung ein. Vielleicht, weil mich das nächste Thema emotional zu stark berührte, auch wenn ich keine Gefühle zeigte.


    "Wo du schon das Lazarett angesprochen hast, würde ich dich um deine persönliche Meinung bitten. Wie steht es um meine Mutter? Wird sie wieder genesen? Oder läuft ihre Zeit ab?"

    Ich war ausnahmsweise mal der Letzte. Das lag aber auch daran, dass Unauris mir noch meine Toga angelegt hatte, da ich zum Forum musste bzw. wollte. Wie mein verstorbener Vater es stets sagte, sollte ein Jurist außer Haus immer so gekleidet sein, dass er jederzeit vor einen Praetor treten konnte. Abgesehen davon erschien es mir die richtige Kleidung, wusste ich doch, dass mein Vetter zur Ala aufbrechen wollte. So gab ich dem Abschied eine ordentliche Menge Würde.


    Als ich Stilo sah, erkannte ich, dass ihm die Tragweite seiner Entscheidung zumindest grob bewusst war. Er tat nun einen großen Schritt in eine sehr ungewisse Zukunft. Doch war ich mir sicher, dass er es schaffen würde. Andernfalls hätte ich ihm auch abgeraten.


    So stellte ich mich neben Scato und wartete. Stilo war mir ans Herz gewachsen und ich würde ihn sicher vermissen. Andererseits war ich wirklich stolz auf ihn, dass er diesen Schritt ging. Ich war mir recht sicher, dass ich kein guter Soldat wäre. Meine Gefechte waren Wortgefechte.

    "Ganz so stark finde ich es nicht, mich an diese Kreise heranzuwagen. Ich hatte nun oft genug mit Prätoren, Equites und Senatoren zu tun. Mit Koryphäen meines Faches und Personen, die im Ansehen weit über mir stehen. Ich hatte sie als Richter, Mandanten, Gegner und Anwälte der Gegenseite vor Gericht. Und ich habe ihnen allen gezeigt, dass ein einfacher Plebejer ihnen an Logik und Vernunft ebenbürtig oder sogar überlegen sein kann. Das zählt vor Gericht, sonst nichts. Natürlich geht es hier nicht um ein Gericht, aber mir ist bewusst, dass jeder Mensch seine Stärken und Schwächen hat. Und wenn ich nichts wage, werde ich nichts gewinnen."


    Das war jetzt mehr, als ich sagen wollte. Aber ich empfand, dass ich meinem Vetter eine Erklärung geben sollte, weshalb ich mich so weit aus jedweder Deckung wagte.


    "Die Zusammenfassung wäre dann... gib mir einen Moment..."


    Ich schloss für ein paar Sekunden die Augen, um mich zu konzentrieren. Schreiben war so viel einfacher als reden, weil man beim Schreiben Zeit hatte. Doch hier konnte ich mir die Zeit nehmen. es ging darum, das Wesentliche herauszustellen.


    "Du könntest dem Scriba erzählen, dass ich ein Klient des letztjährigen Praetor Urbanus bin und dieser meine Dienste empfiehlt. Des Weiteren, dass ich auch bereits für die kaiserliche Kanzlei bei einem Edikt mitgearbeitet habe. Das sollte immerhin etwas Gewicht haben. Danach könntest du erwähnen, dass ich aber nicht auf der Suche nach einem Posten bin, denn dafür wäre Rom sicher besser. Stattdessen wünsche ich, für ein Buch zur Staatskunst zu recherchieren und bitte deshalb den Caesar darum, mein Begehren wohlwollend zu unterstützen und mich als stillen Beobachter zu akzeptieren. Sein Amt als Legatus Augusti erscheint mir hierzu besonders geeignet. Details könnte der Caesar in meinem Brief und dem Empfehlungsschreiben meines Patrons finden."


    Vielleicht hätte ich länger nachdenken sollen. Aber nun war es gesagt, und das gesagte hatte das gleiche Gewicht wie das geschriebene Wort.

    Ich musste ein wenig schmunzeln, als Matidia Scato einen bösen Blick zuwarf. Ja, auch das war meine Schwester. Der Name hingegen sagte mir nichts. Die Gens allerdings...


    "Publius Matinus Sabaco, sagst du? Verwandt mit dem Senator Publius Matinius Agrippa?"


