Vermutlich sollte ich Sabaco jetzt besser nicht sagen, dass ich mich allein in diese Materie eingearbeitet hatte. Vielleicht verriet mich hier auch mein leichtes Schmunzeln bei seinem Satz zum Genickbruch.
"Gute Frage, Matinius. Ich erläutere das gerne. Ein Gesetz, also eine Lex in diesem Sinne, ist eine durch den Senat beschlossene Regelsetzung, unter Berücksichtigung der kaiserlichen Mitsprache. In früheren Zeiten wurden Gesetze durch die Volksversammlung beschlossen. Wichtig ist in diesem Kontext, dass eine Lex durch eine Gruppe nach gegebenenfalls ausgiebiger Diskussion beschlossen und erlassen wurde und nicht durch einen Magistrat. Ein Edikt unterscheidet sich dadurch, dass es durch allein durch einen Magistrat erlassen wird. Beispiele sind die Edikte der Prätoren und die kaiserlichen Edikte, aber auch die Edikte der Statthalter. Ein Dekret wiederum ist ein Edikt, welches durch den Kaiser erlassen wurde. Allein der Kaiser kann Dekrete erlassen. Jedes Dekret ist also zugleich ein Erlass."
Ich hoffte, dass ich diese komplexe Materie anschaulich erklärt hatte.
"Für den weiteren Verlauf dieses Cursus werde ich aber durchgängig den Begriff des Gesetzes verwenden. Edikte und Dekrete finden sich auch im Gesetzesrang und werden in der Jurisprudenz gleich behandelt. Schließlich sind alle drei Festlegungen von Regeln durch eine dafür autorisierte Stelle. Diese Feinheiten der Unterscheidung werden erst bedeutend, wenn man sich über Staatstheorie und Rechtsphilosophie Gedanken machen muss. In der juristischen Praxis wird das nie passieren."
Kurz grinste ich, dann sprach ich weiter.
"Doch nun zurück zur Lex Aquilia. Artikel IIII gibt dem Kaiser, wie Matinius treffend festgestellt hat, eine weitere Vollmacht zur Gesetzgebung. Allerdings sprechen wir hier nicht von Gesetzen im engeren Sinne, sondern von Verträgen im Namen des Senats und des Volks von Rom. Mit solchen Verträgen sind aber keine Verträge gemeint, die ins Innere Roms wirken, sondern solche, die Rom mit anderen Staaten schließt. Man spricht auch von Staatsverträgen, weil hier zwei Staaten, ähnlich wie zwei Personen, einen Vertrag schließen. Dabei kann es sich um ein Bündnis oder einen Nichtangriffspakt handeln, aber auch um eine Vertretung des anderen Staats nach außen durch Rom handeln. Handelsabkommen und Freundschaftsverträge kommen auch häufig vor. Man kann eigentlich so ziemlich alles verhandeln, selbst eine vollständige Verwaltung eines anderen Staats durch Rom. Allerdings werden Staatsverträge eben nicht zwischen einzelnen Personen geschlossen, sondern zwischen den nach der Staatsverfassung vorgesehenen autorisierten Gremien. Das ist in Rom traditionell der Senat. Und ein solcher Vertrag unterscheidet sich von privaten Verträgen dadurch, dass er ebenfalls Gesetzesrang hat. Das muss er haben, weil sonst die von mir genannten Beispiele nicht funktionieren würden. Ich erkläre das am Beispiel des Bündnisses. In einem Bündnis verpflichten sich die beteiligten Staaten zum gegenseitigen Beistand, wenn ein Staat angegriffen wird. Die Beistandspflicht entsteht aber automatisch, sobald der Angriff stattfindet. Die Beistandspflicht führt zum Krieg. Damit wird für alle verbündeten Staaten das Kriegsrecht eingeführt. Das Kriegsrecht kann man aber nur durch ein Gesetz einführen. Rechtsdogmatisch kann ein Gesetz aber nur durch ein anderes Gesetz erzwungen werden. Also muss ein Vertrag zwischen Staaten im Gesetzesrang sein. Gibt es Fragen zu Artikel IIII?"
Mir war klar, dass gerade dieser Artikel der Lex Aquilia sehr stark rechtstheoretisch geprägt war, weshalb ich hier gar nicht allzu sehr in die Tiefe gehen wollte. Das Wissen um die Feinheiten der Staatsverträge brachte nur wenig Nutzen für die juristische Berufspraxis.