Offenbar hatte Secundus keine Fragen zu den Praxistipps. Daher beschloss ich, mit der heutigen Lektion fortzufahren.
"Nachdem wir nun die Auslegung nach dem Wortlaut erörtert haben, wollen wir als Nächstes die Auslegung im Rahmen der Gesamtheit aller Gesetze betrachten. Denn Gesetze sollten sich nicht widersprechen. Wobei hier noch ein paar kleinere Regeln zu beachten sind. Zunächst einmal geht ein neueres Gesetz einem älteren Gesetz vor. Das ist wichtig, falls es widersprechende Regelungen gibt. Für deine spätere Arbeit als Senator bedeutet diese Tatsache, dass man kein bestehendes Gesetz explizit aufheben muss, wenn man ein neues Gesetz beschließt, mit dem das alte Gesetz ersetzt werden soll. Allerdings sind wir Juristen immer dankbar dafür, wenn man das trotzdem macht. Das vereinfacht die juristische Arbeit, weil dann sichergestellt ist, dass alle Regeln aus dem alten Gesetz außer Kraft gesetzt sind."
Es konnte ja nicht schaden, wenn man darauf schon einmal hinwies. Da ich fest davon ausging, mit einem zukünftigen Senator zu sprechen, konnte ich ja diese Bitte indirekt äußern, bei neuen Gesetzen klar zu formulieren, ob ältere Gesetze ganz oder nur teilweise ersetzt werden sollten.
"Eine andere wichtige Regel solltest du dir auch merken: Spezialgesetze gehen allgemeinen Gesetzen vor. Ein Beispiel: Die Lex Octavia et Aelia de Administratione Regionum Italicarum regelt die Verwaltung in Italia. Die Lex Coloniae der Civitas Ostia hingegen gilt nur für Ostia. Sie ist Spezialgesetz für Ostia. Damit haben alle Regeln der Lex Coloniae der Civitas Ostia im Bereich von Ostia den Regelungen der Lex Octavia et Aelia de Administratione Regionum Italicarum vor. Wenn in der Lex Coloniae der Civitas Ostia Regeln fehlen, die in der Lex Octavia et Aelia de Administratione Regionum Italicarum stehen, haben diese allgemeineren Regeln weiterhin Geltung. Gibt es Fragen?"