    Das wäre allerdings höchst ungewöhnlich. Ich wagte zu bezweifeln, dass ein Senator seine Verwandtschaft in die Ala gehen lassen würde. Dann schon eher in die Legion, vermutlich als Tribun. Also korrigierte ich mich, noch bevor jemand antworten konnte.


    "Entschuldige, das war natürlich dumm von mir. Bleibt also noch der ritterliche Zweig oder ein Zweig sine ordo. Zu welchem gehört er?"


    Nicht, dass es irgendeine Bedeutung hätte. Für mich war vor allem wichtig, dass Matidia glücklich war.


    "Auf jeden Fall würde ich mich freuen, wenn er uns eine Stadtführung angedeihen lassen würde."


    Dabei lächelte ich fröhlich.

    "Beobachtungsgabe und Geduld sind Voraussetzung, um ein guter Philosoph zu werden. Diejenigen, die sich ohne beides Philosophen schimpfen, sind nur Schwätzer."


    Ein hartes Urteil, zugegeben, aber das war meine Meinung.


    "Wenn du magst, kann ich mir den Granatapfelbaum einmal ansehen."


    Aufmerksam beobachtete ich Scato dabei, das Schäufelchen hervorzukramen, wobei ich nicht bemerkte, dass er etwas überspielte. Er wirkte vielmehr fokussiert auf mich, weshalb er wahrscheinlich auch nicht weitersprach. Als er mich dann fragte, was er den Scriba fragen sollte, musste ich nachdenken.


    "Abgesehen von dem, was im Brief steht?"


    Ich entrollte den Brief und zeigte ihn Scato. Eine großartige Rede sollte bei einem gut geschriebenen Schriftstück eigentlich nicht nötig sein.


    Ad

    Caesar Appius Aquilius Bala

    Legatus Augusti

    Mogontiacum, Germania Superior


    De

    Aulus Iunius Tacitus

    Advocatus et Iuris Consultus

    Mogontiacum, Germania Superior


    Salve Caesar Aquilius,


    du magst dich fragen, wer dir schreibt, weshalb ich mich kurz vorstellen möchte. Ich bin ein junger, erfolgreicher Jurist aus Rom und Klient des letztjährigen Praetor Urbanus Lucius Annaeus Florus Minor. Neben einem Werk in der Kommentarsammlung der Basilica Ulpia kann ich auch auf mehrere Werke der Jurisprudenz, zahlreiche gewonnene Prozesse und die Mitarbeit an zwei Gesetzestexten, genauer an einer Lex und an einem Edikt, mit Stolz zurückblicken. Außerdem bin ich in praktischer und theoretischer Philosophie hervorragend ausgebildet.


    Ich schreibe dir deshalb, weil ich aktuell für ein Werk über Staats- und Rechtstheorie recherchiere. Um unsere Staatsform näher zu erörtern, möchte ich mich nicht allein auf den Schein und die Realität in Rom, sondern auch die Praxis in den Provinzen stützen. Ich denke, dass man nirgends besser das Zusammenspiel zwischen Staatsverfassung, ziviler Administration und Militär so gut erkennen kann, wie in einer Grenzprovinz. Dies führt zu meinem Begehren, dich für eine Weile begleiten zu dürfen. Dabei will ich dich nicht stören, sondern lediglich als aufmerksamer Beobachter die Zusammenhänge in der Praxis sehen und ins Abstrakte überführen. Dass du hierbei selbstverständlich auch auf meine Expertise zurückgreifen kannst, ist gewiss. Allerdings gehe ich davon aus, dass dir weitaus bessere Juristen zur Seite stehen, als ich einer bin.


    Du solltest dich aber nicht nur auf meine Worte verlassen. Deshalb habe ich in einer versiegelten Tabula eine Empfehlung meines Patrons mitgeschickt, diese mag wesentlich objektiver meinen Nutzen und mein Interesse wiedergeben. Sollte dir dieses nicht genügen, so bleibt mir nur noch, dir anzubieten, mich zur Audienz zu laden. Ich halte das zwar nicht für notwendig, denn immerhin ersuche ich nach keinen verantwortungsvollen Tätigkeiten, sondern lediglich nach der Möglichkeit einer stillen Beobachtung. Jedoch magst du dieses immer noch anders sehen.


