Mit einer Umarmung hatte ich nicht gerechnet, konnte aber meine Fassung mehr oder minder behalten. Die Umarmung war zu kurz, um sie zu erwidern. Zumindest, wenn man erst einmal überrascht war. Mein Vater hatte mich nie umarmt, sondern mir eher mal auf die Schulter geklopft, wenn er stolz auf mich war. Und meiner Mutter hatte er auch nahegelegt, mich nicht zu oft zu umarmen, damit ich nicht verweichlichen würde. So konnte ich mich bewusst nur an die Umarmung meiner Mutter erinnern, als ich die Reise ans Museion antrat.
"Deiner Schwester und eurer ... ihrer ... - Wie ist es richtig? - ... Mutter geht es gut, aber Matidia hat immer sehr viel zu tun. Ich hoffe, sie beehrt uns heute auch, aber ich habe sie noch nicht gesehen." Er vermutete, dass sie in Mogontiacum vielleicht jemanden kennengelernt hatte, was in dem Alter das Normalste der Welt wäre, aber er vermied es, irgendwelche Gerüchte zu säen, da das nicht seine Art war, oder der eigenen Verwandtschaft nachzuspionieren. Er war schließlich nicht Matidias Vormund.
"Unser beider Mutter."
Über den Rest musste ich erst einmal nachdenken. Matidia hatte sehr viel zu tun? Da würde ich bei ihr etwas nachbohren müssen. Einerseits, weil ich nicht wüsste, dass sie arbeiten müsste. Dafür war unser Erbe zu gut und ich schätzte sie auch nicht so ein, dass sie ein Handelshaus hochziehen würde. Andererseits, weil sich dann zwingend die Frage ergab, was für eine zeitaufwändige Beschäftigung sie hatte. Und außerdem war ich neugierig. Während ich nachdachte, begrüßte Scato den guten Stilo genauso herzlich, wie mich.
An seine Verwandten gewandt sagte er: "Während wir es uns gutgehen lassen, könnt ihr erzählen, was euch hierher verschlagen hat und wie lange ihr zu bleiben gedenkt. Ich hoffe doch sehr, dass ihr nicht zu bald wieder abhaut. War die Reise gut und die Straßen sicher?"
"Stilo wird dir seine Beweggründe sicher offenlegen. Meine Gründe liegen einerseits darin, dass ich mal nach meiner Mutter und meiner lieben Schwester schauen wollte und andererseits darin, dass ich hoffe, hier ein paar Einsichten für mein neues Buch zu erhalten, die ich in Rom vermutlich niemals erhalten würde. Doch zunächst möchte ich deine Frage beantworten. Die Reise war erstaunlich gut und die Straßen waren zumindest in Gesellschaft stets sicher. Natürlich hatte ich mich gegenüber Mercurius und Neptunus auch großzügig gezeigt, was sicher nicht schädlich war. Wir sind von Ostia nach Massilia über See gereist, anschließend über Nemausus weiter hierher. Hast du jemals die Brücke des nemausischen Aquädukts über den Vardo gesehen? Das ist eine wirklich beeindruckende Leistung unserer Baumeister."