    Ob ich dir von Nutzen sein kann, musst du selbst entscheiden. Dass ich aber einen großen Nutzen für die juristische Untermauerung unseres Staatswesens bringen kann, steht für mich außer Frage. Was dies einem Caesar und, so es den Göttern gefällt, zukünftigen Princeps bringen mag, vermagst du selbst zu erkennen.


    Mögen die Götter dich segnen!


    Siegel Aulus Iunius Tacitus Advocatus


    Ich sah Scato kurz an, bevor ich hinzufügte "Oder meinst du eine kurze Zusammenfassung, die du dem Scriba nennen kannst?"

    "Ich... bin.. so froh, dass du da bist.", flüsterte sie schließlich erstickt zurück.

    Ich legte einen Arm um meine Schwester und wischte ihr mit dem Daumen meiner freien Hand vorsichtig die Tränen aus dem Gesicht. Es war jetzt fast wieder so wie damals, vor mehr als zehn Jahren, als ich nach Alexandria aufbrach, oder eher aufbrechen musste. Auch damals hatte Matidia geweint, auch damals hatte ich sie so getröstet. Sie war nun einmal meine kleine Schwester und das würde sie immer bleiben.


    Als Scato sie dann fragte, wie der Decurio hieß, sah ich sie fragend an. Das interessierte mich auch. Vielleicht stammte er ja aus einer guten Familie? Oder war zumindest jemand, dessen Name ich schon einmal gehört hatte. Das war zwar nicht sehr wahrscheinlich, doch wenn sich sein Name bis Rom herumgesprochen haben würde, dann wäre es auch eine ziemlich gute Partie. Immerhin war Matidia eine junge Frau im besten Alter. Wobei ich sie niemals gegen ihren Willen verheiraten würde. Schließlich war sie meine kleine Schwester und ich würde allen Unbill dieser Welt von ihr fernhalten, so weit es in meiner Macht stand.

    Natürlich nahm er mein Angebot der Mithilfe an, weshalb ich mich genötigt sah, etwas klarzustellen.


    "Zur Warnung sei der Hinweis geäußert, dass ich extrem wenig Erfahrung mit Gartenarbeit habe. Ich kann zwar Öle aus Pflanzen extrahieren, bin aber bei der Pflanzenpflege nur wenig bewandert. Als mein Lehrer Alexios einmal eine Reise vom Museion nach Athen unternahm, kümmerte ich mich so lange um sein Kräuterbeet. Das war ihm immer wichtig. Das heißt, dass ich Pflanzen zumindest so gießen kann, dass sie nicht eingehen. Und ich hatte in den letzten fünf Jahren am Museion einen Baum der Gattung kedrómêlon aufgezogen. Immerhin mit Erfolg. es gab Blüten und auch Früchte."


    Dass ich ein wenig stolz darauf war, dass mir die Pflanze nicht eingegangen war, ließ ich mir anmerken. Doch nun war es erst einmal an der Zeit, die Frage meines Vetters zu beantworten.


    "Doch nun zur Frage, wie du mir helfen kannst. Nun, relativ einfach, auch wenn es nicht ganz unkompliziert ist. Ich bin zwar vor allem wegen meiner Mutter und meiner Schwester hier, aber deshalb will ich meine industria nicht aufgeben. Es ist so, dass ich dabei bin, Erkenntnisse für ein Buch über das Staatswesen zu verfassen. Und da bietet es sich an, praktische Erfahrungen zu sammeln, die nicht von der alles überstrahlenden Zivilisation der Stadt Rom geblendet sind. Nach meinen Erwägungen bietet sich eine Provinz, insbesondere eine Grenzprovinz, dazu an, zu erkennen, wie das Zusammenspiel aus ziviler Verwaltung, Militär und Prinzipat funktioniert. Nun weiß ich ja aus deinem Brief, dass der Caesar hier verweilt, so dass in dieser Provinz alles sichtbar sein sollte, was ich für meinen Erkenntnisgewinn benötige. Nur müsste ich dazu an die richtige Stelle kommen. Deshalb möchte ich dich darum bitten, einen Brief an den Caesar zu überbringen. Wäre das möglich? Oder verlange ich zu viel?"

    Dass Vater stolz auf mich sein würde, vermutete ich auch. Schon allein deshalb, weil ich, so wie er, Jurist geworden bin. Aber vor allem natürlich wegen meiner Leistungen als Jurist, womit ich ihn vermutlich bereits jetzt im Ansehen überflügelt hatte. Dann sagte Matidia etwas, das mich aufhorchen ließ. Ich nahm einen Schluck Posca, bevor ich sprach.


    "Du kennst also einen Stadtführer? Das wäre natürlich interessant, wenn man von einem Kundigen geführt würde."


    Mich freute, dass sie hier Kontakte geknüpft hatte. Das würde ihr sicher guttun. Dann dachte ich noch einmal nach. Stadtführer, nicht Stadtführerin. Entweder war das eine grammatikalische Unachtsamkeit oder sie meinte wirklich einen Mann. Das war natürlich nicht verboten, aber mich interessierte natürlich auch, ob sie vielleicht eine interessante Partie kennengelernt hatte. Allerdings ließ ich mir von diesen Gedankengängen wenig anmerken.


    Dann bekam ich Stilos Satz mit, dass er zur Ala gehen wollte. Ich sah zu ihm herüber und er sah wirklich entschlossen aus. Ich erwiderte sein Nicken.


    "Aus dir wird sicher ein hervorragender Soldat. Sei aufmerksam und strebsam, dann wirst du deine Eltern stolz machen. Ich für meinen Teil bin sehr stolz, eine Verwandtschaft wie euch alle zu haben."


    Dabei lächelte ich stolz und sah erst Stilo, dann Scato und, besonders lange, Matidia an. Schließlich flüsterte ich ihr ins Ohr "Ich weiß, dass es schwer für dich sein musste, hier in der Fremde mehr oder minder auf dich allein gestellt und mit unserer verletzten Mutter klarzukommen. So weit ich das einschätzen kann, hast du die Herausforderung gut bewältigt. Ich bin ausgesprochen stolz auf dich, kleine Schwester. Und Vater wäre es auch."

    Scato schob tatsächlich eine Schubkarre mit Werkzeugen und schien sich wirklich die Finger schmutzig machen zu wollen. Bei anderen Familien mit ähnlichem Wohlstand würde das sicher ein Sklave erledigen, während der Herr daneben stand und Anweisungen gab. Auch Scatos Tunika sah so aus, als wäre sie speziell für körperliche Arbeiten gedacht. Meine Tunika hingegen war eine typische Alltagstunika und meine Calcei waren eher nicht für Gartenarbeit geeignet. Scato war ein außergewöhnlicher Mensch, das stand schon einmal fest. Andererseits hatte ich am Museion auch oft selbst gearbeitet. Nur dass ich eben wissenschaftliche Instrumente gebaut oder Experimente durchgeführt hatte. Es gab einem eine andere Einsicht, etwas mit den eigenen Händen zu machen.


    Das Lächeln erwiderte ich.


    "Salve, Scato. Hast du einen Moment Zeit? Ich helfe dir dann auch gerne bei... was auch immer du vorhast."


    Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Ich und Gartenarbeit... hoffentlich würden das die Pflanzen überleben.

    Nach dem herzlichen Willkommen und dem Wiedersehen mit meiner Schwester am Vortag hatte ich noch ein paar Dinge zu besprechen, bei denen mir Scato behilflich sein konnte oder bei denen ich gerne eine Zweite Meinung von ihm haben wollte. Ich konnte erfahren, dass er sich nach Dienstschluss gerne im Garten betätigte. Da ich hoffte, dass ihn dieses entspannen würde, hielt ich den Ort für gut geeignet, ein entspanntes Gespräch zu führen. Zumal mich der Garten ein wenig - gut, zugegeben, ziemlich entfernt - an das Forum Pacis erinnerte. Während ich wartete, oder genauer gesagt hoffte, dass Scato hier erscheinen würde, sah ich mir den Garten an. Meiner Meinung nach bedurfte dieser einer grundlegenden Neugestaltung, aber das war eher mein Geschmack und musste nicht dem von jedermann entsprechen. Vielleicht würde ich auch das zur Sprache bringen, doch war es im Moment nichts, worauf ich zwingend hinwirken wollte. Andere Dinge waren wichtiger. Eines davon hielt ich zusammengerollt in meinen Händen.

    Ich hörte Matidia zu und sah sie dabei an. Mit halbem Ohr lauschte ich aber auch dem Gespräch zwischen Stilo und Scato, doch wurde meine diesbezügliche Aufmerksamkeit immer geringer, schien Stilo doch gut und kompetent beraten zu werden. So hatte Matidia recht bald wieder meien volle Aufmerksamkeit.


    "Nun ja, der Augustus war es nicht direkt. Ich hatte den Auftrag von einem Procurator. Andererseits wissen wir, dass ein Procurator seine Anweisungen nur von einer Person erhalten kann."


    Ich lächelte dabei kurz wissend, sprach dann aber weiter.


    "Wobei ich auch schon eine Audienz beim Augustus hatte, allerdings nicht für mich, sondern für einen Mandanten. Für den habe ich einen vollen Erfolg verzeichnet."


    Ich genoss es, dass meine Schwester neben mir saß. Tatsächlich musste ich zugeben, dass ich sie vermisst hatte. Sie und meine Eltern. Briefe waren einfach kein Ersatz für Präsenz, auch wenn wir uns recht oft geschrieben hatten. Vermutlich war sogar die große Mehrheit der in Alexandria erhaltenen Briefe von Matidia gewesen. Aber bemerkte man nicht erst dann, dass etwas wichtig war, wenn man es nicht mehr hatte?


    "Du wirst mir Mogontiacum zeigen müssen. Das hilft mir dann auch, mich hier zurechtzufinden."


    Dieser Satz implizierte natürlich, dass ich länger hier bleiben wollte. Sonst wäre es nicht nötig, sich hier zurechtfinden zu wollen. Ich sprach das nicht aus, weil es so sehr in meiner Denkweise verankert war, dass jedes Wort eine Bedeutung hatte, dass ich mich immer wieder wunderte, wenn jemand diese logischen Schlussfolgerungen nicht haben würde.


    Als sie über den Zustand unserer Mutter sprach, zeigte ich Interesse, aber keine Emotion. Natürlich machte ich mir Sorgen. Ich zeigte es aber nicht, schon um Matidia nicht zu verunsichern. Meine philosophische Ausbildung sagte mir natürlich, dass das Leben eines jeden Menschen ganz zwangsläufig mit dem Tod enden musste, doch wollte ich das jetzt lieber nicht äußern. Auch die Frage, ob es einen passenden Zeitpunkt für den Tod gab, wollte ich nicht erörtern. Statt dessen lächelte ich und drückte Matidias Hand ebenso sanft, wie sie meine Hand gedrückt hatte.


    "Ich werde später noch nach Mutter sehen. Vielleicht geht es ihr dann ja besser und sie wird wieder gesund."


    Das war zwar eher nicht zu vermuten, aber vielleicht half es Matidia, besser mit der Situation klarzukommen. Wie viel Hoffnung bestand, wollte ich für mich entscheiden, wenn ich unsere Mutter gesehen haben würde und mit Scato gesprochen haben würde.

    Dann schaute sie wieder zu ihrem Bruder. "Was macht ihr hier?"

    "Was Stilo anbetrifft, so will er unsere Grenztruppen verstärken. Ich hingegen will in erster Linie nach dir und unserer Mutter schauen."


    Dabei wurde mein Lächeln etwas breiter, bevor ich weitersprach.


    "Eigentlich wollte ich bereits früher hierher kommen, aber meine Arbeit hat mich aufgehalten. Es gab noch Fälle, die ich in der Basilica Ulpia vertreten musste und ich hatte noch Aufgaben von meinem Patron und eine Art Gutachten zu verfassen, um das mich die Kanzlei unseres Augustus gebeten hatte."


    Götter! Ich höre mich an, wie mein Vater! schoss mir durch den Kopf. Für ihn hatte auch immer seine Arbeit Vorrang. Dass ich auch hoffte, hier Informationen und Erfahrungen für mein nächstes Buch sammeln zu können, verschwieg ich erst einmal und lächelte entschuldigend.


    "Aber jetzt bin ich ja hier."


    Mit meiner rechten Hand klopfte ich auf den freien Platz neben mir auf der Kline.


    "Komm, setz dich zu mir. Du musst ja nicht die ganze Zeit stehen. Wie ist es dir denn hier ergangen? Und wie geht es Mutter?"

    Schon wieder ohne Vorwarnung umarmt zu werden, überraschte mich erneut. Doch als Matidia mich so in ihre Arme schloss, erwiderte ich die Umarmung und streichelte ihr mit einer Hand sanft den Kopf. Als wir noch Kinder waren, hatte ich sie so immer getröstet, beispielsweise wenn sie sich beim Spielen weh getan hatte. Obwohl Vater es ablehnte, dass ich von ihm oder Mutter umarmt wurde, ließ er Matidia stets gewähren und erlaubte mir auch immer, sie zu umarmen und zu trösten. Einmal sagte er mir sogar, dass ich das richtig machen würde und stets gut auf meine kleine Schwester aufpassen sollte.


    Leise und mit sanfter Stimme sprach zu Matidia.


    "Na, so schlimm kann es hier nicht sein. Immerhin sind wir auf der zivilisierten Seite der Grenze."


    Ich löste die Umarmung und schob Matidia gerade so weit weg, so dass ich ihr in die Augen sehen konnte, wobei ich sie freundlich anlächelte und sie weiterhin sanft an ihren Armen festhielt.


    "Natürlich ist das Wetter hier deutlich bescheidener, als in Rom, die Stadt ist kleiner, die Straßen sind schlechter, aber insgesamt ist es doch immer noch recht schön hier, oder?"


    Bis auf die Natur. Hier war so viel wilde Natur. Nicht so schön sauber geordnet, wie in den Parks und Feldern im Bereich der Hauptstadt. Ich war ein Stadtmensch, diese Wildnis, die hier rings herum war, schien mir so chaotisch und unpassend. Aber vielleicht würde ich auch hierin eine Ordnung erkennen. Irgendwann... Im Moment war meine kleine Schwester wichtiger.

    Das letzte bisschen Hoffnung, dass es sich bei der jungen Frau nicht um meine Schwester handeln könnte, war dahin. Seit wann waren ihre Manieren wie die einer verwöhnten Tochter? Natürlich war sie eine verwöhnte Tochter, aber deshalb musste sie sich ja nicht so verhalten. Wie auch immer... Ich musterte sie noch einmal, immerhin waren wir beide Kinder gewesen, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten.


    "Du bist groß geworden, Matidia. Und ich muss ehrlicherweise zugeben, dass du zu einer sehr schönen Frau herangewachsen bist."


    Über ihre Manieren konnte ich noch ein anderes Mal mit ihr sprechen. Das musste ja nicht vor der ganzen Familie sein. Bisher zeigte ich keine Gefühlsregung, jedoch stahl sich beim nun folgenden Satz ein kleines Lächeln in mein Gesicht.


    "Überrascht, mich hier zu sehen?"

    Ich betrachtete die junge Frau, die den Raum betreten hatte, wobei ich ihren missbilligenden Blick, der mir galt, zur Kenntnis nahm. Sie war ja recht hübsch, aber ihr Verhalten ließ zu wünschen übrig. Auch ihre Aufmachung war einer Römerin unwürdig. Dennoch zeigte ich keinerlei Gefühlsregung. Zwar hatte ich eine Vermutung, wer diese Frau sein könnte, doch hoffte ich, dass ich mich irrte. Vielleicht hatte Scato ja eine Geliebte? Denn die Vorstellung, dass es sich bei der Person um meine Schwester handeln könnte, gefiel mir gar nicht. Andererseits schien sie, rein optisch, keine Germanin zu sein. Oder gab es auch Germaninnen, die nicht rotblondes Haar hatten? Dann hätte Publius Cornelius Tacitus aber für sein Buch "De origine et situ Germanorum" zu stark simplifiziert.


    "Ich würde das hier nicht als Feier bezeichnen. Aber die Maßstäbe in der Provinz mögen andere sein, als in Rom."


    Diesen Kommentar konnte ich mir einfach nicht verkneifen, wenngleich ich selbst auf fast gar keiner Feier gewesen war. Und auch nur auf einem Symposium, welches ich frühzeitig verlassen hatte. Ich mochte Bibliotheken einfach lieber, als Feiern.